Nie wieder: Mit Schreckschusspistolen, Schlagstock und Reizgas zur Demo [mit Bildergalerie und Glosse]

Kandel – 07.07.18

Nach offiziellen Angaben nahmen rund 600 Personen an den vier angemeldeten Kundgebungen am vergangenen Samstag teil. Etwa 500 PolizeibeamtInnen befanden sich im Einsatz. Anlass der Kundgebungen war der erneute Aufzug des rechts-nationalen, migrationsfeindlichen „Frauenbündnis Kandel“, mehrheitlich durch Männer auf der Straße vertreten. „Die Partei“, das „Männerbündnis Kandel“ und „Wir sind Kandel“ setzten unterschiedliche Schwerpunkte bei ihren Protest-Veranstaltungen.

 

Rassistischer Angriff von Rechten führt zu Festnahmen – KIM-Reporter wird von einem „Polizeibeamten“ angegangen

Gemäß einer Pressemitteilung des Polizeipräsidiums Rheinpfalz verliefen die Veranstaltungen insgesamt friedfertig. Dies deckt sich auch mit unseren Beobachtungen, die wir den Tag über machen konnten.

Die Polizei berichtet: „Es kam nur zu einem erwähnenswerten Vorfall. Auf der Hauptstraße beleidigte gegen 13.30 Uhr ein 30-jähriger Karlsruher einen 25-jährigen aus Trier. Bei der sich anschließenden Identitätsfeststellung leistete der 30-Jährige gegen die Einsatzkräfte Widerstand und beleidigte eine Polizistin. Bei dem 30-jährigen Tatverdächtigen konnten die Polizisten schließlich eine geladene Schreckschusswaffe und ein Teleskopschlagstock auffinden. Auch die 63-jährige Begleiterin des Karlsruhers hatte eine geladene Schreckschusspistole und Pfefferspray dabei. Die Waffen wurden sichergestellt. Gegen die beiden Tatverdächtigen wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, der 30-Jährige muss sich wegen Beleidigung, Verstoß gegen das WaffG und gegen das Versammlungsgesetz, die 63-Jährige wegen der Verstöße gegen das Waffengesetz und Versammlungsgesetz verantworten.“

Augenzeugen zufolge, wurde von den beiden Personen, gegen die polizeilich ermittelt wird, und die dem Unterstützerumfeld des „Frauenbündnis Kandel“ zugerechnet werden könnten, eine Person aufgrund seiner Hautfarbe rassistisch beleidigt und als „Nigger“ beschimpft.

Ein vermeintlicher „Polizeibeamter“ verlangte von einem KIM-Reporter dessen Presseausweis sehen zu wollen. Als dieser den „Beamten“ nach dessen Dienstausweis fragte, musste dieser passen. Die hinzugerufenen Polizeibeamte nahmen sich der Sache an. Der polizeiliche Staatsschutz wird inzwischen wohl gegen diese Person ermitteln, die sich fälschlicherweise als Polizeibeamter ausgab und damit versuchte die Pressearbeit zu behindern.

„Falscher“ Polizeibeamter

In der Sache geeint, in den Farben getrennt?

Kandel ist seit einem Gewaltverbrechen, bei dem eine junge Frau Ende Dezember 2017 von ihrem Ex-Freund, einem Asylantragsteller, ermordet worden sein soll, Schauplatz regelmäßiger Aufzüge aus dem rechten Spektrum. Nur mühsam entwickelte sich in der Kleinstadt etwas, was der Beobachter als Widerstand dagegen bezeichnen kann. (Siehe hierzu unsere Glosse zum Thema).

Drei Gegenkundgebungen fanden an diesem Tag statt: Die Partei, das Männerbündnis Kandel (Fokus Marktplatz) und Wir sind Kandel (am Saubrunnen) mobilisierten mehr als 400 Menschen. Unterstützung kam zusätzlich durch die Kunstaktion „Mauer gegen rechts“ in der Lauterburgerstrasse, an der Marschroute des rechtslastigen, Reichsbürger nahen „Frauenbündnis“, realisiert von Aufstehen gegen Rassismus Südpfalz mit Unterstützung von AgR Rhein-Neckar.

