Erdoğans Angriffe und das Schweigen der Bundesregierung

Während die große Aufmerksamkeit auf den Ukraine-Konflikt gerichtet ist, fliegt der NATO-Partner Türkei erneut völkerrechtswidrige Angriffe in seinen Nachbarländern: Die Türkische Luftwaffe bombardiert seit letzter Woche wieder kurdische Stellungen in Nordsyrien (Rojava) und im Nordirak (Südkurdistan).

Einige Tage zuvor hatte der sogenannte „Islamische Staat“ (IS) in einer großangelegten Offensive versucht, gefangene IS-Kämpfer in Nordsyrien zu befreien. Bei beiden Angriffen kamen Duzende Menschen ums Leben, zudem gab es viele Verletzte. Ob es nur Zufall ist, dass beide Angriffe zeitlich fast zusammenfielen, darf bezweifelt werden. Die Kollaboration zwischen Erdoğans Türkei mit diversen dschihadistischen Terrororganisationen wie dem IS ist jedenfalls kein Geheimnis.

Das Schweigen der Bundesregierung

An vielen Orten in Deutschland gab es Protestaktionen. Ich habe mich an einer Kundgebung in Mannheim beteiligt. Trotz der vielen Proteste und der alarmierenden Berichte aus der Region schweigt die Bundesregierung zu diesen Angriffen. Dabei sind die kurdischen Strukturen ein wichtiger Faktor im Kampf gegen den IS und andere dschihadistische Terrororganisationen. Mehr Stabilität in dieser Region bedeutet auch mehr Sicherheit in Europa. Warum aber gibt es keine Reaktion der Bundesregierung in dieser Frage, wie es sie etwa beim aktuellen Ukraine-Konflikt gibt? Warum wird es toleriert, wenn die angegriffenen Menschen Kurden sind, und weshalb werden völkerrechtswidrige Verstöße der Türkei derart ignoriert?

Neue Koalition, alte Türkei-Politik?

Die Regierungskonstellation und die Besetzung des Außenministeriums mögen sich geändert haben, aber die Politik gegenüber der Türkei und den Kurden hat es bislang nicht. Die Bundesregierung wahrt weiterhin ihre Treue zum NATO-Partner Türkei, und auch jüngste Verlautbarungen aus dem Bundesinnenministerium lassen darauf schließen, dass es auch in Deutschland keine Änderung in der Haltung gegenüber kurdischen Organisationen geben wird.

Ich fordere die Bundesregierung auf, endlich die völkerrechtswidrigen Angriffe der Türkei klar und deutlich zu verurteilen! Es wird endlich Zeit, dass die deutsche Außenpolitik in Bezug auf Erdoğan zu einer werteorientierten Politik findet!

Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages hatten bei den militärischen Angriffen der Türkei zwischen dem 14. und dem 17. Juni 2020 im Nordirak Verstöße gegen das Völkerrecht bestätigt (Quelle). Doch schon damals schwieg die Bundesregierung zu den Übergriffen ihres Bündnispartners, so wie sie es heute wieder tut. Deutschland unterstützt das Erdoğan-Regime – politisch, wirtschaftlich und militärisch. Die Bundesregierung lässt Völkerrechtsbrüche durch die Türkei unkommentiert geschehen.

Zugleich nehmen die Repressionen in der Türkei gegen Oppositionelle und Medienschaffende weiter zu. So hat die türkische Medienaufsichtsbehörde RTÜK es nun auch auf ausländische Medien abgesehen. Sie verpflichtete diese Woche ausländische Medienhäuser, darunter die Deutsche Welle und euronews, kurzfristig eine Sendelizenz zu beantragen. Kommen sie der Aufforderung nicht nach, werden sie gesperrt.

Durch diese neuerliche Einschränkung der Presse- und Medienfreiheit wird die freie und demokratische Willensbildung in der Türkei weiter eingeschränkt. Ich finde das alarmierend und frage mich: Wie lange will die Bundesregierung noch wegschauen, anstatt deutlich Position zu beziehen für Demokratie und Frieden in der Türkei und der Region?

