Afghanistan-Desaster: Wer war und ist da verantwortungslos? Die Friedensbewegung und DIE LINKE oder die Kriegsbefürworter?

Nach dem krachenden Ende des 20-jährigen Afghanistan-Abenteuers der USA und der NATO-Staaten, dem chaotischen Abzug unter Hinterlassung tausender Menschen, die als im wörtlichen Sinn Kollaborateure dieser Militärmächte berechtigte Angst vor den Taliban haben, spielt sich im Bundestagswahlkampf Groteskes ab: Wer als seriös gelten möchte bzw. sich sogar eine Regierungsbeteiligung vorstellen kann, solle als Allerwichtigstes ein „Bekenntnis zur NATO“ ablegen und somit die Kritik von Auslandseinsätzen und Waffenexporten unterlassen und das 2%-Ziel der Militärausgaben unterstützen.

Es ist festzuhalten:

  • Der Kriegszustand in Afghanistan begann mit dem Einmarsch der UdSSR am 24.12.1979 zur Stützung der Regierung der Demokratischen Volkspartei Afghanistans (s.u.). Die UdSSR fürchtete ein Machtvakuum und die Hinwendung der afghanischen Regierung zu den USA. 1989 zog die Rote Armee ab, von den Mudschaheddin in einen aussichtslosen Guerillakrieg verwickelt, ohne das Land je unter Kontrolle bekommen zu haben.
  • 2001 wurde der Afghanistankrieg als „Krieg gegen den Terror“ seitens der USA gegen ein Land gerichtet, das mit den Terroranschlägen vom 11. September ursächlich nichts zu tun hatte. Keiner der 19 Terroristen war Afghane, aber 15 waren Saudis. Die USA machten den Artikel 5 des Nordatlantikvertrages geltend, der den kollektiven Verteidigungsfall bei einem bewaffneten Angriff auf ein Mitgliedsland konstatiert. Die Suche nach Terroristen ist jedoch kein Thema für Kriegführung, sondern für Polizei und Geheimdienste. Tatsächlich wurde Osama Bin Laden nach 10 Jahren Krieg gegen Afghanistan von einer kleinen Spezialeinheit der UA-Army im Nachbarland Pakistan in seiner Wohnung in Nähe der größten Militärakademie des Landes getötet. Wenn schon, dann wäre das Königreich Saudi-Arabien der richtige Adressat gewesen, ein „Partnerland“ der USA.
  • Der Krieg gegen den Terror war die Legende zu einem geostrategisch motivierten Krieg, bei dem es um die Zugriffsmöglichkeiten auf Rohstoffe ging. Es ging um zwei Pipelines: Die eine sollte gebaut werden, die andere nicht. Die eine sollte von Turkmenistan durch Afghanistan nach Pakistan und Indien verlaufen. Der US-Konzern Unocal hatte dies bereits 1998 über seinen Mittelsmann Hamid Karzai (späterer Präsident von Afghanistan) mit den seit 1996 herrschenden Taliban ausgehandelt. Diese schwenkten aber 2001 plötzlich um zu dem argentinischen Konzern Bridas. Ferner galt es für die USA, eine von Iran geplante Pipeline durch Afghanistan nach Pakistan und Indien zu unterbinden. Afghanistan ist darüber hinaus selbst reich u.a. an Öl und Gas sowie strategisch wichtigen Rohstoffen wie Lithium, Kupfer und Seltenen Erden.
    Schon 1985 schaltete sich die Bundesrepublik verdeckt in Afghanistan ein: Der Bundesnachrichtendienst kooperierte ab jenem Jahr ebenfalls mit den von den USA gestützten Mudschaheddin, im Rahmen der „Operation Sommerregen“. Diese „dient der Unterstützung der Aufständischen in Afghanistan (…) dies geschieht durch die Lieferung von Gerät und Material“ zitiert der WDR am 23.08.21 aus BND-Unterlagen.
  • Je länger der Afghanistankrieg dauerte, umso klarer war allen, die sich den Tatsachen nicht verschlossen, dass dieser asymmetrische Krieg nicht zu gewinnen
    So warnte 2007 der damalige militärpolitische Berater der Bundesregierung in Kabul, Oberstleutnant Jürgen Heiducoff, den damaligen Außenminister Steinmeier: „Wir sind dabei, durch diese unverhältnismäßige militärische Gewalt das Vertrauen der Afghanen zu verlieren. (…) Ich stelle dabei fest, dass die militärische Lage unzulässig geschönt dargestellt wird. Auch deutsche Generale verschweigen einige Probleme (…) Das Militär droht sich zu verselbständigen und von den politischen und völkerrechtlichen Vorgaben zu lösen…“ Heiducoff wurde 2008 nach Deutschland versetzt. (WDR-Monitor 31.5.2007: „Brandbrief aus Kabul“, zit. bei Clemens Ronnefeld, Friedensforum 5/2021).
    2009 erklärte Peter Scholl-Latour auf einer Vorlesung an der Uni Düsseldorf-Essen zum Thema „Siegen in Afghanistan?“ (https://www.youtube.com/watch?v=LRWi6jn7yuQ) haargenau, dass dies nicht möglich sein werde und warum. Er nannte diverse militärische Argumente, aber auch solche, die in der afghanischen Gesellschaft begründet liegen.
    Man muss keineswegs Scholl-Latours politische Orientierung billigen und auch nicht seine mehr journalistische denn wissenschaftliche Arbeitsweise gutheißen. Er hatte aber den eindeutigen Vorteil, über militärisches Wissen zu verfügen, häufig vor Ort gewesen zu sein und mit den wichtigsten Akteuren persönlich gesprochen zu haben. Er stellte damals u.a. fest, dass in Afghanistan militärische Interventionen zunächst einen Durchmarsch binnen 3 Tagen machen: Die Rote Armee 1979, die Taliban 1996, die USA 2001.
    Sein Vortrag hört sich heute gespenstisch an, da sich eigentlich alles so entwickelte, wie er es 2009 analysiert hatte.
  • Primat der Politik und der Diplomatie gegenüber militärischen „Lösungsansätzen“ sind wohl das Mindeste, was man von einer dem Frieden und der Deeskalation der zahlreichen Konflikte in der Welt dienenden Politik erwarten darf; eben „verantwortungsvolle Politik“ seitens Aller, die sich für regierungsfähig halten.
    Dass auf den Mega-Terroranschlag vom 11.9.2001 sofort militärisch reagiert wurde und man auch gleich den Schuldigen kannte (Osama bin Laden), weil man ihn schon vorher als vermeintlichen Freund kannte, und dass die NATO-Staaten sofort die bedingungslose Unterstützung im ausgerufenen „Krieg gegen den Terror“ schworen, war eine Verletzung des Primats der Politik. Spätestens nach der Tötung bin Ladens 2011 war der angebliche Grund für diesen Krieg hinfällig.
    Dass sich der Westen – wenn es gar nicht mehr anders geht, der Diplomatie als „ultima ratio“ dann doch bedient, kann man seit dem Fall Kabuls beobachten. Außenminister Maas reist hektisch in die Türkei, nach Usbekistan, Tadschikistan, Pakistan und Katar – das sind genau solche Adressen, die spätestens 2001 hätten angesteuert werden müssen, plus Saudi Arabien, Moskau, Peking und Delhi. Inzwischen kommen durch diplomatische Bemühungen unter dem Dach der UNO erste zivile Versorgungs- und Rückholungsflüge zustande. Und man ist auf einmal der Meinung, man müsse auch mit den Taliban sprechen – ohne sie damit als legitime Regierung anzuerkennen.
  • Unter dem Motto: Wir können nicht überall sein, um unsere Interessen selbst durchzusetzen, bedienen sich die USA immer wieder der Feinde ihrer Feinde. Um dann festzustellen, dass diese „Helfer“ ihrerseits eigene Interessen verfolgen, die denen der USA und der NATO zuwiderlaufen.
    Das war so im ersten Golfkrieg, in dem u.a. die USA den Irak Saddam Husseins ab 1980 bei seinem Angriffskrieg gegen den Iran unterstützten.
    Das war so bei Osama bin Laden, dessen Mudschaheddin im Bosnienkrieg u.a. von den USA ab 1993 gegen die Serben unterstütztet wurden. Er bekam sogar Staatsbürgerschaft und Pass von Bosnien und Herzegowina.
    Natürlich wurden die Mudschaheddin, eine international zusammgewürfelte Truppe von islamistischen Kämpfern, bei ihrem Kampf gegen die Rote Armee von 1979 bis 1989 von den USA finanziell und mit Waffen unterstützt. Nicht weniger dann die Taliban, die als kämpfende Truppe erst vom pakistanischen Geheimdienst ISI und der CIA ab 1994 formiert, ideologisch aufgeladen und mit Waffen versorgt wurden, bis die Unterstützung und Instrumentalisierung durch die USA schließlich in Feindschaft zu den USA umschlug – nicht jedoch zu Pakistan.

Der Blick des Westens auf Afghanistan hat koloniale Züge

In den heutigen Erzählungen über Afghanistan beginnt die Geschichte erst 2001 mit 9/11 und der Reaktion der USA. Die Regierung ist zu diesem Zeitpunkt von den terroraffinen Taliban getragen, also von grausamen und rückständigen bärtigen Islamisten. Die Frauen sind jeglicher Rechte beraubt.