Sämtliche RednerInnen bei den verschiedenen Kundgebungen gegen die regelmäßigen Aufläufe aus rechten Milieus, sprachen sich vehement und nachhaltig gegen jede Form von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Extremismus aus. Beispiele:

Dr. Bernhard Braun (MdL, Die Grünen) warnte bei seiner Rede am Saubrunnen davor, dass Rassisten unter dem Deckmantel der Anteilnahme gesellschaftliche Spalterei betreiben. Seinen Worten zufolge ist die Landesregierung in Mainz weiterhin zutiefst betroffen, was das Gewaltverbrechen in Kandel angeht. Kandel werde man auch in diesen Zeiten nicht alleine lassen.

Dr. Dennis Nitsche (OB Wörth, SPD) sprach sich auf dem Marktplatz klar und deutlich für eine offene und bunte Gesellschaft in Kandel, so wie er sie aus Wörth kennt, aus. Der Redner dankte wörtlich der „Antifa“ für den dauerhaften Einsatz in Kandel, was die Verteidigung demokratischer, rechtsstaatlicher Prinzipien angeht und für den Schutz der aus rechten Lagern angegriffenen Bürgermeister und Medienvertretern. Seine klare Ansage war sinngemäss „Für ein geeintes Europa und für eine unabhängige und kritische Presse“.

 

Laut, bunt und kreativ vs. dumpf-nationalistisch „verkurzt“

Dumpf-hohl bis rhetorisch nahezu NSDAP-gleich klangen Reden und Lieder beim nur mäßig besuchten monatlichen Auflauf des beim Marsch 2017 gescheiterten Marco Kurz und seinem sogenannten „Frauenbündnis“. Damit ist auch Kurz in der Z-Klasse der rechten „Promi“-Redner angekommen. „Man lädt sich halt gegenseitig ein.“

„Marco muss weg“ war auf einem Schild zu lesen. „Kurz“ musste am 07.07.18 eine abgekürzte Route laufen. Laute, kreative Buntheit werden wahrgenommen. Nachhaltigkeit und dauerhafte ehrliche Arbeit gegen rechte Extremisten und besorgte BürgerInnen vor Ort lässt weiter zu wünschen übrig. Die BürgerInnen, die sich noch mehrheitlich verstecken, gilt es zu motivieren. Es wird eine Herkulesaufgabe für „Wir sind Kandel“ werden, um sich als gesellschaftlicher, antifaschistischer Anker zu beweisen. Charta hin oder her.

Antischafistische Unterstüzung kam an diesem diesem Tag u.a. aus Mannheim, Karlsruhe und Landau. Fahnen und Banner zeigen lautet auch diesmal das Motto.

Gegen die Pressefreiheit:

Das „Frauenbündnis“ unter der Regie von Marco Kurz beabsichtigt am 21.07. in Ludwigshafen/Rhein vor dem Verlagsgebäude der Tageszeitung „Die Rheinpfalz“ einen Protest auf die Straßen zu tragen. Ein geplanter Demozug soll bis zum Hauptbahnhof führen. Unseren Informationen zufolge mobilisiert sich der Gegenprotest in der Industriestadt, um klare Kante gegen rechts und eine Lanze für die Pressefreiheit zu zeigen.

 

Glosse:

Quo vadis, Kandel?

Ein südpfälzisches „Dorf“ und sein eigener politischer Selbstmord.

