Migrationsgeschichten: Die schrittweise de facto Abschaffung des Grundrechts auf Asyl

Gökay im Gespräch mit Seán McGinley, Geschäftsführer beim Flüchtlingsrat Baden-Württemberg. Er beobachtet den jahre- und jahrzehntelangen Prozess der immer weiteren Aushöhlung und de facto Abschaffung des Asylrechts. Die große Koalition hat in den letzten Jahren zahlreiche Gesetze verschärft und Bedingungen verschlechtert. Auch die Landesregierung in Baden-Württemberg folgte diesem Kurs. Was muss getan werden, dass sich die Situation und die gesellschaftliche Entwicklung wieder ändert? Darüber sprechen Gökay und Seán und suchen Perspektiven für eine menschlichere Asylpolitik.




Flüchtlingsrat Baden-Württemberg protestiert gegen Abschiebung aus Schule und Kindergarten

Zur Abschiebung einer Mannheimer Familie nach Albanien (KIM berichete) hat sich nun auch der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg zu Wort gemeldet und gegen das Vorgehen der Behörden protestiert.

Vorweihnachtliche Abschiebung aus Schule und Kindergarten

Baden-Württemberg schiebt entgegen Aussagen der Landesregierung aus Bildungseinrichtungen ab

Am Montag, 10. Dezember wurde ein elfjähriger Junge aus der Johannes-Kepler-Gemeinschaftsschule in Mannheim von der Polizei abgeholt und zusammen mit seiner sechsjährigen Schwester, die aus dem Kindergarten geholt wurde, den Eltern und einem weiteren Kind nach Albanien abgeschoben. Der Mannheimer Morgen berichtet, dass der Junge unter Tränen von der Polizei abgeführt wurde und dass zwei Lehrer und eine Sozialarbeiterin zwei bis drei Tage damit beschäftigt waren, die Mitschüler*innen zu beruhigen.

„Abschiebungen aus Schulen und Kindergarten sind in besonderem Maße unmenschlich, weil sie die Funktion dieser Einrichtungen als geschützte Orte für Kinder und Jugendliche durchbrechen und, wie auch in diesem Fall deutlich wurde, ein ganzes Umfeld mittraumatisieren“, erklärt Seán McGinley, Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg.

Den in den Medien zitierten Äußerungen der Polizei ist zu entnehmen, dass dies nicht die erste Abschiebung aus einer Schule war. Dies ist aus Sicht des Flüchtlingsrats vor allem deshalb brisant, weil die Landesregierung gerade erst letztes Jahr behauptet hat, Abschiebungen aus Schulen würde es in Baden-Württemberg nicht geben. „Als wir im Sommer 2017 in Zusammenarbeit mit der Bildungsgewerkschaft GEW einen Leitfaden zum Thema ‚Was tun bei (drohender) Abschiebung aus Schulen?‘ herausgaben, wurde uns seitens des damaligen Staatssekretärs im Innenministerium, Martin Jäger, entgegengehalten, in Baden-Württemberg würde nicht aus Schulen abgeschoben, und dies sei auch künftig nicht geplant. Das stimmt offensichtlich nicht oder zumindest nicht mehr“, so McGinley.

Unterdessen hat die Stadt Mannheim am 17. Dezember eine Pressemitteilung herausgegeben, in der angekündigt wurde, die Stadt würde sich um die Verleihung des Siegels „Kinderfreundliche Kommune“ bewerben und hierzu „einen Aktionsplan erstellen, um junge Menschen in Mannheim besser zu schützen, zu fördern und zu beteiligen“. Der Flüchtlingsrat ist der Meinung, dass ein Verzicht auf Abschiebungen aus Schulen und Kindergärten ein unverzichtbarer Bestandteil eines solchen Plans sein muss.

Dass die Eltern der betroffenen Familie beide in der Pflege arbeiteten, macht aus Sicht des Flüchtlingsrats den ganzen Vorgang vor dem Hintergrund des geplanten „Fachkräfteeinwanderungsgesetzes“ noch unverständlicher. „Wie schon vor wenigen Wochen bei der Abschiebung der mazedonischen Krankenschwester Amela Memedi aus Neckargemünd könnte man fast schon meinen, die Behörden wollten diese Menschen schnellstmöglich loswerden, bevor sie möglicherweise bald eine Perspektive auf einen gesicherten Aufenthalt erhalten“, so McGinley.

