Erfolgreicher Einstieg in den Beteiligungshaushalt
ttr – Im Dezember stehen die Beratungen zum Doppelhaushalt 2016/2017 der Stadt Mannheim an. Erstmals wurde als ein Element der politischen Willensbildung den wahlberechtigten BürgerInnen die Möglichkeit gegeben, ihre Wünsche und Forderungen in die Haushaltsberatungen des Gemeinderats einfließen zu lassen. Es handelt sich hierbei um die Umsetzung eines 2012 von der knappen rot-rot-grünen Mehrheit beschlossenen Antrags der Grünen. Die LINKE hatte ebenfalls mehrfach auf einen „Bürgerhaushalt“ gedrängt.
Wie funktioniert der Beteiligungshaushalt?
Das Verfahren ist internetgestützt, allerdings mit der Möglichkeit, schriftliche Eingaben zu machen (faktisch minimal genutzt). Die Kommunalwahlberechtigten, die sich beteiligen wollen, müssen sich mit Namen und Adresse auf der Beteiligungsplattform anmelden und können dann Vorschläge einstellen und für alle eingestellten Anträge ihr Votum abgeben. Ein Antrag wird dann in die Haushaltsberatungen eingeschleust, wenn er mindestens 100 Voten auf sich vereinigen kann; darunter werden die Anträge nicht weiterverfolgt. Pro Antrag kann man nur einmal voten; selbstverständlich kann man sich aber zu allen Anträgen äußern.
Hat ein Antrag die erforderliche UnterstützerInnenzahl, nimmt die Verwaltung dazu schriftlich Stellung und gibt eine Empfehlung über das weitere Verfahren ab. Mit dieser Stellungnahme versehen ist der Antrag einem Antrag aus den Reihen des Gemeinderats gleichgestellt. Dieser entscheidet im Rahmen der Haushaltsberatungen (nach Vorberatung) in den Ausschüssen abschließend.
Der Prozess zum Beteiligungshaushalt
Es handelt sich also um einen „Trialog zwischen Bürgerschaft, Verwaltung und Gemeinderat“, nicht um eine Entscheidungsmöglichkeit im Sinne direkter Demokratie. Allerdings können BürgerInnen erstmals die Befassung mit ihren Anliegen bei entsprechender Unterstützung erzwingen. Als handliche Information über die Aufgaben und Struktur des (inzwischen doppischen) Kommunalhaushalts veröffent- lichte die Verwaltung 2014 eine gut lesbare Haushaltsbroschüre.
Wie verlief der erste Testlauf?
Die Beteiligungsmöglichkeit war aufgrund der langen Vorlaufzeit relativ kurz bemessen. Der Beschluss über die konkrete Umsetzung durch das Iternet-Portal www.beteiligungshaushalt.mannheim.de fiel erst am 17. März diesen Jahres. Vorschläge konnte man vom 8. Bis 28. Juni hochladen; vom 8. Juni bis 19. Juli konnten die Vorschläge unterstützt werden.
Zum allgemeinen Erstaunen beteiligten sich weit über 5.000 Menschen an dem Verfahren. Die Schätzungen lagen zuvor bei 2 bis 3.000 TeilnehmerInnen.
Statistik
5716 | TeilnehmerInnen |
350 | Vorschläge |
40937 | Bewertungen |
174 | Vorschläge mit erreichtem Quorum |
Bewertung er Verwaltung von den 174 Vorschlägen, die das Quorum erreichten:
98 | weiterverfolgen |
47 | nicht weiterverfolgen |
10 | wird bereits umgesetzt |
7 | Stadt Mannheim nicht zuständig |
12 | rechtliche Gründe sprechen dagegen |
Im Laufe der Etatberatungen wird sich der Gemeinderat also mit 174 bürgerschaftlichen Anträgen zu befassen haben. Das Votum der Verwaltung ist hinsichtlich „weiterverfolgen“ und „nicht weiterverfolgen“ selbstverständlich nicht bindend.
Und was schlagen die BürgerInnen vor?
Der erfolgreichste Antrag mit 582 UnterstützerInnen regt „Ein Badeschiff für Mannheim!“ an. Unter den 10 erfolgreichsten Anträgen fordern vier mit ebenfalls hohen UnterstützerInnenzahlen die Abschaffung des ungeliebten Gelben Sackes zu Gunsten einer gelben oder Wertstoff-Tone. Zwei Anträge kümmern sich bessere Bedingungen für RadfahrerInnen, je einer äußert sich zum ÖPNV und zur Förderung des Capitol-Eventehauses. Der letzte unter den ersten Zehn hat schließlich den Beteiligungshaushalt selbst zum Gegenstand. Vorgeschlagen wird, das Portal zum Beteiligungshaushalt ganzjährig geöffnet zu halten, als kontinuierliches Verfahren.
