Gemeinderat Heidelberg für Rehabilitierung und Entschädigung für Berufsverbot-Betroffene

Heidelberger Gremium beschließt, die von Berufsverbot-Betroffenen und ihre Forderungen zu unterstützen

Am 23. März hat der Gemeinderat in Heidelberg nach viertel-stündiger Diskussion mit etwa zwei Drittel-Mehrheit einen Beschluss zur Unterstützung der von Berufsverbot Betroffenen gefasst. Darin fordert er die „Landesregierung und den Landtag auf, den Forderungen nach Rehabilitierung und Entschädigung nachzukommen“.
Eingebracht hatten dies im Juli 2022 die Fraktion Die Linke, Bunte Linke, Grün-Alternative Liste, „Heidelberg in Bewegung“ und die Grünen (mit 16 von 48 Sitzen die größte Fraktion). Im „Ausschuss für Soziales“ wurde der Antrag am 14.2. vorab beraten und mehrheitlich Zustimmung empfohlen. Auch die SPD stimmte am 23.3. geschlossen für den Antrag, dazu der Vertreter der PARTEI.

Der grüne Ministerpräsident Kretschmann hatte im Januar 2022 in der ARD eine Stellungnahme angekündigt, „sobald die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Studie der Universität Heidelberg zum Radikalenerlass vorliegen“. Da seit deren Veröffentlichung im Mai die Berechtigung der Forderungen der Betroffenen bestätigt ist, versuchte er sich darauf in Schweigen zu hüllen. Nach vielen Presseartikeln, zwei Anträgen der SPD in Landtagsausschüssen, einer Kundgebung im Oktober mit 70 Teilnehmenden, unterstützt von den Gewerkschaften, und einem weiteren Schreiben Betroffener sah sich der Regierungschef am 19.1. zu einem „Offenen Brief“ an die „lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger“ gezwungen. Die Betroffenen-Initiativgruppe lud er zu einem Gespräch am 8.2. in die „Villa Reitzenstein“ in Stuttgart ein.
Entgegen dpa-Berichten, Kretschmann habe um „Entschuldigung“ gebeten, sprach er im Brief nur von teilweisem „Bedauern“: „Einzelne mögen zu Recht sanktioniert worden sein, manche aber eben auch nicht. Das bedauere ich.“ Von kollektiver Rehabilitierung, Entschädigung ohnehin kein Wort. Stattdessen die alte „Hufeisentheorie“: „Der Staat braucht einen breiten Blick auf den Extremismus – auf Linksextremisten, auf Rechtsextremisten und auf religiös motivierten Extremismus“.

Am 2.2. fand in Heidelberg eine von Bunte Linke, Die Linke, DGB und IG Metall Heidelberg veranstaltete Lesung zu der wissenschaftlichen Studie statt, an der über 70 teilnahmen und bei der Betroffene selbst berichteten. Beim Termin mit Kretschmann im Staatsministerium wurde der Altersarmut-Rentenbescheid eines Mannheimer Betroffenen mit 680 Euro im Monat übergeben sowie Rechenbeispielen. Im Vergleich zur „Standardrente“ (45 Versicherungsjahre bei Durchschnittsverdienst) bedeutet dies bis zum durchschnittlichen Lebenserwartungsalter einen Verlust von 139.000 Euro. Entschädigungen würden das Land Hochrechnungen zufolge einmalig einen unteren siebenstelligen Betrag kosten, weniger als 0,1 Promille eines Haushalts.
Der Regierungschef blieb am 8.2. dennoch bei seinem kategorischen Nein zu den Forderungen. Er könne nicht „pauschal entschädigen“, dadurch würden „neue Ungerechtigkeiten“ entstehen. „Vordemokratisches Gnadenrecht“ lehne er ab. Die Betroffenen müssten ihr Anliegen „in jedem Einzelfall gerichtlich durchsetzen“. Wie das nach 50 Jahren noch gehen soll, sagte er nicht.
Die im Forschungsbericht dargelegte Richtlinien der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) erklärte der Ministerpräsident kurzerhand für nicht verbindlich. Das sei schon 1987 so gehandhabt worden. Und: Er habe heute ein „ungutes Gefühl, wenn ein Kind von einem AfD-Mitglied unterrichtet würde“. Darauf eskalierte das Gespräch. Nach lautstarken Wortmeldungen („wir lassen uns nicht mit Nazis in einen Topf werfen“) und empörten Zwischenrufen („Schande“) konnte der auf eine Stunde angesetzte Termin erst nach 90 Minuten zu Ende gebracht werden. Kretschmann habe „zerknirscht“ gewirkt, kommentierte dpa unmittelbar darauf.

In der Begründung des Heidelberger Beschlusses heißt es: „Der sogenannte ‚Radikalenerlass‘ hat der Demokratie und dem gesellschaftlichen Klima in der Bundesrepublik schweren Schaden zugefügt. Menschen wurden in ihrer Existenz bedroht. Auch für über 100 Betroffene, die in Heidelberg studiert, gelebt und gearbeitet haben, hatte der Erlass schwerwiegende Folgen.“ Die Berufsverbote-Praxis, wird aus der Studie zitiert, war „von Anfang an als rechtswidrig einzustufen, weil sie mit der Konvention Nr. 111 der ILO nicht übereinstimmt“.
In der Gemeinderatssitzung wies die Vertreterin der Bunten Linken darauf hin, dass die Bedeutung des Beschlussantrags durch das neuerliche Nein des Ministerpräsidenten nochmals gestiegen sei. Gegen die Entschließung stimmten CDU und AfD. Die AfD hetzte gegen die Betroffenen und die Studie: „Was damals Recht war, kann heute kein Unrecht sein. Es ist eine ungeheuerliche Unterstellung gegenüber dem Land Baden-Württemberg zu behaupten, hier sei staatliches Unrecht geschehen.“ FDP, „Heidelberger“ und Freie Wähler enthielten sich bei der Abstimmung. Der Beschluss endet: „Viele der damals Betroffenen spüren die Auswirkungen durch Kürzungen bei ihren Ruhegehältern oder sogar Altersarmut bis heute. Ihre materiellen Nachteile müssen ausgeglichen werden“ (vollständiger Wortlaut des Beschlusses nachzulesen unter Berufsverbote.de).

Inzwischen gibt es in weiteren baden-württembergischen Städten ähnliche Überlegungen und Aktivitäten in Gemeinderatsgremien, um Druck auf Regierung und Landtag auszuüben. Entscheidend wird sein, ob sich Grünen-Stadträte trauen, selbst zu entscheiden, auch gegen die Meinung Kretschmanns. Landtagsabgeordnete berichten inzwischen, die Fraktion wolle das Thema auch nochmals in den Hauptausschuss einbringen.

Martin Hornung




„Rehabilitierung und Entschädigung für Berufsverbote!“ Protest beim Landtag

Wiedergutmachung der Berufsverbote – „Biologische Lösung“ verhindern!

