Viele offene Fragen nach Polizeischüssen in Hockenheim

Sowohl behördliche Mitteilungen als auch Medienberichte sind widersprüchlich, lückenhaft und manipulativ

Montag 2. Januar um acht Uhr abends in der Jahnstraße in Hockenheim: Die Straße, abgeriegelt durch Flatterband, wird durch grelle Scheinwerfer erhellt, Notarztwagen, Rettungsdienst sowie ein Löschzug der Heidelberger Feuerwehr sind vor Ort, dazu jede Menge Polizisten. Unter ihnen auch solche, die durch schwarze Uniform, schwarzen Helm und schwarzes Maschinengewehr als Mitglieder einer Spezialeinheit erkennbar sind.

Blaulicht (Symbolbild gemeinfrei)

Patrick Knapp, Leiter der Stabsstelle  Öffentlichkeitsarbeit der Mannheimer Polizei, gibt vor laufender Kamera dem online-Magazin heidelberg24 folgende Auskunft(1): „Heute Abend kam es hier in Hockenheim zu einem Polizeieinsatz. Im Rahmen des Einsatzes wurde durch die Polizei auch ein Schuss abgegeben. Hierbei wurde eine männliche Person verletzt. Die Person befindet sich in ärztlicher Behandlung, mehr können wir zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht sagen.“

Bereits am nächsten Tag stellt sich heraus: Nicht ein Schuss wurde „von der Polizei“ abgegeben, sondern sieben! Sie alle trafen anscheinend den 37-Jährigen, der in ein Krankenhaus eingeliefert wurde und über dessen Gesundheitszustand nicht mehr mitgeteilt wurde als dass er „stabil“ sei.

Nun hat das Landeskriminalamt die Pflicht und die Öffentlichkeit das Recht, sich eine fundierte Meinung darüber zu bilden, ob diese Schüsse gerechtfertigt waren.

 

Polizeibeamt:innen haben laut Gesetz das Recht, Gewalt – im Gesetz als „unmittelbarer Zwang“ bezeichnet – auszuüben, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind und ein verhältnismäßiges Ausmaß nicht überschritten wird. Sind diese Bedingungen nicht erfüllt, ist die ausgeübte Gewalt rechtswidrig. Dies bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als dass der Polizist bzw. die Polizistin in diesem Moment selbst zur Straftäterin bzw. zum Straftäter wird.

 

In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu wissen, dass die Rechtsordnung demokratischer Staaten auch Ausnahmen vom staatlichen Gewaltmonopol kennt, z.B. das als Notwehr bzw. Nothilfe bezeichnete Recht, sich selbst oder Dritte mit Gewalt gegen rechtswidrige Angriffe zu wehren. Speziell für rechtswidrige Diensthandlungen durch Vollstreckungsbeamte wird ein Widerstandsrecht durch § 113 Abs. 3 StGB ausdrücklich gerechtfertigt. In Deutschland gibt es außerdem nach § 127 Abs. 1 StPO eine weitere Ausnahme vom staatlichen Gewaltmonopol, die sogenannte Jedermann-Festnahme. Danach darf jeder Bürger einen auf frischer Tat ertappten Straftäter festnehmen und dabei auch die notwendige Gewalt ausüben.

In Bezug auf widerrechtliche Polizeigewalt zeigen diese Regelungen vor allem eines: wie geduldig doch Papier sein kann. Weil illegale Polizeigewalt praktisch nicht geahndet wird, wird Deutschland seit langem und besonders in jüngster Vergangenheit sowohl vom UN-Menschenrechtsrat als auch vom UNO-Sonderberichtserstatter für Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung scharf kritisiert. Letzterer bezeichnete 2022 den staatlichen Umgang Deutschlands mit Polizeigewalt als „Systemversagen“.

Dazu passen die Ergebnisse einer bereits 1998 und 2001 von Amnesty International durchgeführten polizeiinternen Befragung, bei der 25 % der Beamten äußerten, hin und wieder sei es durchaus akzeptabel, mehr Gewalt anzuwenden als erlaubt. 60 % gaben an, auch gravierender Gewaltmissbrauch von Kollegen werde nicht immer berichtet oder angezeigt.

