Gemeinderats-Wahlprogramm der CDU: Die CDU lässt vieles im Dunkeln und verkündet dies im „LUXX“

Nicht, dass wir hier eine echte Familie sehen. Es sind der und die Spitzenkandidat*in der CDU mit zwei Kindern. Aber es ist die Inszenierung einer „heilen Familie“ der gut gesättigten Mittelschicht mit der Enkelgeneration. Wenn die CDU „alles für die  (jungen) Familien“ zu tun verspricht, z.B. endlich ein neues Einfamilienhaus in Mannheim, dann geht es um dieses Milieu. Herr Rechtsanwalt und Frau Unternehmerin repräsentieren aber den Teil von Mannheim, der weniger auf kommunale Leistungen angewiesen ist als die Mehrheit. Allein 8 der 48 Kandidat*innen der CDU sind Jurist*innen.

Die CDU stellte Ende April ihr Programm für die Gemeinderatswahl im Bistro LUXX (Licht) der Kunsthalle vor. Der Raum ist städtisch, die Gastronomie an Privat verpachtet. So, wie z.B. der Betrieb der kommunalen Bürgerhäuser privatrechtlich den Trägervereinen überlassen ist. Letztere müssen sich mit wenigen Ausnahmen aber trotzdem  an das Neutralitätsgebot der Stadtverwaltung in Wahlkampfzeiten halten. Das Bistro der Kunsthalle nicht? Legal-Illegal-Scheißegal!

Teure PPP-Projekte: Reine Mogelpackung!

Eine Aussage, die der CDU besonders wichtig ist, steht auf Platz 1 ihrer 10 Punkte, „die den Unterschied machen – nur mit der CDU“: Stadtbibliothek: Ja, aber kein 85-Millionen-Prachtbau in N2. Unsere Stadtbibliothek braucht eine neue Heimat. Statt eines Prachtbaus aus Glas befürworten wir den Umbau eines geeigneten Bestandsgebäudes in zentraler Lage. Gleichzeitig werden wir die Bibliotheken der Stadtteile stärken und die begrünte Quartiersgarage in N2 erhalten.“ Die Wertigkeit einer neuen Bleibe für die in N1 und dem Dalberghaus sehr schlecht untergebrachte zentrale Stadtbibliothek ist also nicht besonders hoch. Der Blick auf die Glasfassade reicht, ins Innenleben braucht man erst gar nicht zu gucken. Es geht ja auch „nur“ um eine zentrale Bildungseinrichtung für alle Schichten und Altersgruppen der Bevölkerung und um ein offenes Kommunikationszentrum, das Medien aller Art beherbergen und die Medienkompetenz fördern soll. Der Verweis auf ein geeignetes Bestandsgebäude zielt – davon kann man ausgehen – auf die Sparkassenzentrale am Paradeplatz (im Kern 50er Jahre) ab, die irgendwann mal abgerissen und neu gebaut werden soll; dann allerdings mit wesentlich kleinerem Sparkassenteil, da ja der Kundenverkehr in Zeiten des online-bankings deutlich zurückgegangen ist. Der Rest würde dann vermietet und müsste den Neubau finanzieren. Damit verweist die CDU auf ein Grundstück, welches nicht der Stadt gehört und somit auf ein PPP-Projekt (Privat-öffentliche Partnerschaft). Das kennen wir von der Abendakademie: 30 Jahre Miete zahlen und sich über zu hohe Nebenkostenabrechnungen streiten, und danach: weiterzahlen! Die Alternative wäre: Ein eigenes Grundstück (Parkhaus N2) auf Darlehensbasis bebauen, 25 Jahre lang abbezahlen und dann eine eigene Immobilie besitzen. PPP-Projekte sind für die öffentlichen Partner immer und grundsätzlich teurer, denn der private Partner zielt ja darauf ab, sein Privatvermögen zu mehren. Dem steht eine öffentliche Sparkasse nicht nach.