Gruppiert man die Anträge jeweils nach dem (subjektiv) wichtigsten Stichwort, stellt man fest, dass das wohl häufigste Thema mit dem Fahrrad-Verkehr zu tun hat (53 Nennungen), mit dem Verkehr allgemein, lokalen Verkehrsregelungen und Straßenwidmungen befassen sich weitere knapp 50 Vorschläge, mit der Ausstattung öffentlicher Plätze, Grünflächen und Parks 20 Anträge. Ebenso viele Anträge haben soziale Anliegen, die fast alle hoch gevotet wurden. Straßen-Themen dagegen erreichten meist nicht das Quorum, da sie zu speziell auf einen engen Raum abheben. Nicht verwunderlich, dass die einzigen zwei erfolgreichen Straßen-Themen in der Neckarstadt verortet sind. Die Vermutung ist, dass dieser große Stadtteil mit seinen starken alternativen Milieus stark in den Beteiligungshaushalt eingestiegen ist.
Damit sind wir bei der (zugegeben spekulativen) Frage: Wer hat sich beteiligt? Und welche demokratische Qualität steckt in den Vorschlägen und ihren Voten?
Nicht beteiligt haben sich sicherlich die Nicht-WählerInnen. Die Verortung der Vorschläge weist eher auf die Stadtteile mit noch einigermaßen starker Wahlbeteiligung hin. Es gibt reichlich Vorschläge der Art „nice to have“. Seine Beschwerde dagegen über beispielsweise Hartz IV formuliert kein einziger Teilnehmer. Der Ton der Anträge ist – so der erste Eindruck – nicht wutbürgerlich sondern seriös. Die Spur von Fan-Kreisen ist deutlich wahrnehmbar: 302 Stimmen für das Maifeld-Derby: „Das Maifeld Derby ist ein 3-tägiges Musikfestival und findet seit 2011 jährlich auf dem Maimarktgelände in Mannheim statt. Die Veranstaltung wurde mit viel Herzblut, Leidenschaft und Idealismus von ehemaligen Popakademie-Studenten gegründet und ist sowohl ökologisch als auch musikalisch nachhaltig aufgebaut.“ Viel Quorumserfolg haben Kindergärten und Schulen oder Vereine, die in ihrer Gruppe gut mobilisieren können.
Das Sozial-Monatsticket, das UmFairTeilen platziert hat, bekam immerhin 224 „likes“, der Vorschlag, den fahrscheinlosen ÖPNV als Pilotprojekt in Mannheim einzuführen, begeisterte 190 TeilnehmerInnen. Einen Armuts-/Reichtumsbericht unterstützen 166 Leute. Aber viele Anträge blieben wegen Nichterreichen des Quorums auf der Strecke. So die Hälfte der Anträge rund um das Thema Barrierefreiheit. Beispielsweise die Forderung nach einer barrierefreien Anbindung der neuen Kunsthalle an den alten Billingbau: Hier kamen nur 69 UnterstützerInnen zusammen. Man hat den Eindruck: Gerade mal die Mitglieder der AG Barrierefreiheit und ihre Angehörigen und Freunde. Allerdings liegt zu diesem Thema schon länger ein Antrag der LINKEN vor, der voraussichtlich nun in modifizierter Form als interfraktioneller Antrag in die Etatberatungen eingeht. Es handelt sich um ein unabweisbares Muss und um den Ausgleich eines Planungsfehlers. Die „direkten Demokraten“ sehen dies jedoch offenbar nicht so – mag sein, dass das Thema ein wenig speziell ist.
Fazit
Der Beteiligungshaushalt ist schon 2015 ein Erfolg: Über 5.000 Bürgerinnen und Bürger haben die Möglichkeit genutzt, ihre Themen zu setzen. Die Verwaltung hat sich mit den Vorschlägen – wenn auch nicht immer zufriedenstellend – auseinandergesetzt und der Gemeinderat muss auf der Basis seiner Gesamtverantwortung über jeden einzelnen Vorschlag entscheiden. Das Manko bleibt, dass sich große Teile der Stadtgesellschaft eben nicht an solchen Prozessen beteiligen, und dass unter denjenigen, die sich beteiligen, mutmaßlich viele „alte Bekannte“ aus vormaligen Beteiligungsverfahren sind. Und natürlich sagt die Position des einzelnen Vorschlags in der „Hitparade“ der Anträge nicht unbedingt etwas über seine Wichtigkeit und Unabweisbarkeit aus. Das Beteiligungsverfahren wird, so ist zu befürchten, auch Frust bei denen erzeugen, die nicht zum Zuge gekommen sind. Sie werden wohl nicht den von der Verwaltung erhofften größeren Rückhalt für das Haushaltswesen liefern. Und am Ende wird auch sichtbar, dass die BürgerInnen gut daran tun, einen Gemeinderat zu wählen, der zwischen den zahlreichen Interessen abwägt und mit Hilfe der Verwaltung nach Möglichkeit ein Haushaltswerk verabschiedet, das den städtischen Gesamtbetrieb am Laufen halten kann, und das möglichst in eine gute Richtung, die vorher in ausführlichen demokratischen Diskussionen beschlossen wurde. Repräsentative Demokratie mit BürgerInenbeteiligung eben – und Streitkultur.