Diese Erzählungen unterschlagen die bis dahin gewesene gesellschaftliche Entwicklung dieses Landes und führen geradewegs zu dem Mantra: Der Westen ist berufen und verpflichtet, Afghanistan einer lichten, aufgeklärten und emanzipierten Zukunft mit einer Demokratie westlicher Prägung zuzuführen. Dieses Mantra gleicht – wenn man das Versprechen der westlichen Demokratie weglässt – der Begründung der Kolonialmächte im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, warum sie berechtigt, ja verpflichtet seien, den „dunklen“ afrikanischen Kontinent mit ihrer Anwesenheit zu beglücken, und den althergebrachten Aberglauben der „Wilden“ durch ein arbeitsames Christentum zu ersetzen. Der Raub der Bodenschätze und der Früchte der Plantagen, die Versklavung der Arbeitskräfte wurden als gerechte Entlohnung des zivilisatorischen Einsatzes gewertet.

Mit ähnlichem Pathos wurde der Afghanistankrieg – selbst nach der Tötung Osama bin Ladens – von der großen Mehrheit des Bundestages als moralisches Muss und als Beitrag zur Solidarität innerhalb des NATO-Bündnisses begründet – bis zuletzt, als der Bundestag die absehbar notwendige aber vollkommen vernachlässigte Heimholung des militärischen und zivilen Personals dadurch zu retten versuchte, dass er die Bundeswehr in Afghanistan erstmals seit 2014 wieder mit einem robusten Kampf-Mandat versah, rückwirkend und für zwei weitere Tage. Es war die Absegnung eines unverantwortlichen Versagens der Bundesregierung. Im Juni noch hatte der Bundestag Evakuierungsforderungen der Grünen und der LINKEN mehrheitlich abgelehnt.

Afghanistan hatte 2001 bereits eine eigenständige aber schwierige gesellschaftliche Entwicklung hinter sich

In einem Interview des Mannheimer Morgen vom 31.8. äußerte Bundestagspräsident Schäuble: „So schrecklich das Ende war, der Einsatz war es nicht. (…) wir haben die Saat der Freiheit gesät, und man wird sehen, was daraus wird, ob daraus eine Pflanze wächst.“

Welch eine Anmaßung! Die Saat der Freiheit wurde von diesem Volk selbst gesät. Fast 60 Jahre erlebte Afghanistan eine Zeit stürmischer Entwicklung bis Ende der 70er Jahre. 1963 wird das aktive und passive Wahlrecht der Frauen eingeführt. Die Universität Kabul entwickelt sich zu einer der angesehensten Universitäten Asiens. Als in Paris, Berlin, New York die Student:innenbewegung auf den Plan tritt, ist auch Kabul voller Erneuerungsbegeisterung. Afghanistan wird Ziel des Hippy-Tourismus, wie sich die Älteren sicherlich noch erinnern. Das alles unter einer liberalen konstitutionellen Monarchie.

 

Allerdings hält die Entwicklung auf dem Land nicht Schritt. 80% der Bevölkerung leben dort in mehreren Ethnien. Als es zu einer Hungersnot kommt, stürzt 1973 Daoud Khan, Mitglied der königlichen Familie und Ministerpräsident, mit Unterstützung der Demokratischen Volkspartei Afghanistans König Sahir Shah. Afghanistan ist jetzt eine parlamentarische Republik und schließt sich der Blockfreien-Bewegung an. Die wirtschaftliche Entwicklung in den großen Städten verläuft positiv.

Anhängerinnen der Demokratischen Volkspartei 1978 in Kabul. (Screenshot aus der sehr sehenswerten vierteiligen arte-Serie „Afghanistan – das verwundete Land“ https://www.arte.tv/de/videos/081554-001-A/afghanistan-das-verwundete-land/)

1978 putscht die linke Demokratische Volkspartei mit Hilfe des Militärs; Daoud wird erschossen. Nun werden verstärkt Alphabetisierungskampagnen auf dem Land und eine Landreform verordnet. Die Partei bekämpft die Armut auf dem Land jedoch weniger entschieden als die in Afghanistan tief verwurzelte muslimische Religiosität. Die Partei beachtet nicht, dass viele Geistliche auch Großgrundbesitzer sind. Die Sozialreformen stoßen auf den Widerstand dieser einflussreichen religiösen Würdenträger. Es kommt zu zahlreichen und zunehmenden lokalen Aufständen mit Unterstützung der niederen Geistlichkeit. Die neue Regierung entfaltet jenseits aller Rechtsstaatlichkeit einen strengen bis terroristischen sekularen und antiklerikalen Kurs.
Massive Konflikte innerhalb der DVPA bis hin zur Spaltung sind Folge dieser Krise. Beide Seiten wenden sich an die KPdSU, deren Politbüro zunächst ein Eingreifen ablehnt. Ein abermaliger Putsch, bei dem der amtierende Ministerpräsident im September 1979 von seinem Kontrahenten ermordet wird, veranlasst die Regierung der UdSSR am 26.12.79 zum Einmarsch in Afghanistan, was der neue afghanische Präsident Hafizullah Amin seinerseits nicht überlebt. Die Interventionsstreitkräfte befreien als erstes 10.000 politische Gefangene.
Die nachfolgenden Präsidenten der Demokratischen Republik Afghanistan kommen weiterhin aus der Demokratischen Volkspartei, deren letzter, Mohammed Nadschibullah, kann sich auch nach dem Abzug der UdSSR 1989 bis 1992 halten.

Der amerikanische Geheimdienst CIA unter Mitwirkung des pakistanischen Geheimdienstes ISI fördert die systematische Schulung und Ausrüstung der oppositionellen Mudschaheddin in ihrem Kampf gegen die UdSSR und die „kommunistische“ Regierung in Kabul. So entwickelt sich Ende 70er Jahre, spätestens nach Einmarsch der UdSSR-Streitkräfte, ein waschechter Stellvertreterkrieg als heiße Zone innerhalb des Kalten Krieges. Die Mudschaheddin sind regional operierende Guerillas unterschiedlicher Ethnien, die sich teilweise auch untereinander bürgerkriegsartig bekämpften. Die Sowjetarmee operiert hauptsächlich aus der Luft und erlebt schließlich ihr eigenes Vietnam.

Nach deren Abzug 1989 gibt es durchaus konstruktive Bemühungen zur nationalen Versöhnung seitens Nadschibulla und dem tadschikischen Mudschaheddin-Führer Ahmad Schah Massoud. Die weitere Zeit bis zum Einmarsch der USA 2001 ist jedoch durch den Bürgerkrieg geprägt. Die Geheimdienste der USA und Pakistans installieren nun die Taliban. Es handelt sich um überwiegend paschtunische Koranschüler, die z.T. traumatisiert in pakistanischen Flüchtlingslagern leben. Sie werden religiös aufgehetzt und an Waffen ausgebildet. Die Mudschaheddin erweisen sich mehrheitlich als erbitterte Gegner der Taliban.

Achmad Schah Massoud tritt im Frühjahr 2001 vor dem Europaparlament auf und legt sein politisches Programm dar: Moderater islamischer Staat, Frauenwahlrecht, Durchführung einer Loja Dschirga. Im Sommer warnt er die USA vor einem massiven Anschlag der Al Kaida in den USA. Am 9.9.2001 wird er von zwei Al Kaida-Selbstmordattentätern umgebracht.

Am 11.9.2001 verübt Al Kaida die Terroranschläge in den USA von nie gekannter Größe und Brutalität. Al Kaida ist ursprünglich eine saudische Kreation, die ohne den Zerfall Iraks und Libyens im Rahmen der Ölkriege und Kriege um die „Neuordnung der Welt“ nicht denkbar gewesen wären.

Über die Frage der Auslieferung oder nicht-Auslieferung bin Ladens nach dem 11.9. durch die Taliban, die kein besonderes Verhältnis zu ihm hatten und in dessen Umfeld kein einziger Afghane aktiv war, überziehen die USA und die NATO-Staaten ab Oktober 2001 Afghanistan mit einem erneuten Luftkrieg. Als Fußtruppen nutzen sie die Mudschaheddin der Vereinten Front aus dem Norden Afghanistans. Die seit 1996 bestehende Talibanregierung löst sich rasch auf und verschwindet aus Kabul in den paschtunischen Teil Pakistans.

Während des folgenden 20-jährigen Krieges, der über große Strecken auch ein Bürgerkrieg ist, wird mühsam ein politischer Prozess aufgelegt, eine Regierung zu bilden und Parlamentswahlen durchzuführen. Hamid Karzai wird erster Präsident der „Islamischen Republik Afghanistan.“ Mehrere Milliarden Dollar werden auf internationalen Afghanistankonferenzen an Aufbauhilfe zugesagt. Der afghanische Regierungsapparat erweist sich jedoch als äußerst korrupt. Der von den Taliban unterdrückte Opiumanbau wird wichtigster Wirtschaftszweig des Landes (95% der Weltproduktion).

Letztlich hat Afghanistan nun 42 Jahre Krieg, Bürgerkrieg und Terroranschläge hinter sich. Lt. NZZ vom 19.8.21 hat der Krieg ca. 240.000 Menschenleben gekostet, die Hälfte davon Taliban, die Opfer der ersten 22 Jahre Krieg ab 1979 nicht mitgezählt. Millionen Menschen aus Afghanistan sind geflohen, in die Nachbarländer und weltweit. Die Kosten des US-Militäreinsatzes werden auf 2 Billionen US-Dollar geschätzt.