Auch zum Carl-Benz-Stadion hat die CDU ihre eigene Meinung: Für sie steht es schon immer am falschen Platz, ob nun Regional- oder Zweite Liga. Der Fan-Lärm aus dem Stadion störe die Bürger*innen in Neuostheim. Statt das Stadion für 60 Mio. EUR zu sanieren will die CDU einen Neubau in der Nähe der SAP-Arena. Der Waldhof-Chef und -Sponsor Bernd Beez (neuer Kaufhof-Coeigentümer) soll das zahlen. Das läuft auf das gleiche Projekt wie die SAP-Arena hinaus: Der Private finanziert vor, die Stadt stottert ab und nennt nach z.B. 30 Jahren ein erneut sanierungsbedürftiges Stadion ihr Eigen.

Beides – die neue Zentral-Bibliothek und das neue Stadion wären dann haushaltsrechtlich „kredit-ähnliche Rechtsgeschäfte“ und müssten der städtischen Verschuldung zugerechnet werden. Davon spricht die CDU nicht, sie lässt das im Dunklen. Sie posaunt lieber weiter von dem von ihrer einstigen Gemeinderatsmehrheit eingeführten verlogenen „Netto-Neuverschuldungsverbot“.

Kitas, Schulen: „unabhängig von der Haushaltslage“? – Mogelpackung!

Keine Partei, die nicht sehr berechtigt nach endlich ausreichender Kitaversorgung und nach Schulsanierungen und -neubauten ruft. Die CDU brüstet sich: „Die Investitionen im Bereich Bildung auf einem hohen Niveau zu halten ist unser erklärtes Ziel – unabhängig von der Haushaltslage.“ Diese Kühnheit ist neu! Die Partei des jahrelangen Kämmerers und jetzigen Oberbürgermeisters Specht will investieren ohne Rücksicht auf die Haushaltslage? Will sie das Netto-Neuverschuldungsgebot vom Sockel stoßen? Das wäre eine bundesweite Sensation. Aber da gibt es ja noch andere Möglichkeiten: Wie wäre es beispielsweise mit weiteren Privatschulen in Mannheim? Aber die hätten auch Ansprüche auf öffentliche Förderung. Nur wäre ein Teil der Finanzlast der Stadt von den Schultern genommen. Den Eltern der Schüler*innen auf solchen Schulen nicht. Sie zahlen dann Schulgeld. Aber Rechtsanwalts- und Arzt-Familien können sich das leisten. Oder meint die CDU, die GBG-eigene BBS-GmbH, zuständig für Schul- und Kita-Bauten und -Sanierungen, komme ohne jährliche Zuschüsse der Stadt aus?

Bei der Kinderbetreuung ist das Mogelkonzept etwas anders gelagert. Hier will die CDU die Kirchen und freien Träger durch eine „angemessene Förderung“ für den Bau und Betrieb von Kitas gewinnen. Und bei der Schulkindbetreuung sollen Ehrenamtliche ran, Vereine. Das Problem ist nur, dass die Kirchen seit Jahren dabei sind, Kita-Plätze zu schließen, da sie aufgrund der zahlreichen Kirchenaustritte rückläufige Kirchensteuereinnahmen verzeichnen. Wenn die Förderung so erhöht wird, dass die Kosten vollständig öffentlich getragen werden – wo ist da der finanzielle Vorteil und die Unabhängigkeit von der Kassenlage? Auch private Bau- und Betriebsträger haben Anspruch auf öffentliche Zuschüsse, z.B. die schwedischen Bildungskonzerne, die den Kindergarten St. Nikolaus der katholischen Kirche abkaufen wollten. Selbst wenn ein Multimillionär auf die Idee kommt (wie schon geschehen), um seinen ganz persönlichen Nachwuchs herum über einen Verein den Bau einer Sport-Kita höchster Qualität zu organisieren, hat er diesen Anspruch auf öffentliche Förderung – unabhängig, wie hoch dann die Gebühren für die externen Kinder sind. Das können dann schon mal 900 bis 1.000 EUR pro Monat sein, wie in der privaten mehrsprachigen Kita auf Turley. Motto: „Weil jede Familie zählt“.

Ein besonderes Problem ist die Personalgewinnung für die Kinderbetreuung, „Erzieherinnen und Erzieher, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Logopäden, Ergotherapeuten in Quartieren mit besonderen Herausforderungen.“

Hier möchte die CDU kostenfreie Kinderbetreuung für Erzieherinnen und Erzieher sowie kostenlose Park(ierungs)ausweise erreichen. Wunderbar! Und wenn die Wohnraumbeschaffung für das angeworbene Personal nicht klappt? Dann helfen die Einfamlienhäuschen?

