Mannheim zwei Tage nach dem Anschlag: AfD Kundgebung für „Remigration“, Menschenkette für Zusammenhalt und eine traurige Nachricht am Abend

Eine Polizeikette trennt die beiden Veranstaltung auf dem Marktplatz

Zwei Tage nach dem Anschlag auf eine rechte Kundgebung, bei der ein mutmaßlich islamistischer Angreifer sechs Menschen mit einem Messer verletzte, fanden am Tatort zwei Kundgebungen statt. Die AfD Nachwuchsorganisation „Junge Alternative“ hatte eine Versammlung mit dem Titel „Sofortige Remigration islamischer Straftäter“ angemeldet. Diese wurde von bundesweit aktiven JA- und AfD-Kadern organisiert. Die Mannheimer AfD spielte keine Rollte. Es nahmen 150 Personen teil.

An der zweiten Versammlung, eine Menschenkette „Zusammenhalt gegen Gewalt, Hass und Hetze anlässlich der Tat am 31.05.“ nahmen nach Polizeiangaben 800-1000 Menschen aus unterschiedlichen politischen Spektren teil. Die Stadträte Gerhard Fontagnier (Grüne), Chris Rihm (Grüne) und Volker Beisel (FDP) hatten die Versammlung kurzfristig organisiert.

Kundgebung der „Jungen Alternative“ für „Remigration“

Rassistische JA-Kundgebung für „Remigration“

Veranstalterin der rechten Kundgebung war die AfD Jugend „Junge Alternative“ (JA). Unterstützung gab es auch aus der Mutterpartei, beispielsweise von den AfD Bundestagsabgeordneten Nicole Höchst und Christina Baum. Der AfD Kreisverband Ettlingen unterstützte laut Veranstalter organisatorisch. Das „Compact Magazin“ war mit einem Medienteam vor Ort. Eine Fahne der „Deutschen Burschenschaft“ war zu sehen. Der Mannheimer Kreisverband der AfD spielte bei der Veranstaltung keine Rolle. Unter zwei Pavillons, bedruckt mit „AfD“ und „JA“ Logo, traten ab 15 Uhr mehrere Redner*innen ans Mikrofon.

Die These der JA: Mit „Remigration“ wäre die Tat vom Freitag nicht passiert. Dahinter steckt die rassistische Annahme, alle nicht assimilierten Zugewanderten seien potentiell zu solchen Taten fähig und müssten daher zwangsweise abgeschoben werden. Bei den Redner*innen wird diese verfassungsfeindliche These durchaus kontrovers diskutiert. Eine Frau sagte, gut integrierte und friedliche Muslime dürften ihrer Meinung nach in Deutschland bleiben. Nach der Meinung eines nachfolgenden Redners müssten sich hingegen alle Zugewanderten den Deutschen – so wörtlich – „anpassen“ und „unterordnen“. Wieder andere kritisieren den Islam als grundsätzlich gewalttätig und kulturfremd. Die Behauptung, Frauen seien für männliche Muslime Freiwild, wurde verbreitet und drohend gerufen „Deutschland wird christlich bleiben!“. Als Voraussetzung für die deutsche Staatsbürgerschaft wurde das „Abstammungsprinzip“ gefordert. Unter großem Beifall hieß es von der Bühne „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“.

Die heftigsten verbalen Angriffe trafen Grüne und CDU. Ihnen wurde in den Reden vorgeworfen, sie hätten bewusst Islamisten nach Deutschland eingeladen, um das Land zu zerstören. Auch die Fake-Behauptung, die Grünen wollten nur die Persönlichkeitsrechte des Täters und nicht die Polizisten schützen, wurde verbreitet.

Oberbürgermeister Christian Specht (CDU) wurde in einer Rede zum Rücktritt aufgefordert. Beschimpfungen gab es auch gegen die Presse, die nur Stimmung gegen rechts machen und islamistischen Terror verschweigen würde. Zum Abschluss der Kundgebung wurde die Nationalhymne gesungen. Dann wurden Kerzen verteilt, um sie an der Gedenkstätte am Marktplatz aufzustellen.

Als kurzes inhaltliches Fazit der JA Veranstaltung kann man zusammen fassen: Was vor ein paar Monaten noch als „Geheimtreffen“ von Potsdam aufgedeckt wurde, fand am Sonntag als öffentliche Wahlkampfveranstaltung der AfD auf dem Mannheimer Marktplatz statt.