In Kandel kann man sich mittlerweile ziemlich sicher sein, der rechte Rand wird verharmlost. Die Stadtoberen haben es immer noch nicht erkannt, dass die Stadt längst mit dem Rücken zur Wand steht. Das Epizentrum der „Rechten“ in Süddeutschland ist Kandel schon längst geworden. Das Rathaus hat sich schulterklopfend selbst manipuliert. Da fallen dann schon mal starke Worte wie „es werden ja immer weniger“, „es sind ja nur noch 100“ und „bald gibt er auf, der Kurz“. Diese Naivität wird Kandel früher oder später gewaltig um die Ohren fliegen, es war schon immer so. Naivität hat ihren Preis. Und den wird auch Kandel zahlen.

„Wir sind Kandel“. An jedem Ortseingang ist es groß zu lesen. Aber wer oder was ist „Wir sind Kandel“? Wir fragen nach. Ist „Wir sind Kandel“ ein Stadtrat, der damit beschäftigt ist, die Schuldigen der Demonstrationen bei denen zu suchen, die für ein nazifreies Kandel auf die Straße gehen? Bei den Personen, die ihre Freizeit und Geld investieren? Bei den Personen, die für Menschenrechte, gegen Rassismus und für ein friedliches Miteinander stehen?

Ein Stadtrat der Gegendemos grundsätzlich als Missbrauch von Linksextremen sieht, ein Stadtrat der unwahre Behauptungen aufstellt, um seinen eigenen politischen Ansichten Nachdruck zu verleihen; ein Stadtrat der gezielte Gewalt gegen seine Bürger (3.3.2018) schweigend duldet, drei Silvesterböller aber als Sprengstoff verkauft, ein Stadtrat der alle friedlichen Gegendemonstranten pauschal als Linksextreme kriminalisiert, es aber gleichzeitig ignoriert und duldet das Rechtsextreme durch die Straßen von Kandel laufen?

Ist „Wir sind Kandel“ ein Stadtrat, der als Dank an die vielen Menschen, die für Kandel auf die Straße gehen, mit verschlossenen Toiletten oder der Verweigerung von Strom belohnt?

Ist „Wir sind Kandel“ ein Bündnis, welches sich aus Angst vor Entzug der Hilfe der Stadt Kandel nur bedingt zu einer Zusammenarbeit mit anderen Gruppen entschließen kann?

Ist „Wir sind Kandel“ ein Stadtrat, der damit beschäftigt ist, über Dritte an Unterlagen von Journalisten zu gelangen, über diese eventuell verwertbare Informationen über das eigene Feindbild Antifa zu erhalten, das es so aber in Kandel überhaupt nicht gibt?

Für einen Stadtrat, für den Infos über das rechte Spektrum hingegen völlig uninteressant ist. Ist „Wir sind Kandel“ der Stadtrat, der sich längst nicht mehr die Frage stellt: “Was ist da los?”, sondern: “Was machen wir als nächstes?” „Wie werden wir die linke Gegendemonstration los?“

Ist „Wir sind Kandel“ der Stadtrat, der sich einem so dringend benötigten Austausch und Dialog entzieht?

Es scheint, als habe man sich im Rathaus längst damit abgefunden, Deutschland nicht mehr als ruhiges Land, tolerant, bunt und lebenswert für alle Menschen wahrzunehmen, sondern als Hotspot rechter Gruppierungen, ein Land, das nicht mehr in der Lage ist, mit allen demokratischen Kräften Gesicht zu zeigen.

Fragen über Fragen. Im Rathaus Kandel ist es ziemlich dunkel, vielleicht würden neue, hellere Glühbirnen nützen. Kommunalwahlen stehen ja vor der Tür. Leider ist es aber auch so, dass Politiker wie Dr. Dennis Nitsche nicht auf den Bäumen wachsen. In Kandel braucht es keine Politiker, die nicht in der Lage sind, Situationen richtig einzuschätzen und lieber der Mehrheit der „Helfer*innen“ gegen rechts permanent vor die Füße spucken!