 

Untersuchungen zeigen, dass die folgenden Menschengruppen von rechtswidriger Polizeigewalt besonders betroffen sind: Drogenabhängige, Obdachlose, Prostituierte, Angehörige ethnischer Minderheiten, Demonstranten und Journalisten.

Die Tageszeitung taz recherchierte für die Jahre von 1990 bis 2017 insgesamt 269 Todesopfer durch Polizeischüsse (auf andere Weise, z.B. durch Schläge oder Elektroschocks von der Polizei getötete Personen werden statistisch gar nicht erfasst). Bei mehr als der Hälfte der Getöteten spielten psychische Erkrankungen eine Rolle. Hinzu kommen sogenannte psychische Ausnahmesituationen, bei denen es sich meist um eskalierende Konflikte handelt. Die Auswertung der Geschehensabläufe ergab, dass die eigentliche Notwehrsituation oft erst durch den Polizeieinsatz ausgelöst wurde.

Die berufliche Sozialisierung und Kultur und auch die Beauftragung der Polizei sind sehr darauf ausgerichtet, in verschiedensten Situationen Dominanz herzustellen, d.h. sich rasch und energisch durchzusetzen. Entsprechend geht die Polizei auch mit Extremsituationen um: sie versucht mit allen Mitteln, sie schnell und selbständig zu ‚lösen‘. Fachleute oder Fachdienste, die über Kompetenzen verfügen in Bezug auf psychisch beeinträchtigte, abhängigkeitskranke oder traumatisierte Menschen, die sich auskennen mit psychischen Krisensituationen und mit deeskalierender Kommunikation, werden nicht hinzugezogen.

 

Welches sind aber nun die Voraussetzungen und das Ausmaß, bei denen Polizeigewalt rechtmäßig ist?

Die genauen Ausführungen finden sich in den Polizeigesetzen der Länder, die aber alle von zwei Grundsätzen ausgehen: Gewalt darf erstens nur eingesetzt werden, wenn alle anderen Mittel erschöpft sind. Es darf zweitens nicht mehr Gewalt eingesetzt werden als unbedingt nötig, um die erforderliche Maßnahme durchzusetzen. Werden Schusswaffen eingesetzt, gelten gesondert strenge Regeln. Sie dürfen nur so benutzt werden, dass der Betreffende allenfalls flucht- oder angriffsunfähig gemacht wird, und es ist ein Warnschuss abzugeben.

 

In Hockenheim wurde die Polizei von der ehemaligen Partnerin des Mannes gerufen, die angab, er hantiere im Hausflur mit einer Pistole herum. Nachdem der 37-jährige von der Polizei niedergeschossen wurde, stellte sich heraus, dass es sich hierbei um ein „Replikat“ (eine Attrappe) gehandelt hatte. Gleichwohl wird sowohl in der Mitteilung von LKA und Staatsanwaltschaft als auch in den Medien durchweg von „der Waffe“ wie von einer echten Waffe gesprochen, anstatt diese Bezeichnung mindestens in Anführungsstriche zu setzen. Nach der gemeinsamen LKA-Staatsanwaltschaft-Mitteilung vom 4.1. befindet sich der Mann, als die Polizei eintrifft, nicht in der Wohnung der Ex-Partnerin, sondern im Hausflur. Nachdem Polizeistreifen eintreffen, „verschanzt“ er sich im Hausflur. Vierzig Minuten verhandeln die Polizisten mit ihm, um ihn zu bewegen, die ‚Waffe‘ wegzulegen und aus dem Haus zu treten. Schließlich tritt er tatsächlich aus dem Haus. Ab jetzt unterscheiden sich die Berichte und weisen auffällige Lücken auf. Während z.B. der SWR berichtet, er sei mit der ‚Waffe‘ „vor das Haus getreten“, formuliert die Pressemitteilung von Staatsanwaltschaft und LKA: „Im weiteren Verlauf geht der 37-Jährige mit der Waffe in der Hand auf die Beamten zu, welche von der Schusswaffe Gebrauch machen.“ Die meisten Medien übernehmen die Darstellung der staatsanwaltschaftlichen Pressemitteilung. In dieser wird nicht berichtet, ob der vorgeschriebene Warnschuss abgegeben wurde oder nicht, was die Vermutung sehr nahelegt, dass dies auch nicht der Fall war. Ebenfalls offengelassen wird, ob der 37-Jährige die ‚Waffe‘ auf die Beamten richtete oder nicht. Falls er sie nicht auf die Beamten richtete, sind – auch angesichts des Umstandes, dass Spezialkräfte vor Ort waren – die Polizeischüsse nicht zu rechtfertigen. Falls er es doch tat – falls er eine Waffenattrappe gegen eine gewaltige Übermacht von Polizisten richtete, kann dies wohl nur Ausdruck einer suizidalen Absicht gewesen sein. Dies würde unterstreichen, dass es ein schreckliches Versäumnis war, keine Fachleute hinzugezogen zu haben. Aber in jedem Fall können sieben Schüsse nicht gerechtfertigt werden. Es wäre zumindest von den Spezialkräften zu erwarten gewesen, dass sie den Mann mit einem Schuss in den Arm oder die Schulter entwaffnen.

