Platzumbenennung nach Sophie Berlinghof – Kritik an Stellungnahme der Stadt Heidelberg

Sophie Berlinghof (rechts) bei einer Aktion zum Gedenken an den Widerstandskämpfer Georg Lechleiter im Jahr 1984 | Bild: Archiv der VVN-BdA Heidelberg

Am 5. Februar behandelt der Haupt-und Finanzausschuss des Heidelberger Gemeinderats die geplante Umbenennung des derzeit nach Karl Kollnig (vormals SA- und NSDAP-Mitglied) benannten Platzes im Stadtteil Handschuhsheim; am 20. Februar entscheidet der Gemeinderat endgültig. Die Fraktionsgemeinschaft „Die Linke/Bunte Linke“ im Gemeinderat und die VVN-BdA Kreisvereinigung Heidelberg unterstützen den vom ehemaligen Handschuhsheimer Bezirksbeiratsmitglied Harald Stierle eingebrachten Vorschlag, den betreffenden Platz in Sophie-Berlinghof-Platz umzubenennen. Die Kreisvorstände von GEW und DGB haben Ende Januar beschlossen, sich dem Vorschlag anzuschließen.

Der Vorschlag Sophie Berlinghof wurde von der Stadtverwaltung zur Sitzung des Bezirksbeirats Handschuhsheim am 7. November 2024 nicht in die Tagesordnung aufgenommen, auf Grund einer „Vorauswahl“. Erst auf Antrag aus dem Bezirksbeirat wurde er mitbehandelt. Die Stadt hat zu dem Vorschlag am 27. Januar als Anlage zur Tagesordnung der Haupt- und Finanzausschuss-Sitzung eine „Kurzbiographie zu Sophie Berlinghof mit Stellungnahme zu einer Benennung“ veröffentlicht. Anders als die 16 weiteren Kurzbiographien zu insgesamt neun geplanten Umbenennungen (mit im Durchschnitt eineinviertel Seiten Länge) ist sie doppelt so lang und enthält als einzige eine Seite „Stellungnahme zu einer Benennung“:

Frau Berlinghof sei – so die „Stellungnahme“ der Stadt – „zumindest in ihrem höheren Lebensalter weithin nicht als Gegnerin der bestehenden freiheitlich-demokratischen Ordnung wahrgenommen worden, sondern als Protagonistin der lokalen NS-Erinnerung und als eine der frühen und aktiven Frauen im Heidelberger Gemeinderat“. Zum „Beweis“ angeblicher „undemokratischer Haltungen“ werden unhaltbare Beschuldigungen gegen Frau Berlinghof als Person erhoben, die nirgends mit Argumenten, geschweige Nachweisen belegt werden können – bis hin zu Behauptungen wie Frau Berlinghof gehöre zu „Personen, von denen Positionen oder Taten bekannt sind, die im Widerspruch zu seit 1918 in Deutschland verwirklichten demokratischen Wertvorstellungen stehen“; „mit ihrer aktiven Mitgliedschaft“ in der KPD und DKP soll sie „Verbrechen unter Stalin und des Kommunismus bagatellisiert“ haben (aus der „Stellungnahme“).

Auf das Leben und das Wirken von Frau Berlinghof geht die „Stellungnahme“ der Stadt nur am Rande ein. Tatsächlich war Sophie Berlinghof im Stadtteil, in der Stadt und darüber hinaus als höchst soziale, menschliche und tolerante Persönlichkeit bekannt. Den voreingenommenen Einlassungen gegen sie widersprechen wir entschieden; sie können nur als diffamierend angesehen werden.

Die Linke/Bunte Linke und die VVN-BdA fordern die Verantwortlichen der Stadtverwaltung auf, die nachträglich erstellte „Stellungnahme“ zurück zu ziehen und nicht weiter zu versuchen, mit derartigen Anwürfen die Umbenennung des bisher nach einem Nazi-Anhänger benannten Platzes in einen Platz zu Ehren einer Antifaschistin zu verhindern. Dies entspricht auch den Forderungen einer Veranstaltung am 14.1. in der Volkshochschule mit über 50 Teilnehmenden und einer Vielzahl von Leserzuschriften in der RNZ.

In vier Monaten wird Thomas Mann für seinen 150. Geburtstag gefeiert werden. In einer RNZ-Leserbrief hat ein Heidelberger auf den bekannten Satz des Schriftstellers von 1943 zum Antikommunismus hingewiesen: „Der Schrecken vor dem Wort Kommunismus, von dem der Faschismus so lange gelebt hat, ist die Grundtorheit unserer Epoche.“ Wir können uns dem und dem Appell an Ausschuss und Gemeinderat nur anschließen, dass es keinen geeigneteren Vorschlag gibt, als einen nach einem Nazi-Anhänger benannten Platz nach einer Frau zu benennen, die aktiv gegen den NS-Terror gekämpft hat – gerade heutzutage.

Das „Sofie Berlinghof gewidmete“, von vier Bürgermeistern und 35 Gemeinderäten persönlich unterschriebene Abschiedsdokument vom 13.12.1956, als sie aus dem Gremium ausscheiden musste, ist überschrieben: „Zur freundlichen Erinnerung an gemeinsame Arbeit für das Wohl der Stadt.“ In der Todesanzeige der Stadt für „Altstadträtin Sophie Berlinghof“ heißt es: „Von 1947 bis 1956 war sie Mitglied des Heidelberger Gemeinderats und hat sich auch über dieses Amt hinaus stets für die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt und für ein friedliches und tolerantes Miteinander eingesetzt. Wir werden ihr ein ehrendes Andenken bewahren“ (Stadtblatt, 27.3.2002). An dieses Versprechen erinnern wir hiermit die Verantwortlichen der Stadt und den Gemeinderat.

Pressemitteilung Fraktionsgemeinschaft Die Linke/Bunte Linke im Heidelberger Gemeinderat und VVN-BdA Heidelberg

Weitere Infos: https://heidelberg.vvn-bda.de




Demo gegen die „Bezahlkarte“ in Heidelberg – „Ein Kontrollinstrument, um Geflüchtete zu überwachen“

„Kein Mensch ist illegal“ | Archivbild: AIHD

Interview mit Oskar Neumann von der Seebrücke Heidelberg und Clara Grube von der Antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD) zur Demonstration „Bezahlkarte stoppen! Gegen rassistische Kontrolle und Ausgrenzung!“ am Dienstag, 5. November 2024.

KIM: Für den 5. November 2024 mobilisiert ihr zu einer Demo gegen die Einführung der Bezahlkarte. Könnt ihr kurz erklären, was die Bezahlkarte ist?

Oskar Neumann (Seebrücke Heidelberg): Laut dem, was die Regierenden sagen, soll die Bezahlkarte zwei Dinge erfüllen: Erstens verhindern, dass Geflüchtete Geld ins Ausland schicken, und zweitens die Verwaltungen durch Minimierung von Bargeldauszahlungen entlasten. Der erste vorgebliche Zweck ist unnötig, da nicht Asylbewerber*innen, die etwas von ihren maximal 460€ pro Monat sparen, um ihre Familien zu unterstützen, ein Problem sind, sondern Milliardär*innen, die von der Arbeit anderer leben, Steuern hinterziehen und mit ihrem Geld die Erde zerstören. Der zweite vorgebliche Zweck ist paradox, da die Bezahlkarte Verwaltungen nicht entlasten, sondern ihnen Mehrarbeit machen würde. Ein Großteil der Leistungsbeziehenden erhalten diese bereits auf ein Konto. Ihnen dieses jetzt wegzunehmen und auf die Bezahlkarte umzustellen, wäre ein enormer Mehraufwand. Eine Einschränkung von problematischen Geldflüssen sowie eine Entlastung der Verwaltung ist die Bezahlkarte also schonmal nicht. Stattdessen ist sie ein Kontrollinstrument, mit dem die Herrschenden marginalisierte Gruppen überwachen und sanktionieren wollen. Sie ist nämlich keinesfalls so etwas wie eine EC-Karte. Sie ist in ihrer Nutzung stark eingeschränkt.

Clara Grube (AIHD): Faktisch ist es ein weiteres gezieltes Instrument bei der anhaltenden Entrechtung von Geflüchteten. Dass sie ihren Wohnort nicht frei wählen dürfen und in Massenunterkünften unter katastrophalen Bedingungen leben müssen, dass Erwachsene nicht arbeiten und Kinder nicht zur Schule gehen dürfen, dass sie keine angemessene medizinische Versorgung erhalten – all das gibt es schon seit Jahren, wird aber immer mehr verschärft. Die ständige Angst vor Abschiebung prägt das Leben der hierher geflohenen Menschen. Im Zuge der Rechtsentwicklung kommen immer neue Forderungen auf, die Politiker*innen der so genannten bürgerlichen Parteien von der AfD übernehmen und umsetzen. Geflüchtete werden ununterbrochen elementarer Rechte beraubt, indem beispielsweise das Recht auf ein faires Asylverfahren demontiert wurde und nun auch die rudimentären Reste abgeschafft werden sollen. Wir sehen die Bezahlkarte deshalb als weiteren Mosaikstein in einem seit Jahren andauernden Frontalangriff auf Refugees. Weil ihre Auswirkungen im Lebensalltag so unmittelbar greifbar sind und die Umsetzung und konkrete Ausgestaltung den Kommunen überlassen ist, setzen wir hier mit unserem Protest an – zusammen mit vielen Bündnispartner*innen.

KIM: Was sind die konkreten Folgen für die betroffenen Asylsuchenden?

