Mannheimer Professor für Makroökonomik zerlegt die Wirtschaftspolitik der Militarisierung
Können die gewaltig gesteigerten Rüstungsausgaben, wie vielfach behauptet, die Wirtschaftsleistung steigern und neue Arbeitsplätze schaffen?
Die Politik der Merz-Klingbeil-Regierung ist bekanntlich weitgehend geprägt vom Ziel der Aufrüstung. Sie unterwarf sich dem von der Trump-Regierung seit Januar 2025 völlig überraschend geforderten 5 %-Ziel, welches bedeutet, 5 % des Bruttoinlandproduktes (BIP), also der gesamten Wirtschaftsleistung des Landes, für militärische Zwecke zu verwenden. In seiner ersten Amtszeit hatte Trump die NATO-Staaten häufig gedrängt, das bestehende 2 %-Ziel einzuhalten. Fachleute bezeichneten den plötzlich geforderten Betrag von 5 % des BIP als willkürlich und die Zahl als Phantasiezahl. Der Zweck des 5 %-Zieles ist es offensichtlich nicht, auf eine bestehende Bedrohung angemessen zu reagieren, sondern eher, US-amerikanische Rüstungsexporte in NATO-Mitgliedsländer zu steigern und imperiale geostrategische Ziele militärisch abzusichern.
Für Deutschland bedeutet diese Zahl, dass etwa 45 Prozent des Staatshaushaltes für militärische Zwecke verwendet werden müssen. Die Militarisierung wird damit faktisch zum wichtigsten Staatsziel, die deutsche Wirtschaft wird in atemberaubendem Tempo umgestellt auf Kriegswirtschaft. Die 5 Prozent sollen aufgeteilt werden in 3,5 BIP-Prozente für sogenannte Verteidigungsausgaben und 1,5 BIP-Prozentpunkte für angeblich militärisch notwendige Infrastrukturprojekte. Direkt vor dem NATO-Gipfel in Den Haag am 24. und 25. Juni einigten sich unter US-amerikanischen Druck auch die 32 NATO-Mitgliedsstaaten auf die historische Aufstockung der Rüstungsausgaben.
In der deutschen Bevölkerung wie auch in vielen weiteren NATO-Staaten ist diese Militarisierung hoch umstritten, nicht etwa aus Sympathie zur Putin-Regierung, sondern weil aufgrund der bereits bestehenden vielfachen Überlegenheit der NATO gegenüber Russland ein russischer Angriff auf einen NATO-Staat als gänzlich abwegig erscheint. Befürworter der Aufrüstung argumentieren deshalb, diese wäre auch ein geeignetes Programm der Wirtschaftsförderung, sie könne die Produktion wiederbeleben und neue Arbeitsplätze schaffen.
Mannheimer Studie „Wirtschaftliche Auswirkungen von Militärausgaben in Deutschland“
Im vergangenen Juni veröffentlichten der Mannheimer Wirtschaftswissenschaftler Professor Tom Krebs zusammen mit dem Mannheimer Entwicklungsökonomen Dr. Patrick Kaczmarczyk hierzu eine im Netz einsehbare Studie (1). Sie kommt zu einem ernüchternden Ergebnis. Die konkrete Hauptfrage der Studie lautete: Wie viel Wirtschaftswachstum und welche Beschäftigungseffekte bewirken Rüstungsausgaben im Vergleich zu anderen, zivilen Staatsausgaben? Dazu verwendeten die Ökonomen das in den Wirtschaftswissenschaften bewährte Konzept des sogenannten Fiskalmultiplikators (FM). Der FM besagt, um wie viele Euro die Wirtschaftsleistung eines Landes wächst, wenn der Staat einen Euro zusätzlich ausgibt. Mit ihm lässt sich also messen, wie effektiv eine Staatsausgabe in wirtschaftlicher Hinsicht ist. Das Ergebnis in Worten der Autoren: „Im Fall der Rüstungsausgaben zeigt unsere Analyse, dass der kurzfristige Multiplikator wahrscheinlich bei höchstens 0,5 möglicherweise sogar bei null liegt.“ (2) Ein für Rüstung ausgegebener Euro erzeugt also – im besten Falle – eine zusätzlich wirtschaftliche Aktivität von 50 Cent. Ganz anders bei öffentlichen Investitionen in Bildung, Infrastruktur oder Kinderbetreuung. Hier liegt der FM zwischen 2 und 3, jede Investition erzeugt hier also vier- bis sechsmal mehr zusätzliche Wertschöpfung als eine staatliche Ausgabe im Bereich der militärischen Beschaffung.