 

Die meisten Medienberichte scheinen von dem Bemühen durchdrungen, die Polizeischüsse erst mal zu rechtfertigen, koste es, was es wolle. Die Rheinpfalz titelt am 3.1.: „Polizeischüsse nach schwerem Fall häuslicher Gewalt“. Zwar ist bekannt, dass der Ex-Partner in der Vergangenheit wegen häuslicher Gewalt bereits Polizeikontakte hatte, aber es sind noch keinerlei Ermittlungsergebnisse über das familiäre Geschehen dieses Tages bekannt, weder über leichte noch über schwere häusliche Gewalt. Bekannt ist lediglich, dass die Ex-Partnerin die Polizei rief, weil sie sich verständlicherweise dadurch bedroht fühlte, dass ihr ehemaliger Freund im Treppenhaus mit einer vermeintlichen Schusswaffe herumfuchtelte. Auch stern.de titelt am selben Tag: „Polizeischüsse nach schwerem Fall häuslicher Gewalt.“ und schreibt weiter: „Ein Streit zwischen einem Mann und seiner ehemaligen Freundin eskaliert. Die Polizei schreitet ein, sieht sich von dem Mann mit einer Waffe bedroht – und schießt.“ Es gibt ebenfalls keine Erkenntnisse über einen eskalierten Streit. Nach den bisher mitgeteilten Umständen gab es an diesem Tag gar keinen direkten Kontakt zwischen den beiden – sie war in der Wohnung und er irgendwo im Hausflur. Auch das online-Journal TAG 24 benötigt am selben Tag keinerlei Ermittlungsergebnisse für die Überschrift: „Polizei schießt aus Notwehr“.

Einzig spiegel-online schafft es, die journalistische Minimalethik nicht über Bord zu werfen. Die Überschrift lautet informativ: „Hockenheim: Schuss aus Polizei-Dienstwaffe – ein Verletzter“ Berichtet wird sodann: „Die Polizei in Baden-Württemberg wird zu einem Familienstreit gerufen. Dann fällt mindestens ein Schuss aus einer Dienstwaffe. Möglicherweise wurden die Beamten mit einer Pistole bedroht.“ Der Spiegel-Bericht hebt sich auch dadurch positiv hervor, dass er zwei der Informationslücken zumindest anspricht: „Unklar blieb, ob der 37-Jährige die Beamten mit seiner Waffe bedroht hatte.“ Sowie: „Wie schwer er verletzt wurde, blieb offen.“

 

Die eingesetzten Beamten hatten ihre Bodycams eingeschaltet. Für einen polizeilichen Schusswaffengebrauch ist dies eine ausgesprochene Seltenheit, die eigentlich Anerkennung verdient hätte. Viele Polizisten schalten ihre Bodycams auch dann nicht ein, wenn sie dazu verpflichtet sind. Die Auswertung der Aufnahmen ließ darauf hoffen, bei der Aufklärung der offenen Fragen zu helfen. Leider scheint diese Hoffnung enttäuscht zu werden. Obwohl die Staatsanwaltschaft Mannheim noch ermittelt, ob es sich bei dem Schusswaffengebrauch am vergangenen Montag um Notwehr gehandelt hat, wurde am Morgen des 6. Januar bekannt, dass gegen die Polizisten, die die sieben Schüsse abgaben, kein Disziplinarverfahren eingeleitet wird. Dafür gebe es nach einem Sprecher des Polizeipräsidiums Mannheim keinen Anlass. Das Verhalten der beiden Beamten in Hockenheim sei weder rechtswidrig noch unverhältnismäßig gewesen.