In früheren Jahren, zuletzt 2012/13, gab es einen Winterabschiebestopp für die Westbalkanstaaten, wo Abgeschobene häufig auf der Straße landen, wenn sie keine Familienangehörige haben, bei denen sie wohnen können. „Selbst dieses Mindestmaß an Rücksicht ist scheinbar zu viel verlangt. Die Aussicht, im Wettlauf der Hardliner um eine möglichst hohe Anzahl von Abschiebungen möglichst gut abzuschneiden, ist offenbar jedes Mittel Recht – nicht einmal vor Grundschulen und Kindergärten machen die Abschiebefanatiker halt“, so Seán McGinley.

Chronik der Unmenschlichkeit

Der Flüchtlingsrat weist darauf hin, dass es dieses Jahr eine Vielzahl an Abschiebungen von besonders unmenschlichen Abschiebungen in die Länder des Westbalkans gegeben hat. Hierzu gehören:

17. Januar, Wolfschlugen, Landkreis Esslingen: Abschiebung der mazedonischen Familie Bajrami nach 25 Jahren in Deutschland, ohne ihre 16-jährige Tochter.

8. Februar, Freiburg: Eine kosovarische Familie wird durch Abschiebung getrennt: Die Mutter und der volljährige Sohn werden abgeschoben, der Vater und die minderjährige Tochter bleiben in Deutschland.

10. April, Herbrechtingen, Landkreis Heidenheim: Abschiebung der mazedonischen Familie Bislimov ohne ihre schwerbehinderte 18-jährige Tochter, die aus gesundheitlichen Gründen nicht abgeschoben werden durfte und in einem Heim lebt.

13. April, Freiburg: Abschiebung einer 17-jährigen kosovarischen Schülerin vier Tage vor Beginn ihrer Schulabschlussprüfungen. Sie hatte für die Zeit nach dem Schulabschluss bereits ein Ausbildungsplatz gefunden.

16. April, Stuttgart: Abschiebung des 69-jährigen pflegebedürftigen Parkinson-Patienten Slave Stojanovski nach Mazedonien, der mit Unterbrechungen seit 1969 in Deutschland lebte und eine Rente bezog.

16. April, Freiburg: Im Rahmen der Sammelabschiebung nach Serbien und Mazedonien wird eine alleinerziehende Mutter mit ihrem Kind abgeschoben. Die Frau hatte zuvor 18 Jahre in Deutschland gelebt.

27. September, Freiburg: Abschiebung einer mazedonischen Familie drei Tage bevor die älteste Tochter die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG erfüllt hätte. Die Ausländerbehörde hatte einen zuvor gestellten Antrag abgelehnt.

19. November, Neckargemünd, Rhein-Neckar-Kreis: Abschiebung der mazedonischen Krankenschwester Amela Memedi zusammen mit ihrem ebenfalls berufstätigen Ehemann. Drei Wochen vorher hatte sie bei einer Veranstaltung der Grünen in Heidelberg zum Thema Bleiberecht für erwerbstätige Geduldete gesprochen.

Seán McGinley sagt hierzu:

Diese Menschen sind Bauernopfer in einem zynischen politischen Spiel, sie sind der Kollateralschaden einer unsachlichen politischen und medialen Hysterie um ein vermeintliches ‚Vollzugsdefizit‘ bei Abschiebungen. Obwohl die Anzahl der Asylanträge von Menschen aus dem Westbalkan erheblich zurückgegangen ist und die meisten nach Ablehnung ihrer Anträge zurückgehen, um einer Abschiebung zuvorzukommen, hält die Landesregierung an diesen Sammelabschiebungen fest, die überwiegend Personen betreffen, die seit mehreren Jahren in Deutschland leben. Hier werden Existenzen und Lebensperspektiven zerstört und unaufhörliches Leid bei den betroffenen Personen und ihrem Umfeld erzeugt. Damit muss endlich Schluss sein! Ein Winterabschiebestopp muss her, die Sammelabschiebungen in den Westbalkan müssen eingestellt werden und es müssen Perspektiven zum Bleiberecht geschaffen und genutzt werden. Der aktuelle Umgang mit Geflüchteten aus dem Westbalkan ist beschämend und lässt jegliche Menschlichkeit vermissen.