 

(Bericht: Christian Ratz – Glosse: John Brambach – Fotos/Video: Erik Butz, John Brambach und Christian Ratz)

 

Weitere Bilder des Tages:

 




Antifaschistisches Straßenfest „Zusammen kämpfen – zusammen feiern“ in Heidelberg – Seit 21 Jahren ein Publikumsmagnet (mit Bildergalerie)

Die Antifaschistische Initiative Heidelberg (AIHD) veranstaltete am 30.04.18 zum 21. Mal das Straßenfest. Informationsstände, Reden und die Acts von Kotwort (Streetpunk) und Lena Stöhrfaktor und das Rattenkabinett (Hip Hop) unterhielten die etwa 500-600 BesucherInnen auf dem Universitätsplatz. Für Mitternacht war geplant die Internationale und Arbeiterlieder auf dem Marktplatz anzustimmen. Es war wohl den Straßenfesten in zurückliegenden Jahren im positiven Sinne geschuldet, dass die offizielle Polizeipräsenz extrem gering war.

 

Historische Hintergründe

Die Heidelberger Historikerin Silke Mankowski informierte darüber, dass es AntifaschistInnen in Heidelberg das erste Mal am 30. April 1997 gelang, das Maiansingen völkisch ausgerichteter Studentenverbindungen auf dem Marktplatz zu verhindern. Sie hatten auch stets das Deutschlandlied mit allen drei Strophen angestimmt. Die Proteste haben Historie: Bereits um 1900 wurde über erste Scharmützel gegen die „Eliten der Nation“ berichtet. Die Proteste manifestierten sich seit den 1960er Jahren weiter. Sie sind seitdem ein fester Bestandteil in der antifaschistischen Bewegung in der Unistadt am Neckar. Seitdem wurden die rechts-nationalen Burschenschaften nicht mehr auf dem Marktplatz gesichtet.
 
Redebeiträge zu aktuellen Themen

Redebeiträge wurden u.a. von der AIHD, der Interventionistischen Linke Rhein-Neckar und Aufstehen gegen Rassismus Rhein-Neckar gehalten.

Der Beitrag der AIHD (es gilt das gesprochene Wort):