Oskar Neumann: Geflüchtete erhalten mit der Bezahlkarte nur noch 50€ in bar, über die sie frei verfügen können. Der Rest ihrer Bezüge ist durch die Sperren in der Bezahlkarte für sie nur eingeschränkt nutzbar. Sie können damit nur in Läden einkaufen, die die Bezahlkarte akzeptieren. Lebensmittel, die sie im Discounter nicht finden, können sie einfach nicht kaufen. Soziale Second-Hand-Läden und Flohmärkte, die für Menschen mit zu wenig Geld häufig wichtig sind, sind für sie ebenfalls tabu. Auch Online-Einkäufe. Es ist sogar fraglich, ob sie mit der Bezahlkarte Verträge abschließen können, also zum Beispiel einen Handyvertrag. Außerdem ist es möglich, die Nutzung der Bezahlkarte regional einzuschränken. So können Geflüchtete in der Gegend ihrer Unterkunft festgehalten werden, weil sie sich außerhalb dieser Zone nicht einmal ein Wasser kaufen könnten. Zuletzt können Behörden die Bezahlkarten entladen und sperren, was Tür und Tor für willkürlichen Leistungsentzug als Sanktion öffnet.

KIM: Welche Handlungsspielräume haben die einzelnen Kommunen bei der Umsetzung der Bezahlkarte?

Oskar Neumann: Es könnte sein, dass die Bezahlkarte in Baden-Württemberg flächendeckend als Verwaltungsvorschrift eingeführt wird. So kann die Regierung eine Abstimmung im Landtag umgehen. Andere Landesregierungen haben ihren Kommunen die Umsetzung freigestellt. Die grün-schwarze Regierung Baden-Württembergs hat allerdings schon zuletzt in der Debatte um die sogenannten „Sicherheitspakete“ gezeigt, dass sie besonders rassistisch ist. Deshalb müssen wir davon ausgehen, dass sie die Umsetzung für die Kommunen verpflichtend einführen könnte.

Clara Grube: Am 24. Oktober gab das Justizministerium Baden-Württemberg bekannt, dass die Bezahlkarte noch im Dezember in den Landeserstaufnahmeeinrichtungen eingeführt und ab Januar auf andere Stellen ausgedehnt werden soll. Das Ministerium rief an diesem Tag bereits die ersten Karten vom Unternehmen secupay ab – ein Konzern, der mit der staatlicherseits erzeugten Not der Geflüchteten üppigen Profit macht. Justiz-Staatssekretär Siegfried Lorek (CDU), der die Bezahlkarte maßgeblich vorantreibt, lobte diese einschneidende Entrechtung als „politisches Leuchtturmprojekt“ – nun ja, ein Leuchtturmprojekt der Menschenverachtung ist es allerdings.

KIM: Wie ist die Planung in Heidelberg? Und wie läuft die Diskussion in Mannheim?

Clara Grube: Vieles ist aktuell noch etwas unklar. Anfangs wollten einige Landkreise – darunter der Rhein-Neckar-Kreis – vorpreschen, manche haben sich auch an dem Pilotprojekt beteiligt, weshalb es einen Flickenteppich unterschiedlicher Ausgestaltungen gab. Momentan warten die Kommunen eher ab, welche Vorgaben es von der Landesregierung gibt. Teilweise wurde ja bereits erfolgreich gegen die Bezahlkarte geklagt, wobei beispielsweise die Begrenzung der auszahlbaren Bargeldsumme auf 50 Euro für rechtswidrig erklärt wurde. Weil es aber keine bundesweit einheitliche Regelung gibt, müssen die Betroffenen jeweils gegen die örtlichen Vorgaben klagen. Pro Asyl und die Gesellschaft für Freiheitsrechte haben gegen die Bezahlkarte mehrere Klagen eingereicht.

In Heidelberg haben die Grünen erklärt, dass sie die Bezahlkarte nicht ganz so diskriminierend ausgestalten wollen wie andere Parteien und Kommunen das fordern, sondern dass sie einen etwas höheren Bargeldbetrag erwägen. In Mannheim haben die Freien Wähler schon im April die Einführung der Bezahlkarte zum 1. September gefordert und dabei die Bargeldgrenze von 100 Euro ins Spiel gebracht. Andere Parteien haben einen Wettbewerb der rigiden Forderungen losgetreten und übertreffen sich in menschenverachtenden Verschärfungsvorschlägen. Aber es geht nicht um 10 Euro mehr oder weniger, denn es gibt keine „diskriminierungsfreie Ausgestaltung der Bezahlkarte“, wie die Heidelberger Grünen sie allen Ernstes propagieren – das ist schlichtweg ein Oxymoron. Die Bezahlkarte ist staatliche Diskriminierung in Reinform, und eine diskriminierungsfreie Diskriminierung ist ein Widerspruch in sich selbst.

In der Rhein-Neckar-Region gab und gibt es deshalb massiven Protest gegen die Bezahlkarte. Zum Beispiel positionierten sich im Frühjahr die Seebrücke Mannheim und 18 weitere Organisationen in einem Offenen Brief an den Oberbürgermeister und den Gemeinderat entschieden gegen dieses Instrument der Ausgrenzung und Stigmatisierung. Auch in Heidelberg beteiligen sich verschiedene Gruppen an den Protestaktionen.

KIM: Ihr befürchtet auch, dass die Bezahlkarte bald auch gegen andere Bevölkerungsgruppen eingesetzt wird. Wer könnte davon betroffen sein?

Oskar Neumann: Es gibt bereits Aussagen von Politiker*innen der sogenannten Parteien der Mitte, zum Beispiel vom CDU-Bundestagsabgeordneten Maximilian Mörseburg, dass die Bezahlkarte nach ihrer Einführung bald auf Bürgergeldempfänger*innen ausgeweitet werden soll. Wir sehen es so: Es ist gerade auf Grund der Hetze von Nazis, Springerpresse und anderen Rassist*innen populär, die Bezahlkarte an Geflüchteten zu testen. So schaffen die Herrschenden Akzeptanz für dieses Kontrollinstrument. Anschließend weiten sie es auf die Betroffenen, die nach ihrer neoliberalen und nationalistischen Hetze auf der nächsten Stufe stehen, die Bürgergeldempfänger*innen, aus. Und so weiter. Schritt für Schritt mehr Kontrolle für die Herrschenden.

Clara Grube: Ja, es wird definitiv auch gegen andere Menschen zum Einsatz kommen, die nicht optimal in die kapitalistische Verwertungslogik passen. Die jetzigen Forderungen knüpfen an den klassistischen und sozialdarwinistischen Diskurs an, in dem Reaktionäre seit Jahren von sogenannten Sozialschmarotzern schwadronieren. Die Umverteilung von unten nach oben wird weiterhin verschärft, und die Verlierer*innen dieser Politik werden staatlicherseits noch stärker diskriminiert, gegängelt und entrechtet werden.

Statement gegen die Bezahlkarte | Bild: AIHD

KIM: Ihr habt schon in den vergangenen Monaten gegen die Pläne der Bezahlkarte protestiert. Welche Aktionen gab es eurerseits?

Oskar Neumann: Wir haben bereits online, durch Textveröffentlichungen, umfassend über die Bezahlkarte aufgeklärt. Gemeinsam mit dem Asylarbeitskreis Heidelberg und der Kampagne Solidarität statt Nationalismus, die sich im Vorfeld der Landtagswahlen gegründet hat, um allen Facetten des Rechtsrucks etwas entgegenzusetzen und nicht bei Kritik an der AfD stehenzubleiben, haben wir im Mai auch schon eine Kundgebung gegen die Bezahlkarte veranstaltet. Und mit der Kampagne in einem gemeinsamen Statement auch die Heidelberger Grünen kritisiert, die in ihrem Wahlprogramm und ihren Beschlüssen in vorauseilendem Gehorsam schon, bevor überhaupt klar war, dass die Bezahlkarte in Baden-Württemberg kommen wird, über die Ausgestaltung fantasiert haben. Diese solle „diskriminierungsarm“ sein. Aber wir wollen nichts „Diskriminierungsarmes“. Wir wollen keine Diskriminierung. Zuletzt wurden in Heidelberg außerdem hunderte Statements gegen die Bezahlkarte im Stadtbild verteilt.

KIM: Zur Demo am 5. November hat sich ein Bündnis aus verschiedenen Gruppen gebildet. Wer ist daran beteiligt? Und warum habt ihr euch gerade dieses Datum ausgesucht?

Oskar Neumann: Wir gehen mit einem breiten Bündnis auf die Straße. Beteiligt sind die Seebrücken aus Heidelberg, Mannheim und Karlsruhe, die AIHD, der Asylarbeitskreis Heidelberg, der Verein Chancen gestalten, die Heidelberger Lokalgruppe von Rolling Safespace, die Falken Heidelberg, GSK, Akut+[c] sowie die Initiative Schüler*innen gegen rechts und die Omas gegen rechts. Den 5. November haben wir ausgewählt, weil an diesem Tag im Gemeinderatsausschuss Chancen Soziales und Chancengleichheit eigentlich über die Bezahlkarte geredet werden sollte. Leider steht das Thema nun aber nicht auf der Tagesordnung, was aber auch aussagekräftig ist. Wir werden trotzdem da sein und klar Stellung für die Solidarität beziehen. Wir freuen uns, dies mit einem so großen und vielfältigen Bündnis machen zu können!

KIM: Welche Aktivitäten plant ihr für die Zeit nach der Demo? 

Clara Grube: Jedenfalls wird die Demo am 5. November sicherlich nicht die letzte Aktion bleiben, denn gerade in den nächsten Wochen wird sich vieles entscheiden. Von daher sind Öffentlichkeitsarbeit und Proteste auf der Straße gegen die drohende Einführung der Bezahlkarte dringend nötig. Parallel nehmen auch andere staatliche rassistische Maßnahmen und Hetze gegen Geflüchtete zu. Deshalb kann es sein, dass sich unser Kampf gegen die Bezahlkarte mit den Protesten gegen weitere refugeefeindliche Maßnahmen vermischt.

Oskar Neumann: Wir hoffen weiterhin, dass die Bezahlkarte in Baden-Württemberg nicht kommen wird, denn sie ist auf so vielen Ebenen falsch. Wir werden nach der Demo weiterhin laut sein und wenn sie kommen wird, wird es in Heidelberg auch Tauschstellen geben, wie bereits in anderen Bundesländern, in denen die Karte schon eingeführt ist. Dort können Menschen dann Gutscheine, zum Beispiel für Discounter, kaufen, die Geflüchtete zuvor mit ihrer Karte gekauft haben. Diese bekommen dann das Bargeld und können darüber verfügen, wie sie möchten. So können wir das Kontrollinstrument Bezahlkarte gemeinsam umgehen.