Auf keine der auf der Hand liegenden oben genannten Fragen wurde eine Antwort gegeben. Schlimmer noch: Es scheint gar niemand mehr diese Fragen zu stellen.

So müssen wir leider schließen mit dem bekannten Zitat von Bertolt Brecht:

„Wir stehen selbst enttäuscht und sehen betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen.“

Michael Kohler

(1) https://www.heidelberg24.de/region/polizei-einsatz-hockenheim-schusswaffe-mann-verletzt-beamte-infos-details-jahnstrasse-blaulicht-92006992.html

 

 

 

 




Berlin/Hockenheim: Protest gegen Abschiebeinvestor „Harder & Partner“

Protest gegen den „Abschiebeinvestor“ in Hockenheim | Bild: akut [+c]

Bei jeder Ungerechtigkeit auf dieser Welt, gibt es jemanden, der daran verdient. So ist auch das Abschiebesystem in Deutschland zu Teilen privatisiert und mit den tragischen Schicksalen illegalisierter Migrant*innen verdienen Firmen ihr Geld. Dabei ist etwa jeder zweite Abschiebehäftling zu unrecht eingesperrt, kritisiert Amnesty International.

Am Flughafen BER in Berlin/Brandenburg soll nun ein neues Abschiebegefängnis gebaut werden, ein Großprojekt, das aber nicht von den zuständigen Behörden selbst gebaut wird. Stattdessen soll das Gefängnis, das im Behördendeutsch „Ein- und Ausreisezentrum“ heißt, von der Hockenheimer Firma Harder & Parnter gebaut und dann ans Land vermietet werden.

Protest gegen Profiteur der „menschenfeindlichen Abschiebepolitik“

Das Bündnis „Abschiebezentrum BER verhindern“ und die Heidelberger Gruppe akut [+c], eine Ortsgruppe der Interventionistischen Linken, haben eine Online-Aktionswoche gegen den „Abschiebeinvestor“ gestartet. Mit E-Mails und Social Media Posts solle die Kundschaft von „Harder und Partner“ auf das „menschenfeindliche“ Projekt hingewiesen werden. Auch eine Aktion mit Banner fand bereits vor der Firmenzentrale in Hockenheim statt.

Die Aktivist*innen beschreiben das Abschiebegefängnis folgendermaßen.

„Zum einen soll ein Bereich für Ausreisegewahrsam entstehen, in dem Menschen für maximal zehn Tage vor ihrer Abschiebung inhaftiert werden können (§62b AufenthG) – schon jetzt gibt es eine Einrichtung für Ausreisegewahrsam mit 20 Plätzen in Schönefeld. Außerdem wird es ein Transitgebäude geben, in dem mindestens zwei weitere Formen der Inhaftierung stattfinden werden: Erstens werden Menschen, die bei ihrer Ankunft am Flughafen BER einen Asylantrag stellen, in einem unfairen Asyl-Schnellverfahren ohne Zugang zu unabhängiger Rechtsberatung oder Unterstützung festgehalten (§ 18a Abs. 1 AsylG). Durch dieses Flughafen-Asylverfahren können ganze Familien – inklusive Kinder – wochenlang legal inhaftiert werden. Zweitens können Menschen bei der Anreise mit dem Flugzeug im Transitgebäude inhaftiert werden, wenn sie an der Grenze zurückgewiesen wurden. Sie gelten dann während ihrer maximal 12 Monate langen Haftzeit, bis zu ihrer Abschiebung, als nicht in Deutschland eingereist (§ 15 Abs. 6 AufenthG). Zuletzt sollen im Abschiebezentrum, speziell im Rückführungsgebäude, Hunderte Abschiebungen im Jahr durch die Bundespolizei durchgeführt werden – sowohl in EU-Länder (sogenannte Dublin-Überstellungen) als auch in Nicht-EULänder.“

Das 150 Millionen Euro teure „Ein- und Ausreisezentrum“ mit Abschiebegefängnis gilt als Gemeinschaftsprojekt des ehemaligen Innenministers Hort Seehofer (CSU) mit dem Brandenburger Innenministers Michael Stübgen (CDU). Kritik kam von den Grünen, die als Koalitionspartner in Brandenburg und im Bund das Projekt aber mit verantworten.