Gökay Akbulut – 12. Februar 2022




Türkei bombardiert kurdische Städte in Nordirak und Rojava – Protestkundgebung am vergangenen Mittwoch

Die türkische Luftwaffe hat in der Nacht auf den 2. Februar das Dorf Beqil in Rojava und mehrere Ziele in Sindschar bombardiert. Auch das Geflüchtetencamp Makhmour im Nordirak ist betroffen.

Am Mittwoch den 02.02.2022 fanden in 25 Städten dazu Protestkundgebungen statt, unter anderem auch in Mannheim. Rund 70 Protestierende trafen sich auf dem Vorplatz des Mannheimer Hauptbahnhofes. Neben den kurdischen Redner:innen sprach auch die Mannheimer Bundestagsabgeordnete der LINKE Gökay Akbulut.

Gökay Akbulut:
„Während gerade alle Welt auf die Ukraine schaut hat die Türkei erneut Ziele im Nordirak und in Rojava völkerrechtswidrig angegriffen. Wir werden diese Luftangriffe nicht hinnehmen. Der Luftraum über dem Irak und Syrien muss sofort geschlossen und die Bevölkerung geschützt werden. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie sich hier klar positioniert und alles für die Sicherheit und den Frieden in dieser Region tut!
Stattdessen aber versorgt die Bundesregierung die Türkei mit Waffenlieferungen. Sie unterstützt das Erdogan-regime damit, und zwar politisch, wirtschaftlich und militärisch. Eine Abkehr von dieser Politik lässt die neue Außenministerin Baerbock bisher missen. Es wird endlich Zeit, dass die deutsche Außenpolitik in Bezug auf Erdogan und die Kurdinnen und Kurden wieder zu einer werteorientierten Politik zurückkehrt!“

GA




„Şengal-Rat warnt vor 75. Genozid an Eziden“ (ANF-News vom 24.11.2020)

Für Dienstag, 24.11.2020, hatten die kurdischen Vereine und Gesellschaften kurzfristig im ganzen Bundesgebiet zu dezentralen Kundgebungen gegen die Zuspitzung der Lage in Şengal (Nord-Irak/Süd-Kurdistan) und zum Gedenken an den Völkermord an den Jesidinnen und Jesiden im Sommer 2014 durch die Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) und gegen drohende neue Genozide an der ezidischen Bevölkerung in Şengal aufgerufen. In Mannheim fand eine Kundgebung am 24.11.2020 um 18.00h auf dem Paradeplatz statt. Es sprachen Vertreter der kurdischen Vereine und ein Vertreter der Partei die Linke, zugleich auch namens der Mannheimer Bundestagsabgeordneten der Linken, Gökay Akbulut.

Unmittelbarer Anlass der Kundgebung ist ein Abkommen zwischen der irakischen Zentralregierung und der Führung der autonomen Region Kurdistan im Irak unter Kontrolle der PDK (Bazani). Danach sollen an den Vertretungen der ezidischen Bevölkerung in der Region vorbei, die Handlanger der Türkei und der Expansionspolitik Erdogans in Nahost die Kontrolle über das Gebiet übernehmen. Die irakische Zentralregierung hat Militär nach Şengal verlegt und die PDK (Bazani) hat bewaffnete Kräfte dort zusammengezogen. „Der Großteil der Ezidinnen und Eziden steht der PDK misstrauisch oder gar feindlich gegenüber. Hintergrund ist der kampflose Rückzug der PDK-Peschmerga am 3. August 2014, als die Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) einen Genozid und Femizid in Şengal verübte.“ (ANF)

 

Dagegen hatte sich der Autonomierat von Şengal (MXDŞ) mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit gewandt. Der Autonomierat stellt darin u.a.fest:

„Die Ezidinnen und Eziden sind heute in der Lage, ihre Selbstverteidigung ohne Intervention von außen zu gewährleisten. Wir sind bei der Verteidigung unserer Existenz nicht auf die Anwesenheit fremder Truppen angewiesen. Im Übrigen handelt es sich bei denjenigen, die heute die militärische Oberhand in Şengal beanspruchen, um jene Kräfte, die sich dem IS-Überfall durch Flucht entzogen haben. Unser Volk ist nicht im Mindesten auf Konfrontation aus. Aber sollte es zu Angriffen auf unsere Errungenschaften kommen, werden wir unser legitimes Recht auf Selbstverteidigung ausüben“.