(Flüchtlingsrat Baden-Württemberg)




Fachtagung: „Wie kommen wir zu einer solidarischen Einwanderungsgesellschaft?“ (mit Fotogalerie)

Die Partei Die Linke Baden-Württemberg veranstaltete am 26.05.18 in Mannheim eine Fachtagung, die sich mit den Themen Flucht, Asyl und Migration beschäftigte. Nach Veranstalterangaben nahmen an der Konferenz rund 80 Parteimitglieder und weitere Personen aus unterschiedlichen Teilen des Bundeslandes teil. In zwei Foren („Die Situation der Geflüchteten und Asylsuchenden“ – „Einwanderung in Deutschland“) wurde darüber diskutiert welche Handlungsmöglichkeiten in weiteren Gremien erarbeitet werden müssten. Impulsvorträge und eine abschließende Podiumsdiskussion ergänzten die Fachtagung.

 

 

 

Perspektiven von Einwanderung, Arbeitsplätze, Wohnen und Bildung

Gökay Akbulut (MdB und Stadträtin in Mannheim, Sprecherin für Migrations- und Integrationspolitik der Bundestagsfraktion) begrüßte die TeilnehmerInnen der Fachtagung und stimmte auf den Konferenztag mit der Vorstellung des Programms ein. Eine weitere Begrüßung und organisatorische Hinweise erfolgten durch Elli Brinkschulte (Kreissprecherin Mannheim).

 

Impulsvorträge stoßen auf großes Interesse

Michel Brandt

Zum Auftakt referierte Michel Brandt (MdB und Obmann im Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestag) über Flucht- und Migrationsursachen und den Kampf um Frieden und Menschenrechte. Brandt berichtete über Fluchtursachen die durch Lebensmittelspekulationen, Rohstoffausbeutung in Entwicklungsländern und durch Hunger- und Klimakatastrophen ausgelöst werden. Er kritisierte, dass beispielsweise ein Drittel der weltweiten Getreidemengen an der Börse in Genf zu Lasten von Kleinbauern in Armutsstaaten und ausschließlich zur Gewinnmaximierung einiger weniger Großkonzerne gehandelt werden. Als skandalös bezeichnet wurde es, dass europäische Lebensmittelkonzerne zur Befriedigung ihrer Kapitalinteressen Geflügel- und Schweinefleisch zu Dumpingpreisen in afrikanische Länder exportieren und damit lokale Märkte und Hersteller in den Ruin, in Armut und Hunger treiben. Bemängelt wurde, dass die Genfer Flüchtlings Konvention Hunger und Klimakatastrophen nach wie vor nicht als Fluchtursachen anerkennen. Kritik geübt wurde auch an Medien die in Europa und Deutschland zu oft eine „Flüchtlingskrise“ herbei schreiben würden. Nach aktuellen Zahlen des UNHCR (Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen), so Michel Brandt, befinden sich derzeit weltweit ca. 66 Mio. Menschen auf der Flucht. 80-90% der Geflüchteten sind sogenannte Binnenflüchtlinge bzw. fliehen in Nachbarländer. Von einer Flüchtlingskrise in Deutschland oder Europa zu sprechen sei daher vollkommen verfehlt. Vermutlich neu dürfte es für die meisten TagungsteilnehmerInnen gewesen sein zu hören, dass die USA und die EU den UN-Treaty boykottieren. Diese multilateralen Vereinbarungen der Vereinten Nationen sollen u.a. Lücken in bestehenden Gesetzgebungen in puncto Menschenrechte, Abrüstung und Umweltschutz beseitigen.