Teile der Rhein-Neckar-Delegation in der Königstraße am 26. Oktober auf dem Weg zur Kundgebung in Stuttgart | Foto: Dandl

„Er habe gerade sehr, sehr große Probleme zu lösen, Stichwort Gaskrise. Seine Zeit und die der Ministerien sei begrenzt. Die (Betroffenen) hatten schon lange Geduld, beendet er (Kretschmann) seine unwirsche Replik, und jetzt müssen sie sich halt nochmal gedulden“. So zitieren im Juli die Wochenzeitung „Kontext“ (6.7.) und die „Stuttgarter Zeitung“ (14.7.) den Ministerpräsidenten auf die Frage: ob er sich mit der seit Mai als Buch vorliegenden Studie der Universität Heidelberg zum „Radikalenerlass“ und den Forderungen der Betroffenen nach Rehabilitierung und Entschädigung inzwischen befasst habe. „Nur weil irgendein Bericht zu einem Thema vorliegt, das seit zehn Jahren ausgewälzt wird“, könne er die „drängenden Fragen nicht hintanstellen“, setzt Kretschmann noch drauf.

Die „Rhein-Neckar-Zeitung“ hakt Ende September im Staatsministerium nach. Stereotype Antwort der Sprecherin, obwohl weitere zweieinhalb Monate vergangen waren: „Der Ministerpräsident bittet um Verständnis, dass es in der aktuellen Situation Fragen von akuter Dringlichkeit gibt, die diesem Thema vorgelagert sind“ (RNZ, 30.9.)

Am 25. Oktober nutzt der Deutschlandfunk die Landespressekonferenz, um den Regierungschef mit der Studie zu konfrontieren: Mittlerweile liege die Forschungsarbeit fast ein halbes Jahr vor, die Betroffenen würden deshalb am Folgetag in Sichtweite des Landtags erneut demonstrieren – warum er seine angekündigte Stellungnahme und Entscheidung ständig hinauszögere, obwohl er vor zehn Jahren als Ministerpräsident selbst die wissenschaftliche Aufarbeitung gefordert habe?

Kretschmann darauf: „Ich war selbst betroffen. Man kann doch dem Staat nicht verübeln, dass er bei jemand, der für die Diktatur des Proletariats eintritt, erst mal Bedenken hat, ob er den in den Staatsdienst einstellen soll. Dazu einfach jetzt kollektive Äußerungen oder gar Entschädigungszahlungen zu machen, das ist ja so gut wie unmöglich.“ Zur Studie selbst gebetsmühlenartig die Leier: Er habe sich damit „wirklich nicht befasst, weil er auch andere wichtige Dinge zu tun“ habe: „Mich plagen gerade andere Sachen. In so Krisen muss man sehr Vieles gleichzeitig machen. Bei vielen Dingen muss man einen Knödel nach dem andern essen.“

Aussitzer des Jahrzehnts

Die „Initiativgruppe Baden-Württemberg gegen Radikalenerlass und Berufsverbote“ hat Ende Mai in einer öffentlichen Erklärung festgestellt, durch die Ergebnisse der Forschungsarbeit werde die Berechtigung ihrer Forderungen eindrucksvoll bestätigt. Kretschmann hatte im Januar im Dokumentationsfilm von Hermann Abmayr („Jagd auf Verfassungsfeinde – Der Radikalenerlass und seine Opfer“) „allenfalls individuelle Entschuldigungen“ ins Spiel gebracht; in einem Rechtsstaat beurteile man „das Verhalten von Einzelpersonen“. (Der Film der ARD wurde inzwischen dreimal gezeigt, zuletzt auf 3sat; im SWR haben 55.000 zugesehen.)

„Individuelle Entschuldigungen“ lehnen die Betroffenen ab. In der Studie (2018 -2021) sind beispielhaft 90 Fälle aufgeführt oder erwähnt (davon ein Drittel aus der Rhein-Neckar-Region). Im Innenministerium liegen jedoch laut Forschungsbuch „vier laufende Aktenmeter“ mit „55 Bündeln“ und „rund 3.000 Einzelfällen“. Wenn die Aufarbeitung von 90 Fallbeispielen drei Jahre gedauert hat, wären dies für 3.000 Fälle 100 Jahre. Auch in den bisherigen Beschlüssen der Länderparlamente von Bremen, Niedersachsen, Hamburg und Berlin geht es nicht um „individuelle“, sondern immer um kollektive Rehabilitierung aller Betroffenen.

Der 50. Jahrestag des „Radikalenerlasses“ am 28. Januar hat bundesweit in der Öffentlichkeit zu großer Aufmerksamkeit geführt. Seine Grundlage hat er im deutschen Beamtenrecht, das seinerseits auf dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ der Nazis vom 7. April 1933 beruht. Im nächsten Frühjahr wird es 90 Jahre alt. Auch die baden-württembergische Variante des „Radikalenerlasses“, der Schiess-Erlass hat 2023 „Jubiläum“ (50 Jahre am 2.10.)

Von 1973 bis 1990 erfolgten laut Innenministerium im „Ländle“ 695.674 sogenannte „Regelanfragen“ beim Inlandsgeheimdienst alias „Verfassungsschutz“ . Diese gewaltige Zahl, ein Fünftel aller bundesweiten Überprüfungen, bedeutet plastisch gemacht: Im Schnitt gab es 110 Spitzeleien und Beschnüffelungen durch Schlapphüte und Schreibtischtäter – pro Tag, 17 Jahre lang.

„Lebensentwürfe zerstört“, „Existenzen gefährdet“

Berufsverbote seien es laut den in der Studie zitierten offiziellen Statistiken in ganz Baden-Württemberg 288 gewesen, 222 Einstellungsablehnungen und 66 Entlassungen. Wie untertrieben dies ist, zeigen eigene Recherchen Betroffener im hiesigen Raum. In der Rhein-Neckar-Region gab es allein 180 Betroffene: 107 sind mit vollem Namen bekannt, 21 mit abgekürztem Nachnamen und 52 ohne Namen in Fall-Darstellungen dokumentiert. Auf Heidelberg entfielen 121, Mannheim 33 und das Umland 26 lebenslange bzw. zeitweilige Berufsverbote. Neun der Betroffenen sind bereits gestorben.

Theresia Bauer, OB-Kandidatin in Heidelberg, bis September Wissenschaftsministerin, schreibt in ihrem Geleitwort zur wissenschaftlichen Studie: „Der Radikalenerlass wurde in Baden-Württemberg besonders intensiv und länger angewandt. Das Land machte sich einen Namen als schwarze ‚Berufsverboteprovinz‘. Die Lebensentwürfe von jungen Menschen wurden zerstört und Existenzen gefährdet.“

Die „Süddeutsche Zeitung“ kommentiert im Juni: „Herr Kretschmann (windet) sich wie ein Aal.“ Inzwischen werden es zig‘ Aale. Dass der beste CDU-“Landesvater“, den es je gab, mit Blick auf das Alter der Berufsverbote-Betroffenen von über 70 bis 80 Jahren offensichtlich auf eine „biologische Lösung“ setzt, schreiben inzwischen auch die „Stuttgarter“ und „Süddeutsche Zeitung“.

Im Ständigen Ausschuss des Landtags stand der Punkt von Mai bis September dreimal auf der Tagesordnung. Zuletzt beantragten die SPD-Ausschussmitglieder am 29.9.: „Der Landtag wolle beschließen, sich bei den Betroffenen, denen in Verbindung mit dem sogenannten Radikalenerlass Unrecht widerfahren ist, in geeigneter Form zu entschuldigen und das erlittene Unrecht jeweils finanziell angemessen zu kompensieren.“ Der Antrag wurde abgelehnt.