Wer ist der Investor Harder & Partner?

Harder & Partner soll am Berliner Flughafen BER bereits einige Projekte, wie großen Hallenbauten und Hangars umgesetzt haben, ebenso an weiteren Flughäfen. Firmenchef, Jürgen B. Harder, soll laut RBB vor rund zehn Jahren an einem Schmiergeldskandal am Frankfurter Flughafen beteiligt gewesen sein. Es sei um um Grundstücke gegangen, Harder soll damals in Untersuchungshaft gewesen sein. Außerdem soll er laut SZ in einen Medizinskandal 2019 an der Uniklinik Heidelberg verwickelt gewesen sein. Ein Früherkennungstest für Brustkrebs sei als Weltsensation angepriesen worden, habe sich aber als nicht marktreif heraus gestellt. Nach Selbstanzeige der Uniklinik wurde unter anderem wegen Verdacht des Insiderhandels und Börsenmanipulation ermittelt.

Trotz allem hält die Brandenburgische Landesregierung den Invester für „hinreichend seriös“. Marie Schäffer, Sprecherin der Grünen Fraktion, sagte dazu: „Ich gehöre einer Partei an, die sehr für Resozialisierung ist. Ich frage mich allerdings auch, ob ein Millionenauftrag des Staates dafür der richtige Ort ist.“

Protestkampagne „Ohne Investor kein 150-Millionen-Euro-Abschiebezentrum“

Wer mit Projekten, wie Abschiebegefängnissen sein Geld verdient, läuft Gefahr, ein angekratztes Image zu bekommen. So ist auch die Tatsache, dass Harder & Partner hier als Investor auftritt, eher zufällig an die Öffentlichkeit gekommen. Dass Innenministers Stübgen ihn als „hinreichend seriös“ bezeichnet, sagt viel über das Projekt aus.

Im Februar hatten hunderte Menschen im Flughafen BER gegen das Bauprojekt demonstriert. Das Bündnis gegen das Abschiebezentrum will nicht locker lassen und nach dem Motto „Ohne Investor kein Abschiebezentrum“ den Druck auf den Bauherr erhöhen. Während von Berlin aus mit E-Mails und Social Media Posts gekämpft wird, wollen die Heidelberger Aktivist*innen auch die regionale Öffentlichkeit wach rütteln. „Die Verträge sind noch nicht unterschrieben. Jetzt liegt es an euch allen, aktiv zu werden. Schönefeld darf nicht zu einem internationalen Abschiebedrehkreuz werden. Lasst uns gemeinsam verhindern, dass die rassistische und neokoloniale Praxis der Abschiebepolitik einen neuen Schauplatz bekommt.“

(cki)

 

Kampagnenwebseite mit „Action Kit“ des Bündnisses für E-Mails und Social Media Posts: dumpharder.neocities.org

 

 




Kurdischer Friedensmarsch auf dem Weg von Mannheim nach Strasbourg – Eklat! Polizei beendet gewaltsam kurdischen Friedensmarsch in Karlsruhe

Auftakt des Friedensmarsch in Mannheim

Noch am Sonntag, 10. Februar versammelten sich auf dem Vorplatz des Mannheimer Hauptbahnhofs ca. 200 kurdische Menschen und darüber hinaus einige Unterstützer*innen für einen Marsch für „Freiheit für alle politischen Gefangenen, Gesundheit für Abdullah Öcalan“ und für eine politische und friedliche Lösung des Kriegs der Türkei.  Der Friedensmarsch sollte in sieben Etappen über Schwetzingen, Bruchsal, Karlsruhe, Rastatt, Bühl, Kehl am nächsten Samstag Strasbourg erreichen.

Laut Polizeiangaben verlief der Marsch an den ersten beiden Tagen friedlich und ohne größere Vorkommnisse. Die Zahl der Marschierer habe etwa 100 betragen. Die Zahl der begleitenden Polizisten war mit über 100 mindestens ebenso hoch. Mit den Polizeiautos und Wannen waren die Marschierer*innen  regelrecht eingekesselt.