Was mit dem Abkommen geplant ist, beurteilt der Autonomierat wie folgt – geplant ist:

„- Der Bruch des Willens der ezidischen Bevölkerung, was gleichbedeutend mit der Auslöschung der Selbstverteidigung Şengals ist,

– Verhaftung der Ezidinnen und Eziden, die gegen den IS kämpf(t)en,

– Die Beschlagnahme der Waffen, die bei der Verteidigung Şengals zum Einsatz kommen,

– Die Trennung der Verbindungen zwischen den einzelnen Dörfern, Vierteln und Städten durch die Einrichtung von Kontrollpunkten,

– Die Einkesselung heiliger ezidischer Stätten und Stationierung fremder Streitkräfte durch Belagerung der Grenzen Şengals,

– Die Wiederansiedlung von ehemaligen arabischen Bewohnern, die dem IS bei der Tötung, Verschleppung und dem Verkauf von Ezidinnen und Eziden auf Sklavenmärkten Schützenhilfe leisteten.

Unsere Bevölkerung muss handeln.“

Zusammenfassend lassen die einzelnen Punkte den Schluss zu, dass es sich bei einer Umsetzung des Abkommens um den 75. Genozid an der ezidischen Gemeinschaft handeln würde. Der MXDŞ ruft die kurdische und internationale Gemeinschaft auf, umgehend aktiv zu werden: „Das, was die Dschihadisten des IS nicht vollenden konnten, wird durch das von der irakischen Regierung erlassene Dekret faktisch zum Gesetz. Unser Volk in allen Teilen Kurdistans und die politischen Parteien müssen handeln, um das neue Ferman (Genozid) zu verhindern.“

OMÍERAT VON ŞENGAL (MXDŞ)

(Alle Zitate nach ANF News, „Şengal-Rat warnt vor 75. Genozid an Eziden“ v. 24.11.2020)

 

Kundgebung am 24.11. in Mannheim gegen den erneut drohenden Völkermord an den Ezid*innen .

 

Der Vertreter der Linken forderte u.a. dass sich der Drahtzieher hinter den verbrecherischen und völkerrechtswidrigen Angriffsaktionen im Nahen-Osten, Erdogan, und sein Militärapparat, hinter die Grenzen der Türkei zurückziehen müssen. Darauf mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln hinzuwirken ist Aufgabe der deutschen Bundesregierung, der EU und der Vereinten Nationen, die den Völkermord an den Eziden geschlossen verurteilen. Die Waffenlieferung an und die politische Unterstützung der Expansionspolitik der Türkei durch Deutschland müssen sofort beendet werden. Bei allen Verfahren vor internationalen und nationalen Gerichten gegen IS-Mitglieder ist auch wegen des Völkermordes an der ezidischen Bevölkerung zu ermitteln und zu verurteilen. Geflohene Ezidinnen und Eziden in Deutschland müssen mit ihren Familien sofort und ohne schikanöse Verfahren einen gesicherten Status in Deutschland erhalten.

cc (Bild: KIM)

 




Kommentar: Die Türkei vor den Wahlen – Eine kritische Bestandsaufnahme deutsch-türkischer Beziehungen und Informationen über den Wahlkampf

Die Mannheimer Initiative „Nein zum Krieg – Solidarität mit Afrin“ lud am 30.05.18 zu einer Vortragsveranstaltung mit Gökay Akbulut (MdB Die Linke und Stadträtin in Mannheim) und der HDP-Abgeordneten im Exil Nürsel Aydogan ins Bürgerhaus Neckarstadt-West ein. Anstelle von Frau Aydogan, die wegen eines Terminkonflikts absagen musste, sprach die in Mannheim lebende Fatos Göksungur, HDP-Koordinatorin für Europa und Deutschland, zu rund 20 VortragsteilnehmerInnen.

 

 

 

 

EU-Partner Türkei befindet sich einen Schritt entfernt vor der Bildung einer islamistisch-faschistischen Feudalherrschaft

 

Roland Schuster

Die Begrüßung der Gäste erfolgte durch Roland Schuster, Sprecher der Initiative „Nein zum Krieg – Solidarität mit Afrin“ in Mannheim. Selbstkritisch stellte er fest, dass die Bewerbung der Veranstaltung mangelhaft erfolgte. „Die Kommunikation innerhalb der Initiative hätte deutlich besser sein müssen. Viele Partner der Initiative seien derzeit wegen des Wahlkampfes in der Türkei ressourcen-technisch anderweitig gebunden.“ 

 

 

 

 

 

 

Gökay Akbulut informierte über die Gründung der Initiative in Mannheim und deren Wunsch nach der Vortragsveranstaltung.

