Weinheim: Protest gegen Naziaufmarsch zu Ehren des verstorbenen Günter Deckert
300 Antifaschist:innen haben gestern in Weinheim gezeigt, wo braune Haufen hingehören! Zwar hat die Polizei schon früh versucht, den Gegenprotest zu spalten und aufzuhalten, letztlich konnten Antifaschist:innen aber dafür sorgen, dass die kleine Gruppe Nazis (erbärmliche 40 waren dem Ruf Jan Jaeschkes gefolgt) nur auf geänderter Route unter lautstarker Begleitung herumstolpern konnte. Besonders die Gedenkminute für Günter Deckert verlief nicht in ihrem Sinne und wurde stattdessen vom Gegenprotest dazu genutzt, der Wut über den rechten Abschaum Luft zu machen.
Die Cops, die durchweg martialisch auftraten, hielten Menschen auf dem Weg zu Kundgebungen auf und erteilten ohne jede Rechtsgrundlage Platzverweise. Später ließen sie per Lautsprecher verkünden, dass der Gegenprotest illegal und die Meinungsfreiheit zu respektieren sei. Wir sagen: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen! Antifaschismus ist und bleibt notwendig!«
(Antifaschistische Initiative Heidelberg /iL)
Nach Tod von Günter Deckert: Nazi-Aufmarsch und Gegenprotest in Weinheim geplant
Günter Deckert (links) bei einem der zahlreichen Holocaustleugner-Prozesse am Mannheimer Landgericht; hier mit seinem Gesinnungsgenossen Horst Mahler | Bild: Archiv
Nach dem Tod der rechten Galionsfigur Günter Deckert planen Neonazis für Samstag,16. April 2022 in Weinheim einen „Trauermarsch“. Die Faschist*innen wollen sich um 12.30 Uhr am Bahnhof in Weinheim treffen. Beginn des Aufmarsches soll um 13.30 Uhr sein. Der Weinheimer Günter Deckert hat als notorischer Holocaustleugner und NPD-Vorsitzender bundesweit Berühmtheit erlangt.
Auf verschiedenen Kanälen der rechten Szene wird zu der Veranstaltung aufgerufen. Es ist damit zu rechnen, dass es am 16. April in Weinheim zu einem Stelldichein faschistischer Gruppierungen und Einzelpersonen kommen wird. Vor allem die Bedeutung, die Deckert für den Kreis der Revisionist*innen hatte, lässt erahnen, dass es an diesem Samstag zu geschichtsverfälschenden, rassistischen und antisemitischen Äußerungen sowie zur Leugnung der Shoah kommen kann.
Welchen Stellenwert Günter Deckert für die extreme Rechte hatte, wird durch die zahlreichen Reaktionen auf seinen Tod deutlich. Kondoliert haben beispielsweise neben den regionalen NPD-Strukturen und -Funktionären auch die NPD-Bundesspitze, Gliederungen der faschistischen Partei „Die Rechte“, die extrem rechte „Burschenschaft Arminia Zürich zu Karlsruhe“, der Mannheimer Faschist Christian Hehl, die Mannheimer RechtsRock-Band „Aufbruch“ sowie viele weitere Protagonist*innen der revisionistischen und faschistischen Szene. Diskussionen gab es in Weinheim auch wegen der Teilnahme von drei CDU-Mitgliedern an Deckerts Beerdigung. (red/AIHD/IL)
Protest gegen Naziaufmarsch geplant
Das linke Antifa Bündnis Weinheim ruft zur Kundgebung gegen die Nazidemo auf. Treffpunkt dazu soll ab 12:15 Uhr gegenüber dem Hauptbahnhof in Weinheim sein. Das breite Bündnis „Weinheim bleibt bunt“ will sich um 13.30 Uhr zu einer Kundgebung im Schlosshof treffen, Motto: „Frieden statt Rassismus“.