Boris Weirauch (SPD): „Nicht mehr zu überbietende Arroganz“

Rede des DGB-Vorsitzenden Baden-Württemberg, Kundgebung gegen Berufsverbote am 26.10.2022 in Stuttgart

Die Initiativgruppe hat darauf am 26. Oktober in Sichtweite des Landtags erneut eine Kundgebung durchgeführt, die vierte in acht Jahren. Mit 60 waren es mehr als doppelt so viele Teilnehmende wie zuvor, ein Drittel von ihnen aus Heidelberg, Mannheim und der Rhein-Neckar-Region. Redebeiträge hielten der baden-württembergische DGB-Vorsitzende Kai Burmeister, der Kretschmanns ständiges Verschleppen einer Entscheidung einen „Skandal“ nannte, sowie die Betroffenen Sigrid Altherr-König (Esslingen) und Martin Hornung (Eppelheim). Mittlerweile hat die Initiativgruppe auch eine Zitate-Zusammenfassung für Text-Lesungen aus dem 684-seitigen Forschungsprojekt-Buch erstellt. Am 12. November fand im Waldheim „Clara Zetkin“ in Stuttgart-Sillenbuch eine erste Veranstaltung dazu statt (Reden und Bilder der Kundgebung sowie der Text der Lesung auf www.berufsverbote.de).

Der Abgeordnete Boris Weirauch (Mannheim), in der SPD-Landtagsfraktion für das Thema zuständig, hat am 16. November zuletzt zu einer zweistündigen Internet-Veranstaltung mit Betroffenen eingeladen. Die Zeit läuft uns davon – der Radikalenerlass und seine Aufarbeitung“.  46 Interessierte, überwiegend Betroffene waren zugeschaltet. Neben dem SPD-Abgeordneten berichteten Alexandra Jäger, die Bücher zum Radikalenerlass und den Auswirkungen in Hamburg und Niedersachsen veröffentlicht hat, sowie Sigrid Altherr-König, Lothar Letsche (Tübingen) und Werner Siebler (Freiburg) für die Betroffenen.  Im Ständigen Ausschuss am 29.9. sei man laut Weirauch zwar mit „blumigen Worten bedacht“ worden (vermutlich seitens einiger Grüner, der Verf.) Der Antrag sei jedoch abgelehnt worden. Da seien einem „die Hände gebunden“, man werde „da im Ergebnis nichts tun“, so die Abgeordneten der Grünen-/CDU-Koalition.

Weirauch warf Kretschmann in der Veranstaltung „nicht mehr zu überbietende Arroganz gegenüber den Betroffenen“ vor. Sinngemäß teilte er außerdem mit, die SPD-Landtagsfraktion habe nun beschlossen, in die bis 21. Dezember laufenden Haushaltsberatungen einen Antrag einzubringen, sich mit dem Thema in den kommenden zwei Jahren weiter zu befassen und einen Fonds in Höhe von 600.000 Euro zur Entschädigung der von Berufsverbot Betroffenen in den Haushalt einzustellen. In mehreren Diskussionsbeiträgen wurde dieser Betrag als zu niedrig angesehen, die Initiative im Grundsatz aber begrüßt. Die Initiativgruppe hält einen mittleren siebenstelligen Betrag für notwendig.

In Heidelberg haben die Gemeinderats-Fraktionen der Linken und Grünen sowie Stadträtinnen und Stadträte von Bunte Linke, Grün-Alternativer Liste (GAL) und „Heidelberg in Bewegung“ (HIB) bereits im Juli einen Antragstext in das Gremium eingebracht: Verabschiedung einer Entschließung mit der Aufforderung an Landesregierung und Landtag, den Forderungen der von Berufsverbot Betroffenen nach Rehabilitierung und Entschädigung nachzukommen. Für 8. November war der Tagesordnungspunkt im „Ausschuss für Soziales und Chancengleichheit“ zur Behandlung angesetzt (im Gemeinderat am 10.11.), in der ersten Novemberwoche wurde dies jedoch auf 14. Februar 2023 verlegt. Laut Verwaltung hätten auf Grund von Personalproblemen und der hohen Antragszahl viele Anträge verschoben werden müssen.

In Stuttgart findet am 2.12. ein Gesprächstermin von drei Betroffenen mit der neuen Wissenschaftsministerin Petra Olschowski (Grüne) statt. Kretschmann wird auch im Neuen Jahr kaum Ruhe bekommen.

Martin Hornung




Berufsverbot-Betroffene verlangen Wiedergutmachung: Die Landesregierung kann sich nicht länger drücken! 

Am 28. Januar wurde der „Radikalenerlass“ 50 Jahre alt. Bundesweit gab es über 90 Presseartikel und 70 Veranstaltungen. Die ARD zeigte eine 45-minütige Dokumentation des Filmemachers Hermann Abmayr und berichtete in „Panorama“. Im Frühjahr wurde eine 684-seitige Studie eines Forschungsteams der Universität Heidelberg zu den Auswirkungen des Erlasses veröffentlicht: „Es war eine Hexenjagd gegenüber jungen Menschen, denen Verfassungsfeindlichkeit unterstellt wurde.“ Die „Süddeutsche Zeitung“ sprach „von einem der folgenreichsten Desaster in der Geschichte der Bundesrepublik“. 

Protest Betroffener vor der PH Heidelberg anlässlich des 50. Jahrestags des „Radikalenerlasses“

In Baden-Württemberg erfolgten von 1973 bis 1990 im Zuge der hiesigen „Schiess-Erlass“ 695.674 „Regelanfragen“ beim Inlandsgeheimdienst („Verfassungsschutz“). Offiziell gab es rund 300 Nicht-Einstellungen und Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst. Die Dunkelziffer ist hoch. Betroffen waren zu 97 Prozent politisch linksgerichtete Menschen. 

Die Berufsverbote verstießen gegen Grundrechte, Meinungs- und Organisationsfreiheit. Sie waren kollektives Unrecht und gemäß der zitierten Studie ein Verstoß gegen Kernnormen der ILO (Internationale Arbeitsorganisation), somit völkerrechtswidrig. Während Betroffene bis heute um Rehabilitierung kämpfen, steht in Brandenburg – unter dem Vorwand „gegen rechts“ vorzugehen – im ersten Bundesland wieder ein neues „Radikalen-Gesetz“ vor der Verabschiedung („Verfassungstreue-Check“ im öffentlichen Dienst, siehe Rückseite). 

Beschlüsse zur Rehabilitierung der Betroffenen haben vier Landtage gefasst. Die „Süddeutsche Zeitung“ fragt, ob Ministerpräsident Kretschmann auf eine „biologische Lösung“ abziele. Elf Jahre hatte er eine Wiedergutmachung unter Verweis auf „fehlende Forschung“ verweigert. Bezogen auf die Studie erklärte er nun am 1. Juli in der „Stuttgarter Zeitung“: „Ich werde entscheiden, wie wir weiter mit dem Thema umgehen.“ 

Damit konfrontiert, die Studie liege seit längerem vor, antwortete er am 14. Juli: „Meine Zeit und die der Ministerien ist begrenzt. Ich habe gerade sehr, sehr große Probleme zu lösen, Stichwort Gaskrise. Die Betroffenen hatten schon lange Geduld. Und jetzt müssen sie sich halt noch mal gedulden.“ Die an Ignoranz kaum zu überbietende Stellungnahme hat die Sprecherin des Staatsministeriums in der „Rhein-Neckar-Zeitung“ vom 30. September wiederholt: „In der aktuellen Situation gibt es Fragen von akuter Dringlichkeit, die diesem Thema vorgelagert sind.“ 

Die Betroffenen haben das ewige Verschleppen satt. Viele haben rund 1.000 € weniger Rente im Monat, einige nur Armutsrenten um 600 € brutto. Entsprechende finanzielle Ausgleichsbeträge könnten aus einem Fonds gezahlt werden. Das Land müsste dafür nur einen mittleren einstelligen Millionen-Eurobetrag zur Verfügung stellen (einmalig 0,1 Promille eines Jahreshaushalts). 