 

Die Türkei befindet sich seit längerer Zeit in einer immer weiter anschwellenden wirtschaftlich- und gesellschaftspolitischen Krise. Es brodelt im Land. Davon betroffen sind auch die Interessen deutscher Kapitalanleger, allen voran, die von deutschen Banken, die in der Türkei als Investoren tätig sind. Rund 7.000 deutsche Firmen sind in der Türkei in der einen oder anderen Weise aktiv. Rüstungskonzerne, wie Rhein-Metall und Heckler und Koch, profitieren von den großzügigen Exportgenehmigungen der ehemaligen und aktuellen Bundesregierung.

Am 24.06.18 finden in diesem Land vorgezogene Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Kritiker der amtierenden AKP-Regierung sagen, dass der türkische Präsident Recep T. Erdogan den Versuch unternimmt das Land unter seine Alleinherrschaft stellen zu wollen und unter Einsatz aller erlaubten und unerlaubten Mittel Bestrebungen hat ein fundamentalistisch-islamitisches Regime dauerhaft zu manifestieren. Die Unterstützung des türkischen Wahlkampfs in der BRD (welcher durch die Bundesregierung verboten wurde) durch u.a. von DITIB-geführten und meist aus der Türkei finanzierten Moscheen bleibt ein weiterexistierendes Problem im bestehenden demokratischen Wertesystem Deutschlands.

Zwei große Bündnisse ringen im aktuellen Wahlkampf in der Türkei um Mehrheiten. Dem Bündnis aus AKP und MHP auf der einen Seite und der CHP und Partnern auf der anderen Seite werden, nach aktuellen Umfragen, jeweils 40-45% der Wählerstimmen zugerechnet. Die HDP gehört keinem dieser Bündnisse an und versucht, nach 2015, auch in diesem Jahr deutlich über die 10%-Hürde bei den Wahlen zu kommen. Der HDP ist hierbei das Entscheidende Zünglein an der Waage. Kommt die HDP nicht in das Paralment, so werden die HDP-Sitze auf Grund des tüürkischen wahlsystems fast alle an die AKP fallen. Erdogan und seine AKP hättemn damit die absolute Mehrheit. Erdogan setzt deshalb alles daran, die HDP aus dem Paralament rauszuhalten.

Den „Flüchtlingsdeal“ zwischen der Türkei und der EU 2016 beschlossen, wonach bis zu 6 Mrd. Euro in das Land über mehrere Jahre verteilt fließen, gilt es weiter kritisch zu beobachten. Kommen diese horrenden Geldsummen bei den Geflüchteten an? Es regen sich Stimmen, dass dies nicht der Fall ist.

Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg der Türkei in Nord-Syrien (Militär-Offensive „Olivenzweig“) und die jahrelangen militärischen und repressiven Massnahmen gegen die kurdische Bevölkerung im eigenen Land werden bei den Wahlen auch eine maßgebliche Rolle spielen.

Fairplay im Wahlkampf?

In Europa leben ca. 3,5 Mio. wahlberechtigte türkische oder türkisch-stämmige BürgerInnen. Rund 1,6 Mio. davon alleine in Deutschland. Bei den letzten Wahlen in der Türkei 2015 lag die Wahlbeteiligung dieser Bevölkerungsgruppe in der EU bei ca. 38%. Beobachtern zufolge besteht hier noch Potenzial nach oben, unabhängig davon welche Partei präferiert wird. Aus diesem Umstand heraus, erhofft sich auch die HDP Vorteile beim Wählervotum 2018. Viele Oppositionspolitiker befinden sich seit dem gescheiterten Putschversuch gegen die amtierende Regierung, vermeintlich durch die Gülen-Bewegung betrieben; jedoch bis dato nicht bewiesen, in türkischer Haft oder im Exil, wie Nürsel Aydogan (PM aus dem Wahlkreis Diyarbakir). Auch der Spitzenkandidat der HDP für die Wahlen 2018, Selahattin Demirtaş, befindet sich seit 2016 in Haft. Inwieweit es gelingen wird WahlkampfbeobachterInnen in den Wahllokalen zu platzieren und wie von einigen Quellen befürchtet einer gezielten Stimmenmanipulation wirksam entgegengewirkt werden kann, bleibt derzeit offen.