 

Demo „Bezahlkarte stoppen! Gegen rassistische Kontrolle und Ausgrenzung!“
Dienstag, 5.11.2024 – 17.00 Uhr
Treffpunkt: Schwanenteichanlage/Stadtbücherei Heidelberg




Protest gegen Rassismus – Aktion der Interventionistischen Linken am Wohnhaus eines „Profiteurs der Abschiebeindustrie“

Am Sonntag, 23. Juni führten Aktivist*innen der Interventionistischen Linken (iL) eine Protestaktion vor dem Wohnhaus von Jürgen Harder in Heidelberg-Neuenheim durch. Harder sei Geschäftsführer des Unternehmens Harder & Partner und maßgeblich am Bau eines Abschiebezentrums am Flughafen BER in Berlin-Schönefeld beteiligt, so die Kritik. Vor seinem Haus zündeten die Aktivist*innen Pyrotechnik und errichteten symbolisch einen Zaun. Sie stellten Schilder in seinen Vorgarten und hängten Banner auf.

Alexandra Neuberg, Sprecherin der iL, erklärte: „Das geplante Abschiebezentrum in Berlin-Schönefeld steht für eine neue Qualität der rassistischen Abschottungspolitik der deutschen Regierung“ und fügte hinzu, dass Harder konkret verantwortlich sei, „mit seinem Geld und dem von ihm für das Projekt zur Verfügung gestellten Land diese Entwicklung voranzutreiben“ .

Das geplante Zentrum wird laut iL die Abschiebehaftkapazitäten am Flughafen BER um 315% erhöhen. Das Land Brandenburg bezeichnete das Zentrum als eine „europaweit einmalige Einrichtung“ und ein „Vorzeigeprojekt von internationaler Bedeutung und höchster Priorität auf Bundes- und Landesebene“ . Neuberg kritisierte dies scharf: „Wir wollen keine neuen Maßstäbe von Abschiebung und Abschottung. Wir wollen eine Welt, in der Menschen sich frei bewegen können“ .

Die Geschäftsbeziehung kommentierte Neuberg folgendermaßen: „Jürgen Harder ist sich nicht zu schade, dreckiges Geld mit der Abschiebung von Menschen zu verdienen. Das lassen wir nicht unkommentiert“ Weiterer Widerstand wurde angekündigt: „Anfang des Jahres waren wir mit tausenden von Menschen auf der Straße, um gegen die durch das Correctiv aufgedeckten Massendeportations-Pläne der AfD zu demonstrieren. Jürgen Harder baut die Infrastruktur, um genau diese Pläne umzusetzen.“

Nach Medienberichten war in dem Privathaus zum Zeitpunkt der Aktion niemand anwesend. Die Aktivist*innen seien unbekannt entkommen. Die Polizei habe anschließend Ermittlungen wegen der Protestaktion aufgenommen. (cki)

Fotos: Akut+C/iL




Geldstrafe gegen Heidelberger Demoanmelder: Ist das noch Rechtsprechung oder nur noch Schikane?

Die Demo „Winter is coming – Zeit Feuer zu machen“ am 09.10.2022 in Heidelberg | Bild: AIHD

Der Anmelder einer Demonstration wurde vom Amtsgericht Heidelberg zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Vorwurf: Er soll nicht ausreichend auf die Teilnehmenden eingewirkt haben, die Auflagen der Versammlungsbehörde einzuhalten. Wir sprachen mit ihm über die Hintergründe des Verfahrens. (cki)

KIM: Um welche Demo ging es, wie lautete der Vorwurf und wie hat das Gericht geurteilt?

Es ging um die Demo „Winter is coming – Zeit Feuer zu machen“ am 09.10.22 die sich gegen die angekündigten Kürzungen im Sozialbereich aufgrund der diversen Krisen richtete. Mir wurde konkret eine „abweichende Durchführung von Versammlungen“ nach §§25 Nr. 2, 15 VersG vorgeworfen, weil ich die Auflagen nicht ausreichend umgesetzt hätte. Im Strafbefehl standen 60 Tagessätze, die Staatsanwaltschaft hat im Prozess sogar 70 gefordert, das Gericht hat dann auf 40 Tagessätze geurteilt.

KIM: Wie wurden die Vorwürfe im einzelnen von der Staatsanwaltschaft geschildert?

Größtenteils ging es um Vermummung und verknotete Transparente. Dabei haben sie sich insbesondere auf die Aussagen des Einsatzleiters S. und dessen Führungsassistent J. gestützt. Demnach hätte ich mich immer erst nach nachdrücklicher Aufforderung und Drohungen um die Einhaltung der Auflagen gekümmert bzw. sie teilweise gar nicht umgesetzt. Auch die Anzahl der Ordner:innen, hoch gehaltene Transparente und natürlich ein gezündeter Rauchtopf waren Thema.

KIM: Kannst du ein Beispiel nennen?

Die Demo wurde quasi direkt am Startpunkt schon wegen dem Vorwurf der Vermummung gestoppt. Sie konnte erst weiter gehen, als ich mich mit dem Einsatzleiter darauf einigen konnte, dass die Polizei das Filmen einstellt, wenn dafür bei einzelnen Teilnehmenden mehr Gesichtspartien sichtbar werden.

KIM: Von Vermummung stand nichts in den Auflagen, trotzdem wurde dir vorgeworfen, dass das einzelne Teilnehmer*innen gemacht haben?

Schon vor Beginn der Demo hatte ich darüber eine Diskussion mit der Polizei. Interessanterweise ist die Richterin hierauf bezogen der Argumentation meines Anwalts gefolgt: Der hatte darauf hingewiesen, dass Vermummung eine Straftat ist und Anmelder weder die Funktion, noch die Berechtigung haben, Straftaten zu vereiteln. Ich wäre ja auch nicht verantwortlich, wenn es zu Diebstählen auf der Demo gekommen wäre. Verlangt kann von mir nur werden, das einzuhalten, was mir aus Gründen der Sicherheit oder Gefahrenabwehr vom Ordnungsamt ausreichend begründet auferlegt wurde, weshalb sie mein Recht auf Versammlungsfreiheit beschränken. Und was ohnehin verboten ist, muss nicht erwähnt werden und fällt nicht in meinen Zuständigkeitsbereich.

Spannend ist außerdem die Corona Politik: Wenn Vermummung verboten ist und eine Mund-Nasen-Abdeckung eine Vermummung darstellt, hätten sämtliche Ordnungsämter in der Coronazeit zu Straftaten aufgerufen bzw. sie verpflichtend gemacht. Daher musste also vorher festgestellt werden, dass eine FFP2 Maske keine Vermummung darstellt. Vermutlich war das auch der Grund, wieso der Absatz zu Vermummung aus den Standard-Auflagen gestrichen wurde. Bei darauf folgenden Versammlungen, die ich angemeldet hatte, wurde dann wieder darauf Bezug genommen und festgestellt, dass Augen und Stirnpartie noch erkennbar sein müssen, damit es keine Vermummung darstellt. Somit waren dort Menschen vermummter als teilweise auf der Winter is coming Demo, aber entsprachen dort voll den Auflagen

Generell würde es eigentlich lohnen, öfters gegen Auflagen zu klagen, weil diese meistens nicht haltbar sind.

Das Gericht hat sich dann aber darauf bezogen, dass ich je 20 Teilnehmenden ein:e Ordner:in hätte stellen müssen und bei 130 Teilnehmenden nach Polizeizählung nur 5 gestellt hatte. Außerdem hätte ich nicht verhindert, dass Transparente so hoch gehalten wurden, dass die Menschen dahinter nur eingeschränkt sichtbar waren. Also Dinge, die von der Polizei nur nebenbei und quasi noch on top zu meinen anderen Vergehen erwähnt wurden. Die Begründung ist noch nicht raus, aber vermutlich ließe sich das leicht kippen. Letztlich ist es ja auch irgendwie einfach albern. Angesichts der absolut gesehen niedrigen Strafe lohnt sich aber leider der Aufwand nicht.

KIM: Wer hat dich beim Prozess unterstützt und wie ist eure Einschätzung im Nachhinein?

Support habe ich von solidarischen Menschen bekommen. Das Urteil ist nun nach einem akzeptierten Strafbefehl schon das zweite, wegen dem ein Anmelder im Nachhinein aufgrund geringfügiger Vergehen verurteilt wurde. Es ist wichtig, dass wir uns davon nicht einschüchtern lassen und weiterhin Prozesse deswegen zu führen. Ansonsten führt es dazu, dass sich viele Menschen nicht mehr trauen werden, Versammlungen anzumelden. Die Polizei versucht offensichtlich die Anmeldung einer Versammlung mit der realen Gefahr einer Strafanzeige zu konnotieren. Wenn eine Verurteilung berufliche oder private Probleme mit sich bringen kann, stellt dieses Verfahren der Polizei einen massiven Angriff auf die Versammlungsfreiheit dar. Denn dann wäre eine kollektive Meinungsäußerung nicht mehr angstfrei möglich. Wir müssen als linke Szene solidarisch dagegen zusammen stehen und Hilfe im Vorfeld und im Nachgang von Versammlungen organisieren. Das passiert ja ohnehin schon, daher glaube ich aktuell noch nicht, dass die Einschüchterungen Früchte tragen.

KIM: Dann gab es da noch einen kuriosen weiteren Vorfall im Gericht. Kannst du berichten, was da passiert ist?