DGB, GEW, ver.di und IG Metall unterstützen die Betroffenen und ihre Forderungen. Die SPD-Fraktion hat im Landtag eine Anfrage zur wissenschaftlichen Studie eingebracht. Im Ständigen Ausschuss des Landtags wurde sie mehrfach beraten. Ein Antrag der SPD-Mitglieder, sich „bei den Betroffenen zu entschuldigen“ und „erlittenes Unrecht finanziell angemessen zu kompensieren“, erhielt jedoch am 29. September im Ausschuss keine Mehrheit. Die „Initiativgruppe Baden-Württemberg gegen Radikalenerlass und Berufsverbote“ führt daher anlässlich einer am 26. Oktober anstehenden Landtagssitzung in Stuttgart eine Kundgebung vor der Oper auf dem Großen Schlossplatz durch. 


Kundgebung 

Berufsverbot-Betroffene endlich rehabilitieren und entschädigen! 

Mittwoch, 26. Oktober 2022, um 17 Uhr in Stuttgart vor der Oper, Großer Schlossplatz 

Es sprechen: Kai Burmeister (DGB-Vorsitzender Baden-Württemberg) und Betroffene: Sigrid Altherr-König (Esslingen), Martin Hornung (Heidelberg 




50 Jahre Berufsverbot: Kapitel immer noch offen

50 Jahre »Radikalenerlass«

Betroffene kämpfen für Rehabilitierung, Entschädigung und gegen neue »Radikalen«-Gesetze

Berufsverbot-Betroffene bei einer Protestkundgebung vor der PH Heidelberg am 28.10. 2021

Am 28. Januar 2022 jährte sich der »Radikalenerlass« zum 50. Mal. Ein Jahr zuvor haben Initiativen der von Berufsverbot Betroffenen in Baden-Württemberg, Nieder­sachsen, Bremen, Hamburg, Hessen, NRW, Berlin und Bayern eine Kampagne einge­leitet. Über 80 bekannte Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik, Kultur und die Vorsitzenden von DGB, GEW, ver.di und IG Metall haben Ende Januar 2021 als Erstunterzeichner:innen einen Aufruf unterschrieben: generelle und bundesweite Aufhebung des Erlasses, vollständige Rehabilitierung und Entschädigung der Betrof­fenen sowie wissenschaftliche Aufarbeitung der Folgen der Berufsverbote.

Hatten Aktivitäten zum 40. und 45. Jahrestag wenig Beachtung gefunden, war dies anlässlich des 50. »Jubiläums« des Ministerpräsidenten-Beschlusses der Länder unter Vorsitz des damaligen Kanzlers Willy Brandt anders. Auf der Internetseite der Initiativen sind von Oktober bis März mehr als 70 (meist Online-) Veranstaltungen, Ausstellungen, Radio- und Fernsehberichte und über 90 Presseartikel verlinkt: von der ARD-Doku »Jagd auf Verfassungsfeinde« über Berichte in der Süddeutschen Zeitung, Frankfurter Rundschau oder im Spiegel bis zu Aufarbeitungen in allen linksgerichteten Publikationen. Auch Dutzende kleinerer Zeitungen wie Cuxhavener Nachrichten, Harz Kurier, Beueler Extradienst oder seemoz (Bodensee-Magazin) haben ausführlich über den Erlass und die Betroffenen berichtet, zum Teil ganz- bis mehrseitig. Kundgebungen gab es auf Grund der Pandemiebedingungen nur in Heidelberg und Erlangen, mit jeweils rund 100 Teilnehmenden.

Im Zuge des Erlasses von 1972 wurden in den 1970er und 1980er Jahren 3,5 Millionen Bewerber:innen für den Öffentlichen Dienst auf ihre Gesinnung überprüft. Der sich »Ver­fassungsschutz« nennende Inlandsgeheimdienst hatte die Deutungshoheit, wer als »Verfas­sungsfeind«, »Radikaler« oder »Extremist« galt. Nach den bekannten, offiziellen Zahlen gab es bundesweit rund 11.000 Berufsverbots- und etwa 2.200 Disziplinarverfahren sowie 1.256 Ablehnungen von Verbeamtungen und 265 Entlassungen auf Lebenszeit Verbeamteter. Überwiegend traf es Lehrer:innen (rund 70 Prozent), aber auch Briefträger, Lokomotivführer u.a. Betroffen waren Kommunist:innen, Mitglieder der VVN-BdA und anderer linker bis SPD-naher Organisationen und Gewerkschaften. In Bayern traf es auch Sozialdemokrat:innen und in der Friedensbewegung Engagierte.

1973 protestierten 20.000 Teilnehmer:innen in Dortmund bei einer bundesweiten Demon­stration gegen den Radikalenerlass. Auch in den Ländern wurde massenhaft demonstriert, wie in Berlin oder 1976 in Stuttgart mit 6.000 Teilnehmenden. Komitees gegen Berufsverbote gab es in fast allen Universitäts- und größeren Städten. Wenn Betroffene gegen Nichtein­stellungen oder Entlassungen vor Gericht gingen, wurden die Klagen in sieben von zehn Fällen abgelehnt. Eine aus dem Ruder laufende Generation, die Studierendenbewegung und außerparlamentarische Opposition (APO), die in der Tendenz im Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte sehen wollte, bekam von den Herrschenden gezeigt, in welchem Rahmen sich oppositionelle Politik zu bewegen hat.

Knapp zwei Jahrzehnte später, nach dem Anschluss der ehemaligen DDR an die BRD, erhielten ab 1990 ein Viertel aller Lehrer:innen und über die Hälfte der Wissenschaftler:innen und Hochschullehrer:innen die Kündigung, meist ohne Begründung. Von den über zwei Mil­lionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst der DDR verlor nahezu die Hälfte den Arbeits­platz, war nach der »Abwicklung« oft jahrelang paralysiert. Erst in letzter Zeit haben Betroffene mit der Aufarbeitung dieses zahlenmäßig noch viel größeren, »vergessenen« Kapitels begonnen.

In Baden-Württemberg wird für die 1970er Jahre von 300 bis 400 Berufsverboten aus­gegangen. Viele sind darin aber nicht erfasst, wenn etwa Einstellungen erst Jahre später oder nach langen gerichtlichen Verfahren erfolgt sind. In der Rhein-Neckar-Region haben Betroffene allein 168 Fälle dokumentiert (davon 105 namentlich), was die hohe Dunkelziffer belegt. Rund zwei Drittel der um Heidelberg und Mannheim von lebenslangem oder zeit­weisem Berufsverbot Betroffenen waren Lehrer:innen. 15 Prozent kamen aus dem Justiz-, jeweils sechs Prozent aus dem Klinik- sowie dem Sozial- und Erziehungsbereich. Bei angehenden Rechtsanwält:innen aus dem Umfeld des damaligen Sozialistischen Büros (SB), des KBW oder der DKP wurde auf Grund politischer Aktivitäten vor allem die erforderliche Referendarausbildung verschleppt. Linke Lehrer:innen verzichteten in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre oft auf Bewerbungen, weil sie diese für aussichtslos hielten.

