Mannheim: Gedenken an den Genozid und die Vertreibung der Jesiden

7. Jahrestags des Genozids

Zum 7. Jahrestag des Genozids an den Jesiden durch den IS veranstalten Jesiden, Kurden und die befreundete Gemeinschaft aus der Umgebung am 3. August eine Kundgebung am Paradeplatz Mannheim.

Kundgebung auf dem Paradeplatz

Am 03.08.2014 begann der vor der Weltöffentlichkeit durch die Militärverbände des Islamischen Staates der Genozid im Sindschar-Gebiet im Irak. Ziel waren vor allem einheimische Anhänger der jahrtausendealten Religion des Jesidentums, die bis zu diesem Zeitpunkt dort ihren Frieden gefunden haben. Es ist der 73. Genozid, den das Jesidentum erleben musste

Etwa Zehntausend wurden umgebracht, ca. eine halbe Million Menschen wurden aus der Gegend vertrieben und über sieben Tausend Frauen und Kinder wurden verschleppt und als Sexsklavinnen gehandelt, wobei bis heute teils jede Spur fehlt. Noch immer leben etliche Menschen in Notunterkünften wie Camps, wie es des Öfteren von Nachrichtenportalen wie dem SPIEGEL berichtet wird.

Sie alle wollen zurück in ihre Heimat, aber noch immer ist die Infrastruktur durch den Krieg zerstört und von Sicherheit kann man im Sindschar-Gebiet auch nach sechs Jahren noch nicht sprechen. Weder die Zentralregierung in Bagdad noch die Regierung des Barzani-Clans aus der Autonomen Region Kurdistan bieten bis heute Unterstützung an. Zusätzlich werden die genannten Gebiete vom türkischen Militär bombardiert, was die Rückkehr umso schwerer macht.

Die Kundgebung, an der sich etwa 70 Menschen beteiligten, wollte über all diese Missstände aufklären, auf sie aufmerksam machen und Diskussionen und Taten anregen, die dazu dienen, dem Leiden ein Ende zu setzen. (scr)




Familie S. gehört zu Ludwigshafen! Demonstration gegen die Abschiebung! 23.4. 16 Uhr

Die Familie hat drei Kinder. Thar 16 Jahre, Yurik 12 Jahre und Roza 5 Jahre alt, sie gehören der
jezidischen Minderheit in Armenien an und sind im Juli 2017 mit den Großeltern nach Ludwigshafen
geflüchtet.
Sie waren in der Sammelunterkunft Wattstraße untergebracht. Von der Unterkunft bestätigte man uns
das hilfsbereite und vorbildliche Verhalten der Familie, sie machten freiwillig die Gartenarbeit und
zahlreiche andere Aufgaben.
Die Jungs Thar und Yurik sind beide super integriert in ihren Klassen, haben viele Freunde in der
Schule und verhalten sich vorbildlich. Yurik hat in Mitarbeit und Verhalten die Note “Sehr gut”. Thar hat
während seines Praktikums bei einem bekannten Discounter so geglänzt, dass er eine
Ausbildungsstelle angeboten bekommen und einen mündlichen Vorvertrag mit dem Betrieb
abgeschlossen hat.
Mutter Susanna ist leider sehr krank. Sie hat chronische Diabetes, Hepatitis B und eine
Posttraumatische Belastungsstörung. Vom Arzt wurde ihr Suizidgefahr attestiert.

Am 30.03.21, dem fünften Geburtstag von Roza, werden sie nachts um 22 Uhr in der Unterkunft
abgeholt und nach Berlin zur Abschiebung gefahren. Ein Widerspruchsverfahren gegen diese
Abschiebung hat der Anwalt zuvor in die Wege geleitet, dieses Verfahren läuft aktuell noch.
Im Zuge dieser Abschiebung flieht der älteste Sohn Thar, der einen Panikanfall bekommen hat.
Die Ausländerbehörde und die Polizei setzen die Abschiebung trotzdem fort und die Familie kommt
ohne ihr 16-jähriges Kind nach Armenien. Im günstigsten Fall wäre das ohne Pausen eine Reisedauer
von 10-11 Stunden. Auch das ist für eine Fünfjährige nicht zumutbar.
Thar ist seitdem unauffindbar und ganz allein ohne Wohnung oder Geld in Deutschland.

Voraussichtlicher Demoverlauf:
Am 23.4. um 15:30 startet die Demo mit einer Kundgebung an der Ausländerbehörde in der Mottstr. 1
danach bewegt sich der Zug über die Hartmannstraße bis zum Lichttor am Rathaus-Center, wo es
noch eine Abschlusskundgebung geben wird.

AKTUALISIERUNG: Um 16:00 startet die Demo mit einer Kundgebung am Lichttor vor dem Rathaus-Center.
Alle anderen Aktionen müssen leider wegen Corona abgesagt werden.

ACHTUNG:
Tragt Masken und haltet die Sicherheitsabstände ein!!!

Aktionsbündnis gegen die Abschiebung der Familie S.