Bildergalerie: Kundgebung der „Jungen Alternative“ für „Remigration“

Menschenkette als parteiübergreifender Ausdruck für gesellschaftlichen Zusammenhalt

Gegen die rechte Veranstaltung hatte sich schnell Widerspruch organisiert. Die drei Stadträte Gerhard Fontagnier (Grüne), Chris Rihm (Grüne) und Volker Beisel (FDP) hatten kurzfristig die Menschenkette „Zusammenhalt gegen Gewalt, Hass und Hetze“ organisiert. Damit sollte zum einen die mutmaßlich islamistische Messerattacke verurteilt und zum anderen der propagandistischen Ausschlachtung durch die AfD widersprochen werden. Mit einer ruhigen Veranstaltung sollte an die Verletzten, insbesondere an den schwerverletzten Polizisten gedacht werden. Man wollte für Zusammenhalt in der Stadt und gegen die Spaltungsversuche von Islamisten und Rechtsextremen demonstrieren.

Die Mobilisierung von bis zu 1000 Menschen wurde von den Veranstaltern als Erfolg und deutliches Zeichen gegen die rechte Kundgebung gesehen. Es nahmen Personen aus ganz unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Bereichen teil, die sich entlang der Breiten Straße an den Straßenbahngleisen aufstellten.

Dennoch blieb es nicht still. Als die JA mit ihren Reden begann, wurde es auch bei der Menschenkette laut. Mit Pfiffen und Rufen wurde die rassistische Hetze kommentiert. Die Polizei war anfangs zurückhaltend, mit vergleichsweise wenigen Einsatzkräften vor Ort. Die Teilnahme an beiden bzw. das hin- und herlaufen zwischen den Veranstaltungen war möglich.

Bildergalerie: Menschenkette für Zusammenhalt und gegen Gewalt, Hass und Hetze

 

Pfeffersprayeinsatz, 40 Festnahmen, Halembas Handy abgezockt – weitere Ereignisse am Rande der Kundgebungen

Für einen größeren Tumult sorge das unerwartete Auftreten von ca 40 Antifaschist*innen, die lautstark mit Bannern, Fahnen und einer rauchenden Fackel in Richtung Marktplatz gelaufen kamen.

Die Gruppe wurde sofort von Polizist*innen gestoppt und mit Pfefferspray attackiert. Die Polizei schreibt dazu: „Gegen 15:15 Uhr versuchte eine Gruppe mit teilweise vermummten Personen die Versammlung auf dem Markplatz zu stören und gewaltsam auf diesen vorzudringen. Einige dieser Personen waren mit Fackeln bewaffnet. Der Sturm auf den Marktplatz konnte durch schnelles polizeiliches Intervenieren verhindert werden.“

Der von der Polizei behauptete gewaltsame Sturm auf den Marktplatz ist spekulativ, da es dazu nicht kam. Dennoch bleibt die Frage, was die Gruppe vorhatte.

Polizeieinsatz und Pfefferspray gegen Antifaschist*innen

Die Polizei setzte die ca. 40 Personen am Quadrat R1 fest und nahm später alle eingekesselten zur Identitätsfeststellung mit dem Vorwurf „Landfriedensbruchs“ in Gewahrsam.

Um den Polizeikessel herum bildete sich eine Menschenmenge, die für die Freilassung der jungen Antifaschist*innen protestierte und auch nach Beendigung der Versammlungen blieb. Die Versammlungsleiter der Menschenkette versuchten zu vermitteln. Die Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut (Die Linke) versuche später eine Freilassung der minderjährigen Festgesetzten zu erreichen.

Der Vorfall hatte auch zur Folge, dass die anfangs zurückhaltende Polizeipräsenz zu einer dichten Polizeikette geändert wurde, die keine Personen mehr zwischen den Veranstaltungen durch ließ. Zudem wurde eine Straßenbahn der RNV als Barriere zwischen die beiden Veranstaltungen gefahren.

Gegen 16:30 Uhr waren alle offiziellen Veranstaltungen beendet. Der vor kurzem wegen Volksverhetzung, Nötigung und Geldwäsche verurteilte bayerische AfD Landtagsabgeordnete Daniel Halemba berichtete später, dass am Ende der Veranstaltung eine 10-köpfige Gruppe sein Handy klaute und unerkannt fliehen konnte. Ein weiterer AfD Anhänger berichtete von einem körperlichen Angriff auf ihn.