Christoph Cornides

Christoph Cornides (Mitglied im Landesverband Baden-Württemberg) informierte in seinem Redebeitrag über die Hintergründe und die Ideen, die zur der Fachtagung führten. Was will die Partei tun, um Handlungsanweisungen und Lösungsvorschläge zu erarbeiten damit anstehende Aufgaben zu lösen sind? Dies müsse seiner Meinung nach sowohl auf EU-, als auch auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene erfolgen. Weiter ging Cornides auf den Koalitionsvertrag der durch CDU/CSU und SPD geführten GroKo ein und verwies auf zwei Papiere in den Tagungsunterlagen. Diese Unterlagen beschäftigen sich parteiintern mit den Fragekomplexen „Für eine solidarische Einwanderungsgesellschaft“ und „Für das Recht auf Migration“. Er warb dafür, dass diese Thesenpapiere in den Arbeitsforen Berücksichtigung finden und im Nachgang der Tagung weiter thematisiert werden.

Der geplante Beitrag der Mannheimer Juristin Ruhan Karakul entfiel krankheitsbedingt.

Die Arbeitsforen

In Forum 1 ging es thematisch um „Die Situation der Geflüchteten und Asylsuchenden“ und in Forum 2 um „Einwanderung in Deutschland“. Auch in den Arbeitsgruppen wurden kurze Impulsvorträge von unterschiedlichen ReferentInnen gehalten. Nach intensiveren Diskussionen und nach der Unterbrechung durch die Mittagspause wurden mittels Kartenabfrage Handlungsmöglichkeiten und Lösungsvorschläge zu den diversen Themen erarbeitet und später im Plenum ausgestellt.

Seán McGinley (Geschäftsführer des Flüchtlingsrates Baden-Württemberg) berichtete in Forum 1 über die Situation im Bundesland und die Forderungen des Flüchtlingsrats. Der Rat besteht seit 30 Jahren, wurde und wird von vielen Institutionen immer als verlässlicher Partner geschätzt und erfuhr große Unterstützung. Durch die Verschiebung des politischen Klimas nach rechts im von den Grünen mit der CDU regierten Bundesland und durch die finanzielle Mittelkürzung durch die Landesregierung in Stuttgart wird die Arbeit des Flüchtlingsrats bedroht. In 2018 muss damit gerechnet werden, dass die Anzahl der angestellten MitarbeiterInnen von 8 auf 6 sinken wird. Jessica Tatti (MdB) und Clara Bünger (ehem. Koordinatorin für „Refugee Law Clinics Abroad“ und Mitarbeiterin von Gökay Akbulut) ergänzten mit eigenen Beiträgen die Arbeit in diesem Forum.

Seán McGinley , Clara Bünger, Jessica Tatti (v.l.n.r.)

Im Forum 2 sprachen Gökay Akbulut, Dr. Sabine Skubsch (Mitglied im Landesverband Baden-Württemberg und in der LAG Bildung) und Luigi Pantisano (Stadtrat in Stuttgart). Dr. Sabine Skubsch befasste sich schwerpunktmäßig mit den Themen Segregation, Ausgrenzung und Integration im Bildungswesen. In dessen Folge sei einer „ganzen Generation“ die Teilhabe an einer weitergehenden Bildung verweigert worden. Auch der eine oder andere Seitenhieb auf die AfD durfte hier nicht fehlen. Die rechtspopulistische Partei möchte in Baden-Württemberg keine Integration von Flüchtlingskindern in Regelschulen oder fordert, dass diese nur unter erschwerten Bedingungen erfolgen sollte. Skubsch mahnte einen bildungspolitischen Perspektivenwechsel und die Definition neuer bildungspolitischer Ziele an. Beispielhaft genannt: Migration als Normalität anerkennen und gestalten, kostenlose Kitas, Schule für alle ohne Ausnahme und unabhängig vom Aufenthaltsstatus und der erleichterte Zugang zur deutschen Sprache als eine wesentliche Voraussetzung zur gesellschaftlichen Teilnahme. Luigi Pantisano setzte den Fokus in seinem Referat auf das Thema Wohnen und beschrieb die Situation in Baden-Württemberg. Als sozial unverträglich genannt wurden die Mietpreise beispielhaft in hot-spot Städten wie Stuttgart oder Tübingen. Dort müssten Menschen oft bis zu einem Drittel ihres netto verfügbaren Einkommens für die Miete ausgeben. Gentrifizierung, der Mangel an Sozialwohnungen und die Schwäche vieler Gemeinderäte eine verbindliche Sozialquote bei Neuinvestitionen im Wohnungsbau einführen zu wollen, waren weitere Aspekte die beleuchtet wurden. Unter soziologischen Gesichtspunkten sprach der Referent über die Folgen der Kettenmigration und darüber welche Wichtigkeit ethnische Kolonien für Migranten haben, ohne diese mit Parallelgesellschaften verwechseln zu wollen. Pantisano sieht eine Diskriminierung und Benachteiligung von Migranten bei der Wohnungssuche und beim Erwerb von Immobilien, und dies unabhängig vom Einkommen oder Vermögen. Diese Beobachtung würde sich auch bei der Suche nach Schulen oder beruflichen Ausbildungsplätzen fortsetzen. Er findet, dass die Partei und die Gesellschaft die Chancen und Potentiale von Migranten erkennen muss, anstatt nach Defiziten und Problemen zu suchen. Den Begriff Migranten findet Luigi Pantisano für überholt und wünscht sich künftig diese gesellschaftliche Gruppe als „Neu-Deutsche“ oder „Deutsche Plus“ zu bezeichnen.