Kritik an Narrativen der Aufrüstung und „neoliberalen Märchen“
Ihre Untersuchungen führten Tom Krebs und Patrick Kaczmarczyk zu einigen weiteren Feststellungen, die den von der Rüstungslobby und der Regierungskoalition vertretenen Narrativen diametral widersprechen, bspw.:
- Rüstungsinvestitionen werden die Gewinne, nicht aber die Löhne steigen lassen.
- Rüstung verdrängt Reformen
- Rüstungsausgaben treiben die Preise nach oben
Diese Befunde reihen sich ein in eine Kritik an neoliberalen Wirtschaftskonzepten, die der Mannheimer Ökonom bereits 2024, also noch unter der Ampelregierung, vorgebracht hatte. Seine Ausgangsfrage lautete damals: Die Wirtschaft stagniert, der Lebensstandard der meisten Menschen sinkt, und rechte Parteien steigen auf. Wer oder was ist verantwortlich für diese dreifache Krise, die gerade Deutschland besonders hart zu treffen scheint?
Zur Beantwortung dieser Frage richtete er den Blick besonders auf seine Kollegen sowie auf die deren Empfehlungen befolgende Wirtschaftspolitik der Ampelregierung. In seinem Buch „Fehldiagnose – Wie Ökonomen die Wirtschaft ruinieren und die Gesellschaft spalten“ bezeichnete er die Regierungspolitik als „marktliberale Agenda mit grün-roten Tupfern“. Nach eingehender Analyse kommt er u.a. zu diesen Schlussfolgerungen:
- Marktliberale Politik verursacht wachsend ökonomische Frustration, was die Erfolge populistischer Kräfte begünstigt.
- Die Politik muss sich von der marktliberalen Märchenwelt der Ökonomen befreien.
- Sie darf die realen sozialen Sorgen und die Verteilungsungerechtigkeit nicht länger ignorieren
Die Politik der Merz-Klingbeil-Regierung verleiht den Inhalten des Buches eine neue Aktualität sowie neues Gewicht.
Sowohl als Wissenschaftler als auch als Politikberater gilt Tom Krebs als Vertreter des Mainstreams. Er ist Mitglied der Mindestlohnkommission, war der erste Gastprofessor im Bundesfinanzministerium unter dem damaligen Finanzminister Olaf Scholz, arbeitete als Berater für den IWF, die Weltbank und die amerikanische Zentralbank. Seine systemimmanenten neu-keynesianischen Konzepte wollen den Kapitalismus einhegen, nicht überwinden. Seine Expertise und Kenntnisse aber als Insider und Angehöriger des wissenschaftlichen und politischen Mainstreams machen seine Analysen und seine Kritik besonders bemerkenswert.
Sein wohltuend sachliches und informatives Buch kann das Verständnis wirtschaftlicher Entwicklungen sehr verbessern. Das Buch kann in der (Vor-) Weihnachtszeit als Lektüre oder als Geschenk empfohlen werden.
Michael Kohler
(1) Microsoft Word – studie_militär_final.docx
(2) Studie: Aufrüstung wird die Wirtschaft kaum beleben
Tom Krebs (2024). Fehldiagnose: Wie Ökonomen die Wirtschaft ruinieren und die Gesellschaft spalten. Westend 240 Seiten 25 €