Aufruf des Antifa Bündnis Weinheim:
Die extreme Rechte will jetzt dem Neonazi, Holocaust-Leugner und Rassisten Günter Deckert durch einen sogenannten Trauermarsch, gedenken. „Wir trauern um einen aufrechten Nationalisten und unerschütterlichen Kämpfer für Deutschland“, heißt es dazu im gemeinsamen Telegram-Kanal der Zeitschrift „N.S. heute“ und des „Sturmzeichen-Verlags“. In einem weiteren Szene-Kanal auf Telegram heißt es, mit dem „Kamerad[en] Günter Deckert verliert der Widerstand einen verbissenen, kantigen und aufrechten Kämpfer für Deutschland.“ Der notorische Hetzer und Antisemit ist am 31.3.22 verstorben. Er galt als „einer der einflussreichsten Funktionäre in der Geschichte der NPD.“ Wegen seiner Radikalität war er zudem Türöffner für Mitglieder und Sympathisanten, die in offen neonazistischen, radikal-revisionistischen und den Holocaust leugnenden Kreisen engagiert waren.
Weinheim ist seit Mitte der 1970er Jahre immer wieder — auch bundesweit und darüber hinaus— in den Schlagzeilen, wenn es um Nazi-Aktivitäten geht. Diese sind bis heute untrennbar mit dem Namen Günter Deckert verbunden.
1995 wurde Deckert vom Landgericht Karlsruhe wegen Volksverhetzung und Aufstachelung zum Rassenhass zu zwei Jahren Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt. Letztlich saß er fast fünf Jahre im JVA Bruchsal. Seit 2019 saß der Nazi für die „Deutsche Liste“ (mit Unterstützung der NPD) im Gemeinderat von Weinheim. Erst im Februar hatte der 82-Jährige als Ratsmitglied Schlagzeilen gemacht, weil er eine Haushaltsrede zu rassistischen Äußerungen nutzte. Daraufhin wurde er der Sitzung verwiesen.
Es wollen sich Rechtsextreme, Faschisten, Rassisten und Nationalisten aus der gesamten Bundesrepublik zu einem angeblichen Trauermarsch versammeln.
Wir sehen, wie Rechte sich auf der Straße organisieren. Wir wissen, dass sie Menschen ermordet haben, in Kassel, in Hanau, in Halle und in den Jahren davor in der ganzen Republik.
Wenn eine Meinung nicht unsere Meinung entspricht können wir Sie tolerieren, aber wenn sie gegen demokratische Prinzipien verstößt, dann sollten wir alle dagegen aktiv protestieren. Wir wenden uns gegen jede Form von Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus, denn sie sind mit einer toleranten und offenen Gesellschaft, wie wir sie anstrebe, nicht vereinbar. Die Deutsche Liste ,NPD und alle anderen rassistischen, antisemitistischen Parteien und Organisationen sind zu verbieten.
Lasst uns gemeinsam ein sichtbares Zeichen setzen, dass es in Weinheim nicht hingenommen wird, dass die extreme Rechte marschiert und ihre menschenverachtende Propaganda verbreitet.
Für die Stärkung einer demokratischen Zivilgesellschaft, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet.
Rechte Hass-Mails – wie sie funktionieren und warum sie manchmal straffrei bleiben
Die meisten Hass-Botschaften werden anonym und auf digitalem Weg zugestellt. Symbolbild: Pixabay
Anonyme Drohmails sorgten in den vergangenen Monaten bundesweit für Schlagzeilen. Vor allem politisch aktive Frauen mit Migrationsbiografie sind von rechten Hass-Botschaften betroffen, die meist über anonyme Mailing-Dienste verschickt werden. Nun gibt es einen Fall aus der Region, der Fragen aufwirft.
Weinheim/Rhein-Neckar-Kreis: Todesdrohungen an Feindeslisten geschickt
Ein großer Teil des politisch rechten Aktivismus spielt sich im Netz ab. In Telegram- und Facebook-Gruppen wird gehetzt, auf im Ausland gehosteten Internetseiten werden Daten von politischen Gegner*innen veröffentlicht, oft in Verbindung mit mehr oder weniger eindeutigen Drohungen. Ein besonders drastischer Fall sind die Nachrichten des „NSU 2.0“, da sie mit Informationen aus Polizeidatenbanken erstellt wurden. Aber auch in den Chat-Gruppen der Querdenker-Szene werden „Feindeslisten“ geteilt.