03. August: Gedenktag an das Shingal-Massaker und seine Folgen (mit Bildergalerie)

Gestern jährte sich zum sechsten Mal der Gedenktag an das Massaker in Shingal (Nordirak). An diesem Tag verübten 2014 IS-Einheiten (Islamischer Staat), mutmaßlich mit Unterstützung der türkischen Regierung in Ankara, einen Genozid an JesidInnen in diesem Siedlungsraum. Die Folgen dieses letzten Anschlags auf diese Minderheit sind bis heute spürbar. Interessensvertreter, wie die Kurdische Gemeinde im Rhein-Neckar-Raum, hatten an diesem Tag zu einer Gedenkveranstaltung nach Mannheim eingeladen. Rund 50 Menschen nahmen an der Veranstaltung am Plankenkopf, Nähe Wasserturm, unter strenger Beobachtung der Polizei teil.

 

 

Shingal – Myanmar – Vietnam / Politische und zivilgesellschaftliche Verantwortung werden eingefordert 

Kerim Kurt (Kurdisches Gemeinschaftszentrum Rhein-Neckar) erinnerte in seiner Rede an über 1400 Jahre jesidische Geschichte und damit einhergehenden Leiden.

Seinen Worten zufolge wurde bislang jede jesidische Generation Opfer eines Genozids, zumeist bedingt durch islamistische Aktionen. 2014 fand der 70. Genozid an JesidInnen statt. Tausende Menschen fielen dem IS-Terror zum Opfer. Entweder wurden sie gleich hingerichtet, verletzt oder, wer Glück hatte, konnte die Flucht ergreifen. Die Menschen, in der Mehrzahl Frauen und Kinder, die dem IS in die Hände fielen, erlebten und erleben ein grausames Martyrium. Zumeist wurden die Frauen als Sexsklavinnen vom IS missbraucht. Nur wenigen Opfern gelang es bislang aus der Gefangenschaft freizukommen und um als Asylantragsteller in Deutschland und damit auch in Baden-Württemberg Zuflucht zu finden.

In diesem Kontext wurde auch an vergleichbare Genozide in Myanmar und Vietnam erinnert. Im ersten Fall religiös motiviert, gegen das Volk der Rohingya, und im zweiten, aus imperialistischen Gründen durch die USA.

Roland Schuster (Die Linke, Mannheim) sagte in seiner Rede sinngemäß:

„Heute genau vor 6 Jahren begann das Martyrium der Jeziden im Sindschargebiet im Nordirak. Die Folge in nackten Zahlen: eine halbe Million Flüchtlinge, Tausende getötete Menschen, über 7.000 Frauen und Kinder wurden versklavt und zum Teil als Sexsklaven gehandelt. Furchtbare Dinge spielten sich da ab. Und die Katastrophe wäre noch viel größer, wenn die tausenden Menschen auf der Flucht nicht von militärischen Einheiten der PKK vor den Milizen des IS geschützt worden wären. Darüber spricht man in Deutschland nicht gerne. Aber es ist eine Tatsache.“

„Das größte Flüchtlingslager Mexmûr im Nordirak, dass es seit diesem Massaker gibt, mit über 10.000 Menschen existiert heute immer noch. Ja, es gehört zu den Tragödien dieses Krieges, dass die Menschen, die vor dem IS geflüchtet sind, inzwischen Angriffen der türkischen Armee ausgesetzt sind. Die türkische Luftwaffe fliegt in den letzten Wochen vermehrt Bomben- und Drohnenangriffe auch gegen zivile Einrichtungen, angeblich um die PKK zu bekämpfen.“

„Wir fordern von der Bundesregierung: Statt Erdogans Türkei immer noch mit Waffen zu unterstützen, sollte die Bundesregierung endlich für eine politische Friedenslösung eintreten im Nahen-Osten für Rojava, für Syrien und für den Nordirak. Die Kriminalisierung kurdischer Organisationen, auch der PKK ist hierbei ganz im Sinne Erdogans und kontraproduktiv für einen Friedensprozess. Deshalb muss die Bundesregierung diese Kriminalisierung endlich beenden!“ 

Zwischen den Reden waren Rufe wie, „Erdogan – Terrorist“ und „Hoch lebe die internationale Solidarität“ zu hören.

Eine Jesidin für eine Schachtel Zigaretten 

Der Abschlussredner in Mannheim berichtete, dass nach seinen aktuellen Informationen, in der Türkei ehemals vom IS im Jahr 2014 gefangen genommene Frauen auf illegalen „Sklavenmärkten“ für den Gegenwert einer Schachtel Zigaretten „gehandelt“ würden. Seiner Meinung nach müsse die Bundesregierung und die Zivilgesellschaft auch deswegen lauter und deutlicher werden. Für diese Worte gab es langanhaltenden Applaus.

 

Bildergalerie:

 

 

Weiterführende Links:

Dachverband des Ezidischen Frauenrats e.V. https://www.smje.de/

Audio-Mitschnitte der in Mannheim gehaltenen Reden am 03.08.20 https://www.freie-radios.net/103725

 

(Bericht und Fotos: Christian Ratz)