Als Begründung der Ablehnungen wurden überwiegend Kandidaturen für kommunistische und andere linke Organisationen genannt, vor allem bei Hochschulwahlen. Auch Teilnahme an Demonstrationen gegen Kriege oder Fahrpreiserhöhungen dienten als Grund. Im Fall des Autors reichte 1975 die Unterschrift unter eine Erklärung an der Pädagogischen Hochschule (PH) Heidelberg gegen den sogenannten Schiess-Erlass (baden-württembergische Variante des Radikalenerlasses; nach dem damaligen Landesinnenminister Karl Schiess, Anm. d. Red.), in der dieser als »Erpressung« bezeichnet wurde. Von dort wurden allein rund 50 Lehrer:innen nicht in den Schuldienst übernommen. Zwei von ihnen haben danach Medizin studiert und als Ärzte gearbeitet, vier sind Metaller geworden, die in den Betrieben auch in die Betriebsräte gewählt wurden. Dem bundesweiten Zahlenverhältnis vergleichbar stehen den 168 Berufsverboten für Linke im Rhein-Neckar-Raum nur zwei Disziplinarverfahren gegen extrem Rechte bzw. Nazis gegenüber (1,2 Prozent).

Braune Wurzeln im Beamtenrecht

Die Grundlagen der Berufsverbote liegen im deutschen Beamtenrecht. Danach darf im Staatsdienst nur beschäftigt werden, wer die sog. »Gewährbieteklausel« erfüllt, »jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten« – wobei die Beweislast bei den Beschäftigten liegt. Die Formulierung ist fast wörtlich aus dem »Gesetz zur Wiederher­stellung des Berufsbeamtentums« vom 7.April 1933 übernommen. Bei den Nazis hieß es, Staatsdiener müssen »die Gewähr bieten, jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat einzutreten«. International ist die Rolle der Beamt:innen im deutschen Staat, ohne Streikrecht und mit eingeschränkter Meinungs- und Organisationsfreiheit, ziemlich einzigartig. Nicht umsonst haben »le berufsverbot« und »the berufsverbot« als Fremdworte Eingang in französische und englische Wörterbücher gefunden.

Überwiegend wurden Ablehnungen mit ausführlichen Zitaten aus einem Grundsatz­beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Mai 1975 begründet, auch beim Autor. Maßgeblich wurde der Beschluss von Dr. Willi Geiger verfasst (NSDAP-Mitglied, SA- »Rottenführer« und als Ankläger verantwortlich für fünf Todesurteile). Er legte fest: »Die politische Treuepflicht erfordert mehr als nur eine formal korrekte, im Übrigen uninteres­sierte, kühle, innerlich distanzierte Haltung gegenüber Staat und Verfassung.«

Verstoß gegen ILO-Übereinkommen Nr. 111

Bei der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) mit Sitz in Genf gingen nach Inkrafttreten des Radikalenerlasses ab 1975 Hinweise auf Diskriminierungen im Öffentlichen Dienst der BRD ein. Anhand von 70 als Beweismittel übermittelten Einzelfällen richtete die ILO 1985 einen »Untersuchungsausschuss zum Ausschluss politisch ›Radikaler‹ aus dem Öffentlichen Dienst« ein. Geprüft wurde, ob die Praxis mit den Bestimmungen des von der BRD 1961 ratifizierten »Übereinkommens Nr. 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf« in Einklang stand.

Der frühere ILO-Koordinator für Menschenrechtsfragen Klaus Samson hat zum Unter­suchungsausschuss einen 22-seitigen Bericht verfasst (veröffentlicht 2004). Zusammengefasst heißt es darin: »Obwohl der Begriff ›Verfassungsfeindlichkeit‹ weder im Grundgesetz noch in sonstigen Gesetzen vorkommt, (…) diente er als Grundlage für die Einschränkung von Grundrechten (…) wie Meinungs- und Vereinigungsfreiheit (…) Der Ausschuss kam zu dem Ergebnis, dass die getroffenen Maßnahmen zur Gewährleistung der Treue zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung in mehrfacher Hinsicht nicht im Rahmen (…) des Übereinkommens Nr. 111« erfolgt sind. Infolgedessen habe »eine erhebliche Anzahl beamteter Personen durch Verlust des Arbeitsplatzes (und) verweigerte Einstellung (…) Nachteile erlitten«. Die BRD wurde vom Ausschuss aufgefordert, »die Einhaltung des Übereinkommens Nr. 111 zu gewährleisten«.

Die Bundesregierung schrieb der ILO 1987, sie sei mit dem Ergebnis nicht einverstanden, brachte aber gleichzeitig zum Ausdruck, sie beabsichtige nicht, die Angelegenheit dem Internationalen Gerichtshof vorzulegen. Da keine Beschwerde eingereicht wurde, haben die »Schlussfolgerungen und Empfehlungen des Untersuchungsausschusses« gemäß ILO-Richt­linien und Bundesgesetzblatt II (Völkerrecht) eindeutig »rechtlich bindenden Charakter«.

Seit 2012 Beschlüsse von vier Landesparlamenten

Der Bremer Senat hat 2012 einstimmig beschlossen, den »Radikalenerlass« vollständig auf­zuheben und die Betroffenen zu rehabilitieren. 2016 sprach der Landtag von Niedersachsen eine »Entschuldigung und ausdrückliches Bedauern« aus. Zur »Aufarbeitung der Schicksale im Zusammenhang mit dem Radikalenerlass« wurde eine Kommission eingerichtet, die ein Jahr später einen Bericht vorgelegt hat. Auch die Hamburger Bürgerschaft brachte 2018 ihr »ausdrückliches Bedauern« zum Ausdruck und sprach »den aus heutiger Sicht zu Unrecht Betroffenen ihren Respekt und ihre Anerkennung« aus. »Bedauern« ausgesprochen hat im September 2021 auch das Abgeordnetenhauses Berlin und erklärt: »Die auf der Grundlage des Radikalenerlasses erteilten Berufsverbote und deren Folgen sollen für die Betroffenen wissen­schaftlich aufgearbeitet werden.«

In den Landtag von NRW ist seit November 2021 ein Antrag von Grünen und SPD einge­bracht: Der Landtag solle bedauern, »dass diese Praxis bei den zu Unrecht Betroffenen zu Leid und persönlichen Nachteilen geführt hat. Er beauftragt die Landesregierung, innerhalb eines Jahres Vorschläge für eine eventuelle rechtliche Rehabilitierung und eine eventuelle finanzielle Entschädigung der Betroffenen zu unterbreiten.«

In Baden-Württemberg hat 2015 ein »Runder Tisch« von Landtagsabgeordneten und Betroffenen getagt. Ein fertig formulierter Antrag wurde aber auf Betreiben von Minister­präsident Kretschmann (als ehemaliger KBW´ler zeitweise selbst von Berufsverbot betroffen) im Landtag nicht eingebracht. Seit 2018 läuft an der Uni Heidelberg mit Unterstützung des Wissenschaftsministeriums ein Forschungsprojekt zur Aufarbeitung des »Radikalenerlasses«. Ergebnisse sollen Ende Mai in Buchform auf 640 Seiten veröffentlicht werden. In Hessen sind 2017 und im Februar 2022 entsprechende Entschließungsanträge der Linken und der SPD von der CDU/Grünen-Mehrheit abgelehnt worden.