Selbstbestimmung war in den letzten 42 Jahren nicht möglich. Davor gab es eine Art Revolution. Jetzt gibt es eine Herrschaft, die ohne die Machenschaften der Geheimdienste der USA und Pakistans sowie des Einwirkens Saudi-Arabiens so niemals möglich gewesen wäre, und die jetzt über ein riesiges erbeutetes NATO-Waffenarsenal als letzten Gruß einer merkwürdigen „Wertegemeinschaft“ verfügt.

 

„Hinterher ist man immer schlauer“? – Nein, es geht um Grundsätzliches

Die Friedensbewegung hat schon 2001 z.B. auf dem Kasseler Friedensratschlag festgestellt:

„Außer zur Selbstverteidigung ist Krieg selbst Terror und schon deshalb kein geeignetes Mittel zur Terrorbekämpfung. (…) Der weltweit auftretende Terrorismus muss im Rahmen einer international anerkannten Rechtsgrundlage unter Verantwortung der Vereinten Nationen bekämpft werden. (…) Ein Recht auf Rache gibt es international ebenso wenig wie im nationalen Bereich ein Recht auf Selbstjustiz. Mehr Schutz gegen den Terrorismus erwächst vor allem aus sozialer Gerechtigkeit und Solidarität. Die verheerenden Folgen einer neoliberalen Globalisierung, die ausschließlich die reichen Industrieländer begünstigt, müssen beseitigt werden, gerechte Handelsbeziehungen und mehr Entwicklungshilfe sind notwendig, Abrüstung statt Aufrüstung kann Mittel für humanitäre Programme freisetzen.“

Der historische Moment ist gekommen, ernsthaft das imperialistische und stets auf militärische Überlegenheit setzende Gebaren zu überdenken und aufzugeben.
Die wirtschaftlichen Konkurrenzen um Märkte und Rohstoffe und daraus resultierende Konflikte lassen sich nur kooperativ auf dem Boden UN wirklich regeln, ohne Katastrophen zu provozieren, seien es Kriege, atomare Bedrohungen, oder ökologische Katastrophen. Und nur so können Lebensumstände in den Herkunftsländern der Flüchtenden geschaffen werden, die nicht 80 und bald 100 Millionen Menschen in die Flucht schlagen.

Statt „Bekenntnisse zur NATO“ zu verlangen, sollten die Parteien, die im Bundestag bisher jeden Auslands-Militäreinsatz der Bundeswehr ermöglicht haben, ihre Außen- und Verteidigungspolitik überdenken. Regime Change und Nation Building sind neokoloniale Abenteuer und gehen meistens sowieso schief. Vielleicht ist das der Grund, dass US-Präsident Joe Biden in seiner „historischen Rede an die Nation“ zum Abzug der USA aus Afghanistan der Welt am 31.8. verkündete:

„Wir müssen Fehler, die wir gemacht haben, korrigieren. Die Ära großer militärischer Einsätze, um andere Länder zu erneuern ist vorbei.“

Das sollte doch beim Überdenken bisheriger Positionen Mut machen. Ein „Weiter so“ darf es auch in der Außen- und Militärpolitik nicht geben. Diese ist auch nicht zu trennen von der Klima-, Energie- und Sozialpolitik. Es sind kommunizierende Röhren. Der bisherige Verlauf des Bundestagswahlkampfes macht jedoch auf solche Erkenntnisse wenig Hoffnung.

Thomas Trüper
Überarbeiteter Beitrag auf der Kundgebung zum diesjährigen Antikriegstag auf dem Mannheimer Marktplatz

 

 

 

 




AfD-Landtagskandidat als Zeremonienmeister der Bundeswehr beim Abschied der Pflegeheim-Sodat*innen. Zivilschutz-Korps statt Bundeswehr!

„Wir wollten Sie nicht einfach so aus dem Dienst entlassen, sondern eine würdige Verabschiedung“ sagte der AfD-Oberstleutnant d.R Heinrich Koch in seiner Funktion als Leiter des Kreisverbindungskommandos Mannheim und organisierte – wenn schon keinen Zapfenstreich, so doch – ein Zeremoniell zu abendlicher Stunde bei Fackelschein, eine kleine Wacht am Rhein. Koch war zu diesem Zeitpunkt Landtagskandidat der AfD in Mannheim-Süd. 2019 stand er bei der Gemeinderatswahl in Mannheim auf Platz 11 der Liste der AfD. (So viel zum Thema Rechtsradikale in der Bundeswehr.)

Peter Ragge vom Mannheimer Morgen berichtet: „‘Stillgestanden!‘, ‚Augen rechts!‘, Augen geradeaus!‘ schallten die Kommandos der Kontingentführerin im Range eines Hauptfeldwebels über das Rheinufer, wo Fahnen von Deutschland, Baden-Württemberg, Mannheim und Bayern wehten. Sie meldete den Abschied von 44 Männern und Frauen mit dem Edelweiß an der Bergmütze, die seit Februar in den Alten- und Pflegeheimen Besucher, Bewohner und Mitarbeiter auf das Coronavirus testeten.“ (MM 9.3.21).

Für die Stadt erschienen zum militärischen Mummenschanz nicht der OB (er ließ 44 Dankesschreiben übergeben), nicht Gesundheitsdezernent Grunert, sondern Erster Bürgermeister Specht, in dessen Ressort Sicherheit und Zivilmilitärische Zusammenarbeit gehören. Er hat auch eine unüberhörbare Affinität zum uniformierten Einsatz der Soldat*innen im Mannheimer Zivilleben: „Mannheim hat ja seit Jahren keine Bundeswehreinheiten mehr, da sind Sie im Stadtgebiet schon aufgefallen.“ (MM)

Und das war ja aus Sicht der Bundeswehr auch Sinn des Einsatzes. Es musste wie bundesweit auf jeden Fall ein „Amtshilfe“-Einsatz im „Feldanzug“ sein. Akzeptanzpflege für Soldat*innen, die man sonst im Fernsehen nur im nicht sehr beliebten Afghanistan- oder Afrika-Einsatz in ihrem Camoufage-Drillich sieht. Die Aufnahme in den Heimen sei sehr positiv gewesen. „Manche ältere Leute seien überrascht gewesen, plötzlich Militäruniformen in den Heimen zu sehen,“ berichteten lt. MM die bayerischen Gebirgsjäger*innen. Das mag sicher für manche Hochbetagte, die den letzten Weltkrieg überlebt hatten, ein besonderes déjà-vu gewesen sein. Oberstleutnant d.R. Koch wies im Übrigen darauf hin, dass es für die Gebirgsjäger*innen dann gleich weiter nach Afghanistan und Mali gehe.

Wenn inzwischen viel und zu Recht über den Missbrauch der Pandemie für ganz andere Interessen gesprochen wird, so ist in diesem Bundeswehr-Amtshilfeeinsatz und besonders in seiner Ausgestaltung ein wesentlicher Punkt getroffen: Akzeptanzpflege für’s Militär als Freund und Helfer. Warum tragen Soldatinnen und Soldaten im Innendienst des Verteidigungsministeriums den Dienstanzug und im zivilen Einsatz in Altenheimen und Kommunalverwaltungen den Feldanzug? Warum werden sie nicht überhaupt in Zivil losgeschickt? Die Zentralvorschrift A1-2630/0-9804  „Anzugordnung für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr“ lässt sogar beide Möglichkeiten offen.

Dieses Idyll zeigt den „Feldanzug“ (inkl. Wetterjacke) des Heeres. Die Bundeswehr ließ bundesweit ihre Soldat*innen in Gesundheitsämtern und, Pflegeheimen und Testzentren in eben diesem Kostüm antreten. (Quelle: Bundeswehr, „Bekleidung und Uniformen der Bundeswehr“)

Dies ist der „Dienstanzug I“ des Heeres. „Im Dienst kann der Dienstanzug auch ohne Jacke getragen werden“.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zivilschutz-Korps statt Bundeswehr!