Der Sachbearbeiter des Staatsschutz Herr K. war der erste Zeuge im Prozess. Nach Ende seiner Befragung und während der Befragung des zweiten Zeugens kam er mit weiteren Staatsschutzbeamten wieder in den Gerichtssaal und forderte einen Zuschauer mit Namen auf, mit ihm zu kommen und all sein Zeug mitzunehmen. Da ca ein Dutzend Zuschauer:innen dabei waren, sind natürlich die meisten hinterher und haben mitbekommen, dass der Genosse für eine Wohnungsdurchsuchung abgeholt wurde. Entsprechend war es möglich, bei seiner Wohnung Support zu organisieren. K. vom Staatsschutz wollte dann versuchen, eine unabhängige Zeugin, was ein Anrecht jedes und jeder Betroffenen bei einer Hausdurchsuchung ist, nicht zu zu lassen, weil diese ja vorher mit ihm im Gerichtssaal gesessen hätte. Glücklicherweise kannte die Genossin die Rechtslage und ließ sich nicht vom aggressiven Auftreten K.s verunsichern. Die Androhung einer Fortsetzungsfeststellungsklage ließ den Polizisten schließlich einsehen, dass er mit seiner Rechtsverdrehung nicht durch kommt.

Es gab nicht mal einen schriftlichen Durchsuchungsbefehl sondern nur den Hinweis auf die mündliche Zusage eines Gerichts. Es ging scheinbar um eine Sachbeschädigung und zusätzlich zu technischen Geräten wurden auch Kleidungsstücke mitgenommen. Dabei haben die Polizisten immer wieder versucht ihren rechtlichen Rahmen zu übertreten und bspw. mehrere Orte gleichzeitig zu durchsuchen oder voyeuristisch private Notizbücher zu lesen.

Hier ist offensichtlich, dass die Inszenierung der Polizei deutlich wichtiger war, als das Auffinden von Beweisstücken. Zwar ist im Nachgang bewusst geworden, dass mehrere Beamte im Gericht auffällig die solidarischen Besucher:innen beobachtet hatten, aber der Betroffene war ja niemand, der plötzlich neu erkannt worden wäre, sondern wurde im Gegenteil ja gleich mit Namen angesprochen und hatte außerdem auch schon in anderen Fällen Kontakt mit den Repressionsbehörden.

Sie hätten also auch einfach morgens um 6 vor der Tür stehen können, aber haben lieber einen Weg gewählt, der es ermöglichen kann, dass vor ihrer Ankunft an der Wohnung schon vorbereitete Menschen in der Wohnung sind. Wichtiger war also eindeutig die Einschüchterung und vielleicht auch zu beobachten wer danach mit wem schreibt und spricht. Die Szene hat sehr geschlossen auf die Hausdurchsuchung reagiert. Somit können wir glücklicherweise sagen, dass ihre Rechnung nicht aufgegangen ist.

KIM: Würdest du wieder eine Demo anmelden?

Ich wusste seit der Demo schon, dass ich angezeigt werde und habe auch nach Erhalt des Strafbefehls eine Hand voll weiterer Versammlungen angemeldet. Natürlich werde ich bei Bedarf jeder Zeit auch noch andere Demos anmelden.




Farbattacke gegen die Uni Heidelberg – Haftstrafe für Klimaaktivisten

Farbattacke auf das Gebäude der Uni Heidelberg im Oktober 2023 | Bild: Alexander Kästel

Nach einer öffentlichkeitswirksamen Farbattacke gegen die Fassade der Uni Heidelberg ist ein Aktivist der „Letzten Generation“ zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt worden. Das Amtsgericht Heidelberg verurteilte den 27 jährigen in einem sogenannten beschleunigten Verfahren. Diese Formen der Verfahren werden angewandt, wenn politischer Druck besteht und die Gerichte für Abschreckung sorgen sollen.

Im Oktober hatten zwei Aktivisten während einer Veranstaltung das Unigebäude in der Heidelberger Altstadt mit einem Feuerlöscher besprüht, der mit orangener Farbe gefüllt war. Die Aktion fand viel Aufmerksamkeit, da sie vor den Augen zahlreicher Studierender sowie der Unirektorin und des Oberbürgermeisters im Rahmen der Erstsemesterbegrüßung stattfand. Die beiden Personen wurden kurzzeitig festgenommen.

Nun verkündete das Amtsgericht sein Urteil gegen Moritz Riedacher, einen der beiden Aktivisten, 6 Monate Haft ohne Bewährung. Die „Letzte Generation“ spricht von einem „skandalösen Gerichtsurteil“. In der Urteilsbegründung soll der vorsitzende Richter sein Unverständnis für den Protest geäußert und dem Aktivisten empfohlen haben, zu anderen Mitteln wie Petitionen zu greifen. Der Staatsanwalt soll sogar ein ganzes Jahr Haft gefordert haben.

Die „Letzte Generation“ dürfte mit der Aktion ihr Ziel erreicht haben: Viel Öffentlichkeit für die Absurdität der herrschenden Verhältnisse. Für Farbe an einer Hauswand kommt man ins Gefängnis, für die Zerstörung der Zukunft der kommenden Generationen bleiben die Verantwortlichen straffrei.

Ein Sprecher der „Letzten Generation“ kommentiert das Urteil folgendermaßen: „Seit 30 Jahren sind alle Petitionen, Demonstrationen, Parteien und Gerichtsurteile darin gescheitert, den deutschen Staat zu ausreichenden Klimaschutzmaßnahmen zu bewegen. Tausende Menschen haben dieses Scheitern mit ihrem Leben bezahlt. Wenn wir es nicht schaffen, die Spirale des Versagens zu durchbrechen, werden Millionen, vielleicht sogar Milliarden Menschen dafür mit ihrem Leben bezahlen. Darum muss jetzt Protest stattfinden, der der Öffentlichkeit die Dramatik der Situation vor Augen führt und sie zum Umdenken bewegt. Genau das hat Moritz Riedacher getan. Statt Moritz übereifrig zu verfolgen, sollte sich der beteiligte Staatsanwalt und Richter überlegen, ob es nicht sinnvoller wäre, endlich die fossilen Verbrecher in den Ölkonzernen und ihre Erfüllungsgehilfen auf der Regierungsbank zur Verantwortung ziehen. Warum sollen die, die unser Gemeinwohl erhalten wollen, eingesperrt werden, während diejenigen, die es zerstören, nie Konsequenzen dafür tragen müssen?

(cki)




Heidelberg: Warum ein AfD-Politiker aus einem Stadtteilverein ausgeschlossen wurde

Der Stadtteilverein Heidelberg-Neuenheim hat den AfD-Politiker Albert Maul nach einer Sondersitzung ausgeschlossen. Das erklärte der Vereinsvorstand gegenüber der Rhein-Neckar-Zeitung (RNZ) Anfang der Woche. Als Grund für den Ausschlusses wurde ein Vorfall genannt, der vom Betroffenen als politisch motvierter Einschüchterungsversuch dargestellt wird.

Die Vorgeschichte: Diskussionen über „Normalisierung der AfD“

Im August wurde der AfD-Anhänger Albert Maul als Beirat in den erweiterten Vorstand des Stadtteilvereins Heidelberg-Neuenheim gewählt. Maul war in der Vergangenheit Mitglied des Heidelberger AfD Kreisvorstand und zudem bekannt als Gesicht hinter AfD-Infoständen. Bei AfD-Veranstaltungen mit Alice Weidel und Andreas Kalbitz soll er als Türsteher am Eingang gestanden haben.

An der Personalie gab es daher Kritik aus vielen Ecken und langanhaltende Diskussionen. Einige Mitglieder, darunter ein großer Sportverein, traten deshalb sogar aus dem Stadtteilverein aus. Die Antifaschistische Initiative Heidelberg kritisierte eine „Normalisierung rechter Positionen“. Der Vorstand des Stadtteilvereins verteidigte zunächst seine Personalentscheidung: Die Parteizugehörigkeit spiele keine Rolle.

Auch der Heidelberger Stadtrat Waseem Butt („Heidelberg in Bewegung“) äußerte sich im Rahmen eines Interviews mit der RNZ zur Debatte. Er kritisierte einerseits die Politik der AfD und zudem den Stadtteilverein dafür, die Normalisierung dieser rechten Politik voran zu treiben. „Eine Zusammenarbeit und Kooperation mit der AfD“ sei „unmissverständlich ausschließen“, so die Forderung von Butt.

Einschüchterungsversuch im Auftrag von AfD und Stadtteilverein?

Stadtrat Waseem Butt | Bild: Daniel Kubirski

Für diese klare Haltung sollte Butt offenbar eingeschüchtert werden. AfD-Mann Albert Maul und ein weiterer Mann suchten Butt nach dem Interview an seiner Arbeitsstelle auf, ein Lebensmittelgeschäft in der Heidelberger Weststadt. Dort stellten sie ihn zur Rede. Butt berichtete, dass er angeschrien und beleidigt wurde. Albert Maul habe zudem gesagt, er sei als AfDler und als Vorstandsmitglied des Stadtteilvereins Neuenheim gekommen. Der Vorfall wurde von einer Videokamera im Geschäft aufgezeichnet. Butt machte den Vorall nach juristischer und polizeilicher Beratung öffentlich.

Das war dann offenbar endgültig zu viel. Der Vorsitzende des Stadtteilvereins, Andreas Knorn, nahm unverzüglich Kontakt mit Butt auf und ließ sich das Video zeigen. In einer Sondersitzung beschloss der Stadtteilverein daraufhin den Ausschluss des AfD-Manns aus dem Verein. Der Vorstand begründete dies gegenüber der RNZ, er habe „in erheblichem Maße gegen die Interessen des Stadtteilvereins verstoßen. Der Stadtteilverein Neuenheim distanziert sich entschieden von diesem Verhalten des betreffenden Beirats.“

Auf seiner Facebook-Seite schrieb Waseem Butt am Mittwoch:

Seit ich den Einschüchterungsversuch durch einen AfD-Aktiven und dessen Begleiter vor meinem privaten Geschäft öffentlich gemacht habe, erreichen mich unzählige Solidaritätsbekundungen. Auch meine demokratisch gesinnten Gemeinderatskollegen haben sich klar gegen den Vorfall positioniert und ihre Unterstützung bekundet.