Neue »Radikalen«-Gesetze in Arbeit

Während die Berufsverbots-Betroffenen der 1970er und 1980er Jahre bis heute um Rehabi­litierung und Entschädigung kämpfen, hat die »Ampel«-Regierung im Koalitionsvertrag von Dezember in bester »Extremismustheorie«-Manier angekündigt: »Um die Integrität des Öffentlichen Dienstes sicherzustellen, werden wir dafür sorgen, dass Verfassungsfeinde schneller als bisher aus dem Dienst entfernt werden können. (…) Wir treten allen verfas­sungsfeindlichen, gewaltbereiten Bestrebungen entschieden entgegen – ob Rechtsextre­mismus, Islamismus, Verschwörungsideologen, Linksextremismus oder jeder anderen Form des Extremismus.« Die Landesregierungen in Berlin (SPD/Grüne/Linke) und Mecklenburg-Vorpommern (SPD/Linke) haben in ihren Koalitionsverträgen nachgezogen (siehe express
2-3/2022, S. 16f.).

In Brandenburg (SPD/CDU/Grüne-Regierung) liegt bereits ein Entwurf eines Gesetzes für den gesamten Öffentlichen Dienst vor (statt »nur« ein Erlass), inklusive Regelanfrage beim »Verfassungsschutz«. Noch im ersten Halbjahr soll er verabschiedet werden. Alle Vorhaben sollen selbstverständlich unter dem Vorwand »gegen rechts« erfolgen – wobei völlig klar ist, dass für den für die Überprüfung zuständigen Inlandsgeheimdienst der Feind links steht. Die bundesweiten Initiativen fordern daher neben Aufhebung des Erlasses, Rehabilitierung, Ent­schädigung und Aufarbeitung, dass auch die Pläne für neue »Radikalen«-Gesetze wieder vom Tisch müssen. Wenn man ernsthaft gegen rechte Netzwerke im Öffentlichen Dienst vorgehen wolle, sei dies mit konsequenter Anwendung von Disziplinarrecht, Strafgesetzen und Grundgesetz möglich. Was den sog. »Verfassungsschutz« angehe, sei die Forderung demo­kratischer Jurist:innen nach dessen Auflösung das einzig Richtige.

Anfrage im Bundestag – Antwort der Regierung

Die Fraktion Die Linke hat im Bundestag im Januar eine Anfrage zum »Radikalenerlass« gestellt. Die Antwort der Bundesregierung vom 22. Januar 2022 ist an Hohn und Zynismus kaum zu überbieten: Sie habe bereits 2017 darauf verwiesen, dass der Ministerpräsidenten­beschluss durch den grundlegenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1975 »überholt« sei. (Deutscher Bundestag, Drucksache 20/453) Statistische Betroffenen-Zahlen lägen der Regierung nicht vor. Ermittlungen seien »aufgrund der Vielzahl der Akten und der Notwendigkeit, diese einzeln zu sichten, nicht zumutbar«. »Schon aufgrund datenschutz-, personalakten- und archivrechtlicher Vernichtungs- und Löschungssfristen« sei dies nicht mög­lich. Die »Verfahrenspraxis im Bereich der Länder und Kommunen« liege »außerhalb des Verantwortungsbereichs des Bundes«. Und: »Eine eigene wissenschaftliche und historische Untersuchung des Beschlusses von 1972 ist nicht Bestandteil des Koalitionsvertrags.« Weitere politische Schritte zur politischen und gesellschaftlichen Rehabilitierung der Be­troffenen plane die Regierung nicht. Sie habe schon 2017 auf die »Möglichkeit der Betroffenen zur Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen gegenüber der zuständigen Körperschaft« verwiesen. Zu ihrer Ankündigung, »Verfassungsfeinde schneller aus dem Öffentlichen Dienst zu entfernen«, behauptet die »Ampel« abschließend: »Die Frage konstruiert einen weder bestehenden noch beabsichtigten Zusammenhang aktueller politischer Vorhaben mit dem gegenstandlosen Beschluss von 1972.« (Bundestag, Drucksache 20/453)

Unterstützung durch Gewerkschaften

Die Gewerkschaften hatten in den 1970er Jahren Berufsverbote durch Unvereinbarkeits­beschlüsse noch befeuert (vgl. die Rubrik revisited in dieser Ausgabe). Jahrzehnte später haben sie sich dafür wenigstens entschuldigt und wieder aufgenommene Mitglieder rückwirkend und zukünftig beitragsfrei gestellt. Seit 2012 unterstützen DGB, GEW, ver.di und IG Metall die Berufsverbot-Betroffenen solidarisch und durch Gewerkschaftstagsbeschlüsse.

Während Entschuldigung, Aufarbeitung und teilweise »Rehabilitierungs«-Ankündigung in den oben genannten vier Parlaments-Beschlüssen enthalten sind, gilt dies für Entschädi­gungen nicht. Nur in Bremen gab es Einzelfälle, bei denen geminderte Renten durch Anhe­bung von Rentenpunkten erhöht wurden. Darüber hinaus bekamen nur zwei Betroffene Schadensersatz, Dorothea Vogt aus Hannover (1995 nach einem Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Strasbourg) und Michael Csaszkóczy (Heidelberg). Letzterer war in einer Art »Nachzügler«-Fall« auf Grund seines antifaschis­tischen Engagements ab 2004 vier Jahre mit Berufsverbot belegt. Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hob die Nichteinstellung des Lehrers rechtskräftig als grundrechtswidrig und Verstoß gegen die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit auf.

Der DGB hat in Niedersachsen 2014 im Rahmen der dortigen Anhörungen im Landtag zur Frage der Entschädigung folgende Forderungen erhoben: Prüfung von Renten-Nachversiche­rungsmöglichkeiten, finanzieller Ausgleich für Rentner:innen mit unwiderruflichem Bescheid durch einen vom Land finanzierten Fonds und Einrichtung eines Beirats aus Betroffenen, Land und Gewerkschaften. In Baden-Württemberg hat die Initiativgruppe im Rahmen des erwähnten »Runden Tisches« den Landtagsabgeordneten 27 Fälle von Altersarmut infolge des Berufsverbots übergeben. Zum Teil liegen Renten unter 600 Euro, was gegenüber der sogenannten Standardrente einen Rentenverlust von insgesamt rund 150.000 Euro bedeutet.

Die DGB-Landesbezirkskonferenz hat am 29. Januar 2022 in Stuttgart die Forderungen nach Rehabilitierung und Entschädigung bekräftigt. In dem Beschluss sprechen sich die Delegierten auch für ein »demokratie-orientiertes Berufsbeamtentum« aus: »Der DGB setzt sich (…) für eine demokratische Grundhaltung der Beamtinnen und Beamten ein. Rechtsextremistisches und faschistisches Gedankengut sind nicht mit den Grundwerten des öffentlichen Dienstes und des Berufsbeamtentums vereinbar. Um jegliche Unterwanderung (…) aus diesen Kreisen zu verhindern, braucht es transparente Verfahren.« Falsche Gleich­setzungen von Rechtsextremismus und fortschrittlichen, linken Menschen und Bewegungen werden im Gegensatz zum Parteien-Mainstream nicht vorgenommen.