Ein regionaler Fall wurde nun zu den Akten gelegt, ohne dass der Täter für sein Handeln Konsequenzen fürchten muss. Das berichteten der „Mannheimer Morgen“ und die „Weinheimer Nachrichten“. Der Beschuldigte soll im Zeitraum 2018 bis 2020 mehr als 70 E-Mails an Personen und Institutionen des öffentlichen Lebens versandt haben, die ins Feindbild der rechten Szene passen, darunter das Bündnis „Weinheim bleibt bunt“, das Polizeirevier Weinheim, die muslimische Moscheegemeinde und in der Flüchtlingsarbeit aktive Frauen aus Ladenburg. Auch auf der Webseite des Fördervereins Ehemalige Synagoge Hemsbach soll er einen Kommentar hinterlassen haben. Beim Freizeitbad Miramar habe er sogar einen Sprengstoffanschlag angekündigt. Die Droh-Mails, in denen er Gewalt, Anschläge und den Einsatz von Schusswaffen ankündigte, sollen mit „Die Enkel Adolf Hitlers“ unterzeichnet gewesen sein.
Der Täter habe seine Identität mit einen Anonymisierungsdienst für E-Mails verschleiert. Dennoch muss ihm ein Fehler unterlaufen sein, so dass ihm die Polizei auf die Fährte kam. Bei einer Hausdurchsuchung sollen mehrere Waffen, darunter eine Armbrust, sogenannte Hieb- und Stoßwaffen, eine Schreckschusspistole und eine Zielscheibe mit dem Konterfei der Bundeskanzlerin gefunden worden sein. Er kam für zwei Monate in Untersuchungshaft.
Schuldunfähigkeit wegen psychischer Erkrankung
Dann die Wende: Im Februar 2021 wurde das Ermittlungsverfahren eingestellt. Ein psychiatrisches Gutachten sei zu dem Ergebnis gekommen, dass der Tatverdächtige zu den Tatzeiten aufgrund einer psychischen Erkrankung schuldunfähig war, da er seine Psychopharmaka nicht eingenommen habe. Die Taten bleiben somit ohne Konsequenz, auch weil die Hürden für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu hoch seien, so die Staatsanwaltschaft.
Es stellt sich die Frage, warum der Täter über zwei Jahre zwar ein aufwändiges Bedrohungssystem aufbauen konnte, mit umfangreicher Recherche, Adresssuche und Anonymisierungsdiensten arbeitete, aber dennoch keine persönliche Schuld nachgewiesen werden konnte. Ist es ausreichend, solche Taten mit psychischen Erkrankungen zu erklären? Auch bei anderen rassistisch motivierten Taten, beispielsweise den Anschlägen von Hanau, wurden psychische Erkrankungen als Erklärung angeführt. Das gesellschaftliche Klima, in dem Rassismus entsteht, die Politik von Parteien, wie der AfD, spielt in der juristischen Aufarbeitung dagegen selten eine Rolle.
Nähere Details zum Fall Weinheim und Umgebung dürften mangels öffentlichem Prozess nicht bekannt werden. Es bleibt die Befürchtung, dass der Täter einfach weiter machen könnte – das nächste mal vielleicht ohne einen Fehler zu begehen, so dass ihn die Polizei nicht mehr ermitteln kann.