Ich möchte mich für diese Fülle an Rückendeckung herzlich bedanken. Danke, dass so viele von euch hinter mir stehen. Das zeigt mir: Demokratie, Menschlichkeit und Vielfalt sind hohe Güter, die uns alle angehen und für die die große Mehrheit in unserer Gesellschaft einsteht. Wir dürfen sie aber niemals als selbstverständlich hinnehmen, sondern müssen sie mit Engagement und Willen stärken und gegen ihre Gegner verteidigen – über alle demokratisch gesinnten politischen Lager hinweg. Danke, dass ihr für diese Rechte eintretet, danke, dass ihr standhaft bleibt.

Die AfD sieht die ganze Geschichte übrigens völlig anders. Den unangekündigten Besuch bei Stadtrat Butt, bei dem es zu Geschrei und Beleidigungen gekommen sein soll, sei ein „Gesprächsangebot“ gewesen. Ansonsten beklagen sich die Rechtspopulist*innen über „Medienhetze“ gegen ihre Parteimitglieder. Die Strategie ist so bekannt, wie durchschaubar: Nach Provokationen wird versucht, die Tatsachen umzudeuten und sich selbst als Opfer darzustellen. Gut nur, dass in Heidelberg außer den eigenen Anhänger*innen den Geschichten der AfD niemand glaubt.

(cki)




Antifa-Spaziergang zum Haus der Burschenschaft Normannia

Mit einem lautstarken, kämpferischen Spaziergang zogen rund 70 Antifaschist*innen am Samstag vor die „Villa Stückgarten“ an der Adresse „Am Kurzen Buckel“ unterhalb des Heidelberger Schlosses. Die Immobilie gehört der rechtsnationalen Burschenschaft Normannia, die sich geleakten Mails zufolge in Burschenschaft „Cimbria“ umbenennen will. Nach einem antisemitischen Vorfall im Jahr 2020, dem viel schlechte Presse für die Burschenschaft und ein Strafprozess für die Gewalttäter folgte, versucht die Normannia nun offenbar einen Neuanfang. Ihre Aktivitas (in der Burschenschaft aktive Studenten) hatte sie damals aufgelöst, so dass die rechte Verbindung nur noch aus sogenannten „Alten Herren“ besteht, von denen viele tatsächlich auch im hohen Alter sein sollen. (red)

Wir dokumentieren den Redebeitrag der Antifaschistische Initiative Heidelberg, die zum Spaziergang aufgerufen hatte:

Wir stehen heute erneut vor dem Haus der Burschenschaft Normannia. Wie aus veröffentlichten Emails hervorgeht, wurde auf dem „Generalconvent“ am 29. April 2023 beschlossen, dass die Burschenschaft Normannia sich in Burschenschaft Cimbria umbenennen will und aus dem Nazi-Dachverband Deutsche Burschenschaft austreten wird. Einen Tag später, am 30. April zogen über 400 Antifaschist*innen genau hier am Haus vorbei. Wie vor einigen Monaten besteht auch heute keine endgültige Klarheit, was genau in dem Haus vor sich geht. Aber einige Sachen sind klar: Die Burschenschaft Normannia ist seit dem antisemitischen Angriff 2020 und dem folgenden Medienrummel in einer Defensive, aus der sie sich nur schwer und vielleicht nie wieder erholen wird.

Man könnte also fragen, warum wir heute hier sind, wenn möglicherweise niemand von denen, gegen die wir protestieren, dort drinnen ist. Die Antwort auf diese Frage ist: Weil wir nicht warten werden, bis sich eine neue Aktivitas einnistet. Weil wir nicht zulassen, dass die Normannia sich mit einer Umbenennung ihrer Geschichte entledigt. Weil wir dafür kämpfen, dass die Burschenschaft Normannia sich nie wieder von ihren Rückschlägen erholt und ein für alle Mal von der Bildfläche verschwindet. Die Villa Stückgarten, das Herzstück der Normannia und jahrelanger Vernetzungsort der lokalen und regionalen Rechten, ist das letzte und sichtbarste Hab und Gut der Nazi-Burschenschaft. Die verbliebenen Alten Herren werden vieles tun, um das Haus als finanzielle und ideologische Stütze zu erhalten und wir werden ebenfalls nicht die Augen davon lassen.

Unser primäres Ziel ist, dass das rechte Netzwerk ihren größten Rückzugsort verliert und dort keine Basis mehr aufbauen kann. Dafür gibt es viele Wege. Die internen Dokumente zeigen, dass der Kontostand des Hausvereins „Villa Stückgarten e.V.“ zwar noch hoch ist, aber weiter sinkt. Denn: Seit 2020 sind die Alten Herren, also die Geldgeber, massenweise ausgetreten; die einen, weil sie völlig überraschend aus den Medien erfuhren, dass sie in einer Nazi-Struktur mitwirken, die anderen, weil ihnen der neue, angeblich liberalere Kurs, der zur Rettung der Normannia führen soll, zu wenig nationalsozialistisch ist. Zu erwähnen ist in diesem Kontext auch die Demographie des Vereins, denn viele der Alten Herren sind tatsächlich sehr alt. Dass Beitragszahler nach und nach einfach aussterben, während keine neuen Generationen nachkommen, wird für die Struktur ein sehr ernthaftes Problem. Insgesamt hat sich die Zahl der Alten Herren der Burschenschaft Normannia seit September 2020 bis Februar 2023 auf fünzig halbiert. Als Konsequenz wurden die Beiträge für jeden Einzelnen erhöht, womit sich der Altherrenverband Zeit erkauft.

Hinzu kommt dann auch noch eine ausstehende Prüfung des Heidelberger Finanzamtes, denn der Verein, der das Haus verwaltet, der „Villa Stückgarten e.V.“ ist, Stand jetzt, so absurd das klingt, gemeinnützig. Eine Prüfung dieser Gemeinnützigkeit für 2021 bis 2023 durch das Heidelberger Finanzamt steht noch aus. Falls das Finanzamt Heidelberg dem Hausverein den Status der Gemeinnützigkeit aberkennt, verliert der Verein möglicherweise sein Vermögen und damit auch die Villa, die laut Satzung, welche die Normannia diesbezüglich nicht mehr rückwirkend ändern kann, an die Universität Heidelberg geht.

Damit besteht die reale Chance, dass die „Villa Stückgarten“ ins Eigentum der Universität Heidelberg übergeht. Aus unserer Sicht wäre das zwar deutlich besser als der Status quo, wir stellen uns jedoch eine tatsächliche Vergesellschaftung vor, bei der ein progressiver und tatsächlich gemeinnütziger Verein entscheiden kann, wie das Haus zukünftig genutzt werden soll. Die „Alten Herren“ jedenfalls versuchen ihre „Villa Stückgarten“ – über alle Skandale hinweg – als Basis zukünftiger burschenschaftlicher Aktivitäten zu bewahren. Dabei sind wir bei weitem nicht die einzigen, die sich für die Villa der Normannen interessieren: So erkundigte sich im November 2020 beispielsweise eine Verbindung aus München, ob das Haus der Normannen zum Verkauf stehe: Das Interesse wurde auch damit begründet, dass die Sorge bestehe, dass das Haus an die Universität oder sogar an „die“ Antifa fallen könnte. Es zeigt sich also, dass dieses Haus, an dem wir heute stehen, einen entscheidenden Faktor in der Frage spielt, ob es der Normannia oder bald Cimbria gelingt, eine neue Aktivitas aufzubauen, oder nicht.

Die veröffentlichten Dokumente zeigen umfangreich, unter welchem Druck der Altherrenverband in der Verteidigung des Hauses steht, und offengestanden hat es wirklich Spaß gemacht, die verzweifelten und niedergeschlagenen Mailwechsel der Nazis zu lesen.Es reicht aber nicht aus, deren Machenschaften zu lesen und sie der Öffentlichkeit zu präsentieren, denn kein rechtes Netzwerk wurde allein durch darauffolgende Empörung und Online-Kommentare zerstört. Am Fall der Normannia zeigt sich erneut, dass antifaschistische Arbeit auf vielen Ebenen stattfinden muss: Recherche, Aufklärung und direkte Aktionen. Wir müssen wissen, mit wem und was wir es zu tun haben, wir müssen möglichst viele Menschen darüber informieren, politisieren und Verständnis für unsere Positionen schaffen. Zuletzt braucht es aber ebenso Aktionen, die rechte Netzwerke in ihrem Handeln einschränken und ihnen verdeutlichen, dass wir ihnen überall dort entgegentreten, wo sie sichtbar werden. Es liegt an uns, wie oft wir noch VOR diesem Haus stehen. Die Normannia ist am Boden. Sorgen wir dafür, dass sie nicht mehr aufsteht.

Antifaschistische Initiative Heidelberg




Scharfe Kritik des Tierschutzbundes am Heidelberger Zoo

Der Große Kudu | Symbolbild: Pixabay

Der Große Kudu – eine Antilopenart – gehört zu den beeindruckendsten Säugetieren Afrikas. Böcke sind bis zu zweieinhalb Meter lang, können sieben Zentner wiegen und tragen schraubenzieherförmige Hörner, die über 90 Zentimeter lang sein können. Auch im Heidelberger Zoo lebte bis zum Frühjahr ein solcher Kudu-Bock mit seiner Herde – bis entsetzte Besucherinnen Teile des bis dahin jungen und völlig gesunden Tieres im Gehege von Löwen und Tigern entdeckten.

Vorgeschichte

Der Zoo hatte sich entschlossen, die Haltung der Kudus aufzugeben, weil er mehr Platz für andere Tiere schaffen wollte. Die Weibchen konnten in Einrichtungen in Deutschland, Frankreich und der Slowakei untergebracht werden. Mitte Februar gab der Zoo bekannt, das letzte Mitglied der Großen Kudu-Herde habe den Zoo verlassen. Dass der Bock erschossen worden war, kam aber erst durch die Beobachtungen der Besucherinnen heraus. Für ihn hatte sich kein Abnehmer gefunden. Der mitgeteilte Grund: Antilopenböcke könnten nicht in bestehende Herden integriert werden, wenn diese bereits ein dominierendes Männchen haben. Außerdem habe dieser Bock seine Gene bereits durch mehrere Nachkommen weitergegeben und sei deshalb für eine weitere Zucht nicht mehr vorgesehen.