In der Kinderbetreuung, also der Familienpolitik, hat die CDU ihren systemrelevanten Bereich entdeckt. Und das Personal in den Kliniken, der Abfallwirtschaft, der Berufsfeuerwehr, des Abwasserbetriebs und, und, und? Familien sind auch auf diese Dienstleistungen angewiesen.

A propos Wohnraumbeschaffung: „Viele Familien verlieren wir dennoch leider ans Umland, weil sie in Mannheim keinen geeigneten und bezahlbaren Wohnraum finden. Die Wohnungsnachfrageprognose für Mannheim hat aufgezeigt, dass in Mannheim jährlich allein 225 bis 300 Einfamilienhäuser fehlen.“ Die gleiche Wohnraumbedarfsprognose, auf die sich die CDU hier offenbar bezieht (empirica: Wohnungsnachfrageprognose 2040 für die Stadt Mannheim) spricht von 650 bis 700 fehlenden Wohneinheiten in Mehrfamilienhäusern. Aber die CDU denkt schon auch an nicht so Reiche: Jedoch „festgeschriebene Quote für preisgünstiges Wohnen (…) lehnen wir weiterhin ab.“ Dafür schwelgt sie in Nostalgie: Sie empfiehlt:  „Das Thema Werkswohnungen verstärkt ins Blickfeld zu nehmen und zu fördern.“ Dies, nachdem auch das letzte Unternehmen sich von seinen Werkswohnungen getrennt hat, weil diese die Bilanzen mit unprofitablem Kapital aufblähen und die Kapitalquote senken. Der Wohnungsbestand des Dax-Unternehmens Vonovia besteht überwiegend aus den ehemaligen Werkswohnungen großer Konzerne (z.B. die Eisenbahnerwohnungen auf der Hochstätt). – Oder denkt die CDU an Errichtung von preisgünstiger „Werkswohnungen“ durch den „Konzern Mannheim“ für seine Mitarbeiter*innen? Das wäre für die CDU so abwegig, dass es nicht einmal das Dunkel braucht.

Welche Finanzpolitik verfolgt die CDU? Das wird sie erst nach der Wahl verraten.

Eines stellt die CDU in ihrem Programm klar: „Keine Erhöhung der Gewerbesteuer.“ Woher sonst soll aber das Geld kommen – auch für die geforderten Personalverstärkungen z.B. beim Ordnungsamt und bei der Straßenreinigung?  Erhöhung der Grundsteuer? Der Wunschpartner der CDU, die Mannheimer Liste, verlangt eine Senkung.

CDU-Kadidat*innen begegnen einem Arbeiter des Eigenbetriebs Stadt.Raum.Service.

Da wäre aber noch eine Einnahmequelle, von der sie wohlweislich nicht spricht: Die Gebühren! Die Gebühren für die Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvorsorge sind bis auf Wasser, Abwasser- und Müllentsorgung bei weitem nicht kostendeckend: Kitas, Bibliotheken, Schwimmbäder, Kultureinrichtungen, Parks, Sportplätze etc.pp.: Da könnte man ja an der Gebührenschraube drehen? Mit dem Luisenpark wurde schon begonnen: Nach der BUGA kostet die Jahreskarte 59 EUR statt zuvor 39 EUR.

Im CDU-Programm heißt es: „Eine auskömmliche nachhaltige Finanzierung unserer Stadtparks. Luisenpark und Herzogenriedpark sind die innerstädtischen grünen Lungen unserer Stadt und beliebte Ausflugsziele insbesondere für Familien mit kleinen Kindern. Auch in Zukunft müssen die Parks auskömmlich finanziert werden, um dauerhaft ein attraktives Angebot für die Mannheimerinnen und Mannheimer sicherzustellen.“ Fragt sich: Durch die dringende Erhöhung der kommunalen Betriebskostenzuschüsse oder durch weitere Erhöhung der Eintrittsgebühren oder durch Umwandlung des Herzogenriedparks in eine „öffentliche Grünfläche“ wie zu Corona-Zeiten?

Und nochmal Kita-Gebühren: Erzieher*innen sollen eine kostenlose Kinderbetreuung bekommen. Hat nicht der Gemeinderat längst beschlossen, dass die Kita-Gebühren für alle schrittweise entfallen sollen? Die CDU hat sich davon offensichtlich schon verabschiedet.