Aktivitäten gehen weiter

Geplante zentrale Veranstaltungen in Berlin mussten Ende Januar auf Grund der Pandemie verlegt werden. Eine Aktionskonferenz mit Podiumsdiskussion, Termine mit Abgeordneten, Übergabe von Unterschriften und Ausstellungen sind nun in der Woche ab dem 17. Mai 2022 geplant. Die GEW Berlin hat nach dem Beschluss des Abgeordnetenhauses erklärt, sie werde weiter darauf dringen, dass es zur vollständigen Rehabilitierung und einer Entschädigung im Einzelfall gegenüber den Betroffenen komme. Das unrühmliche Jubiläumsjahr 2022 solle verstärkt genutzt werden, um »im Bündnis mit anderen demokratischen Kräften gegen Demokratieabbau, Überwachung und Bespitzelung zu agieren«.

Das Studierendenparlament der PH Heidelberg hat bereits 2017 in einer Entschließung an den Landtag die Forderungen der Betroffenen unterstützt. Im November 2021 stand dies erneut auf der Tagesordnung, im kommenden Semester ist unter anderem eine Veranstaltung geplant. Auch der Rektor hat am 50. Jahrestag in der Rhein-Neckar-Zeitung erklärt: »Als besonders empörend wurde der Widerspruch empfunden, dass es einerseits die Praxis der Berufsverbote gab, aber noch wenige Jahre zuvor mit ehemaligen Nationalsozialisten anders umgegangen wurde.« Im Frühsommer könnte auch Kretschmann um eine konkrete Stellung­nahme schwer herumkommen. Im ARD-Film »Jagd auf Verfassungsfeinde« im Januar 2022 hat er sich immerhin gegen neue »Radikalenerlasse« ausgesprochen. Ansonsten werde er, wie er kürzlich auch in der Antwort auf eine Anfrage der SPD-Landtagsfraktion mitteilen ließ, den Forschungsbericht der Uni Heidelberg abwarten. Grundsätzlich habe er vor, es »im Fall von Unrecht« bei »individuellen Entschuldigungen« zu belassen. Die baden-württember­gische Initiativgruppe hat ihm daraufhin Ende Februar ein dreiseitiges Schreiben geschickt, mit dem Bericht von Klaus Samson von 2004 und weiteren 170 Seiten ILO-Belegen als Anlagen: Unrecht ist allen Betroffenen geschehen, Rehabilitierung muss es für alle geben!

 

Martin Hornung

* Martin Hornung lebt in Eppelheim, war bis zur Rente in Heidelberg Betriebsrat und Metaller.
Als 1975 Betroffener ist er in der baden-württembergischen Initiativgruppe gegen Radikalenerlass und Berufsverbote aktiv.(Weitere Hinweise und Dokumente auf www.berufsverbote.de)

zuerst veröffentlicht in: Express – Monatszeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 4/2022

(mit freundlicher Genehmigung von express veröffentlicht – KIM)

 




Ampel-Koalitionsvertrag: „Radikalenerlass“ geplant

„Ampel“ plant neuen Radikalenerlass

Am 28.10.2021, drei Monate vor dem 50. Jahrestag des sogenannten Radikalenerlasses, hat vor der PH Heidelberg eine Kundgebung mit knapp 100 Teilnehmenden stattgefunden. 16 Betroffene aus der Rhein-Neckar-Region haben sich vor dem Eingang versammelt, hinter dem Transparent: „Aufarbeitung, Entschuldigung, Rehabilitierung, Entschädigung!“

Die Grünen hatten schriftlich eine Unterstützung der Kundgebung abgelehnt. In einem Redebeitrag wurde eingangs gegen die Ankündigung im „Sondierungspapier“ der künftigen „Ampel“-Regierung protestiert: Man werde „entschlossen gegen jede Form der Menschenfeindlichkeit“ vorgehen, wozu auch der „Linksextremismus“ zähle – im gleichen Atemzug genannt mit „Rechtsextremismus“, „Rassismus“ oder Queer-Feindlichkeit“ – nach dem Motto „Links gleich rechts“.

Der Skandal, Linke mit Rassisten und Nazis gleichzusetzen, ist nun auch im Koalitionsvertrag zu finden, verbunden mit der gleichzeitigen, ausdrücklichen Ankündigung einer Neuauflage des Radikalenerlasses.

Der Bundesausschuss der Initiativen gegen Radikalenerlass und Berufsverbote hat dazu am 26.11. folgende Presseerklärung herausgegeben:

 Wir, Betroffene der Berufsverbotspolitik in der Folge des Radikalenerlasses von 1972, haben mit Entsetzen zur Kenntnis genommen, dass im Koalitionsvertrag der neuen Ampelkoalition Passagen enthalten sind, die eine Wiederbelebung eben dieser Berufsverbotepolitik befürchten lassen.

So heißt es gleich zu Beginn des Koalitionspapiers wörtlich: „Um die Integrität des Öffentlichen Dienstes sicherzustellen, werden wir dafür sorgen, dass Verfassungsfeinde schneller als bisher aus dem Dienst entfernt werden können.“ Und später wird unter der Rubrik ‚Innere Sicherheit‘ präzisiert: „Die in anderen Bereichen bewährte Sicherheitsüberprüfung von Bewerberinnen und Bewerbern weiten wir aus und stärken so die Resilienz der Sicherheitsbehörden gegen demokratiefeindliche Einflüsse.“

Es wird ehrlicherweise nicht einmal der Versuch unternommen, diese Maßnahme mit den tatsächlich bedrohlichen rechten Unterwanderungsversuchen von Polizei und Bundeswehr zu begründen. Stattdessen werden in plumpster extremismustheoretischer Manier „Rechtsextremismus, Islamismus, Verschwörungsideologien und Linksextremismus“ gleichgesetzt.

Den Nachrichtendiensten – damit auch dem sogenannten „Verfassungsschutz“ spricht die neue Regierung allen rechten Skandalen zum Trotz ihr vollstes Vertrauen aus.

Aus eigener bitterer Erfahrung wissen wir, dass eine solche Politik allein den Rechten in die Hände spielt.

Im Februar 2022 jährt sich der unter Bundeskanzler Willy Brandt verabschiedete Radikalenerlass. Er hat nicht nur Tausende von Linken diffamiert, ausgegrenzt und ihre Lebensperspektiven zerstört, sondern vor allem die gerade erst im Wachsen begriffene demokratische Kultur dieses Landes schwer beschädigt. Rechte blieben von der damaligen Hexenjagd so gut wie vollständig verschont.

Wir sind fassungslos und schockiert, dass die neue Bundesregierung nicht nur weiter die Augen vor diesem jahrzehntelangen staatlichen Unrecht verschließt, sondern sich anschickt, dieselben Fehler zu wiederholen.

Wie damals wird der rechtlich völlig unbestimmte Begriff „Verfassungsfeind“ verwendet. Ausgerechnet der tief in die rechte Szene verstrickte Inlandsgeheimdienst soll vorschlagen dürfen, wer als „Verfassungsfeind“ angesehen und entsprechend behandelt werden soll. Dies kommt einem Suizid der Demokratie und des Rechtsstaates gleich.