Podiumsdiskussion und vorläufiges Fazit

Moderiert wurde die Diskussion von Luigi Pantisano. PodiumsteilnehmerInnen waren Thomas Trüper (Stadtrat in Mannheim), Tobias Pflüger (MdB und verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion im Bundestag), Jessica Tatti und Gökay Akbulut.

Tatti und Akbulut fassten die wesentlichen Ergebnisse der beiden Foren, die nicht jeden Tagungsteilnehmer vollends zufrieden stellten, in kurzen Worten zusammen:

Der Flüchtlingsrat bleibt ein wichtiger Partner für die Partei, sowie für ehrenamtliche Flüchtlingshelfer und weitere Akteure in diesem Bereich. Die Unterbringung von Geflüchteten und die Wohnsituation von und für Migranten wird weiterhin in vielen Fällen als unbefriedigend eingestuft. Die Situation an EU-Außengrenzen wird als menschenunwürdig und desolat beschrieben. Frontex und Hot-Spot-Konzepte funktionieren in der Praxis nicht. Die Entwicklung von Dublin I zu IV brachte nur Verschlechterungen für Geflüchtete in der Europäischen Union. Wohnungs- und Arbeitsmarkt, sowie gelungene Integration und Bildung sind die primären Herausforderungen.

Tobias Pflüger

Tobias Pflüger benannte die Herausforderungen, die für die Partei während dieser Fachtagung in Mannheim entstanden sind und möchte diese beim Bundesparteitag im Juni 2018 in Leipzig weiter thematisieren. Baden-Württemberg nimmt weiter eine Vorreiterrolle bei Abschiebungen ein. Die grün-schwarze Landesregierung spricht sich bis dato und im Vergleich zu anderen Bundesländern nicht kategorisch gegen die Einrichtung sogenannter Anker-Zentren (Zentren für „Ankunft, Entscheidung, Rückführung“) für nach Deutschland Geflüchtete aus. Auch bei der Zunahme von Abschiebungen nach Afghanistan nimmt, so Pflüger, das Bundesland Baden-Württemberg eine Spitzenposition ein. Er berichtete von seinem kürzlich stattgefundenen Besuch gemeinsam mit Ursula von der Leyen in Kabul (Afghanistan), der nur unter allerhöchsten Sicherheitsmaßnahmen stattfinden konnte und fragte: „Ist dieses Land ein sicheres Herkunftsland?“ Er kritisierte die Waffenlieferungen der Bundesregierung an die Türkei und den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Türkei auf die kurdische Bevölkerung. Am Beispiel der Stadt Cizre in der Türkei (Nordanatolien; Grenzgebiet zu Syrien), die von türkischen Armeeeinheiten massiv angegriffen wurde und wonach im Anschluss die Anzahl der Asylantragsteller aus dieser Stadt in Deutschland, vor allem in Hamburg, nachweislich stark angestiegen sind, machte Tobias Pflüger eindrücklich auf die Problematik aufmerksam. Der Redner kritisierte die Bundesregierung scharf, was die Schaffung von Fluchtursachen angeht. Ebenso verantwortlich sei die EU-Politik in Brüssel für die Verschlechterung der Situation vieler Geflüchteter durch eine immer weiter voranschreitende repressive Asylpolitik.