Der Tierschutzbund wies nun darauf hin, dass dieses Beispiel bei Weitem kein Einzelfall sei. In ganz Europa würden Zoos Tiere töten, die als “überzählig” gelten. Schätzungsweise 3.000 bis 5.000 Tiere jedes Jahr. Erschossen oder eingeschläfert oder mit einem Bolzenschussgerät getötet. Es handle sich dabei vor allem um Männchen und häufig um Tierarten, die vom Aussterben bedroht sind. Im Tierschutzbund-Magazin “Du und das Tier” schreibt Redakteurin Nadine Carstens: „Sie kehren lieber unter den Teppich, wie viele ihrer Bewohner sie Jahr für Jahr töten, obwohl diese oftmals noch jung und gesund sind. Nach außen hin vermitteln viele von ihnen eine heile Welt, in der sie sich für den Artenschutz und eine Aufklärung der Öffentlichkeit einsetzen.”

‘Überzählige’ Giraffen, Gorillas und Elefanten

Der Fall des Heidelberger Kudu-Bocks ist nicht der erste, der in die Öffentlichkeit gelangte und Empörung auslöste. 2014 wurde in Kopenhagen die gesunde, eineinhalb Jahre alte Giraffe Marius getötet, vor Publikum ausgeweidet und dann den Löwen zum Fraß vorgeworfen. Auch hier war es wegen Inzuchtgefahr nicht möglich gewesen, das Tier weiterzuvermitteln. Nadine Carstens hierzu: “Vordergründig gehört es zwar zu den Aufgaben von Tierparks, … bedrohte Tierarten und ihr Erbgut zu erhalten. Oft züchten Zoos aber auch Tiere, die in der Natur nicht gefährdet sind – dann ist es unter anderem das Ziel, mit dem süßen Tiernachwuchs Publikum anzulocken.”

Dass es vor allem bei der Geburt männlicher Tiere zu gefährlichen Konkurrenzkämpfen oder Platzmangel oder Inzucht kommen kann, ist nicht nur bei der Haltung von Antilopen ein Problem, sondern beispielsweise auch bei Gorillas. Im Nürnberger Tiergarten wurden deshalb jetzt zwei 2019 und 2020 geborene Gorillas kastriert, obwohl sie der vom Aussterben bedrohten Art der Westlichen Flachlandgorillas angehören. Die Tiere auszuwildern war nach Mitteilung des Tiergartens nicht möglich, weil die Lebensbedingungen in den Schutzgebieten sowieso immer schlechter würden und weil die beiden Jungtiere und freilebende Gorillas sich möglicherweise gegenseitig mit Krankheiten infiziert hätten oder durch Wilderer getötet würden.

Ungewollt bekräftigt diese Argumentation, worauf Tierschützer und Tierrechtler schon lange hinweisen: Die Haltung (nicht nur) von Menschenaffen in Tiergärten ist an sich hoch problematisch. Da keine Perspektive auf Auswilderung besteht, trägt ihre Haltung gar nicht zum Arterhalt bei, sie werden de facto nur gezüchtet, um sie zur Schau zu stellen. Auch das Problem des Platzmangels entsteht erst dadurch, dass die Tiere auf begrenztem Platz gefangen gehalten werden. Da die Affen weder ihren Bewegungsdrang noch ihr Sozial- und Fortpflanzungsverhalten ausleben können, kann die Haltung auch nicht als artgerecht bezeichnet werden.

Auch bei Elefanten können männliche Nachkommen von den Zoos häufig nicht gehalten werden. Die Herden werden von Weibchen geführt, Bullen müssen in einem bestimmten Alter die Herde verlassen. Denise Ritter, Referentin für Wildtiere beim Deutschen Tierschutzbund fasst die Problematik zusammen: “Wildtiere in Menschenobhut sind ohnehin durch die Haltung in einem künstlichen Umfeld und auf  begrenztem Raum vielen Einschränkungen ausgesetzt. Das Ziel, den Tieren einen naturnahen Lebensraum zu bieten, lässt sich nicht mit einem Überschuss an Tieren vereinbaren – obwohl Zoos diese Notlage vorhersehen können, züchten sie weiter.” Für Gorillas, Antilopen, Elefanten und alle anderen Zootiere bestätigt sich die alte Erkenntnis: Artgerecht ist nur die Freiheit!

Streicheltiere werden Tierfutter

Angenommen, jemand möchte seinen Hund erschießen, weil er dessen Platz lieber für ein Terrarium verwendet oder weil der Hund sich nicht für die Zucht eignet. Dies würde mit Recht nicht nur als verwerflich, sondern auch als kriminell bezeichnet werden. Zoos jedoch töten Tiere nicht nur, weil sie Platz brauchen oder weil die Tiere gerade nicht in das Zuchtprogramm passen. Sie töten auch Tiere, die sie zuvor gezielt als sogenannte Futtertiere für Großkatzen, Krokodile, Greifvögel usw. gezüchtet haben. Es handelt sich nicht nur um Mäuse, Meerschweinchen und Kaninchen, sondern auch um größere Tiere wie Zebras, Rinder und Hirsche. 2015 enthüllte der ‘Focus’, dass der Münchner Zoo dazu auch Schafe, Ziegen und andere Tiere aus seinen Kuschelgehegen erschießt und sie dann sogenannten Beutegreifern vorwirft. Die Begründung durch den stellvertretenden Zoodirektor lautete: Die Kadaver seien noch warm und am Stück, wenn sie den Löwen, Tigern, Geparden oder Bären vorgeworfen werden. Die Raubtiere würden so auch eine Beschäftigung erhalten. Seitdem wurde bekannt, dass auch viele andere Zoos so verfahren und dass diese Praxis in ganz Europa üblich ist. Eine entscheidende Rolle spielt hierbei, dass die sogenannten Streicheltiere nur solange für beste Einnahmen sorgen, solange sie klein und niedlich sind. Wenn sie größer werden, sind sie weniger attraktiv und verbrauchen mehr Platz. Dann ist es ökonomischer, sie zu verfüttern. James Brückner, Leiter der Abteilung Wildtiere beim Deutschen Tierschutzbund hierzu: “Diese Art und Weise der Bestandsregulierung stellt nicht nur einen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz dar, sondern ist auch ethisch unverantwortlich.” Brückner ergänzt, dass er die Haltung von Säugetieren nicht für artgerecht hält: “Bei vielen Arten ist dies in Zoos schlichtweg nicht möglich, da ihr Bewegungsraum zu stark eingeschränkt ist und sie wichtige Verhaltensweisen nicht ausleben können – zum Beispiel können Großkatzen nicht jagen und Menschenaffen werden geistig nicht genügend ausgelastet.”

Wozu überhaupt Zoos?

Etwa 25 Millionen Tiere werden weltweit  in mehr als 10.000  Zoos und zooähnlichen Einrichtungen gefangengehalten. 3.000 davon befinden sich in Europa, mehr als 860 in Deutschland. Etwa 2.500 Tiere aus 250 Arten werden im Durchschnitt in einem Zoo gehalten.

Vor etwa 800 Jahren entstanden in Europa Tiersammlungen, um den Reichtum und die Herrschermacht ihrer Besitzer zu dokumentieren. Die erste größere Tiersammlung entstand 1220 am sizilianischen Hof Friedrichs des II. Bis zum 17. Jahrhundert legten sich vor allem Fürsten und Kardinäle Menagerien zu, so die Medici in Florenz und Kardinal Borghese in Rom. Kaiser Ferdinand begründete 1542 bei Wien eine Tiersammlung und Ludwig XIV. 1662 in Versailles. 1789 wurde diese in eine öffentliche Menagerie im Pariser Jardin des Plantes überführt und wurde  in Europa zum Modell für die Gründung weiterer Zoos, die sich vor allem an das zahlungskräftige Bürgertum richteten. Viele große Zoos entstanden im 19. Jahrhundert in jenen Ländern, die als Kolonialmächte Zugriff auf unbegrenzten Nachschub an Wildtieren hatten.

Der Tierhändler Hagenbeck öffnete seinen 1874 in Hamburg eingerichteten “Thierpark” für das Massenpublikum, indem er die Eintrittspreise senkte und die Zurschaustellung der Wildtiere mit Zirkus- und Rummelplatzattraktionen verknüpfte. Bis in die 1930er Jahre veranstalteten zahlreiche Zoos die von ihm eingeführten “Völkerschauen”, rassistische Veranstaltungen, in denen “exotische Menschen” aus “rückständigen” Ländern und Kulturen der Gafferei dargeboten wurden.

Während des ersten Weltkrieges sowie in der Nachkriegszeit erlebten Zoos und Tierparks eine Verminderung der zur Verfügung stehenden Mittel und des Interesses, erst mithilfe der imperialen Nazi-Ideologie ging es nach 1933 wieder aufwärts. Heruntergekommene Zoos wurden instandgesetzt und neue gegründet, so auch 1933 der Heidelberger Zoo, der 1934 eröffnet wurde. Ermöglicht wurde die Gründung durch großzügige Zuwendungen einer Stiftung des Geheimrates Carl Bosch. Bosch hatte 1931 den Nobelpreis für Chemie erhalten und war von 1925 bis 1935 Vorstandsvorsitzender des Chemiekonzerns I.G.-Farben. 1933 unterstützte der Konzern unter seiner Leitung den Wahlkampf der NSDAP mit 400.000 Reichsmark, der höchsten Einzelspende der deutschen Wirtschaft an die Nazi-Partei. Bosch übernahm 1935 den Vorsitz des Aufsichtsrats, setzte sich für die Aufrüstung des NS-Regimes ein und wurde 1938 zum NS-Wehrwirtschaftsführer ernannt. Noch immer gibt es in Heidelberg, Mannheim und Ludwigshafen Straßen, ein Museum und ein Gymnasium, die nach Carl Bosch benannt sind.