Und wie sollen die anhaltend hohen und noch zunehmenden noch gar nicht erwähnten Investitionskosten gedeckt werden? Bei Straßen und Brücken? Bei Fahrrad- und Fußwegen? In der Klimafolgenvorsorge? Für die Energiewende?

Die Idee der CDU und ihrer rechten Freunde im Gemeinderat ist bisher: Investitionen aus den laufenden Haushalten herauszuquetschen: Nettoneuverschuldungsverbot. Am besten noch „die Schulden senken!“. Ist in ihrem Wahlprogramm jetzt eine Abkehr von diesem Irrsinn versteckt? Auch bei aufmerksamer Lektüre bleibt die Lösung dieser Frage im Dunklen verborgen.

Dunkelheit auch um die Brandmauer gegen Ultrarechts / AfD. Wer „gehört nicht zu unserer Gesellschaft“?

Dass die CDU bei der Oberbürgermeisterwahl ihren Erfolg ohne die Wählerstimmen aus dem AfD-Lager niemals hätte erzielen können ist eine arithmetische Tatsache. Die funktionierte, ohne dass sich die nehmende CDU und die gebende AfD, die auf eine Kandidatur verzichtet hatte, je dazu öffentlich groß geäußert hätten. Das sollte im Dunkel bleiben. Und wie die bundesweit diskutierte Frage der „Zusammenarbeit von CDU und AfD auf kommunaler Ebene“ in Mannheim von der CDU zukünftig gesehen wird, bleibt in ihrem Kommunalwahlprogramm ebenfalls im Dunklen.

Zwar unterstützte die CDU die Kundgebung und die Plakate der Aktion „Nie wieder ist jetzt!“ Aber diese Unterstützung steht auf wackeligen Beinen: Wie kann es sein, dass die CDU sich folgenden Abschnitt in ihrem Wahlprogramm leistet:

„Mannheim ist eine seit jeher durch Vielfalt geprägte Stadt. Mannheim ist auch ein Ort von Heimat. Heimat ist der Ort für Identifikation. Wer jedoch Fundamente unseres Zusammenlebens wie die Gleichberechtigung der Geschlechter mit Füßen tritt, der gehört nicht zu unserer Gesellschaft.“

An wen ist hier gedacht? An Männer aller Nationalitäten und Schichten, die zu Hause ihre Frauen unterdrücken bis hin zur Gewaltanwendung? Oder an bestimmte in Mannheim lebende Bevölkerungsgruppen, deren Religiosität im Ruf steht, die Gleichberechtigung der Frauen zu missachten: Konservative Muslime? Konservative Juden oder gar Katholiken oder Evangelikale, die da der Meinung sind: „Die Frau sei dem Manne untertan, denn der Mann ist das Haupt der Frau“ (Bibel, Epheser 5, 21f)? Die Gleichberechtigung der Geschlechter ist IN der Gesellschaft erkämpft worden, und die CDU stand und steht beileibe nicht an der Spitze dieses Kampfes. Aber was heißt: „… der gehört nicht zu unserer Gesellschaft“? Gesellschaft ist immer voller Widersprüche, und Interessengegensätze werden innerhalb der Gesellschaft ausgetragen – am besten friedlich. Aber Ausschluss aus „unserer Gesellschaft“? Das ist eine Idee, die zuletzt von den völkischen Nationalsozialisten gegenüber „den Juden“ und „den Zigeunern“ als angeblichen „Untermenschen“ mörderisch praktiziert wurde. Ist die bei dem Geheimtreffen in Potsdam von Rechtsradikalen diskutierte „Remigration“ nicht der erneute Versuch des Ausschlusses aus „unserer Gesellschaft“?

Die AfD schrieb in ihrem Wahlprogramm 2019 (das für 2024 lässt sie scheinbar im Dunklen, wenn es überhaupt existiert): „Migranten mit Bleibeperspektive sind zu unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung zu erziehen, insbesondere auch zur Gleichberechtigung von Mann und Frau. Darüber hinaus sind sie in die deutschen Sitten und Gebräuche einzuführen. (…) Wir fordern eine Einbürgerungspolitik, bei der die Staatsbürgerschaft erst nach erfolgreicher Integrationsleistung der Betroffenen vergeben wird.“ (https://ma.afd-bw.de/Kommunales/stadtrat)

Hier hat die CDU ein Problem! Die Frage, wer gemeint ist, ist für beide Programme rein rhetorisch.