„Man darf sich davon nicht unterkriegen lassen, denn das wäre ja genau der Zweck dieser Mails“
Gökay Akbulut
Gökay Akbulut, Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion, kennt sich mit Droh-Mails aus. Regelmäßig erhält sie hasserfüllte Botschaften, nicht nur von deutschen Rassist*innen, auch rechte Türk*innen, meist Anhänger des Präsidenten Erdogan, bedrohen sie mit dem Tod. Die Zuschriften kommen in Wellen. Nach prominenten Ereignissen erreichen sie E-Mails in großer Zahl. Als sie beispielsweise den rechten Blog PI-News in einer Bundestagsdebatte thematisierte, folgten zahlreiche Hass-Botschaften. Auch nach ihrer Wahl auf Platz 2 der Landesliste folgten Drohungen
„Generell ist es so, dass aggressive Kommentare und Hassmails oft im Zusammenhang mit Aktionen oder Reden im Bundestag stehen, bei denen es um Migration und Flüchtlingspolitik oder gegen die AfD geht. Deren Anhänger fühlen sich dann herausgefordert, vor allem, wenn eine Frau ihnen die Stirn bietet“ sagt die migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion.
Zuschriften sammelt sie und übergibt sie zur Überprüfung auch an die Sicherheitsbehörden. „Natürlich wäre es wünschenswert, dass sie stärker gegen Hass und vor allem digitale Drohungen vorgehen würden. Auf der anderen Seite machen einem die Nachrichten über rassistische Strukturen bei Polizei und Bundeswehr wenig Hoffnung.“ Sie sieht die Rolle der Sicherheitsbehörden ambivalent.
Nachdem Hass-Kommentare jahrelang als Kavaliersdelikt verharmlost wurden, haben öffentliche Debatten durchaus dazu geführt, dass in Teilen der Sicherheitsbehörden ein Umdenken erfolgte. „Im Fall der NSU 2.0 Drohmails ist das gut nach zu vollziehen. Zunächst einmal war ein Haufen öffentlicher Druck notwendig, damit überhaupt gründlich ermittelt wurde und dann wurde ein Einzeltäter präsentiert, der keine Verbindungen zu den rassistischen Strukturen in den hessischen Behörden hatte. Wie die illegalen Datenabfragen aus hessischen Polizeicomputern ins Bild passt, wurde weder ermittelt noch plausibel erklärt.“
Trotz allem will sich Gökay Akbulut von den Drohungen nicht unterkriegen lassen, „denn das wäre ja genau der Zweck dieser Mails“. Politische Konsequenzen dürften aber nicht klassische Law&Order-Forderungen sein. Vielmehr müssten sich die Strukturen in den Sicherheitsbehörden ändern. „Ein erster Schritt wäre hier natürlich eine unabhängige Antirassismusstudie.“ (cki)
Betriebsratsmobbing bei Freudenberg & Co: Konzern will Betriebsratsvorsitzenden fristlos kündigen
Rund 70 KollegInnen solidarisierten sich am 15.01.2020 im Arbeitsgericht Mannheim mit dem Betriebsratsvorsitzenden von Freudenberg & Co., Wolfgang Schmid. (siehe Bild: vor dem Arbeitsgericht Mannheim) Gekommen waren vor allem Beschäftigte von Freudenberg-Betrieben aus Weinheim und Neuenburg aber auch aus anderen Unternehmen. Zudem waren UnterstützerInnen des Komitees „Solidarität gegen BR-Mobbing!“ und des Überbetrieblichen Solidaritätskomitees Rhein-Neckar anwesend.
Freudenberg will Kollege Schmid fristlos kündigen. Der Grund: Er hat im Juni 2019 gemeinsam mit anderen zum ersten Mal in der Holding-Gesellschaft die Wahl eines Betriebsrats durchgesetzt. Dies war dem Management von Freudenberg offensichtlich zu viel. Ein Betriebsrat in der Führungsgesellschaft konnte und durfte nicht sein. Da der Betriebsrat der Kündigung widersprochen hat, muss sich die Firma die Zustimmung zur fristlosen Kündigung durch das Arbeitsgericht ersetzen lassen.