 

 

Allerdings ist der Friedensmarsch von Anfang an durch strikte Auflagen belastet. An das sehr weitgehende Verbot kurdischer Fahnen und Symbole, denen ein PKK-Bezug unterstellt wird, hat man sich inzwischen gewöhnt. Ebenso an das Verbot des Bildes von Abdullah Öcalan, wenn das Bild auf gelbem Hintergrund gezeigt wird. Mit der Farbe Gelb wird angeblich ein PKK-Berzug hergestellt, da Gelb und Grün die Farben der PKK sei. Diesmal ist erstmals generell das Zeigen des Bildes von Öcalan verboten – auch auf neutralem Hintergrund.  Außerdem ist das Parolenrufen mächtig reglementiert.

Die Reglementierungen durch die Verbot sind so eingreifend, dass sie immer wieder Anlaß zum polizeilichen Eingreifen bieten. Am Sonntag achten die Ordner des Veranstalters bzgl. Fahnen, Symbole und Bilder genau auf die Umsetzung der verordneten Auflagen.

Der Friedensmarsch in Hockenheim

Am Ende der dritten Etappe am Dienstag, 12. Februar, kommt es am Ortseingang von Karlsruhe in Höhe des Fächerbades zum Eklat. Mehrmals sollen Parolen mit PKK-Bezug wie „Biji Serok Apo“ (Es lebe Öcalan)  gerufen worden sein.  Außerdem soll des öfteren ein presserechtlich nicht gezeichnetes Flugblatt verteilt worden sein. Die Versammlungsbehörde in Mannheim, die verantwortlich für die Genehmigung war, verbot daraufhin gegen 16.45 Uhr den Friedensmarsch. Die Polizei begann die Demonstrant*innen einzukesseln, um die Personalien festzustellen. Hierbei sei es zum Gerangel gekommen. Der Friedensmarsch wurde von der Polizei gewaltsam aufgelöst.

Hintergründe und Facts:

  • In Strasbourg, der Stadt des Europaparlaments und des Europäischen Gerichtshofs, befinden sich 14 kurdische Aktivisten seit Wochen im Hungerstreik. In der Türkei sind über 300 politische Gefangene, zum Teil seit Monaten im Hungerstreik; Leyla Güven, die Abgeordnete der HDP, sogar schon seit dem 8. November. Die Forderungen richten sich alle gegen die unerträglichen Haftbedingungen und für eine politische Lösung des türkisch/kurdischen Krieges.
  • Der Friedensmarsch 2019 besteht aus drei Marschsäulen. Luxemburg, Basel und Mannheim sind der Ausgangspunkt für drei Friedensmärsche, die sich dann in Strasbourg vereinen sollen. In Luxemburg, Frankreich und der Schweiz, durch die die anderen Friedensmärsche gehen, gibt es keine Schwierigkeiten mit der Einhaltung von Auflagen. Es gibt dort allerdings auch kein so rigoroses Verbotssystem wie in Deutschland.
  • Am Morgen des 12. Februar, dem Tag des Verbots des Friedensmarsches, wurde bekannt, dass Bundesinnenmister Seehofer den „Mezopotamien Verlag und Vertrieb GmbH“ sowie die „MIR Multimedia GmbH“ verboten hat und deren Produktions- und Vertriebsräume in Nordrhein-Westfalen und Hannover durchsuchen und beschlagnahmen ließ. Angeblich würde der Geschäftsbetrieb „der Aufrechterhaltung des organisatorischen Zusammenhalts der PKK“ dienen. Seehofer sagte laut Mitteilung seines Ministeriums: „Gerade weil die PKK trotz des Verbots in Deutschland weiterhin aktiv ist, ist es notwendig und geboten, die PKK in ihre Schranken zu weisen und die Einhaltung der Rechtsordnung sicher zu stellen“. Es ist schwer, nicht einen Zusammenhang der zunehmenden Repressionen zu erkennen. Wurde der Friedensmarsch deshalb verboten?
  • Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat Deutschland wiederholt aufgefordert, einen entschlosseneren Kampf gegen die PKK zu führen. Er bezeichnet die PKK als Terrororganisation. Die Türkei habe auch Auslieferungsanträge gestellt, sagte Erdogan im vergangenen Herbst nach einem Staatsbesuch in Deutschland. Kurdische Politiker werfen der Bundesregierung vor, der Türkei ein Geschenk anläßlich der Münchner Sicherheitskonferenz am nächsten Wochenende überreichen zu wollen. Sind die Kurd*innen wieder einmal das Opfer?

(Bericht und Fotos: Roland Schuster)