Und ganz wichtig für die Sauberkeit fordert die CDU: „Die Erneuerung der Hinweise zum Schutz von Grünflächen in Deutsch und in Fremdsprachen“ – damit die „Ausländer“ das auch kapieren.

Thomas Trüper

 




Rückschau auf die OB-Wahl und Ausblick auf die Gemeinderatswahl 2024

Knapp daneben ist auch daneben

Die 860 Stimmen, die Riehle in der „Neuwahl“ hinter Specht lag, sind wirklich nicht viel, gerade mal 1,19 Prozentpunkte. Aber sie sind bitter für diejenigen, die lieber den Kandidaten von Mitte-Links als neuen OB gesehen hätten anstelle des Kandidaten der vereinten Rechten, Christian Specht.

Die Wahlbeteiligung lag nochmal 1,34 Prozentpunkte hinter dem ersten Wahlgang. Ob das nun am extrem heißen Wetter lag (für die zahlreichen Briefwählenden irrelevant), an Anhänger:innen der vier chancenlosen Zurückgetretenen oder an schlichtem Frust – das bleibt alles Spekulation. Fakt aber ist: Mehr als zwei Drittel der Wahlberechtigten blieben auch in diesem Jahr der OB-Wahl fern – was kein neuer Trend ist. 2015 betrug die Wahlbeteiligung bei der Neuwahl 28,7%. Sehr vielen Menschen scheint es gleichgültig zu sein, der Oberbürgermeister dieser Stadt ist, „so lange alles läuft“. Gleichzeitig wird ja viel geschimpft über das, was läuft – und oft auch mit Berechtigung.

Wie haben sich die Wählenden der zwei Blöcke verhalten?
Specht hat in keinem einzigen Stadtbezirk bei der Neuwahl weniger Stimmen als im 1. Wahlgang erhalten. Er konnte insgesamt 4,24 Prozentpunkte zulegen. Das sind 947 Stimmen mehr. Die Möglichkeit, einen rechten OB durchzubekommen, war so naheliegend, dass auch noch die letzten Reserven ihr Kreuzchen machten.
Die Anhänger:innen eines Mitte-Links-OB (die Stimmen von Belser, Fojkar und Riehle) haben gegenüber dem 1. Wahlgang 0,01 Prozentpunkte abgenommen, in absoluter Zahl aufgrund der geringeren Wahlbeteiligung waren das dann 1.748 weniger Stimmen weniger. Insgesamt haben sich bei der Neuwahl dann doch die Wählenden der drei Mitte-Links-Spitzenkandidat:innen rechnerisch ziemlich vollständig versammelt, aber eben nur ziemlich. Dass die fehlenden Stimmen schwerlich bei den Riehle-Anhänger:innen aus der SPD zu suchen sind, leuchtet wohl ein. Wo die fehlenden Stimmen dann zu verorten und in welchen Gewichtsanteilen, ist wiederum spekulativ. Die zögerliche und verschwommenen Wahlempfehlungen der Grünen und des Linken-Wahlbündnisses haben auf jeden Fall das Zusammenstehen der Riehle-Wählenden nicht sprengen können und auch nicht wollen.

Vergleich des 1. Wahlgangs und der Neuwahl. Die drei stimmstärksten Kandidierenden links vom rechten Block sind beim 1. Wahlgang rechnerisch zusammengefasst. (Grafik: KIM)

Die Aufholjagd des Riehle-Lagers war jedenfalls beeindruckend. Im Kernbereich Innenstadt / Jungbusch und Gesamt-Neckarstadt konnte Riehle sogar gegenüber den Stimmen der drei Kandidat:innen aus dem 1. Wahlgang 258 Stimmen zulegen. Hier hat mglw. die intensive Mobilisierungsanstrengung v.a. der SPD Früchte getragen. Das „Dreierbündnis“ konnte bei der Neuwahl wie im 1. Wahlgang in fünf Stadtbezirken über 50% der Stimmen holen; bei der Neuwahl ging lediglich Friedrichsfeld an Specht verloren.