„Liebe Genoss_innen, Liebe Freund_innen,
die AfD hat sich ziemlich schnell ziemlich fest in der politischen Landschaft Deutschlands etabliert. Der rasante Aufstieg war dabei keine Überraschung. Zum einen war es eine Angleichung an europäische Verhältnisse und zum anderen war es eine Angleichung der deutschen Parteienlandschaft an deutsche Zustände. Die AfD deckt sie mit ihrem Anteil an Wählerstimmen in etwa das ab, was schon seit der Jahrtausendwende von Studien an Vorkommen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in Deutschland erhoben wurde.
Es ist daher nicht richtig von einem Rechtsruck in Deutschland zu sprechen. Viel mehr passierte in den letzten Jahren eine rechte Mobilmachung. Das macht die Situation aber weder angenehmer noch harmloser. Die Formierung des rechten Mobs fand auf der Straße statt mit Pegida und den Demos für alle; in der Kulturlandschaft mit Bands wie Freiwild und Partypatriotismus, fand folgerichtig ihren parlamentarischen Ausdruck und gleichzeitig ihr Zugpferd mit der AfD und passiert gerade in den Betrieben durch rechte Betriebsratslisten.
Es wäre jedoch weiterhin falsch die AfD einfach als eine rassistische Partei zu bezeichnen, die von rassistischen Menschen gewählt wird. Es ist kein Zufall, dass in gleich mehreren westlichen Ländern in den letzten Jahren rechte Parteien im Aufwind sind. Auch wenn es schon oft beschworen wurde: Die Krise ist noch nicht überwunden. Überall in Europa ist Lohndumping und Sozialabbau auf der Tagesordnung, gleichzeitig natürlich bei einem Anstieg der Spitzengehälter. Die soziale Spaltung wird mehr und mehr räumlich sichtbar. Gentrifizierungsprozesse führen dazu, dass Wohnen teilweise ein Luxusgut geworden ist und innerstädtisches Wohnen für die meisten Geldbeutel unbezahlbar ist. Einer gerade veröffentlichten Anfrage der Linkspartei zufolge verdienen 17% der Vollzeitbeschäftigten weniger als 2000€ Brutto monatlich. Das bedeutet eine viel zu lange Arbeitswoche und mehr als die Hälfte davon muss dennoch für monatliche Fixkosten gebuckelt werden. In vielen Jobs lastet lastet außerdem ein enormer Druck auf den Beschäftigten. Sei es durch Drohung mit sogenannter Kapitalflucht, sei es durch Unterbesetzung oder seien es einfach die beschissenen Arbeitsbedingungen. Im Angesicht des immer grobmaschiger werdenden sozialen Netz steigt die Angst den Scheißjob zu verlieren und die Bereitschaft sich trotz alledem noch weiter ausbeuten lassen. Die Folgen sind ein massiver Anstieg der Burnout Rate und anderer seelischer und körperlicher Erkrankungen. Solche Zustände sind auf Dauer unhaltbar – ihre Kumulation in den letzten Jahren ist ein Pulverfass – nun kommt die AfD ins Spiel.
Für rechte Demagogen sind die Sündenböcke schnell gefunden: Mittellose und Mächte im Hintergrund. So offensichtlich irrational diese Antworten sind so tödlich ist doch ihre Wirkung. Im letzten Jahr hat es 2219 Angriffe auf Geflüchtete und Geflüchtetenunterkünfte gegeben. Brauner Terror ist in Deutschland Alltag geworden. Aber die geistigen Brandstifter sitzen nicht nur in der AfD. Es ist offizielle Staatspolitik in Kauf zu nehmen, dass das Mittelmeer zum größten Massengrab Europas wird. Es ist die Politik der deutschen Regierung, die flüchtende Menschen von Diktaturen vor den Grenzen Europas einfangen und in Lager sperren lässt, damit nur ja diejenigen, die infolge der deutschen Kriegs- und Handelspolitik in unmenschlichen Verhältnissen leben müssen, auch in unmenschlichen Verhältnissen bleiben. Dass der Schutz von Menschen nicht das vordergründige Ziel des kapitalistischen Staates ist, lässt sich an den Folgen der Ereignisse beim G20 Gipfel in Hamburg sehen. Abgesehen davon, dass schon im Vorfeld von der Polizei versucht wurde jeglichen Protest auch gewaltsam zu unterbinden, wurde deutlich: Nicht brennende Unterkünfte bewegen den Staatsapparat zu einer der größten politische Repressionswellen der letzten Jahre, sondern brennende Autos. Das Eigentum gilt es zu schützen nicht den Menschen.