Nach den turbulenten Ereignissen des Nachmittags, gab es leider auch am Abend keine Ruhe. Gegen 19 Uhr erreichte die Öffentlichkeit die traurige Nachricht, dass der schwer verletzte Polizist an den Verletzungen des Anschlags von Freitag gestorben ist. (cki)




Islamismus trifft auf Rassismus: Messeranschlag mit mehreren Verletzten in Mannheim

Gerangel mit dem Angreifer auf dem Marktplatz. Eine Szene aus dem Video der Tat, das sich bereits millionenfach im Netz verbreitet hat. | Quelle: Screenshot Youtube / BPE

Am Freitag, 31. Mai 2024 kam es zu einem brutalen Messerangriff auf eine Kundgebung der rechtspopulistischen, islamfeindlichen „Bürgerbewegung Pax Europa“. Mehrere Menschen wurden durch den Messerangriff teils schwer verletzt, darunter 5 Teilnehmer*innen der rechten Kundgebung und ein Polizist. Der Angreifer konnte durch den Schuss eines Polizisten gestoppt werden. Die Verletzten kamen in Krankenhäuser und mussten teils notoperiert werden. Besonders dramatisch ist die Situation des Polizisten, der sich – Stand Samstag – noch immer in Lebensgefahr befindet.

Mutmaßlich islamistische Motivation

Obwohl die Hintergründe des Anschlags laut Polizei noch unklar sind, gilt ein islamistisches Motiv als wahrscheinlich. Zu dieser Einschätzung kommt auch SWR Terrorismusexperte Holger Schmidt.

Die „Bürgerbewegung Pax Europa“ (kurz: BPE) provoziert mit ihren islamfeindlichen Veranstaltungen streng gläubige Muslime. Immer wieder gab es in der Vergangenheit Drohungen und Angriffe. Insbesondere aus der islamistischen und salafistischen Szene ist auch Gewalt zu erwarten. Daher ist eine islamistisch motivierte Gewalttat in diesem Fall das wahrscheinliche Motiv.

Beim Angreifer soll es sich nach Medienberichten um einen 25 jährigen Mann aus Heppenheim handeln, der 2013 von Afghanistan nach Deutschland kam. Bislang sei er aufgrund der Schussverletzung nicht vernehmungsfähig, teilte die Polizei am Samstag mit.

Eine Kundgebung der „Bürgerbewegung Pax Europa“ in Ludwigsburg; in der Mitte am Mikro: Michael Stürzenberger | Archivbild: ADIZ

Wer ist die „Bürgerbewegung Pax Europa“ um Michael Stürzenberger?

Die BPE ist ein Verein um den bayerischen Rechtspopulisten Michael Stürzenberger mit einem einzigen Thema: Islam. Der Verein tourt seit Jahren mit islamfeindlichen Kundgebungen durch die Republik und nutzt drastische Worte und Symbolik zur Provokation.

Die BPE ist kein religionskritischer Verein. Während er dem Islam feindlich gegenüber steht, hat er für Europa die Vorstellung einer homogenen „christlich-abendländlichen“ Gesellschaft. In diesem Sinne trennen sie nicht zwischen politischem Islamismus und modernen oder liberalen Formen islamischer Religion. In populistischer Art und Weise machen sie alle Muslime für Gewalt und Terror islamistischer Gruppen verantwortlich.

Typisch für Veranstaltungen der BPE sind Provokationen gegen vermeintliche Muslime oder politische Gegner*innen, die teils auf der Straße per Lautsprecher direkt angesprochen und live ins Internet gestreamt werden.

Mit dieser Politik haben sie in der rechten Szene viel Anerkennung gefunden. Stürzenberger war unter anderem bei Pegida-Demonstrationen ein gefeierter Redner.

Schon im Jahr 2011 veranstaltete die BPE islamfeindliche Kundgebungen in Mannheim, hier auf dem Paradeplatz | Archivbild: JUZ

Reaktionen und politische Folgen

Während sich die Stadt Mannheim im Schock befindet, mobilisieren AfD und zahlreiche weitere rechte Organisationen zu Protestveranstaltungen, Motto „Remigration hätte diese Tat verhindert“ (Zitat Junge Alternative). Damit nehmen sie pauschal alle Menschen mit Migrationsgeschichte und muslimischen Glauben in die Verantwortung für diese Tat.

Für die AfD kommt der Anschlag zu einer günstigen Zeit, eine Woche vor wichtigen Wahlen. Nachdem sie mit Skandalen um ihren Spitzenkandidaten Krah zunehmend in die Defensive geriet, kann sie nun mit rassistischen Mobilisierungen wieder in die Offensive kommen und den Diskurs mitbestimmen.

Für Sonntag 2. Juni hat die AfD-Jugendorganisation Junge Alternative eine Mahnwache für „Remigration“ um 15 Uhr auf dem Marktplatz angemeldet. Für kommenden Freitag 7. Juni um 18 Uhr ruft die AfD bundesweit zur Großdemonstration in Mannheim auf. Änderungen bei Zeit und Ort und weitere Veranstaltungen sind möglich.

Rechter Rassismus vs. Islamistischer Fanatismus – welchen Umgang muss die Linke finden?