Nicht unbeachtet soll indes bei dieser hauchdünnen Entscheidung der Stimmenanteil der vier „kleinen Kandidaturen“ von PARTEI, Krone, Frey und Cakir bleiben, die zusammen im 1. Wahlgang 3.980 Stimmen (5,26%) erreichten. Über deren Verbleib bei der Neuwahl kann außer bei Cakir, der erneut kandidierte (1,31%), nur sehr vage spekuliert werden. Man könnte auch behaupten: Sie haben die Wahl entschieden, was aber die Bewertung der großen Blöcke nicht überflüssig macht.

Einfluss der Bundespolitik: Ein Elefant im Raum

Die weißen Flecken der Fernwärmeversorgung decken sich verblüffend mit den hohen Werten der rechten OB-Kandidatur von Christian Specht. Das „Stimmenwunder“ in Waldhof, Schönau und Käfertal und z.B. Riehles Wohnbezirk Rheinau gehört weit überwiegend zu den weißen Flecken. Zu beachten ist, dass die Karte nicht den status quo zeigt, sondern gleich noch die Ausbaugebiete als versorgt kennzeichnet. (Bild: MVV)

Wenn man bedenkt, dass Wahlen auch auf kommunaler Ebene für einzelne Parteien Höhenflüge oder das Gegenteil bringen, die mit der politischen Tätigkeit vor Ort nichts zu tun haben (es sei an den Fukushima-Effekt zum Vorteil der Grünen erinnert), so muss man ganz banal feststellen, dass im Vorfeld und während der Wahl ein gewaltiger Elefant im Raum stand, der kommunal nicht diskutiert wurde und nicht (oder nur schwer) beeinflusst werden konnte: Das „Heizungsgesetz“. Wer auf demokratische Aushandlungsprozesse keinerlei Vertrauen (mehr) hat und sie nur als ewiges Parteiengezänk sieht, hat sich für den Rest der Auseinandersetzung am 1. Entwurf festgeklammert und apokalyptische Investitionsbelastungen auf sich zukommen sehen. Das betraf aber nicht die Menschen, die im Einzugsbereich der Fernheizung oder neuer Nahversorgungssysteme leben, sondern diejenigen, die bisher auf Gas oder sogar Öl angewiesen sind, und damit von der Energiepreisinflation zusätzlich hart betroffen sind.  Es sind z.B. viele Ein- und Zweifamilienhaus-Besitzende.

Man kann sich vorstellen, wie

Friedrich Specht? Nennt sich Merz jetzt Specht oder nimmt Specht die politische Gestalt von Merz an? Ein echtes Weiß-nicht-Wurstfrühstück. (Bild KIM)

die Diskussionen an den Küchen- und Stammtischen in den betroffenen Gebieten gelaufen sind.  Grüne und SPD werden nicht profitiert haben. Gefundenes Fressen auch für die AfD, die gegen den ganzen „Klima-Quatsch“ blökt. In den genannten Regionen ist sie auch ohne den „Elefanten“ schon bei der Gemeinderatswahl 2019 jeweils über 10% gelegen.Christian Specht lud einen weiteren Propheten der Bremse gegen eine zielführende und sozial verträglichen Klimapolitik nach Mannheim ein.

 

 

Was man heute schon über die Kommunalwahl 2024 sagen kann und muss

Die AfD muss ans Tageslicht befördert werden, die CDU muss sich erklären

Specht ist nicht ohne die AfD-Wähler:innen und nicht ohne die AfD selbst, die nicht kandidierte, Oberbürgermeister geworden. Das war ein gelungenes Stück faktischer Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene à la Merz. Kein Wort brauchte zu fallen über das Verhältnis der CDU und des rechten Bündnisblocks mit FDP und ML zu dieser Partei. Im Wahlkampf zur  Gemeinderatswahl muss die AfD gestellt werden und die CDU zu ihrem Verhältnis zur AfD ebenfalls. Über den Merz-Aufschlag hörte man in Mannheim seitens der CDU nur beflissenes Schweigen. Die CDU muss klar und deutlich sagen, wie sie zu dieser Partei auch im Gemeinderat steht, wenn z.B. eine Mehrheit unter Einbeziehung der AfD möglich wäre. Jetzt steht erst mal im Raum: Wer CDU wählt bekommt die AfD mitgeliefert.