Fakt ist:

Sämtliche Wahlurnen, die z.B. in Deutschland in einem türkischen Konsulat mit Stimmzetteln gefüllt wurden, werden unter limitierter Aufsicht von benannten Beobachtern an einen Flughafen begleitet. Die Auszählung der Stimmen erfolgt in der türkischen Hauptstadt Ankara. Diese Auszählung sollte dort von OECD-BeobachterInnen gewährleistet sein. Mit einem formellen Wahlergebnis ist ca. eine Woche nach dem Ende der ersten Wahlperiode zu rechnen. Besondere Aufmerksamkeit kommt den gleichzeituig laufenden Präsidentschaftswahlen zu. Der Präsident hat nämlich ab der nächsten Legislaturperiode allumfassende Macht und steht klar über dem Parlament. Bei der Volksabstimmung im April 2017 haben die Wähler mit knapper Mehrheit für die Umwandlung des seit 1920 bestehenden parlamentarischen Regierungsystems in ein Präsidialsystem gestimmt. Erreicht Erdogan nicht die absolute Mehrheit der Stimmen, so gibt es einen zweiten Wahlgang. Und auch dann wäre Demirtas von der HDP das Zünglein an der Waage. Nach den vorliegenden Prognosen wird es für die AKP/MHP und für Erdogan nicht für die absolute Mehrheit reichen. Allerdings trauen viele politische Beobachter Erdogan jede Art von Wahlfälschung zu. Ob so oder so. es wird spannend werden und die politische Eskalation in der Türkei wird wieder einmal zunehmen. Bis an den Rand eines Bürgerkrieges, befürchten nicht Wenige.

Wahlmöglichkeiten für registrierte WählerInnen bestehen in der EU im Zeitraum 07.-19.06.18. In Deutschland können in 13 Wahllokalen (mehrheitlich in türkischen Konsulaten) Wahlberechtigte ihre Stimmen abgeben.

 

 

(Kommentar und Fotos: Christian Ratz)




Kurdische Kundgebungen in Mannheim: „Solidarität mit Efrin“

 Kurden*Innen aus dem Rhein-Neckar-Raum riefen vergangene Woche an vier Tagen zu Kundgebungen am Mannheimer Hauptbahnhof auf, um gegen die türkische Militäroffensive in Nordsyrien zu demonstrieren, die ausschließlich gegen die dort lebende Bevölkerung und kurdische Kampfverbände, die von den Regierungen in den USA und Deutschland unterstützt werden, gerichtet ist. Rund 80 Personen nahmen an der Kundgebung am 24.01. teil. Die Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut (Die Linke) aus Mannheim zählte zu den Rednerinnen. Die Ansprachen wurden zum überwiegenden Teil in deutscher Sprache gehalten.

Deutliche Kritik an die Adressen der türkischen und deutschen Regierungen

Eine Rednerin des Exekutivkomitees der PYD Partei – NAV-DEM Mannheim, kritisierte mit scharfen Worten das Vorgehen türkischer Streitkräfte in Nordsyrien. „Seit Jahren wird die Stadt Efrin zuerst vom syrischen Militär und nun durch die Streitkräfte der Türkei bombardiert“. Ein Großteil der Bevölkerung ist geflohen. Aktuell sollen sich in der Stadt zu den verbliebenen Einwohnern noch rund 500.000 syrische Binnenflüchtlinge aufhalten. Efrin wurde als das kurdische Vietnam bezeichnet. Tagtäglich wächst die Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung, wie verschiedene Medien berichten. Die deutsche Bundesregierung wurde dafür kritisiert das „Terrorregime von Erdogan“ mit Leopard-Panzern beliefert zu haben, die im aktuellen Konflikt zum Einsatz kommen.

Appelliert wurde an die internationale Staatengemeinschaft und die UNO nicht länger mehr schweigend zuzuschauen, sondern der Militäragression ein Ende zu bereiten.