Anlässlich des 50. Jahrestages des Radikalenerlasses fordern wir nicht nur die Rehabilitierung und Entschädigung der Betroffenen, wir wenden uns auch entschieden dagegen, erneut die Prüfung politischer Gesinnungen anstatt konkreter Handlungen zur Einstellungsvoraussetzung im Öffentlichen Dienst zu machen. Grundgesetz und Strafrecht würden schon heute vollkommen ausreichen, rechte Netzwerke in Polizei, Militär und Justiz zu bekämpfen. Bedauerlicherweise wird davon nur sehr selten Gebrauch gemacht. Der Kampf gegen rechte Demokratiefeinde bleibt in erster Linie eine gesellschaftliche Aufgabe.

Klaus Lipps für den Bundesarbeitsausschuss der Initiativen gegen Berufsverbote und für die Verteidigung der demokratischen Grundrechte




50 Jahre „Radikalenerlass“ – Protest vor der PH Heidelberg

In Heidelberg gab es eine Kundgebung von Berufsverbotsbetroffenen

Rehabilitierung ist überfällig

Heidelberg. Wenige Monate vor dem 50. Jahrestag des sogenannten Radikalenerlasses haben Mitglieder der baden-württembergischen Initiativgruppe am 28. Oktober gegen die Berufsverbote zu einer Kundgebung in der Rhein-Neckar-Region aufgerufen. Etwa 100 Menschen kamen zum Treffpunkt vor der Pädagogischen Hochschule (PH) Heidelberg. Zu Beginn versammelten sich mehrere von Berufsverboten Betroffene vor dem Eingang mit einem Transparent mit der Aufschrift: „Aufarbeitung! Entschuldigung! Rehabilitierung! Entschädigung!“

DGB, VVN-BdA, die Partei Die Linke, SPD, Jusos und die Grün-Alternative-Liste im Gemeinderat unterstützten die Veranstaltung. Von DGB, GEW, Verdi und IG Metall gab es Grußworte. Die Grünen hatten zuvor offiziell erklärt: „Wir sind als Organisation bei der Kundgebung nicht dabei“ – passend zum „Ampel“-Sondierungspapier, in dem Linke mit Rassisten und Nazis gleichgesetzt werden. Bisher haben vier Landtage Beschlüsse gegen den Unrechtserlass gefasst. In Baden-Württemberg blockiert der grüne Ministerpräsident Kretschmann.

Überblick über die vergangenen 50 Jahre

Vom Berufsverbot Betroffene bei der Kundgebung vor der PH Heidelberg

Die Teilnehmer der Kundgebung erhielten einen Überblick über die vergangenen 50 Jahre. 3,5 Millionen Menschen wurden in den 1970er und 1980er-Jahren auf ihre Gesinnung überprüft; der Inlandsgeheimdienst machte 30000 „Verdächtige“ aus. Über 1500 wurden als „Verfassungsfeinde“ nicht eingestellt oder entlassen. Faktisch setzten die Berufsverbote Grundrechte außer Kraft.

Im Raum Heidelberg/Mannheim wurden nach Recherchen des Verfassers rund 150 Menschen im Zuge des Erlasses mit Berufsverbot oder zeitweisem Berufsverbot belegt. Betroffen waren nicht nur Lehrerinnen und Lehrer, sondern auch Ärzte, Pflegekräfte und Justizbeschäftigte. 2003 gab es einen bundesweit beachteten „Wiederbelebungsversuch“ der Berufsverbotspraxis. Betroffen war der Lehrer Michael Csaszkóczy aufgrund seines antifaschistischen Engagements. Erst nach vier Jahren konnte seine Einstellung erreicht werden.

Namentlich sind von den in der Region Betroffenen 100 bekannt. Bei 50 sind die Maßnahmen ohne Namen dokumentiert. Die meisten Berufsverbote gab es an der PH: 50 linke Lehrerinnen und Lehrer wurden nicht in den Schuldienst übernommen. Mehrere Fälle, darunter die Entlassungen eines Wertheimer Studienreferendars 1968 und eines Mannheimer Studienassessors 1971, waren »Vorläufer« des bundesweiten Erlasses.

Erklärung gegen Fahrpreiserhöhungen „verfassungsfeindlich“

Oft wurden die Ablehnungen mit Kandidaturen für linke Organisationen bei Hochschulwahlen begründet, zum Teil auch mit der Teilnahme an Demonstrationen wie gegen Fahrpreiserhöhungen 1973 in Mannheim. Oder wie im Fall des Verfassers 1975 wegen einer Unterschrift unter eine öffentliche Erklärung gegen den »Schieß-Erlass« (baden-württembergische Radikalenerlassvariante, benannt nach dem damaligen Innenminister Karl Schieß, auch als „Hakenkreuz-Karle“ bekannt).

Weil in dieser Erklärung der Erlass als „Erpressung“ bezeichnet wurde, beschied das Oberschulamt unter Bezugnahme auf ein fünf Monate zuvor ergangenes Bundesverfassungsgerichtsurteil: Der Einstellungskandidat biete „nicht die Gewähr dafür, jederzeit aktiv für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten“; die Unterschrift unter die Protesterklärung sei „verfassungsfeindlich“. Das Urteil hatte ein gewisser Willi Geiger formuliert, der bereits das Beamtenrecht der Nazis und Berufsverbote gegen Juden, Marxisten und andere „Schädlinge an Volk und Staat“ durchgesetzt hatte.

Michael Csaszkóczy wies bei der Kundgebung darauf hin, dass die gesetzlichen Grundlagen der Berufsverbote, „Treuepflicht“ und „Gewährbieteklausel“ bis heute existieren, was zu Unterordnung und Anpassung führe. Dieses Erbe aus der Nazizeit müsse gestrichen werden. Dafür sollten sich alle demokratischen Bewegungen zusammenschließen. Der Vorstand der verfassten Studierendenschaft der PH hat im Anschluss an die Kundgebung Mitglieder der Initiativgruppe zu einer Diskussion eingeladen.

Martin Hornung




Unterschriftensammlung gegen „50 Jahre Berufsverbote“ 

Bitte um Unterstützung der Unterschriftensammlung gegen „50 Jahre Berufsverbote“ 

Am 28.Januar 2022 jährt sich der berüchtigte „Radikalenerlass“ zum 50. Mal. Seit Ende Januar machen wir erneut eine Kampagne dagegen, bis ins nächste Jahr. „Biologisch“ könnte das auch unsere „letzte Chance“ sein.

Derzeit läuft eine Unterschriftensammlung für unsere Forderungen nach Aufarbeitung, Entschuldigung, Rehabilitierung und Entschädigung.

87 „Promis“ haben als Erstunterzeichner*innen unterschrieben. Auch die Vorsitzenden von IG Metall und des DGB in Bund und Land haben sich dafür gewinnen lassen.

Außerdem wird es Veranstaltungen (hoffentlich auch in Heidelberg / Mannheim), Aktionen und im Januar 2022 eine Schluss-Aktionswoche in Berlin (Bundestag) geben.

Das online-Formular zum Unterschreiben und vieles andere findet Ihr auf der Website.

http://berufsverbote.de/

(mh)