Entsprechend verläuft auch das Zusammenspiel von Regierungsparteien und AfD: Die AfD verschiebt mit ihren gezielten Provokationen und Tabubrüchen die Grenzen des Sagbaren und hetzt gegen alle, die in dieser Gesellschaft an den Rand gedrängt und marginalisiert werden: Mit Rassismus, mit Anti Feminismus, mit Sozialchauvinismus und mit Homophobie. Die anderen Parteien können wiederum AfD Politik praktizieren, stehen dabei aber immer als moderater als die AfD dar. Und so sind es die Grünen, die insbesondere von Baden-Württemberg aus eine besonders rigide gesamtdeutsche Abschiebepolitik ermöglichen, so ist es der Gesundheitsminister Spahn, dessen größtes Problem, es ist zu entscheiden, gegen wen er als nächstes hetzt, so ist es die CSU, die ein Heimatministerium errichtet und der SPD Arbeitsminister, der von Arbeitsdiensten für Langzeitarbeitsloe schwadroniert. Fairerweise muss man allerdings sagen, dass die SPD noch nie eine rechte Partei gebraucht hatte, um linker Politik in den Rücken zu fallen. Wenn Marx in seinem Kapital gefragt hatte: „Was könnte die kapitalistische Produktionsweise besser charakterisieren als die Notwendigkeit, ihr durch Zwangsgesetz von Staats wegen die einfachsten Reinlichkeits- und Gesundheitsvorrichtungen aufzuherrschen?“ Wäre ihm vielleicht heute zu antworten: Wenn sogar diese, im Sinne des Profits, von Regierungsseite aufgehoben werden. Vor diesem Hintergrund jedenfalls lässt sich durchaus von einem Rechtsruck sprechen. Nicht die rechten Einstellungen haben sich verändert und wahrscheinlich nicht mal groß die Zahl ihrer Träger. Aber neuerdings werden sie mit offenen Armen empfangen.
Spätestens seit Gramsci wissen wir, dass die kulturelle Landschaft immer ein Indikator für die Hegemonieverteilung innerhalb einer Gesellschaft ist. Und gemessen daran sieht es düster aus. Während bspw. Slime 1994 in ihrem Lied Schweineherbst noch laut raus brüllte „Deutschland ein Land kotzt sich aus einen alten braunen Brei“ und zwei Jahre zuvor Udo Lindenberg in seinem Lied Panik Panther ankündigte: „Wir hauen mit den Tatzen den Skins auf die Glatzen, das einzige was sie verstehen“ sucht man heutzutage diese deutlichen Worte fast vergeblich. Wenn man sich anschaut wie extatisch sich auf die Rede Campinos gestürzt wurde und gleich die gesamte Echopreisverleihung abgeschafft wurde, während gleichzeitig Xavier Naidoo mit viel antisemitischeren Äußerungen weiterhin fester Bestandteil im Kulturbetrieb ist oder es kaum eine Erwähnung wert ist, dass an Hitlers Geburtstag tausende Neonazis bei einem Festival unverblümte NS Propaganda betreiben können, während die AfD mit ihrer Hetze einen Tabubruch nach dem anderen bringen kann, bekommt man fast den Eindruck es sei für viele eine Erleichterung gewesen, endlich Antisemiten gefunden zu haben, die keine unangenehmen Fragen über eigene Handlungen und Einstellungen zu Tage bringen – es handelt sich schließlich nicht nur um Gangsterrapper sondern auch noch um muslimische, die gehören ja sowieso eigentlich nicht hier her. Und dann kritisiert das auch noch ein gläubiger Schwiegersohnpunker mit einer moralisierenden Predigt, hinter den man sich problemlos stellen kann, ohne einen unangenehmen linken Stallgeruch riechen zu müssen. Dass Kollegah und Farid Bang ziemlich scheiße sind und es gut ist, dass sich Campino positioniert hat, soll hier gar nicht bezweifelt werden. Aber es entsteht doch der Eindruck als wären wir hier Zeuge einer verzweifelten gesamtgesellschaftlichen Überreaktion gewesen, weil viele in der AfD nicht nur eine Gefahr sehen, sondern sich unbewusst ihrer eigenen Teilhabe am Aufbau der Barbarei wiederfinden und das Bedürfnis haben diese an geeigneter Stelle abzustrafen.