Die AfD segelt im Gemeinderat unter dem Radarschirm der Öffentlichkeit. Sehr häufig stimmt sie mit CDU, ML und FDP. Ihr Profil, welches sich v.a. auch aus ihren Anträgen und Haushaltsreden ergibt, muss schon im Vorfeld der Gemeinderatswahl ausgeleuchtet werden. Sie ist keine Alternative für die „kleinen Leute“, wie sie immer vorgibt, und auch nicht für den Mittelstand, und sie kann ihren stupiden Rassismus einfach nicht lassen.

Gerhard Fontagnier forderet nach dem AfD-Europawahl-Parteitag für die Grünen die AfD-Mitglieder im Gemeinderat auf, aus der sich radikalisierenden Partei auszutreten: „Die Mitglieder der AfD-Gemeinderatsfraktion beteuern immer wieder ihre angeblich gemäßigten Positionen. Wenn sie es ernst meinen, dann müssten sie längst die AfD verlassen. In Wahrheit aber wird hinter den Kulissen mehr und mehr daran gearbeitet von anderen Fraktionen akzeptiert zu werden, um dann vielleicht nach der Kommunalwahl 2024 eine andere Rolle als die Nullnummer im Gemeinderat spielen zu können.“ (Pressemitteilung vom 1.8.23)

 

Im Wahlkampf Konturen entwickeln! Die Menschen wollen das Was und Wie und Wann wissen.

Der OB-Wahlkampf war ziemlich konturenlos. „Mehr Kitas, mehr Wohnungen, weniger Verkehr in der City“ hörte man von allen Seiten. Niemand hätte das als unwichtig oder falsch bezeichnet.

Aber wie kommen wir beispielsweise zu mehr bezahlbaren Kita-Plätzen? Der neue Oberbürgermeister äußerte – erst als er in einem MM-Interview gezielt danach gefragt wurde – wie er sich das etwas konkreter vorstelle: Wir müssen mehr auf Freie Träger setzen! Aha! Schon die ganze Zeit haben die „freien Träger“ einen „Marktanteil“ von 60%: die beiden großen Kirchen, ein zunehmender Teil der Wohlfahrtsverbände und gewerbliche Anbieter. Das Problem ist nur: Die Kirchengemeinden sind deutlich auf dem Rückzug, sie schließen immer wieder Kita-Gruppen – ein nennenswerter Ausfall. Für profitorientierte Gewerbliche ein gefundenes Fressen. Ein schwedischer börsennotierter Bildungskonzern wollte so z.B. die Kita am Steingarten von der katholischen St. Nikolaus-Gemeinde erwerben, das teils marode Gebäude der 70er Jahre abreißen und neu bauen. Ein anderer schwedischer Konzern wollte die Kita dann betreiben. Das sollte gleich mal zu 90 EUR höheren Kita-Gebühren für die Familien führen. Die Stadt sah darin offenbar – berechtigterweise – ein Problem und verhinderte als Grundstückseigentümerin den Deal. Die Kinder sind seither auf benachbarte Kitas verteilt. Ein Verlust von ca. 60 Kitaplätzen.
Das unbedingte und intensive Bemühen der Stadt, weitere Kitas zu ermöglichen, führt zu einer Zunahme gewerblich geführter Kitas. So wurde beispielsweise am 1. August die dritte Kita der Fa. Kinderland gGmbH in Mannheim mit 60-Ganztagsplätzen zwischen Vogelstang und Taylor eröffnet. Die Personalausstattung, das pädagogische Konzept, die Baulichkeit, die Öffnungszeiten vorbildlich. Kostenpunkt: 600 EUR pro Monat zuzüglich Verpflegung (nach Abzug von 105 EUR städtischer Unterstützung aus den Mitteln zur Herstellung der Gebührenfreiheit für das kurze „Regelangebot“). Hier braucht es eine grundsätzliche Strategie für bezahlbare und zunehmend gebührenfreie Kitas. Diese kann es nur bei der Stadt geben. Schon die kirchlichen Kitas (evangelisch) sind im Ganztagsangebot 82 EUR teurer als die städtischen mit 252 EUR plus Verpflegung. Hier muss die Stadt mehr eigenes Geld in die Hand nehmen. Darüber muss politisch diskutiert werden! Der bisherige Kämmerer und künftige OB hätte mit einer rechten Mehrheit ab 2024 freie Hand, derlei Begehrlichkeiten zu verhindern. Die Eltern hätten das Nachsehen.