Wenn es um das spannungsreiche Verhältnis zwischen Grundrechten und Pandemiebekämpfungsmaßnahmen geht, dann geht es eben auch um das Thema des Militäreinsatzes im Inneren. Hier stellt sich die Frage: Warum unterhält die Bundesrepublik kein Stehendes Zivilschutz-Korps? Dazu findet sich bei Wikipedia folgende aufschlussreiche Erklärung:

„Das Zivilschutzkorps (ZSK) war eine geplante hauptamtliche Zivilschutzorganisation in der Bundesrepublik Deutschland, deren Einrichtung mit der Verabschiedung des „Gesetzes über das Zivilschutzkorps“ vom 12. August 1965 vorgesehen war. Aufgrund von haushaltspolitischen Beschränkungen wurde das Gesetz jedoch durch das im Dezember des gleichen Jahres beschlossene Haushaltssicherungsgesetz zunächst zeitlich befristet suspendiert. Durch das zwei Jahre später am 21. Dezember 1967 verabschiedete Finanzänderungsgesetz wurde die Befristung ausgesetzt, Bemühungen um eine Aufhebung der Suspendierung scheiterten in den folgenden Jahren aufgrund von finanziellen Erwägungen. Dadurch kam es bei der Umsetzung des Zivilschutzkorpsgesetzes lediglich zur Einrichtung von Aufstellungsstäben, die eigentlichen Einheiten des ZSK bestanden hingegen zu keinem Zeitpunkt. Durch die Neuordnung der Zuständigkeiten und Strukturen im Bereich des Zivilschutzes, die sich aus dem 1968 beschlossenen „Gesetz über die Erweiterung des Katastrophenschutzes“ (Anm.d.V.: also durch die Notstandsgesetze) ergab, entfiel die Einrichtung des Zivilschutzkorps endgültig.“

 

Hamburg rief anlässlich der Sturmflutkatastrophe 1962 unter Helmut Schmidt letztlich illegal nach der Bundeswehr, um der Katastrophe Herr zu werden. Aus dieser juristischen Notlage leitete sich die Reform des Art. 35 GG ab, die seit den Notstandsgesetzen lautet: „[2] Zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder, Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen sowie des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte anfordern.“ (Art. 35 Abs. 2, Satz 2). Vorher war der Einsatz der Bundeswehr im Inneren ausdrücklich verboten – ein guter Grundsatz.

Wer da meint, das THW sei doch ein Stehendes Zivilschutzcorps, irrt. Ständig besteht das THW nur aus einer ministeriellen (Innenministerium) und den regionalen Führungsstrukturen. Die helfenden Hände werden jeweils als Ehrenamtliche (wie bei der Freiwilligen Feuerwehr) gerufen. Die Zahl der Einsatzkräfte beträgt ca. 63.000 Frauen und Männer.

Im Zivileinsatz der Bundeswehr sind in Verbindung mit Covid-19 ca. 30.000 Soldat*innen im Einsatz. Sie wurden von 331 der insgesamt über 400 Stadt- und Landkreise angefordert, also fast fächendeckend – was diesem Einsatz einen bisher einzigartigen Charakter verleiht. In den ganzen Diskussionen über notwendige Konsequenzen dieser wahrscheinlich leider nicht letzten Pandemie wird das Thema Zivilschutz im nicht-militärischen Kontext neu anzugehen sein: Wir brauchen einen wirklich zivilen Zivilschutz. Die dadurch entlastete Bundeswehr könnte durchaus entsprechend schrumpfen (Finanzierungsvorschlag). Allein schon die Klimawandel-Folgen geben genug Anlass für derartige Überlegungen.

Die SPD sollte ihre in der 1. Großen Koalition getroffene Entscheidung für die Notstandgesetze überprüfen. CDU und AfD sind hierfür sicherlich nicht zu begeistern. Ein ordentlicher Staat, der sich international nicht die Butter vom Brot stehlen lassen möchte wohl aber umgekehrt, braucht eben eine ordentliche und akzeptierte Bundeswehr.

Deswegen hat der einstige Mannheimer Bundestagsabgeordnete Löbel (man erinnert sich) auf linke Kritik an den Uniformen im zivilen Einsatz der Bundeswehr gleich ein passendes sharepic in Umlauf gesetzt. Löbel stürzte leider nur aufgrund seiner Selbstbedienungsmentalität, nicht aufgrund seiner reaktionären Ansichten.

Thomas Trüper

 

 

 
   

 




Im Windschatten der Lager – die würdelose Nachbarschaft (mit Bildergalerie)

Wir sehen seit langem mit Entsetzen auf die Geschehnisse in und um das Lager Moria auf Lesbos. Als Sinnbild für eine Monstrosität der Unmenschlichkeit, auf europäischem Territorium gewachsen, wirft Moria lange Schatten. Diese Lager existieren entlang jeder Fluchtroute quer über die griechischen Inseln und den Balkan. Sie sind gut bekannte Hot Spots der Unwürde. Man muss aber nicht in die Ferne schweifen, um beklagenswerte Zustände in der Unterbringung Geflüchteter wahr zu nehmen. Ellwangen bleibt auch kein Einzelfall, es gibt diese Unmenschlichkeiten vor vieler unserer Haustüren.

Schauen wir nicht nur nach Griechenland

Im Heidelberger „PHV“, der ehemaligen US Wohnkaserne Patrick Henry Village, sind seit 2014 Geflüchtete untergebracht, analog zur Historie Morias und im Grunde aller Flüchtlingslager, war das zunächst als Notunterkunft für den Winter gedacht, dann schuf man mehr Platz und brachte zwischenzeitlich die dreifache Zahl an Menschen dort unter, das ganze wurde als „Registrierzentrum“ ausgebaut, Drehkreuz, Pilotprojekt… Mit allen vollmundigen Versprechen aber auch den Nebenwirkungen die, zwar nicht ins Extrem der griechischen Lager oder der auf dem Balkan gehend, man so kennt, doch am Ende ist es immer die Würde, die niemand einplant.
Inzwischen ist das Gelände auf dem die „LEA“, die Landeserstaufnahmeeinrichtung, untergebracht ist mit jedem Jahr begehrter geworden. Dabei geht es um die Belebung der 97 Hektar großen Fläche als attraktiven Stadtteil, der mit einer LEA „nicht funktionieren“ würde. Das ist die Begründung, die in der Diskussion um die Verlagerung in die Wolfsgärten voran geführt wird. Die Wolfsgärten sind ein Areal bei Wieblingen zwischen Autobahn 565, A5/Kreuz Heidelberg, Grenzhöfer Weg und der Bahntrasse zwischen Heidelberg und Mannheim, derzeit wird es landwirtschaftlich genutzt, in dem die Geflüchteten auf inhumane Weise eingezwängt wären. Ohne wirklichen Anschluss an die Stadt, die Umgebung und die Gesellschaft. In keinem der vier Szenarien für die Zukunft des PHV finden die Themen Migration oder Integration Platz.  Doch diese Diskussion ist viel länger und umfangreicher als hier wiedergegeben, aber bleiben wir bei Unmenschlichkeiten.

Im PHV sind derzeit etwa 800 Menschen untergebracht, sie konnten sich frei bewegen, es gab einen Busshuttle der für Anschluss an Stadt und Gesellschaftsleben oder für Versorgung die über die in der Unterkunft angebotene hinaus ging, sorgte. Es gab auch Zwischenfälle, von gelegentlichen Ladendiebstählen wurde berichtet, aber auch von Polizeieinsätzen wegen Gewalt, die untereinander ausgeübt wurde. Machen wir uns nichts vor, wo Menschen eng zusammengehalten werden gibt es Konflikte. Entgegen dem, was die AfD propagiert, blieb die Umvolkung durch Islamisten und Messermänner aus, wir haben insgesamt nichts erlebt, das sich signifikant in der Heidelberger Kriminalstatistik nieder schlägt.
Bis die Corona Pandemie auch Heidelberg erreichte, mit Betroffenen und Infektionen auch unter den Geflüchteten im PHV. Es gab vier Infizierte, sie und deren Kontaktpersonen waren in Quarantäne, alle Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen wurden getestet, es blieb bei vier Fällen unter den Geflüchteten.

Abschottung nicht nur an Fluchtrouten

Die Anforderungen die Kontaktverbote und Abstandsregeln aber fordern sind schwer umzusetzen, das liegt allein schon an der Art der Unterbringung. In der Umgebung die eine Militäreinrichtung infrastrukturell anbietet, sind die Hürden der Separierung allerdings nicht mehr hoch und einfach umzusetzen.
Das seit 2003 als Folge der Anschläge vom 11. September schwer gesicherte Gelände wurde nach dem Weggang der Amerikaner zehn Jahre später nie von den hohen Zäunen und dem Stacheldraht befreit und Zyniker die 2014 zur Unterbringung Geflüchteter in einer verlassenen US Kaserne sagten „wie praktisch, da muss man die Kameras nur in die andere Richtung drehen“, bekommen heute, spät und unfreiwillig, Recht.

Es werden Umstände geschildert, die selbst in Zeiten der Corona Pandemie hinterfragt werden müssen. Die verhängte Ausgangssperre vom 27. April, wurde bis zum 12. Mai verlängert. Die Unzufriedenheit wuchs verständlich unter den Isolierten in einem höheren Maß als unter denen die das weniger hart traf. Die Bewohner*innen fühlten sich regelrecht bewacht, und dieser Eindruck entspricht scheinbar den Tatsachen. Die Polizeipräsenz die geschildert wird, findet sich auch im Umfeld des PHV. Polizeipferde, Mannschaftswagen, ein verstörendes Bild, wenn man sieht wie die einheimische Bevölkerung sich trotz vielfältigeren Möglichkeiten einer Ansteckung mit Covid 19 bewegen darf. Dabei muss man immer vor Augen haben, dass die Situation im PHV keine Bitte um #stayathome war, also nicht freiwillig.
Hier zahlt sich die dezentrale Unterbringung Geflüchteter aus. Niemand sieht es, und das Festhalten an diesem Konzept wirft kein gutes Licht auf die Verantwortlichen. Leider dürften gerade die sich jetzt, nach den aktuellen Infektionen in der Unterkunft im nordrhein-westfälischen Sankt Augustin, im Recht fühlen, auch wenn sich hier eine gravierende Schwäche der zentralen Unterbringung zeigt.