Andere Redner mahnten dazu sich daran zu erinnern, welche Verdienste kurdische Kampfverbände der YPJ und YPG bei der Befreiung der Städte Mosul und al-Raqqa und damit im Kampf gegen IS errungen hätten. Unverständnis wurde darüber geäußert, dass die Regierungen in Washington und Berlin dem militärischen Treiben tatenlos zusehen würde, obschon beide Regierungen die kurdischen Kämpfer*Innen in der Vergangenheit militärisch und logistisch unterstützt hätten.

„Afrin – Afrin“-Rufe wurden begleitet von Musik laut.

Grenzenlose Solidarität

 In ihrer Rede versicherte Gökay Akbulut den Kurden in Mannheim, in der Bundesrepublik Deutschland und in Europa die unbegrenzte Solidarität ihrer Partei, Die Linke, im Kampf um Freiheit und Autonomie.

Sie bekräftigte die bereits schon zuvor geäußerte Kritik an der militärischen Intervention der türkischen Regierung.

Akbulut teilte mit, dass es diese Woche auf Antrag der Linksfraktion eine aktuelle Stunde im Deutschen Bundestag zum Thema Türkei geben wird.

 

(Bericht und Bilder von Christian Ratz)

 

Weitere Bilder des Tages:




[Videobeitrag] „Afrin ist nicht allein“ Antikriegsdemo des Kurdischen Gemeinschaftsverein

Videobeitrag. Am Samstag, 20. Januar gingen hunderte Menschen gegen den Angriff der türkischen Armee auf die nordsyrische Stadt Afrin auf die Straße. Der Kurdische Gemeinschaftsverein Rhein-Neckar hatte aufgerufen. Hunderte Kurdinnen und Kurden trafen sich zur Kundgebung vor der Abendakademie Mannheim und zogen anschließend zum Alten Messplatz. Ein Specher des Kurdischen Vereins erläutert die Hintergründe der Veranstaltung.

(cki)


Wenn das Video nicht richtig angezeigt wird, hier klicken

Siehe auch: Antikriegsdemo nach türkischen Militärschlägen: „Afrin ist nicht allein“ [mit Bildergalerie]




Erdogans Politik befördert den Terrorismus

Im Wortlaut von Sevim Dagdelen, Deutschlandfunk, 12. Dezember 2016

Quelle http://www.sevimdagdelen.de

Sevim Dagdelen MdB

Sevim Dagdelen hat dem türkischen Präsidenten Recep Erdogan vorgeworfen, sich einer politischen Lösung im Konflikt mit den Kurden zu verweigern. Damit steige die Gewalt. „Die Politik des Präsidenten dämmt den Terrorismus nicht ein, sie befördert ihn eher“, sagte die Linken-Politikerin im Deutschlandfunk.

Bettina Klein: Ein Thema, das sich vermutlich diese Woche jetzt aufbauen wird in Brüssel, das ist die Frage: Weiter Gespräche führen mit der Türkei über eine EU-Mitgliedschaft oder nicht. Am Donnerstag EU-Gipfeltreffen, heute begegnen sich die EU-Außenminister. Das Europaparlament hatte das Einfrieren der Gespräche empfohlen, das aber ist nicht bindend. Die EU-Kommission unter anderem ist anderer Meinung. All dies nun gerade in dieser Woche unter dem Eindruck weiterer verheerender Anschläge in der Türkei und einer sich weiter verschärfenden innenpolitischen Situation.

Mitgehört hat Sevim Dagdelen. Sie gehört der Linksfraktion im Deutschen Bundestag an und ist auch Mitglied in der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe. Schönen guten Morgen.

Sevim Dagdelen: Schönen guten Morgen.

Klein: Frau Dagdelen, beginnen wir mit den jüngsten Entwicklungen und mit den Anschlägen in Istanbul. Muss die türkische Regierung jetzt alles dafür tun, solche Anschläge in Zukunft zu verhindern?