Und der Kreis der Unterstützer_innen ist groß und wird größer. Seien es Fernsehtalkshows, Radiosendungen, Lokalzeitungen oder auch die Politikfachschaft der PH Heidelberg bzw. der Jugendgemeinderat Heidelberg, die Pluralismus so verstanden haben, dass Menschenverachtung und Hetze als gleichberechtigte Diskussionspartner_innen angesehen werden sollen. Gleichzeitig finden Kader aller vorstellbaren Naziorganisationen ein gut dotiertes Pöstchen als Mitarbeiter im Bundestag, das Geld fließt natürlich in die Organisationen zurück und auf Demos wie in Kandel, wird schnell noch ein Fahnenverbot ausgesprochen, um die Eintracht von AfD und Nazuvereinen zu verschleiern. Jüngst haben rechte Intellektuelle von Broder bis Sarrazzin eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht, mit der sie provisorisch zu jeder AfD-Demo aufrufen wollen. Für die AfD dagegen gehört es dazu, sich selber als Opfer oder Underdogs zu inszenieren. Während die AfD Refugees und politische Gegner ermorden und in Massengräber schmeißen will, ist das Geheule groß, sobald sie jemand als das bezeichnet, was sie sind. Ein solches Verhalten gehört dazu um das Bild aufrecht zu erhalten eine Protestpartei zu sein. Die Schweizerische Volkspartei schafft es immer noch, obwohl schon seit Jahren an der Regierung und außerdem Inhaberin des größten Medienkonzerns. Mit aller Gewalt versucht die AfD sich als Partei der sogenannten kleinen Leute darzustellen. Sie stellt sich gerne so da, als wäre sie eine Kehrtwende der Politik der letzten 30 Jahre. Aber wofür steht die die AfD? Sie will diese Politik nicht ändern, sondern verschärfen: Die AfD will die Vermögens- und Erbschaftssteuer abschaffen. Sie will eine Steuerbremse einführen und die Einkommenssteuer zugunsten der Besserverdienenden reformieren. Dafür will sie die Mehrwertsteuer auch für die Nahrungsmittel anheben und staatliche Unterstützung von ärmeren Menschen, Familien und Menschen in schwierigen Lebenslagen kürzen oder streichen. Die AfD will also Geschenke für Reiche auf Kosten aller anderen. Die AfD ist wirtschaftlich gesehen eine neoliberale Partei und steht für Ausbeutung. Alles nachzulesen im Programm der AfD. Wie kann man auch glauben, dass sich eine Beatrix von Storch, ein Jörg Meuthen oder eine Alice Weidel für die „kleinen Leute“ einsetzen würden? Für diese Leute misst sich der Wert eines Menschen an seinem Einkommen und nach diesen Maßstäben machen sie Politik. Dagegen war die Agenda 2010 harmlos. Von Sicherheitspolitik und dem aktuellen Zusammenbruch von Freiheits- und Grundrechten haben wir noch gar nicht gesprochen.
Jedenfalls hat aus diesen Gründen die oft falsch verstandene Parole aus den 30er Jahren damals wie heute ihre Gültigkeit: Hinter dem Faschismus steht das Kapital
weil genau das die Funktion ist, die rechte Parteien im Kapitalismus einnehmen: Herrschaftssicherung in Zeiten der Krise.
Was also können wir als radikale Linke tun: Zunächst einmal müssen wir klarstellen, dass die Freiheit und die Gleichheit der Menschen für uns kein Diskussionsgegenstand, sondern Voraussetzung jeder Diskussion ist und denjenigen, die das bestreiten mit konsequentem Widerstand antworten. Es gibt kein Recht auf faschistische Propaganda.
Mehr noch müssen wir allerdings die Versäumnisse der letzten Jahre aufarbeiten und nachholen: Die soziale Frage muss wieder von Links besetzt und bearbeitet werden. Das heißt, dass wir uns beteiligen müssen an den Arbeitskämpfen, an Stadtteil- und Wohnuungsinitiativen genauso wie in Auseinandersetzungen im Care-Sektor bzw. der Reproduktionsarbeit. Gleichzeitig müssen wir unsere Utopie einer solidarischen Gesellschaft wieder zugänglich machen. Jeder soziale Kampf ist nicht nur ein Kampf für eine bessere Welt, sondern ein wichtiger Schritt im Kampf gegen rechte Ideologie und Propaganda.
Kampf dem Faschismus!
Für eine solidarische Gesellschaft!“
 

 
 
And the winner is…

Das Polit-Quiz fand auch in diesem Jahr wieder großen Zuspruch. Knifflige, wie auch witzige Fragen animierten zum Mitmachen. Moderiert wurde die Bekanntgabe der Gewinner durch den Politaktivisten Michael Csaszkóczy.

 

 

 

 

 

(Bericht: Christian Ratz / Fotos: cki, John Brambach und Christian Ratz)
 
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