Würde ist nicht geplant

Auf die Bedürfnisse von Fastenden während des Ramadans wurde keine Rücksicht genommen. Es soll fast täglich Nudeln gegeben haben, an einigen Tagen nur Brot und Käse. Zu wenig für einen normalen Tag, und zum Fastenbrechen gänzlich ungeeignet. Der Ramadan endet in diesem Jahr am 23. Mai.
Es war faktisch nicht möglich sich im Freien aufzuhalten, vielleicht Sport zu treiben oder nur ans Sonnenlicht zu gehen, Checkpoints gibt es jetzt nicht nur am Eingang, sondern auch innerhalb des Geländes. Das Technische Hilfswerk war zudem auch im Einsatz, in der Nacht ist alles in beide Richtungen ausgeleuchtet, weil man Verstöße gegen die Ausgangssperre fürchtet, es entsteht ein bizarres Bild: „Willkommen“ zeigt es nicht, aber auch nicht das Gegenteil davon…

Taschengeld wurde zeitweise nicht ausgegeben, die Handyguthaben waren darum schnell aufgebraucht, Internet gibt es nicht und so kann kein Kontakt zu Verwandten gehalten werden und auch sonst war Kommunikation nicht mehr, oder nur sporadisch, möglich. Die Menschen waren nicht nur räumlich isoliert.
Auch Online-Beratungen konnten so nicht stattfinden, damit blieben wichtige Fragen unbeantwortet. Über den Ablauf von Verfahrens- und Sozialberatung kann man unter diesen Voraussetzungen nur vermuten. Es gab und gibt Stimmen die warnen, dass es brodelt und die Stimmung kippen kann. Dass Frust und Ängste groß sind, wird kein Geheimnis sein, und das erklärt die Polizeipräsenz im Umfeld des PHV.

Die Rolle der Bundeswehr in der Einrichtung ist nicht ganz geklärt, es heißt man übernehme im Rahmen von Amtshilfe helfende Aufgaben, aber keine hoheitlichen. Untergebracht sind die Soldat*innen in einem nahen Hotel. Schaut man darauf, wie sich die Bundeswehr derzeit als Helfer für die Öffentlichkeit präsentiert, beispielsweise mit dem Herstellen von Desinfektionsmittel oder dem Beschaffen von Mund/Nasen-Masken, könnte man vermuten es würde wenigstens damit ausgeholfen. Doch Fehlanzeige – Desinfektionsmittel gab es im PHV zeitweise nicht. Auch keine Masken. Nicht in ausreichender Menge. Für die Essensausgabe braucht man jedenfalls keine Soldaten.
In einer Einrichtung dieser Größe läuft nie alles rund, aber die Anforderungen, die die Corona Pandemie stellt, muss auch für Geflüchtete in den Unterkünften ein Hochschrauben der Hilfeleistungen bedeuten. Das ist auch schwer mit dieser Zeit der Krise zu rechtfertigen, denn es ist auch eine Zeit, in der für viele Branchen und Menschen die Hilfsschirme aufpoppen – zumindest für die als nützlich befundenen.

Der Sicherheitsdienst der Einlass und Ausgang, und auch das Gelände selbst betreut ist zumindest in Heidelberg unauffällig. In München stand die Firma vor einigen Jahren in Zusammenhang mit Übergriffen gegen Geflüchtete in einer Unterkunft. Im Internet äußern sich ehemalige Mitarbeiter überwiegend negativ über die Unternehmensführung, frustrierte Mitarbeiter in der Sparte dürften aber sicher niemanden wundern, das ist auch für den in Heidelberg eingesetzten Dienst kein Alleinstellungsmerkmal.
Als ich am Eingang des PHV in der vergangenen Woche versuchte mit Bewohnern ins Gespräch zu kommen, mit Abstand und Mundschutz, kam nach kurzer Zeit ein Ruf aus dem Torhäuschen:
„Nicht reden, einfach reingehen!“ Das deutet, für mich, darauf was da läuft. Frustriert und schlecht bezahlt kennen wir aus vielen Branchen, da gilt leider oft: pay peanuts – get monkeys.


Dass wir davon wenig sehen liegt nicht an mangelndem Interesse, es soll nicht gesehen werden. Außer hübschen Bildern mit Innenminister Strobl neulich, wo alle lächeln und jeder zufrieden ist, sieht man wenig und darum ist das hier nur eine Situationsbeschreibung von außen und rückblickend.
Das alles macht das PHV sicher nicht zu einem Hotspot, doch hat das PHV einiges mit anderen solcher Orte gemein, und man muss hinterfragen wie willkürlich die Ausnahmeregelungen unter einer Pandemie angewendet werden und mit welchem Ziel. Das ist ein Ansatz von „Willkommensverwahrlosung“ und ein Stück Moria vor jeder unserer Haustüren.

Weil auch das erwähnt sein muss. Die Geflüchteten ertrugen vieles mit Fassung, die einen mehr die anderen weniger. Und darum ist auch das Teil der Schilderungen aus dem PHV – viele sind, trotz allem, dankbar und haben sich mehrheitlich an die Regeln gehalten. Ein Covid 19 Ausbruch in einer Dimension wie in Ellwangen und Sankt Augustin blieb aus. Fairer weise muss man das dem Ganzen, trotz Beigeschmack, zugutehalten.

Mit Blick auf die drohende Verlegung der Einrichtung auf das Areal der „Wolfsgärten“, ich war dort und es ist dort furchtbar laut, selbst in Zeiten mit wenig Verkehr. Notwendige Schallschutzmauern erfüllen dort gleich mehrere Zwecke. Die Heidelberger Grünen im Gemeinderat sprechen sich, entgegen ihrer Aussagen und Positionierung im vergangenen Kommunalwahlkampf, nun dafür aus – könnte man diese Quarantäne im PHV auch als Ausblick verstehen bei dem die Heidelberger Grünen sich von einst geschätzten Positionen entfernen und sich einer Stimmung der Gleichgültigkeit schöntun. Enttäuschend für die, die sich wegen eben dieser Position zur Stimme für die Grünen entschieden.
Eine Petition wendet sich gegen diese Pläne über die am 18. Juni 2020 im Heidelberger Gemeinderat entschieden werden soll. Sie kann hier unterzeichnet werden:

https://www.openpetition.de/petition/online/refugees-welcome-auch-im-phv-heidelberg-keine-verlegung-in-die-wolfsgaerten-2

Die Seebrücke-Gruppen in Heidelberg und Mannheim rufen für den 23.05.20 zu Kundgebungen und Aktionen auf. Das Motto lautet: „Evakuiert die Lager #LeaveNoOneBehind“.

(Text/Bilder: Daniel Kubirski – Screenshots Seebrücke Heidelberg und Mannheim bei Facebook)




Covid-19: Die AfD hätte es gern militärisch

Am 27.6.19 meldet die Tagesschau: „Wehrpflicht, Einsätze im Inneren und eine ‚Motivation der Soldaten zum unerbittlichen Kampf im Gefecht‘: Die AfD will einen Strategiewechsel bei der Bundeswehr“. Bild: Bundeswehr im Einsatz bei der Ankunft von Geflüchteten auf dem Köln-Bonn-Airport Oktober 2015. (© Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Mannheim, 28.04.20. Die Covid-19 Pandemie ist für die AfD-Fraktion im Mannheimer Gemeinderat ein willkommener Anlass, im „Krieg gegen Corona“ die Bundeswehr endlich mal auf kommunaler Ebene ins Geschäft zu bringen. Den Begriff „Krieg“ benutzt die AfD allerdings nicht, denn sie hält die Pandemie für eine ganz normale saisonale Lungenentzündung. Dies erklärt Dr. Lehnert von der AfD in einem aktuellen Antrag. Dort heißt es (A121/2020): „Prüfen der Einschränkungen durch die Pandemie. Wir bitten die Verwaltung zu prüfen ob und in welcher Form man Einschränkungen durch die Covid-19 Pandemie – außer bei Bewohnern von Pflegeheimen – innerhalb von 2-3 Wochen wieder aufheben kann“. Und in der Begründung heißt es: „Eine Übersterblichkeit liegt nicht vor…“

Krieg also nicht, aber Bundeswehr: Am 30.03. reichte die AfD Fragen zur Corona-Bekämpfung ein (A077/2020): „Auskunft über Krisenstab. Die Verwaltung möge berichten: 1.) wer leitet den Mannheimer Verwaltungsstab und den Mannheimer Führungsstab? 2) ist hierbei die Bundeswehr eingebunden wie dies beispielsweise in Ludwigshafen oder Heidelberg bereits der Fall ist? 3.) Wie ist in Mannheim die Bundeswehr eingebunden? 4.) Haben die derzeitigen Stäbe der Stadt Mannheim auch entsprechende Führungserfahrung?“ Man hört man förmlich die bohrende Frage an den OB, Chef des Führungsstabes Corona: „Ham’Se überhaupt jedient?“ So bohrt die AfD in ihrer Anfrage weiter: „5.) Hat die Stadt Mannheim Einsatzkompetenz an der Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ) erworben? 6.) Wer aus Mannheim hat an diesen Übungen als führender Kopf teilgenommen? Leitet diese Person die derzeitigen Krisenstäbe der Stadt Mannheim?“ Die AKNZ ist spezialisiert auf „Zivilverteidigung“ im Falle eines militärischen Konflikts. Sie befasst sich u.a. mit ABC-Alarmen. Gerne greift die AfD die „Hilfsbereitschaft“ der Bundeswehr auf. In der Anfragen-Begründung schreibt sie: „In einem Interview mit dem Mannheimer Morgen vom Samstag, den 28.03.2020 bietet der Generalinspekteur der Bundeswehr an ‚zu helfen wo die zivile Leistung erschöpft ist‘.“

Am 23.04. lenkt die AfD den Blick unvermeidlich auf die LEA in der Pyramidenstraße: Mit scheinbarer Empathie fragt sie in Anfrage A116/2020: „Gibt es oder gab es Infektionsfälle oder Verdachtsfälle von Infektionen mit Covid 19 unter den Bewohnern der Erstaufnahmestelle in der Pyramidenstraße?“ Sie fragt dann nach Quarantänemaßnahmen. Begründung: (…) Diese Anfrage soll sicherstellen, dass das Infektionsrisiko in der Erstaufnahmeeinrichtung und damit die daraus resultierenden Gefahren für die Bevölkerung verringert werden.“ Die Evakuierung der LEA z.B. in ein leerstehendes Hotel oder in dezentrale Unterbringung kommt der „fürsorglichen“ AfD nicht in den Sinn.