Dagdelen: Zunächst einmal muss man sagen, der Anschlag ist zutiefst zu verurteilen und diese Gewaltakte sind auch abscheulich und wirklich durch nichts zu rechtfertigen. Dieses sinnlose Töten von Menschen muss dort aufhören. Aber ich habe da meine Zweifel bezüglich der Strategie der türkischen Regierung, weil es zeigt sich, dass die Politik des türkischen Staatspräsidenten den Terrorismus in der Türkei eben nicht eindämmt, sondern eigentlich eher befördert, weil es ist auch so, dass sich das hochschaukelt, und je energischer er vorgibt, gegen die PKK im Südosten des Landes vorzugehen und den Krieg gegen die Kurden auch zu befördern, umso mehr regt sich auch der Widerstand dagegen, gegen das Regime, und auch der gewalttätige Widerstand leider.

Insofern glaube ich, es führt nichts an der Lösung vorbei, die nur politisch erfolgen kann, und das schien er selbst ja auch zu wissen, weil er mit der PKK selbst die Friedensverhandlungen begonnen hatte, und es gibt keine andere Lösung als eine politische Lösung.

Klein: Das kann sein. Gleichzeitig sagen Sie auch, Frau Dagdelen, das lässt sich durch nichts rechtfertigen, und wenn so was in Deutschland passieren würde, ein Anschlag mit 38 oder 39 Todesopfern und über 150 Verletzten, würden wir auch zunächst mal fragen, wie kann man Menschen davor schützen. Was muss die türkische Regierung tun, um solche Anschläge in Zukunft zu verhindern?

Dagdelen: Zunächst einmal muss man ja sagen, offensichtlich ist sie nicht in der Lage, die Bevölkerung zu schützen, weil das ist ja unter den größten Sicherheitsvorkehrungen in der Türkei passiert. Es ist eine Alarmbereitschaft, eine landesweite, es gibt eine erhöhte Alarmbereitschaft in 82, glaube ich, Bezirken in der Türkei. Gerade die Polizei wird dazu aufgerufen, hier in diesem Kampf mitzumachen. Und wenn es auch Istanbul trifft und nicht nur die Spirale der Gewalt täglich im Südosten des Landes stattfindet, wo die türkischen Sicherheitskräfte ja wirklich barbarisch auch gegen den Teil der Bevölkerung dort vorgehen und bis hin zu 500.000 Flüchtlinge ja produziert hat, die vertrieben worden sind aus ihren Häusern, muss man sagen, der Staat ist nicht dazu in der Lage, die Sicherheit der Bevölkerung sicherzustellen, weil selbst in Hochburgen das passiert.

Das ist ja auch die Botschaft dieses Anschlags, dieses Doppelanschlags, dass nichts sicher ist, der natürlich auch auf die Ökonomie gerichtet ist. Und wenn man wirklich diese Spirale der Gewalt beenden möchte und diese Logik der Gewalt, dann muss man zum Friedensprozess wieder übergehen.

Ich befürchte aber, dass selbst die Bundesregierung beispielsweise hier auch noch auf diese Logik der Gewalt setzt, statt irgendetwas dafür zu tun, dass die Friedensverhandlungen wieder begonnen werden in der Türkei. Wir wissen aus jahrzehntelangen …

Klein: Frau Dagdelen, Entschuldigung! Die Attentäter nehmen das ja offensichtlich gerade in Kauf. Sie nehmen nicht nur Todesopfer in Kauf, sondern sie nehmen auch in Kauf, dass sich das innenpolitische Klima weiter verschärft, und haben damit nichts erreicht, sondern das Gegenteil dessen, was sie vielleicht möchten.

Dagdelen: Ja natürlich! – Na ja, was heißt möchten? Man weiß nicht, was sie möchten. Offensichtlich möchten sie keinen Friedensprozess, die Attentäter. Offensichtlich möchten sie nicht, dass die Vertreterinnen und Vertreter der Kurden, die jetzt ja überall in Haft gesteckt werden beispielsweise, hier aus dieser Eskalationsstufe oder Eskalationsspirale herauskommen.

Dieser Anschlag ist wie jede andere Gewalt meiner Meinung nach abzulehnen und zu verurteilen. Aber die Generation der Kurden, die letzte Generation der Kurden, die bereit ist, diesen Konflikt auch ohne Gewalt zu lösen, die ist in den letzten Wochen und Monaten illegal verhaftet worden. Und wenn man in der Türkei weiterhin Menschen wegsperrt, die an einer friedlichen Lösung der Konflikte in der Türkei interessiert sind, tut der türkische Staatspräsident nichts anderes, als diese Geister zu wecken, die diese Attentate begehen und eine neue Welle der Gewalt auszulösen.