Ähnliches steht für die Wohnungsversorgung an: Es reicht nicht, 10.000 neue Wohneinheiten in 10 Jahren zu bauen und auf den freien Markt zu werfen. Von der Zahl sind wir sowieso weit entfernt. Aber zu nachhaltig bezahlbaren Wohnungen kommen wir so nicht. Stadt und GBG müssen hier sehr viel deutlicher eingreifen. Auch das erfordert Investitionsmittel. Auch darüber muss diskutiert werden!

Und der Wärmeplan der MVV muss beschleunigt und bekannter gemacht werden (s.o. und s. Nachtrag).

Der City-Verkehr ist ebenfalls ein schwieriges Thema. Specht tönte im Wahlkampf: „Weniger Versuche – mehr Lösungen!“ Hat er die Lösungen? Ist das Löbels „neue City“, deren bei einem Stadtplanungsinstitut eingekauften Plan er mit viel Getöse und propagiert hatte, und der den Verkehrsversuchen nicht nicht widersprochen hätte? Nach Löbels Propaganda-Seifenblase ist von der CDU nichts mehr zu hören, was auch nur halbwegs konstruktiv wäre. Am besten „alles bleibt wie es ist!“ Verkehrsversuche sind im Übrigen ein Mittel der demokratischen Lösungsfindung: Können sich die Menschen darauf einrichten und wie tun sie das? Welche sichtbar werdenden Probleme müssen angepackt werden?

Es gibt also sehr viel zu diskutieren, sehr viel mehr als obige Beispiele. Dann wird Kommunalpolitik vielleicht auch für das „Wahlvolk“ transparenter, und man kann und muss sich dann bei den nächsten Wahlen bewusst entscheiden, statt mit geballter Faust zu Hause hocken zu bleiben.

Thomas Trüper

Nachtrag zum Wärmeplan der MVV:
Am 29. Juni fand die Vertreterversammlung 2023 der Gartenstadt-Genossenschaft Mannheim e.G. statt. Laut Bericht in der Zeitung für Mitglieder Juli | August 2023 meldete sich ein Delegierter. Er erklärte, „dass derzeit wohl eine gewisse Verunsicherung bei einzelnen Mitgliedern [der Genossenschaft] hinsichtlich des aktuell zur Debatte stehenden ‚Heizungsgesetzes‘ der Ampel-Koalition bestehen würde.“ Er fragte den Vorstand nach diesbezüglichen Erkenntnissen.

In dem Bericht heißt es weiter: „Vorstand Maesch erläuterte daraufhin, dass es Absicht und Ziel der Gartenstadt-Genossenschaft sei, den Anschluss möglichst vieler Objekte n die Fernwärme zu erreichen. In einigen Stadtteilen wären die dafür notwendigen Fernwärmeleitungen bereits vorhanden, so z.B. in der Gartenstadt und auf dem Almenhof. Auch im Stadtteil Rheinau wäre der Anschluss teilweise theoretisch möglich. Allerdings seien Kontaktaufnahme und Gespräche diesbezüglich mit der MVV extrem schwierig. Grundsätzlich wolle die MVV natürlich nur dann Fernwärmeanschlüsse legen, wenn sich dies auch wirtschaftlich rechnen würde. In diese Ansicht sei durch die aktuelle Diskussion anscheinend etwas Bewegung geraten, so dass die MVV nun zumindest eine formelle Planung des Themas vornehmen wolle, bevor sie sich zu einzelnen Maßnahmen äußere. Man müsse also leider Stand heute sagen, dass  man hier aktuell eher von Wünschen und Hoffnungen, denn von konkreten Zusagen sprechen könne. Die MVV habe die Zielsetzung, möglichst schnell die Klimaneutralität zu erreichen. Hierfür sei die kommunale Planung entscheidend.“ Der Vorstand weist dann noch darauf hin, dass der Betrieb von Gasheizungen jetzt wohl auch noch längerfristig möglich sei.