A propos Fürsorge: Den auf breiter Front geforderten Sonderzahlungen für die Beschäftigten im Gesundheitswesen will sich die AfD nicht verschließen. Ihre Variante lautet (A118/2020): „Sonderprämie für Ärzte und Pflegekräfte als Anerkennung der zusätzlichen Belastung durch die Covid-19 Pandemie für die Monate Februar und März eine Sonderprämie von 500 Euro pro Monat also zusammen 1000 Euro.“

Und auch dies noch: Zur Gemeinderatssitzung am 28.04. kündigte die AfD das „Pairing“ auf, die freiwillige Verkleinerung des Plenums um die Hälfte von 48 auf 24 Stadträt*innen unter Beibehaltung der bestehenden Mehrheitsverhältnisse. Auf diese Weise kann das Abstandsgebot zwischen den Personen eingehalten werden. Motto: Wenn schon die Bundeswehr nicht gerufen wird, machen wir den ganzen Quatsch nicht mit. Die AfD erschien statt mit zwei mit drei Stadträten. Der Dritte, Herr Ernst, musste allerdings an einem Katzentisch Platz nehmen. Die übrigen Fraktionen trugen’s mit Gelassenheit und machten aber auch keinen Gebrauch von der so verursachten Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse.

Thomas Trüper, Stadtrat, Fraktionsvorsitzender LI.PAR.Tie.




„Bundesweit einmalige Großübung“ in Mannheim für den Fall eines Biowaffen-Angriffs (mit Video und Bildergalerie)

Wie andere Medien auch berichten wir über die am 26.09.19 statt gefundene Großübung. Des Weiteren gehen wir der Frage nach, warum die Großübung in Mannheim stattgefunden hat, ebenso der Frage nach dem größeren Zusammenhang, in der diese Großübung zu sehen ist und welche Ziele der „spiritus rector“, der Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU), hierbei verfolgt. Über diese Fragestellungen wurde in diesem Kontext bisher nicht von anderen Medien berichtet.

 

„Behörden in Baden-Württemberg üben für den Fall eines bioterroristischen Anschlags“ 

In der Pressmitteilung vom 26. September 2019 schildert das Landeskriminalamt Baden-Württemberg folgendes Szenario:

„Beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg ermitteln Polizeibeamte und Polizeibeamtinnen der Abteilung Staatsschutz gegen eine islamistische Zelle im Großraum Mannheim. Es ist Eile geboten. Kräfte des Spezialeinsatzkommandos (SEK) stürmen zeitgleich die beiden Wohnungen der im Fokus stehenden verdächtigen Personen. In einer Wohnung entdecken sie einen leblosen Körper und stellen sofort fest, dass sie sich mitten in einem improvisierten Labor befinden. Die Verdächtigen experimentieren offensichtlich mit biologischen Kampfstoffen. Zudem stellen die Spezialkräfte eine funktionstüchtige Sprengstoffweste und Waffen fest.“ 

Bei dem Szenario wurde fiktiv unterstellt, dass in diesem Labor das hoch giftige, toxische Rizin hergestellt wird, um einen tödlichen Anschlag auf tausende von Menschen durchzuführen.

Der Innenminister und die Vertreter des LKA betonten mehrfach , dass es keine konkreten Gefahrenhinweise gäbe. Jedoch müsse man sich trotzdem auf solche Szenarien vorbereiten, da in Köln-Chorweiler im Juni 2018 genau eine solche islamistische Zelle ausgehoben worden ist, bevor sie ihre geplanten Bio-Anschläge umsetzen konnte. Der Prozess gegen die mutmaßlichen Täter findet gerade beim Oberlandesgericht Düsseldorf statt. „Wir wollen niemanden Angst machen, aber wir müssen auf das Schlimmste vorbereitet sein“, so der Präsident des baden-württembergischen LKA, Ralf Michelfelder.

Ralf Michelfelder, Präsident des baden-württembergischen LKA

In Mannheim wurden für die Großübung, mit der Bezeichnung „BAO Salus“ unter Führung des LKA rund 150 Personen eingesetzt. Diese kamen vom LKA, von Polizei, Staatsanwaltschaft, Feuerwehr, Katastrophenschutz, Landesgesundheitsamt, Gesundheitsamt Mannheim und von den Rettungsdiensten. Ebenso war aus Berlin eine Beratergruppe des Robert-Koch-Instituts für biologische Einsatzlagen vor Ort. Dem Polizeipräsidium Mannheim und dem Krisenstab der Stadt Mannheim oblag die Gesamteinsatzleitung. Allerdings, so der Eindruck, ist das eher eine Formalie gewesen. Die Federführung vor Ort hatte eindeutig das LKA und der Innenminister. Das Hauptziel der Großübung war die „reibungslose Kooperation verschiedener Behörden und eine enge und gute Zusammenarbeit mit den Spezialisten vor Ort“.

Warum Mannheim als Standort dieser Großübung?

Von Strobl wurde gesagt, dass sich Mannheim mit dem Konversionsgelände des Benjamin Franklin Areals für eine solche „bundesweit einmalige Großübung“ besonders eignen würde. BM Frau Dr. Freundlieb (SPD) ergänzte „wir (die Stadt Mannheim; Anm. d. Red.) freuen uns als Standort ausgewählt worden zu sein“. Die Frage, weshalb ein Gelände in Nähe von Wohngebieten und mit dem Columbus-Areal ein Ort an dem Geflüchtete untergebracht sind ausgewählt wurde, blieb unbeantwortet. Auf genaueres Fragen hin ist jedoch ein anderer Grund für die Standortwahl zu erkennen gewesen. Die Feuerwehr Mannheim ist bundesweit einer von nur acht Standorten und einziger Standort in Baden-Württemberg, der mit einer ATF-Kompetenz (Analytische Task Force) ausgestattet ist. Die Feuerwehr Mannheim stellt hierzu auf ihrer Webseite fest:

„Aufgabe der ATF ist die Aufklärung von Schadensereignissen, bei denen mit der Freisetzung von radioaktiven Stoffen, biologischen Agenzien oder gefährlichen Chemikalien gerechnet werden muss. Von Seiten der Feuerwehr Mannheim wird das Einsatzpersonal und der Basisteil der technischen Ausrüstung gestellt, auf den das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) hochmoderne Analysentechnik aufsetzt.“

Innenminister Strobl räumte ein, dass diese Übung nur sehr schwer in dieser Form in einer anderen Stadt hätte durchgeführt werden können. Weshalb die Mannheimer Feuerwehr mit dieser Kompetenz ausgestattet ist, darüber kann man nur spekulieren. Vermutlich ist es die Nähe Mannheims zu chemischen, biologischen und nuklearen Großanlagen.

In welchen größeren Zusammenhang ist die Mannheimer Großübung einzuordnen?

„Unsere Sicherheitsarchitektur steht heute vor ganz neuen Herausforderungen: Der internationale Terrorismus stellt nach wie vor eine abstrakte Bedrohungslage dar. Die Digitalisierung öffnet Einfallstore für Cyberkriminalität. Darüber hinaus können wir nach wie vor Opfer klassischer Großschadenslagen durch Gasmangel, Stromausfall oder Unwetter werden. Darauf müssen wir unsere Sicherheitspolitik einstellen und fokussieren“, sagte Innenminister Thomas Strobl. „Das Land Baden-Württemberg tut dies mit zahlreichen Großübungen von Polizei und Bevölkerungsschutz, vernetzt über viele Ministerien und nachgeordnete Behörden hinweg. Allein 2019 findet eine Vielzahl verschiedenster größerer Übungen statt, mit denen wir unsere Strukturen zur Bewältigung besonderer Schadenslagen einem Belastungstest unterziehen. Sie sind damit ein fester Bestandteil der Arbeit von Feuerwehr, Rettungsdienst, Bevölkerungsschutz und Polizei – und ganz wichtige Grundlage zur bestmöglichen Aufstellung des Landes in diesem Bereich.“ 

Video – Pressetermin: Behörden in Baden-Württemberg üben in Mannheim für den Fall eines bioterroristischen Anschlags. IM Thomas Strobl spricht zu MedienvertreterInnen

 

Die Arbeit von Strobl wird vom Ministerpräsidenten anscheinend unterstützt:

 „Vorsorge zu treffen ist in vielen Bereichen unerlässlich, so auch im Katastrophenschutz. Es ist uns wichtig, dass wir auf den Ernstfall so gut wie möglich vorbereitet sind, auch wenn wir inständig hoffen, dass er nicht eintritt“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Die Grünen) im Anschluss an eine kürzlich stattgefundene Sitzung des Ministerrats.