Gesellschaftliche Funktion der Zoos

Dieser knappe Galopp durch die Geschichte soll offenlegen, dass Menagerien, Zoos, Tierparks usw. in den letzten 800 Jahren eine im Grunde gleichbleibende gesellschaftliche Funktion erfüllten, eine Funktion, die zuvor die Herrscher des alten Ägypten, Persien, Griechenland und Rom auch schon, aber mit anderen Mitteln verfolgt hatten: Sie bezeugen und veranschaulichen, dass herrschende Klassen und ihre jeweiligen Systeme nicht nur über Menschen herrschen, sondern auch über die Natur, besonders über deren große und starke Tiere. Die Geschichte führt uns zu dem, was wir gerade in absurder und beängstigender Zuspitzung erleben: Dass die Herrschaft über Menschen und über die Natur zwei Seiten einer Medaille sind, weder können sie voneinander getrennt werden, noch kann die eine Herrschaft ohne die andere überwunden werden.

Aber: Tut man den Zoos von heute nicht Unrecht, wenn man unterstellt, dass dies immer noch so ist? Die problematische Geschichte der Tiersammlungen zur Zeit der Fürsten und der Könige, des Kolonialismus und der Nazizeit, wurde bisher wissenschaftlich kaum und gesellschaftlich noch weniger aufgearbeitet. Trotzdem gerieten Zoos Mitte der 1970er Jahre massiv unter Druck. Im Zusammenhang mit dem Washingtoner Artenschutzübereinkommen von 1973 wurde klar, dass Wildfänge für Zoos einen enormen Anteil daran hatten, dass viele Tierarten überhaupt vom Aussterben bedroht waren. In Italien und England erreichten starke Bewegungen von ZoogegnerInnen, dass viele Zoos geschlossen wurden. Plötzlich versuchten die Zoos, Missstände zu beseitigen oder zu kaschieren und entwickelten neue Konzepte. Es setzte sich das Konzept durch, dass der “moderne Zoo” auf “vier Säulen” steht: Bildung, Artenschutz, Forschung und Erholung. In seinem “Schwarzbuch Zoo” von 2019 zeigt der Autor Colin Goldner auf, dass keine der vier Säulen einer Überprüfung standhält. Eine zentrale Kritik lautet, dass ein Verständnis der Natur in Zoos gerade nicht vermittelt wird. Wenn die Tiere in Käfigen, Bunkern und künstlichen Anlagen vorgeführt werden, fördert dies eher Zerrbilder und Klischees. Das Leiden der gefangenen, ihrer Freiheit, ihrer Kraft und ihrer Würde beraubten Tiere fällt den Menschen nicht mehr auf. Die Menschen lernen, das Widernatürliche als das Natürliche zu sehen. Wer einmal das Glück hatte, einen Hirsch im Wald zu beobachten, möge die Vitalität und Anmut dieses Tieres vergleichen mit der hoffnungslosen Lethargie, die etwa die Bisons im Käfertaler Wald ausstrahlen (die übrigens immer wieder ohnmächtig und ohne Ausweg erleben müssen, dass ein Mitglied ihrer Familie vor ihren Augen erschossen wird).

Und die Kinder?

Viele gehen vor allem der Kinder wegen in den Zoo, denn alle Kinder lieben Tiere, und viele Eltern spüren und erkennen, dass es für Kinder nicht nur schön ist, Tiere zu erleben, sondern ihnen auch in der Entwicklung emotionaler und sozialer Stärken helfen kann. Aber im Zoo oder im Zirkus erleben Kinder Tiere, die sich entweder artfremd oder apathisch verhalten. Die vernichtende Entfremdung der Gefangenschaft, die Rilke in seinem Gedicht “Der Panther” (im Jardin des Plantes) zum Ausdruck brachte, spüren unsere noch empfindungsfähigen Kinder ebenfalls, meist ohne sie jedoch in Worte kleiden oder sich überhaupt bewusst machen zu können. Zudem sehen sie, dass es anscheinend normal ist, Tiere gefangen zu halten und zur Schau zu stellen. Kinder erfassen mit ihrem feinen Gespür, dass diese Tiere leiden. Aber selbst wenn sie sich das bewusst machen und in Worte kleiden könnten, wäre es schwer für sie, dies anzusprechen, weil sie das in einen Loyalitätskonflikt zu den Erwachsenen stellen würde, die ihnen doch nur einen Gefallen tun wollen. Wer Kinder im Zoo oder im Zirkus genau beobachtet, kann sehen, wie schwer ihnen eine Orientierung fällt. Einige wenden sich ab, verlieren anscheinend das Interesse. Die meisten aber entwerten ihr eigenes Mitgefühl und nehmen es zurück. Das aber bedeutet letztendlich, dass die charakterliche und soziale Entwicklung des Kindes einen Schaden genommen hat. Es muss also die Frage gestellt werden, inwiefern Zoo- (und Zirkus)-besuche Kindern überhaupt dienen und wie diese Besuche vom Standpunkt einer emanzipatorischen Erziehung aus zu sehen sind. Diese hat ja, wie wir von Adorno wissen,  das Ziel, gesellschaftliche Strukturen und Machtverhältnisse nicht einfach zu reproduzieren, sondern die Menschen dazu in die Lage zu versetzen, sie mündig, kritisch und selbstverantwortlich zu hinterfragen. Sie richtet ihren Blick auf Abhängigkeiten und Herrschaftsverhältnisse, ihr Anliegen ist die Bekämpfung aller Arten von Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Die Förderung von Empathie und Solidarität, die, wie Horkheimer es nannte “Solidarität mit der Natur überhaupt” ist ihr ein wesentlicher und unverzichtbarer Bestandteil und deshalb nicht nur Aufgabe der Eltern, sondern auch der ErzieherInnen und LehrerInnen und der gesamten Gesellschaft. Emanzipatorische Erziehung sollte hier damit beginnen, das Leid und die Ausbeutung der Tiere immer wieder sichtbar zu machen, statt es zu verschweigen, zu ignorieren oder abzuspalten.

In Deutschland allein werden an einem Arbeitstag über 15 Millionen Tiere geschlachtet, knapp vier Milliarden in einem Jahr. Etwa 99 Prozent von ihnen kommen aus Massenhaltungen, was bedeutet, dass ihr kurzes Leben viel mehr Leid beinhaltete als das Leben eines Zootiers.

Sollten Kinder auf die Spur dieses von der Fleischindustrie verhüllten und abgestrittenen gigantischen Leidens kommen und vielleicht kein Fleisch mehr essen wollen, dann, liebe Eltern, könnt ihr erkennen, dass ihr in der Erziehung eures Kindes anscheinend sehr vieles richtig gemacht habt. Vielleicht können diese Worte von Rosa Luxemburg euch und eure Kinder hierbei unterstützen:

“Eine Welt muss umgestürzt werden, aber jede Träne, die geflossen ist, obwohl sie abgewischt werden konnte, ist eine Anklage; und ein zu wichtigem Tun eilender Mensch, der aus roher Unachtsamkeit einen Wurm zertritt, begeht ein Verbrechen.”

Michael Kohler

 




Heidelberg: Polizeikritik und Pfefferspray

Nach der Veranstaltung trafen die mutmaßlichen Störer*innen auf Polizeiabsperrungen, wo ihnen der Durchgang verwehrt wurde. | Bild: AIHD

Aktuell zeigt die Friedrich-Ebert-Gedenkstätte in der Heidelberger Altstadt die Ausstellung „Freunde – Helfer – Straßenkämpfer. Die Polizei in der Weimarer Republik“ (KIM berichtete). In diesem Rahmen fand am Donnerstag, 27. April eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Wer schützt die Demokratie – Wer schützt die Polizei?“ statt, an der rund 30 kritische Zuhörer*innen teilnahmen, die Veranstaltung störten und am Ende von Polizist*innen mit Pfefferspray attackiert wurden.

Die Ausstellung „Freunde – Helfer – Straßenkämpfer“ ist eine Wanderausstellung des niedersächsischen Polizeimuseums. Kritiker*innen sehen darin den Versuch, das Image der Polizei in Zeiten zunehmender Kritik an rassistischer Gewalt und rechten Netzwerken in der Behörde durch vermeintlich selbstkritische Aufarbeitung aufzupolieren.

Massive Störung mit kritischen Worten

An der Podiumsdiskussion „Wer schützt die Demokratie – Wer schützt die Polizei?“ wurde kritisiert, dass es zwar um wichtige Themen gehe, aber nur Polizist*innen und die Bürgermeisterin auf dem Podium über sich selbst reden. Kritische Menschen waren nicht eingeladen.

Im Publikum saßen allerdings umso mehr Kritiker*innen der Polizei, die sich unaufgefordert an der Diskussion beteiligten, in dem sie Stellungnahmen zu tödlicher und rassistischer Polizeigewalt verlasen und lautstark Kritik an der Veranstaltung äußerten. Die Veranstalter*innen versuchten erfolglos die Wortbeiträge zu unterbinden, Redezettel aus den Händen zu reißen und die unterschiedlichen Lager schrien sich gegenseitig an. Die Veranstaltung war damit gesprengt.

Von den Aktivist*innen im Publikum wurde eine Schweigeminute für die Opfer von Polizeigewalt gefordert. Da es dazu erwartungsgemäß nicht kam, verließen sie kollektiv die Veranstaltung. Zurück blieben nur etwa 10 Personen.

Die Friedrich-Ebert-Gedenkstätte hatte zwischenzeitlich offenbar die Polizei wegen Verstärkung angerufen, so dass die Aktivist*innen in den Straßen um den Veranstaltungsort auf Polizeiabsperrungen trafen. Als Personenkontrollen durchgeführt werden sollten, kam es zu Pfeffersprayattacken, bei denen mehrere Aktivist*innen verletzt wurden. Einige kamen in Handschellen in Polizeigewahrsam.