Mit scheinheiligen und rechtlich unhaltbaren Behauptungen will Freudenberg die Initiatoren der Betriebsratswahl ausschalten. Neben Wolfgang Schmid sind offenbar weitere Betriebsratsmitglieder im Visier des Konzerns. Der Gütetermin am 15. Januar 2020 hat jedenfalls zu keinem Ergebnis geführt. Deutlich wurde aber der Wille des Managements, die Kündigung durchzusetzen, koste es was es wolle.
Der betroffene BR-Vorsitzende und seine Stellvertreterin machten ihrerseits für den Betriebsrat deutlich, dass sie die beabsichtigte Kündigung als Angriff auf ihre demokratischen Rechte verstehen. Sie wollen deshalb nichts unversucht lassen, um die beabsichtigte Kündigung zu verhindern. Der Kammertermin für die Fortsetzung des Verfahrens wird wahrscheinlich im Juli 2020 stattfinden.
(Komitee „Solidarität gegen BR-Mobbing!“)
Junge Männer nach Angriff mit Eisenstangen schwer verletzt – fremdenfeindliches Motiv?
Weinheim. Laut Mitteilung der Polizei kam es am Freitag, 20. April 2018 zu einem Übergriff auf vier junge Männer (17-20 Jahre), die mit dem Fahrrad auf dem Feldweg von Viernheim nach Weinheim unterwegs waren. Auf Höhe des Reiterhofs seien sie von einem Rollerfahrer überholt und beschimpft worden. Kurze Zeit später habe sie ein Audi Q7 überholt, der dann anhielt und aus dem drei mit Eisenstangen bewaffnete Männer ausstiegen. Diese schlugen auf die Radfahrer ein, auch als sie bereits am Boden lagen. Es sei den Radfahrern gelungen, den Angreifern die Eisenstangen wegzunehmen, woraufhin diese flüchteten.
Zwei der jungen Männer wurden so schwer verletzt, dass sie zur Behandlung mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht mussten. Einer der beiden erlitt einen Armbruch.
Da sich das Kennzeichen des Audis gemerkt wurde, konnte die Polizei später an der Anschrift des Fahrzeughalters drei Tatverdächtige festnehmen. Einer aus dem Trio (51 Jahre) leistete laut Polizei bei der Festnahme Widerstand.
Als Motiv für diesen Vorfall gibt die Polizei an, dass ein fremdenfeindliches Motiv nicht ausgeschlossen werden könne. Auf Nachfrage teilte ein Polizeisprecher dem Kommunalinfo mit, dass die Ermittlungen und Vernehmungen zur Zeit noch andauerten und er daher keine konkreteren Informationen weitergeben könne. Bei den Opfern habe es sich um deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund gehandelt. Die „Weinheimer Nachrichten“ berichteten ohne nähere Angaben, dass der Verdacht einer fremdenfeindlichen Motivation auf die Aussage eines der Angreifers zurück zu führen sei.
Am 20. April, dem Datum des Überfalls, feiern Neonazis traditionell den Geburtstag Adolf Hitlers. Immer wieder kam es in der Vergangenheit an diesem Datum zu gewalttätigen Angriffen auf Migrant*innen und Andersdenkende. Ob ein solcher Zusammenhang mit dem Überfall in Weinheim besteht, ist bisher nicht bekannt.
(cki)
Kandel im Ausnahmezustand – Etwa 3000 Menschen demonstrierten aus unterschiedlichsten Motiven (mit Fotogalerie)
Die südpfälzische Kleinstadt Kandel (ca. 8500 Einwohner) war am vergangenen Samstag, den 3.3.2018, erneut im Belagerungszustand. Die Verunsicherung der KandelerInnen ist groß. Geschlossene Fensterläden, ein Polizeihelikopter kreist über der Stadt, die Lage ist angespannt; auch unter den rund 500 polizeilichen Einsatzkräften, die an diesem Tag in Kandel Dienst tun.