Wie die Landespresse berichtet will Innenminister Strobl noch in diesem Jahr ein sogenanntes präventives Sicherheitskonzept für diese Gefahrenlagen einbringen. Für diese Ziel will er „lokale Sicherheits-konferenzen“ regelmäßig durchführen. Großübungen wie in Mannheim dienen diesem Ziel.

Welche konkreten Ziele verfolgt Innenminister Strobl?

Im Oktober dieses Jahrs wird eine noch größere Übung als in Mannheim stattfinden. Am Bundeswehr-Standort Stetten am Kalten Markt wird es eine Großübung mit 2000 Einsatzkräften geben

Die Übung läuft als Terrorismus-Abwehr-Übung BWTEX. Das Besondere hierbei ist, dass der Einsatz der Bundeswehr mit Beteiligung von Feuerwehr, Rettungsdiensten, Bevölkerungsschutz, und Polizei erprobt wird.

Dem Ziel, die Bundeswehr grundsätzlich auch im „Inneren“ einzusetzen, will Innenminister Strobl näherkommen. Dieses Ziel hat der Innenminister auch gegenüber der Presse in Mannheim geäußert. Da er weiß, dass der Einsatz der Bundeswehr politisch umstritten ist und auch die Verfassungskonformität angezweifelt wird, hat er gleich schon mal angekündigt: „Natürlich im Rahmen des Grundgesetzes.“

Ein weiteres Thema von Strobl ist der freiwillige Polizeidienst. Laut Koalitionsvertrag soll dieser auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt werden. Die CDU fordert, dass die Polizei-Freiwilligen nicht nur uniformiert, sondern auch bewaffnet werden. Noch scheint dies ein Streitpunkt innerhalb der Koalition zu sein.

Unter Berücksichtigung all dieser Fakten kann man zu der Feststellung kommen: Großübungen wie in Mannheim und in Stetten am Kalten Markt sollen zum weiteren Ausbau des Sicherheitsstaates genutzt werden. Sie führen nicht zu mehr Sicherheit, sondern tragen zur Militarisierung der Gesellschaft bei. Konkretes Ziel der Oppositionskräfte in gewählten Parlamenten und von zivilgesellschaftlichen Bündnissen sollte sein, den generellen Einsatz der Bundeswehr im Innern und die Einführung eines bewaffneten Polizeifreiwilligendienstes mit demokratischen Mitteln zu verhindern.  

 (Bericht: Roland Schuster / Fotos und Video: Christian Ratz)

Fotogalerie:




Straßenbahnen der RNV machen Reklame für die Bundeswehr

Keine Straßenbahn in Tarnfarben mit irreführenden Parolen!

Öffentlichen Personennahverkehr nicht für Rekrutierungsversuche der Bundeswehr missbrauchen!

Seit Februar 2019 rollt eine Straßenbahn durch Mannheim in den Tarnfarben der Bundeswehr (gesehen auf der Strecke der Linie 3 – Fotos: Otto Reger). Das ist offensichtlich ein weiterer Versuch im verzweifelten Bemühen der Bundeswehr, ihre mangelnde Attraktivität zu überwinden und Soldatinnen und Soldaten zu rekrutieren.

Die Werbeslogans auf der Straßenbahn sind längst bekannt, denn sie werden auf riesigen Flächen an viel frequentierten Stellen platziert. Neu ist hingegen, dass die StraßenbahnnutzerInnen notgedrungen für die Bundeswehrwerbung instrumentalisiert werden. Man hat keine Möglichkeit, sich gegen die einseitigen Behauptungen der Bundeswehr zu wehren.

Es ist nicht nachvollziehbar, warum sich die Mannheimer Verkehrsbetriebe auf einen derart fragwürdigen Werbevertrag eingelassen haben. Der Rüstungshaushalt ist der zweithöchste Etatposten und ein Großteil davon, wird für die Waffenbeschaffung und Personalaufstockung verwendet. Stattdessen wollen wir die zivile Konfliktbearbeitung stärken und den Ausbau des ÖPNV.

Wer sich über die für das Militär werbende Straßenbahn ärgert, sollte den Ärger nicht runter schlucken. Besser wäre es, der RNV telefonisch oder schriftlich mitzuteilen, dass sie den Vertrag mit der Bundeswehr kündigen soll. 

Die Bundeswehr genießt eine Vorzugsbehandlung. Wenn wir als pazifistische und antimilitaristische Organisation ürunser Positionen und für Kriegsdienstverweigerung werben wollten, würde die RNV das ablehnen. In den „Fragen und Antworten für die Fahrzeugwerbung“ lehnt die RNV „politische Werbung und/oder religiöse Inhalte“ nämlich ab.

Schon seit langem wirbt die Bundeswehr auf Jobmessen und in Karriereveranstaltungen an Hochschulen und konfrontiert jede und jeden zusätzlich auf Plakatwänden und an Bus- und Bahnhaltestellen mit ihren irreführenden Behauptungen. Sie agiert gemäß der bewährten Strategie: Wenn Behauptungen nur lange genug wiederholt werden, sind sie irgendwann im Gedächtnis verankert und werden nicht mehr hinterfragt. Beispielsweise fand es eine Dame von der RNV-Hotline nicht ungewöhnlich, dass die Bundeswehr mit Straßenbahnen für Personal wirbt. Sie sei ein Arbeitgeber wie jeder andere. Genau das gaukelt uns die Bundeswehr schon seit Jahren vor und hat damit insbesondere bei Menschen unter 18 Jahren Erfolg. 
Die UN-Kinderrechtskonvention verbietet es aber, Menschen unter 18 Jahren zu rekrutieren, was die Bundeswehr allerdings missachtet.

Was bei den Kriegseinsätze der Bundeswehr (euphemistisch Auslandseinsätze genannt) tatsächlich passieren kann, belegt die beklemmende Schilderung eines Oberstabsgefreiten. Er war in Afghanistan in Kampfeinsätzen und beschreibt seine Todesängste ehrlich.

Zu den Gefahren, denen die SoldatInnen in den Kriegseinsätzen ausgesetzt sind, gehört die besonders fatale Verletzung in Form der posttraumatischen Belastungsstörung (PTB). Sie äußert sich u. a. in Angstzuständen und Panikattacken. 1600 Bundeswehrsoldaten sind wegen einer solchen Störung in Behandlung, wobei man nicht weiß, wie hoch die Dunkelziffer ist. Wer sich bei der Bundeswehr getraut Angst zuzugeben, ist als Weichei schnell abgestempelt. SoldatInnen, die bei der Bundeswehr einen Antrag auf Entlassung und Unterstützung wegen einer PTB stellen, geraten oft in Beweisnot und müssen lange „abwarten und Tee trinken“, bis ihr Antrag auf Entschädigung (eventuell) genehmigt wird.

Angesicht solcher Fakten muss man die Bundeswehr-Behauptung „Grünzeug ist auch gesund für deine Karriere“ als eine Lüge bewerten.

„Krisenherde löschst du nicht mit Abwarten und Teetrinken“, behauptet die Bundeswehr. Tatsächlich verbringen die SoldatInnen etwa in Afghanistan einen großen Teil ihrer Einsatzzeit im Feldlager und gehen nur unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen auf Patrouillenfahrten. Den früher behaupteten offenen und intensiven Kontakt zur afghanischen Bevölkerung gibt es schon lange nicht mehr. Die Bundeswehr wird heute als Besatzer und nicht als „Brunnenbauer in oliv“ wahrgenommen.

Die Aussage, „Mach was wirklich zählt“, ist anmaßend und steht im Gegensatz zur Kriegsrealität in Afghanistan und dem gescheiterten und teuren Versuch Frieden und Sicherheit durch Waffeneinsatz und SoldatInnen zu garantieren. Heute konzentriert sich die Bundeswehr nach ihrem seit 18 Jahren andauernden Einsatz in Afghanistan darauf, das afghanische Militär auszubilden. Dass das gelingt, ist mehr als fraglich, denn die UNO hat unlängst Zahlen über die zivilen Toten in Afghanistan veröffentlicht. Leider nicht überraschend ist die steigende Zahl von Toten, die zu einem großen Teil Opfer von Taliban oder IS sind. Erstaunlich und erschreckend ist auch, dass die Zahl derjenigen steigt, die bei Luftangriffen der USA oder afghanischen Luftwaffe getötet wurden.

Wir fordern die RNV auf, den Werbevertrag mit der Bundeswehr zu beenden.