„Wer schützt die Menschen vor der Polizei?“

Die Friedrich-Ebert-Gedenkstätte reagierte anschließend mit einem Statement ausweichend. Man begrüße es, „dass so viele junge, politisch engagierte Menschen den Weg zu unserer Podiumsdiskussion gefunden haben. Sehr bedauerlich ist hingegen, dass keinerlei Bereitschaft bestand, in einen Dialog zu treten und stattdessen versucht wurde, die Veranstaltung durch das Verlesen von Parolen und Sprechchöre zu sprengen.“

Noch im Veranstaltungsraum wurden die polizeikritischen Aktivist*innen vom Veranstalter allerdings pauschal als „Linksextremisten“ beleidigt, die „keine Demokraten“ seien.

„Jede Kritik an staatlichen Organen und insbesondere an der Polizei (…) wird mit massiver Polizeigewalt beantwortet“, schreibt die Antifaschistische Initiative Heidelberg zum Vorfall. In Anspielung auf den Veranstaltungstitel kommentiert deren Sprecherin: „Die Frage lautet also eindeutig nicht ‚Wer schützt die Polizei?‘, sondern ‚Wer schützt die Menschen vor der Polizei?‘.

Wenige Tage, bevor sich die Tötung eines Mannheimers durch die Polizei jährt, sei die Kritik aktuell und zutreffend. Nun müsse man erst recht auf die Straße gehen. Am 2. Mai, dem Jahrestag des Todes von A.P. ist in Mannheim erneut eine Demonstration gegen Polizeigewalt geplant. Bisher gibt es immer noch keinen Prozess gegen die zwei Polizist*innen, die den psychisch kranken Mannheimer mutmaßlich durch Anwendung massiver körperlicher Gewalt auf dem Marktplatz in aller Öffentlichkeit und grundlos getötet haben. (cki)




Polizeipropaganda in der Friedrich-Ebert-Gedenkstätte Heidelberg

„FREUNDE – HELFER – STRASSENKÄMPFER“

Grafik: AIHD

Am 30. März beginnt in der Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte in Heidelberg in der Pfaffengasse die Sonderausstellung „Freunde – Helfer – Straßenkämpfer. Die Polizei in der Weimarer Republik“. Die Wanderausstellung des Polizeimuseums Niedersachsen soll in Heidelberg die „widersprüchliche“ Geschichte der Polizei in der Weimarer Republik nachzeichnen und wird neben der Friedrich-Ebert-Stiftung durch das Polizeipräsidium Mannheim (das auch für Heidelberg zuständig ist) unterstützt. Darüber hinaus soll es am 27. April ein Podiumsgespräch mit dem Titel „Wer schützt die Demokratie? Wer schützt die Polizei?“ geben, zu dem der Leiter des Mannheimer Polizeipräsidiums eingeladen ist.

Dass die Polizei ihr Image in der Region mit einer Ausstellung wie dieser aufbessern will, ist naheliegend: Die zahlreichen Fälle von dokumentierter tödlicher Polizeigewalt brachten letztes Jahr viele Menschen auf die Straße. Legitimation, Akzeptanz und Zuspruch sind Ressourcen, die die Polizei gerne als politische Waffe in den nächsten Einsatz mitnehmen möchte, um weiterhin die allgemeine Deutungshoheit über jeden von ihr verursachten Konflikt zu behalten. Gerade bei vielen jungen Menschen, besonders bei denen mit so genanntem „Migrationshintergrund“, ist das Bild der Polizei weit entfernt von der Bezeichnung der Ausstellung: Für sie steht die Polizei für Schikane, Willkür und Gewalt. Es ist nicht mal ein Jahr her, dass Mannheimer Cops am 2. Mai einen Menschen am hellichten Tag auf offener Straße gefesselt und totgeschlagen haben. Am 10. Mai 2022 starb ein weiterer Mannheimer, nachdem Polizisten in seine Wohnung eingedrungen waren und auf ihn geschossen hatten; die Obduktion erklärte, der Tote sei nicht an den Schüssen, sondern an Herz-Kreislauf-Versagen gestorben. Damit zählen beide Mannheimer Toten nicht zu den zehn Personen, die laut der Zeitung CILIP im Jahr 2022 von der Polizei erschossen wurden.

Die pseudokritische Auseinandersetzung mit der Geschichte der Polizei hat letztlich nur das Ziel zu zeigen, dass wir froh sein sollen über die Polizei, die wir heute haben. Neonazi-Netzwerke in der Polizei werden als Einzelfälle abgetan, und dass es ein strukturelles Problem mit Rassismus und Rechtsextremismus in der Polizei gibt, leugnen ihre Dienstherren und Vertretungen, allen voran die reaktionäre Polizeigewerkschaft DPolG, konsequent. Wenn Linksliberale oder Cops von der „Notwendigkeit einer starken Demokratie“ sprechen, meinen sie damit nichts anderes als die Eingliederung jedes gesellschaftlichen Prozesses in die Regeln, Normen und Zwänge der bestehenden Verhältnisse. Wer sagt, dass genau diese Verhältnisse das Problem sind und dass sie beseitigt werden müssen, ist schnell ein*e schlimme*r Antidemokrat*in und wird aus dem bürgerlichen Diskurs gedrängt. Gleichzeitig versucht der Staat mit pseudokritischen Ausstellungen und Diskussionen, die Kritik und Wut über gesellschaftliche Missstände selbst zu übernehmen und völlig zu entschärfen. Das vollkommen Offensichtliche, wie die Tatsache, dass die Polizei in der Terrorherrschaft der Nazis problemlos aufging, wird als aufrichtige und reflektierte Selbstkritik verkauft, während tatsächliche Kritik über die Zustände damals und heute außen vor bleibt.

Für uns ist klar: Im kapitalistischen Staat schützt die Polizei die Interessen und die Ordnung der herrschenden Klasse und steht damit zwischen uns und der Überwindung des Kapitalismus. Das Überwältigen, Verletzen und Töten von Menschen gehört schlichtweg zu genau diesen Aufgaben.

Dass die Friedrich-Ebert-Gedenkstätte reaktionäre Propaganda bei sich ausstellt, ist eigentlich nicht überraschend: War es doch gerade Reichspräsident Ebert, der 1919 die Rätebewegung von staatlichen Truppen und faschistischen Freikorps blutig niederschlagen ließ. 1920 setzte Ebert Reichswehr und Polizei gegen die Arbeiter*innen ein, die durch ihren Generalstreik den faschistischen Kapp-Putsch abgewehrt hatten. Dass die vielen Menschen, die 1921 wegen ihrer Beteiligung am Mitteldeutschen Aufstand von der Polizei ermordet wurden, ebenfalls auf Eberts Konto gehen, versteht sich von selbst, ebenso wie die Toten des Hamburger Aufstands 1924.

Auch wenn die Mordrate durch die „Ordnungshüter“ in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre etwas sank, bedeutet das keineswegs, dass die Einsatzkräfte der Weimarer Republik sich jemals zurückgehalten hätten. Brutale staatliche Maßnahmen gegen Demonstrationen und Arbeitskämpfe gehörten zum politischen Alltag, wenn auch in der Regel durch Knüppel- und Pferdeeinsatz mit zahllosen teils schwer Verletzten. Doch bald mehrten sich die polizeilichen Massaker erneut: Der Blutmai 1929 forderte Dutzende Tote und Hunderte Verletzte, als die Polizei unter dem SPD-Politiker Karl Zörgiebel vom 1. bis 3. Mai in Berlin auf Versammlungen, einzelne Passant*innen und Wohnungsfenster schoss, um das verhängte Demonstrationsverbot durchzusetzen. Und das ist nur eines von vielen Beispielen: Selbst die konservativen Zahlen der amtlichen Statistik belaufen sich für 1929 auf reichsweit 46 durch Polizeischüsse Getötete, und 1930 kamen mindestens 34 Menschen durch Polizeieinsätze ums Leben – meist hatten sie an politischen Versammlungen oder Streiks teilgenommen, die die Repressionsorgane mit oftmals mörderischer Gewalt zerschlugen. Ab 1931 schnellten die Zahlen empor, und für 1932 sind die Namen und Todesumstände von mindestens 81 von der Polizei Getöteten bekannt. Darunter waren beispielsweise die 18 Toten des „Altonaer Blutsonntags“ am 17. Juli 1932, als die Polizei auf antifaschistische Demonstrant*innen und unbeteiligte Anwohner*innen schoss. Kurz zuvor war der „Schießerlass“ des Innenministers Carl Severing (SPD) ergangen, der die Beamten am 2. Juli 1932 zum Schusswaffengebrauch „zur Brechung tätlichen Widerstandes“ aufforderte. Dieser Freibrief wurde von der Polizei genutzt, und staatliche Morde wie das Blutbad im Dresdner Keglerheim, dem am 25. Januar 1933 neun Arbeiter aus dem Vortragspublikum zum Opfer fielen, machten deutlich, dass die Sicherheitsbehörden der Weimarer Zeit nur darauf warteten, noch enthemmter gegen die Arbeiter*innenbewegung vorgehen zu können.

Für uns ist klar: Die Polizei war zu keinem Zeitpunkt ihrer Geschichte „Freund und Helfer“, sondern hatte seit Beginn ihrer Existenz eine klare Aufgabe: Die bestehenden Besitzverhältnisse gegen jeden Widerstand von unten zu verteidigen. Diese Aufgabe erfüllt sie auch heute noch und geht dabei weltweit über Leichen. Dass die Friedrich-Ebert-Gedenkstätte dieser Ausstellung eine Plattform bietet, überrascht uns mit Blick auf die Geschichte der Arbeiter*innenbewegung nicht. Lasst euch nicht davon abhalten, der Ausstellung einen kritischen Besuch abzustatten.

Antifaschistische Initiative Heidelberg