Für den 28.1. rief der Mannheimer Marco Kurz, mit seinem zweifelhaften „Frauenbündnis Kandel“ zur Demonstration auf (wir berichteten), davor am 2.1. zu einem „Trauermarsch“ (wir berichteten), diesmal war es die AfD um die Landtagsabgeordnete Dr. Christina Baum mit ihrer Initiative „Kandel ist überall – Das Frauenbündnis“. Marco Kurz, mit seiner Bürgerinitiative „Der Marsch 2017“ gescheitert, war von den AfD-Machern für diese Veranstaltung ausgebootet worden und sah sich daher genötigt eine Gegen-Gegen-Demo anzumelden.
Rechte mobilisieren für zwei Protestkundgebungen
Nicht nur auf AfD-Onlineseiten wurde zur Teilnahme an diesen Veranstaltungen aufgerufen, beworben wurden sie auch in einschlägigen rechten Internetforen und per E-Mail in AfD-Kreisen was zur Folge hatte, dass der Zulauf aus dem rechtsextremen, rechtsradikalen Spektrum aus ganz Deutschland und dem angrenzenden Ausland extrem hoch war. Gesicht zu zeigen in Kandel forderte auch die Nazi-Band Kategorie C mit dem Aufruf anschließend zu deren Konzert im Raum Karlsruhe zu kommen. Diese Veranstaltung fand nach Erkenntnissen dieser Redaktion in Malsch, nur 30 Minuten von Kandel entfernt, statt.
Als Versammlungsleiter der AfD-„Kandel ist überall“-Demonstration fungierte, die sich auf dem Mitfahrerparkplatz trafen, das Westerwälder AfD-Mitglied Torsten Frank, der 2015 auf der Facebookseite der Bundesregierung für Furore sorgte, in dem er einen gesunden Rassismus forderte. Dies führte zu einem Parteiausschlussverfahren über dessen Ausgang der Öffentlichkeit keine Erkenntnisse vorliegen. Schon zu Beginn machte der Versammlungsleiter deutlich, dass es an diesem Tag keine rote Linie nach rechts Außen geben würde, er begrüßte die Anwesenden mit dem von Hogesa (Hooligans gegen Salafisten) bekannten Schlachtruf “Ahu!”. „Sie sollten nur daran denken, keine Bilder wie in Köln zu produzieren.“ Frank ist einer der führenden Köpfe der Bewegung „Bekenntnis zu Deutschland“. Die Gruppierung machte durch Proteste gegen eine Erstaufnahmeeinrichtung der Landesregierung Rheinland-Pfalz für Geflüchtete auf sich aufmerksam. Damian Lohr, Bundesvorsitzender der Jungen Alternative, sagte dem ARD-Fernsehen im Interview (sinngemäss): „Die Teilnehmer würden keinem Gesinnungscheck unterzogen werden.“
Vertreter verschiedenster rechtsextremer Gruppierungen und Kleinstparteien kamen nach Kandel. Ob Neonazis vom III. Weg, deren Parteiführung teilweise mitlief, oder Vertreter der seinerzeit vom Verfassungsschutz beobachteten islamfeindlichen Partei „Die Freiheit“ aus Bayern (2016 aufgelöst), PEGIDA-Aktivisten aus Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden, Pseudo-Bürgerwehr-Vertreter von den „Soldiers of Odin“, NPD-Funktionäre, Identitäre Bewegung oder Reichsbürger, gewaltbereite Hooligans, wie beispielsweise „Berserker Pforzheim“. Alle waren bei den beiden rechten Demonstrationen willkommen.
Die Identitäre Bewegung bildete während der Demonstration sogar einen eigenen Block.
Der Fall Kandel zeigt deutlich, dass die AfD und der Marsch 2017 keine Berührungsängste mehr mit Rechtsextremen haben. Die Masken sind an diesem Tag endgültig gefallen. Die Organisatoren feiern den Aufmarsch mittlerweile als “Durchbruch im Westen” – „1989 liegt in der Luft“.