Bei der Messerattacke am 31. Mai wurden rechtspopulistische Aktivist*innen von einem mutmaßlichen Islamisten verletzt. Als Zyniker könnte man sagen: Sollen sich die Rassisten und religiösen Fanatiker doch gegenseitig bekämpfen. Doch die gesellschaftlichen Auswirkungen sind fatal und nicht zuletzt hat ein unbeteiligter Polizist die schwersten Verletzungen davon getragen. Als Linke kann man deshalb nicht schweigen.

Es muss herausgestellt werden, welche Ideologien sich in diesem Konflikt entgegen stehen. Die rechtspopulistische und rassistische Ideologie will eine homogene deutsche Gesellschaft ohne in ihrem Sinne fremde Elemente – hier die muslimische Religion. Islamistische Fanatiker wollen ebenfalls eine homogene Gesellschaft, in der sich alle den Regeln ihrer Scharia unterwerfen müssen. Beide Ideologien setzen auf Gewalt. Auch wenn die Opfer diesmal die Rechten waren, gibt es viele Fälle brutaler rechter Gewalt, wie den Mord eines Nazis am CDU Politiker Walter Lübcke oder den rassistischen Anschlag eines AfD Anhängers in Hanau mit neun Toten. Außerdem sollte man Bedenken, dass – global gesehen – die meisten Opfer islamistischer Gewalt selbst Muslime sind, die nicht der „richtigen“ Glaubensrichtung angehören. Probleme kann man nicht einfach abschieben, Probleme muss man lösen.

Der gewalttätigen Ideologie der homogenen Gesellschaft muss die Linke die Idee einer friedlichen und vielfältigen Gesellschaft entgegen stellen – eine Gesellschaft in der es akzeptiert ist, anders zu sein. Herkunft, Kultur, Religion oder Identität dürfen für niemandem zum Nachteil werden. Toleranz muss dort enden, wo Menschenrechte verletzt werden. Das ist bei islamistischer Ideologie der Fall, die anderen die Gesetze ihrer Religion aufzwingen will – genauso bei rassistischer Ideologie, die ihre Vorstellung einer homogenen deutschen Gesellschaft mit Gewalt und Deportationen durchsetzen will. (cki)

Siehe auch: Stellungnahme von Die Linke und Tierschutzpartei




Polizei gerät auf dem Marktplatz zwischen die Fronten im rechten Millieu – Stellungnahme von Die Linke und Tierschutzpartei

Symbolbild Spurensicherung (gemeinfrei)

Bei einer islamkritischen Kundgebung der „Bürgerbewegung Pax Europa“ auf dem Mannheimer Marktplatz kam es zu einem Angriff eines mutmaßlichen Islamisten mit einem Messer auf den rechtsextremen islamfeindlichen Aktivisten Michael Stürzenberger. Beim Versuch die Situation unter Kontrolle zu bekommen, wurde ein Polizeibeamter vom Angreifer in den Nacken gestochen, bevor dieser von den anderen Beamten durch einen Schuss aufgehalten werden konnte.
Wir, Die Linke und die Tierschutzpartei Mannheim, verurteilen diesen feigen und brutalen Angriff. Die Demonstrationen von Islamisten, die sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung aussprechen und brutale Übergriffe wie diesen begünstigen könnten, verurteilen wir zutiefst. Genauso kritisieren wir die Deutschland-Tour der islamfeindlichen „Bürgerbewegung Pax Europa“, mit der Stürzenberger, der bereits mehrfach wegen Volksverhetzung verurteilt wurde, auf dem Mannheimer Marktplatz war. Solche Aktionen spalten die Gesellschaft und schüren Hass, was sich ebenfalls immer wieder in Gewalt von Rechten gegenüber demokratischen Politiker*innen oder Muslimen äußert. Dies ist jedoch keine Rechtfertigung für einen solchen tätlichen Angriff. Wir lehnen menschenfeindliche rechte Ideologie – egal welcher Nationalität – und jegliche Gewalt, ob nun politisch oder religiös motiviert, grundlegend ab! Beide Formen des Hass und Extremismus dürfen keinen Platz in unserer Demokratie und in Mannheim haben! 
Weiter zeigt dieser Vorfall, dass eine Waffenverbotszone und Überwachungskameras keinen Beitrag leisten solche Straftaten zu verhindern. Es ist absurd zu glauben, dass sich Gewalttäter an solche Regeln halten oder davon abschrecken lassen.
Wir wünschen dem schwerverletzten Polizisten schnelle Genesung und danken der Polizei für diesen Einsatz.
Mannheim, 31.05.2024
Isabell Fuhrmann und Sven Metzmaier, Die Linke Mannheim
Dennis Ulas, Die Linke (LI.PAR.Tie.) im Mannheimer Gemeinderat
Andreas Parmentier, Tierschutzpartei (LI.PAR.Tie.) im Mannheimer Gemeinderat