Es bringt halt nichts. Es gibt keine militärische Lösung in der Kurden-Frage. Es kann nur politisch gelöst werden und deshalb muss auch die Bundesregierung und auch die Europäische Union alles in ihrer Macht stehende tun, um wieder die Friedensverhandlungen in der Türkei in der Kurden-Frage irgendwie zu befördern.

Klein: Was heißt das denn Ihrer Meinung nach für die jetzt wieder anstehende Frage, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei oder Gespräche mit ihr fortführen oder einfrieren?

Dagdelen: Ich glaube, es ist wirklich völlig absurd und man macht sich auch lächerlich und völlig unglaubwürdig, wenn man jetzt weiter Beitrittsverhandlungen mit einer Diktatur führt, ein Land, wo systematisch laut Vereinten Nationen, Human Rights Watch und anderen Menschenrechtsorganisationen wieder systematisch Folter angewandt wird. Ich denke nicht, dass es sinnvoll ist, mit einem Folterstaat Beitrittsverhandlungen zu führen. Wir haben EU-Gesetze, wir haben Kriterien, die erfüllt werden müssen. Dies ist genau das Gegenteil, was in der Türkei passiert. Es wird auch immer instabiler, der Bürgerkrieg tobt, es gibt eine aggressive Außenpolitik, den Einmarsch in Syrien und in Irak beispielsweise durch die Türkei. Insofern halte ich es für mehr als richtig, dass das Europaparlament die Beitrittsgespräche mit der Türkei einzufrieren beschlossen hat. Ein „weiter so!“ darf es nicht geben. Aber ich halte es auch für eine falsche Entscheidung des Europäischen Parlaments, jetzt für die Erweiterung der Zollunion zu stimmen.

Klein: Frau Dagdelen, das hat ja nur empfehlenden Charakter gehabt. Am Wochenende haben sich noch einmal mehrere Europaabgeordnete auch noch mal in diese Richtung geäußert. Die EU-Kommission möchte die Gespräche aber weiter führen.

Heute EU-Außenministertreffen in Brüssel und Österreich hat bereits angedeutet und wohl auch die Niederlande, dass sie da, ähnlich wie es in Ihrem Sinne wäre, das blockieren.

Ist auf der anderen Seite dort auch ein großes Sprengpotenzial Ihrer Meinung nach vorhanden innerhalb der Staaten der Europäischen Union, wenn es um diese Frage geht?

Dagdelen: Ich finde, man muss wirklich unterscheiden, weil man immer sagt, Gespräche weiterführen etc. Es ist nicht so, wenn man die EU-Beitrittsverhandlungen jetzt auf Eis legt und einfriert, aufgrund der Situation in der Türkei, und das wäre wirklich EU-rechtskonform, weil die EU-Gesetze sagen, Voraussetzungen für weitere Beitrittsverhandlungen sind Fortschritte in bestimmten Kriterien, Stichwort Kopenhagener Kriterien auch in Sachen Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Und wir haben ja genau den rückläufigen Trend in der Türkei. Man wird aber nicht durch eine Einfrierung der EU-Beitrittsgespräche den Dialog komplett beenden oder Gespräche beenden.

Es gibt ja vielfache Zusammenarbeit mit der Türkei und ich bin auch dafür, dass man unbedingt einen Dialog führt. Auch mit einer Diktatur muss man außenpolitisch fähig sein, Dialoge zu führen. Aber ist es ein Beitrag zum Frieden dort, oder ist es ein Beitrag zur Befriedung der Türkei, die jetzt immer in instabilere Zeiten hereinschlittert? Ich glaube, es ist kein Beitrag zum Frieden, weil es eher ein Beitrag dafür ist, dem türkischen Staatspräsidenten den Rücken zu stärken, das Regime zu stärken, und insofern halte ich es für fatal, hier weiterzumachen.

Klein: Die Meinung von Sevim Dagdelen. Sie gehört der Linksfraktion im Deutschen Bundestag an und ist auch Mitglied in der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe. Frau Dagdelen, danke für Ihre Zeit heute Morgen.

Dagdelen: Ich danke Ihnen, Frau Klein.

Deutschlandfunk, 12. Dezember 2016