(Presseerklärung der DFG-VK Mannheim-Ludwigshafen zur Bundeswehr-Werbung auf einer RNV-Straßenbahn vom 12.03.2019 / Otto Reger)

 




Schlachtfeld Inland – Die Bundeswehr bekämpft mangelnde Zustimmung mit offensiver Plakatpropaganda

Seit August konfrontiert uns die Bundeswehr an häufig frequentierten Orten wieder mit einer reißerischen Plakataktion. Dabei versucht sie wie üblich, das Kämpfen und Töten aufgrund eines (höheren) Befehls bei der Bundeswehr als einen Beruf wie jeden anderen darzustellen. Gelockt wird wie auch beim Einsatz auf Messen und bei Schulveranstaltungen mit vermeintlichen Karrierechancen. Bei der aktuellen Aktion und stellt dabei die Begriffe „Führen“ und „Kämpfen“ in den Vordergrund.

Die DFG-VK MA-LU engagiert sich gegen die Propaganda der Bundeswehr, die man in Mannheim beim „Tag der Bundeswehr“ auf dem Bildungscampus der Bundeswehr in Neuostheim besonders intensiv erleben konnte, mit der Aktion „Kein Tag der Bundeswehr„. Dort präsentierte sich die Bundeswehr mit Leopard-Panzer und anderen Großwaffen und setzte gezielt auf die faszinierende Wirkung von Technik gerade bei jungen Menschen. Dass Soldatinnen und Soldaten töten müssen und selbst getötet oder verletzt werden können, lässt die Bundeswehr bewusst im Hintergrund und instrumentalisiert positiv besetzte Begriffe und Werte wie Abendteuer, Verteidigen und Kameradschaft.

Als wir vom Mannheimer Morgen um eine Stellungnahme zu den Plakaten gebeten wurden, hat der Sprecher der Gruppe, Otto Reger, darauf hingewiesen, dass die Bundeswehrwerbung reißerisch ist und die Gefahr für Leib und Leben verschweigt der Soldatinnen und Soldaten verschweigt. Er hat auch darauf hingewiesen, dass das Problem der Bundeswehr genügend zu Rekrutinnen und Rekruten zu bekommen, ein deutliches Zeichen dafür ist, dass die Bundeswehr in der Bevölkerung nicht akzeptiert ist. Frieden schaffen mit Waffen wollen die wenigsten und Auslandseinsätze wie in Afghanistan oder im Kosovo lehnt die Bevölkerung in Meinungsumfragen seit vielen Jahren immer wieder ab (ebenso wie Rüstungsexporte).

Die DFG-VK engagiert sich auch bei der Computerspiel-Messe Gamescom. Das ist umso wichtiger, weil die Bundeswehr auch bei dieser Gelegenheit offensiv für Militär und Waffen wirbt. Was dabei auf der letzten Gamescom gelaufen ist, beschreibt der Artikel „Bundeswehr auf der gamescom: Protest gegen die Verharmlosung des Dienstes an der Waffe“. Man findet ihn auf der dfg-vk.de-Seite über das Menü „Unsere Themen Anti-Militarisierung“.

Schlachtfeld Inland
Die Bundeswehr bekämpft mangelnde Zustimmung mit offensiver Plakatpropaganda

Seit August konfrontiert uns die Bundeswehr an häufig frequentierten Orten wieder mit einer reißerischen Plakataktion. Dabei versucht sie wie üblich, das Kämpfen und Töten aufgrund eines (höheren) Befehls bei der Bundeswehr als einen Beruf wie jeden anderen darzustellen. Gelockt wird wie auch beim Einsatz auf Messen und bei Schulveranstaltungen mit vermeintlichen Karrierechancen. Bei der aktuellen Aktion und stellt dabei die Begriffe „Führen“ und „Kämpfen“ in den Vordergrund.

Die DFG-VK MA-LU engagiert sich gegen die Propaganda der Bundeswehr, die man in Mannheim beim „Tag der Bundeswehr“ auf dem Bildungscampus der Bundeswehr in Neuostheim besonders intensiv erleben konnte, mit der Aktion „Kein Tag der Bundeswehr“. Dort präsentierte sich die Bundeswehr mit Leopard-Panzer und anderen Großwaffen und setzte gezielt auf die faszinierende Wirkung von Technik gerade bei jungen Menschen. Dass Soldatinnen und Soldaten töten müssen und selbst getötet oder verletzt werden können, lässt die Bundeswehr bewusst im Hintergrund und instrumentalisiert positiv besetzte Begriffe und Werte wie Abendteuer, Verteidigen und Kameradschaft.

Als wir vom Mannheimer Morgen um eine Stellungnahme zu den Plakaten gebeten wurden, hat der Sprecher der Gruppe, Otto Reger, darauf hingewiesen, dass die Bundeswehrwerbung reißerisch ist und die Gefahr für Leib und Leben verschweigt der Soldatinnen und Soldaten verschweigt. Er hat auch darauf hingewiesen, dass das Problem der Bundeswehr genügend zu Rekrutinnen und Rekruten zu bekommen, ein deutliches Zeichen dafür ist, dass die Bundeswehr in der Bevölkerung nicht akzeptiert ist. Frieden schaffen mit Waffen wollen die wenigsten und Auslandseinsätze wie in Afghanistan oder im Kosovo lehnt die Bevölkerung in Meinungsumfragen seit vielen Jahren immer wieder ab (ebenso wie Rüstungsexporte).

Die DFG-VK engagiert sich auch bei der Computerspiel-Messe Gamescom. Das ist umso wichtiger, weil die Bundeswehr auch bei dieser Gelegenheit offensiv für Militär und Waffen wirbt. Was dabei auf der letzten Gamescom gelaufen ist, beschreibt der Artikel „Bundeswehr auf der gamescom: Protest gegen die Verharmlosung des Dienstes an der Waffe“. Man findet ihn auf der dfg-vk.de-Seite über das Menü „Unsere Themen Anti-Militarisierung“.

Otto Reger, DFG-VK, mannheim.dfg-vk.de




Werben für’s Sterben? Der „Tag der Bundeswehr“ wirbt am Samstag in Mannheim für den Dienst an der Waffe

Flyer des Friedensplenum Mannheim zu Protesten gegen den „Tag der Bundeswehr“

Eine Panzerhaubitze und der berüchtigte Leopard 2 Panzer werden bereit stehen, Fallschirmjäger sollen abspringen und das Transportflugzeug A400M wird über staunende Gesichter hinweg fliegen. Dazu gibt es kühle Drinks und kulinarische Leckereien, fette Beats und live Musik auf der Bühne und natürlich viel Spaß für die Kleinsten, die mit einem „abwechslungsreichen Kinderprogramm“ unterhalten werden. „Infotainment“ nennt die Bundeswehr ihre Werbeveranstaltung im Stil eines Familienfestes, die am Samstag den ganzen Tag über auf dem Gelände des Bildungszentrums der Bundeswehr in Neuostheim stattfinden wird. Mit mehr als 10 000 Besucher*innen wird offenbar gerechnet. Leben und Tod scheinen hier ganz nah beieinander, wenn die Veranstaltung mit den Motto „Bildung trifft auf Action“ beginnt.

Weitere Programmpunkte werden von der Bundeswehr wie folgt angekündigt: „Ein facettenreiches Infotainment erwartet die Besucher auf der Großbühne. Gespräche mit Eurofighterpiloten, Diensthundeführern, international erfolgreichen Sportsoldaten und sicherheitspolitischen Experten sowie Live-Schalten in ein Einsatzgebiet der Bundeswehr und mehrere musikalische Darbietungen werden die Besucher von morgens bis abends unterhalten.“ Für die Dauer der Großveranstaltung wird ein Teil der Seckenheimer Landstraße gesperrt, teilte die Stadt Mannheim mit.

Aus dem Pressekit zur Veranstaltung: Fallschirmjäger in Aktion | © Bundeswehr

Auffällig ist, wie viele zivile Organisationen die Kriegspropaganda unterstützen. Die Stadt ist offiziell mit Bürgermeister vertreten, viele Organisationen werden Infoständen aufbauen. Die Popakademie kooperiert eng mit der Veranstaltung und schickt ihre Nachwuchskünstler*innen an die Front. Berührungsängste scheint es kaum zu geben, wenn die zum töten ausgebildeten Soldaten freundlich in ihre Vorzeigeakademie einladen. Ein entspannter, frühsommerlicher Samstag für die ganze Familie?

Besonders bitter ist die Tatsache, dass solche Werbeveranstaltungen in Form eines Familienfestes gezielt Kinder für den Dienst an der Waffe begeistern. Die mühselige Erziehungsarbeit pädagogischer Fachkräfte zur gewaltfreien Konfliktlösung wird hier an einem Nachmittag ad absurdum geführt. Was bleibt bei den Kleinen nach einer solchen Militärschau hängen? „Schaut her Kinder, die wirklich schwierigen Konflikte löst man immer noch am besten mit einer großen Kanone.“

Doch es gibt auch Widerspruch gegen den „Tag der Bundeswehr“. Das Mannheimer Friedensplenum und die DFG-VK, unterstützt von VVN-BdA, Die Linke, Die Partei und Friedensbündnis Heidelberg rufen zum Widerstand gegen die Werbeshow des Heeres auf. Neben einer Mahnwache am Hauptbahnhof sind auch Infostände, Musik, Flugblatt- und Transparentaktionen am Gelände geplant. Gut, dass nicht alle in dieser Stadt dem „Werben für’s Sterben“ kritiklos gegenüber stehen.

(cki)

Weitere Infos beim Friedensplenum Mannheim: http://www.frieden-mannheim.de