Thomas Trüper

Wohnen, Bildung und Sicherheit waren die Themen, welche vom Kommunalpolitiker Thomas Trüper bei seinem Vortrag in den Vordergrund gestellt wurden. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum sei nicht Migranten und Geflüchteten in Mannheim geschuldet. Das Problem ist hausgemacht und werde von der linken Stadtratsfraktion seit Jahren intensiv bearbeitet. Nach zähen Verhandlungen stimmten die im Stadtparlament vertretenen Parteien mit knapper Mehrheit Anfang Mai 2018 (mit den Stimmen von SPD, die Grünen und die Linke) einer verbindlichen 30%-Quote zu. Steigende Geburtenraten und der Mangel an qualifizierten Lehrkräften und Sozialarbeitern sind ein weiteres Aufgabengebiet, welches auf kommunaler Ebene zusätzlichen bildungspolitischen Einsatz erfordert. Was die Sicherheit angeht, hob Trüper die kritische Situation mit einer Gruppe von etwa 30 unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten aus Maghreb-Staaten hervor. Diese hatten in 2017 hunderte von Taschendiebstählen im Stadtgebiet begangen. Erst nachdem ein Brandbrief des Mannheimer OB’s Dr. Peter Kurz (SPD) gerichtet an den Innenminister von Baden-Württemberg, Thomas Strobl (CDU), an die Öffentlichkeit gelangte, folgten Taten. Die minderjährigen Straftäter wurden bundesweit in geeignete Sozialaufnahmeeinrichtungen verlegt. Seitdem ist dieses Sicherheitsproblem für Mannheim gelöst. Thomas Trüper berichtete weiter, dass sich die Zahl der Geflüchteten in Mannheim mit ca. eintausend Menschen derzeit auf einem absoluten Tiefststand befindet. Im Vergleich dazu befanden sich 2015/2016 bis zu knapp 15.000 Geflüchtete in Landeserstaufnahme- und Bedarfseinrichtungen im Stadtgebiet. Als besondere Herausforderung bezeichnete Thomas Trüper in puncto Migration und Integration den Zuzug von rund 10.000 Menschen aus Bulgarien und Rumänien binnen der letzten 5 Jahre nach Mannheim. An dieser Stelle bestünde noch sehr viel Handlungsbedarf. Trüper skizzierte in einem Exkurs die destruktive Arbeit ehemaliger AfD-Mitglieder im Gemeinderat (ex-LKR (Liberal-Konservative Reformer) und jetzt „Bürgerfraktion“) an einem Beispiel wie versucht wird Ausländerfeindlichkeit und Alltags-Rassismus ins Stadtparlament zu transportieren. In der Frage (im Gemeinderat), ob es in Mannheim zu viele oder zu wenige Papierkörbe im öffentlichen Raum gäbe, soll der Sprecher der rechtspopulistischen „Bürgerfraktion“ gesagt haben (sinngemäss): „Wenn wir die (Menschen) nicht reingelassen hätten, dann müssten wir uns diese Frage nicht stellen“.

Einige Stimmen und Fragen von TagungsteilnehmerInnen in der Podiumsdiskussion:

  • „Wer schützt ehrenamtliche Flüchtlingshelfer und Menschen die in der Asylberatung tätig sind vor Übergriffen aus dem rechtsextremistischen Umfeld?“
  • „Man sollte als Partei mehr Solidarität mit dem BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) zeigen“
  • „Die Tagungsergebnisse blieben unter den Erwartungen; es konnten keine konkreten Resultate präsentiert werden“
  • „Gemeinsamkeiten in wichtigen Punkten müssen mit anderen Partnern gefunden werden. Neue Bündnisse gilt es zu schmieden.“
  • „Partei muss mehr gegen Fluchtursachen ankämpfen“

 

Unterstützt wurde die Tagung u.a. durch das Mannheimer Bündnis gegen Abschiebungen, Asylcafe Mannheim und Mannheim sagt Ja!.

 

(Bericht und Fotos: Christian Ratz

Tagungsprogramm und -unterlagen (in Auszügen für die Berichterstattung verwendet): Gökay Akbulut, Dr. Sabine Skubsch und Christoph Cornides, Die Linke Baden-Württemberg)

 

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