Ein größerer Teil der Demonstranten waren AfD-Anhänger und -Politiker, darunter die Bundestagsabgeordnete Nicole Höchst, der Essener Guido Reil, der Landtagsabgeordnete Rüdiger Klos, der 2016 das Direktmandat im Mannheimer Norden gewann, und allen voran der AfD-Bundestagabgeordnete Thomas Seitz, der ebenfalls zur Demonstration aufrief. Auch Imad Karim, Gründer der islamfeindlichen Facebookgruppe „Deutschland mon Amour“ und für die AfD als Filmproduzent tätig, aus Mannheim trat, wie bereits am 28.1., ans Mikrofon. Gesehen wurden aus Heidelberg die AfD-Stadträte Anja Markmann und Matthias Niebel, sowie der bei der Bundestagswahl 2017 als AfD-Direktkandidat gescheiterte Dr. Malte Kaufmann.
Von Seiten der AfD-Initiative wurde, wie andere Medien berichteten, an diesem Tag nur ein älterer Teilnehmer ausgeschlossen. Dieser empfand eine Rede gegen den Islam als zu hetzerisch und wurde von Ordnern rabiat des Kundgebungsplatzes verwiesen. Insgesamt gab es in den Redebeiträgen keine inhaltlichen Grenzen.
Bevor es im Demonstrationszug durch Kandel ging, verkündeten die Organisatoren noch einen kruden Forderungskatalog (Manifest Kandel), der selbst das Positionspapier von PEGIDA (Dresden) in den Schatten stellt.
Auszug:
-Die deutschen Grenzen sollten geschlossen werden und alle Illegalen seien sofort abzuschieben.
-Keine doppelte Staatsbürgerschaft mehr, nur Assimilation berechtige zum Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft. Grundsätzlich solle wieder das alte Abstammungsprinzip für die Vergabe der Staatsbürgerschaft gelten.
-Moscheen solle es nicht mehr geben, nur “unpolitische Muslime”, gleichzeitig fordern sie insgesamt weniger politische Einmischung von den Kirchen und Betrieben.
-Die Wehrpflicht solle wiedereingeführt werden, um unsere Land sicher zu schützen.
-Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz soll sofort gestrichen werden.
Die Reden endeten mit dem zweimaligen Singen der Nationalhymne – und der Aufforderung, sich das Land zurückzuholen.
Während die Demonstration „Kandel ist überall“, mit knapp 2000 Personen, durch die Rheinstraße marschierte, sprach die Polizei von gezielten Provokationen. Laut Mitteilung der Polizei wurden zwei Demoteilnehmer festgenommen und ein Polizeibeamter verletzt. Einmal mussten die Beamten eingreifen – Anlieger der Rheinstraße brachten ihren Unmut gegen die auswärtigen Rechten mit Plakaten an ihren Hauswänden zum Ausdruck- und wurden zunächst verbal und dann körperlich angegriffen. Die Polizei konnte schlimmeres verhindern. Zur Gefahrenabwehr musste Pfefferspray gegen die Angreifer eingesetzt werden, nachdem diese Flaschen und andere Gegenstände geworfen hatten und den Anweisungen der Einsatzkräfte nicht Folge leisteten.
Die Teilnehmer der zweiten rechtsmotivierten Versammlung trafen sich in der Holbeinstraße. Dorthin organisierte Marco Kurz seine eigene Gegen-Gegen-Demo als „Frauenbündnis Kandel – Der Marsch 2017“. Er konnte rund 150 Teilnehmer aus der rechten Szene mobilisieren. Darunter Parteifunktionäre der NPD u.a. aus dem Saarland und mit dem Mannheimer Stadtrat Christian Hehl, der am 5.3. im NSU-Untersuchungsausschuss des Stuttgarter Landtags vorgeladen war. Mit dabei auch die Parteivorstände der Neonazi-Partei „Der dritte Weg“ Klaus Armstroff und Mario Matthes (beides ehemalige NPD-Funktionäre in Rheinland-Pfalz und Hessen). Nur eine sehr überschaubare Anzahl an Teilnehmern waren der Aufforderung von Marco Kurz gefolgt und kamen mit roten Kopfbedeckungen und Karten, um der „Antifa“ die rote Karte zeigen zu können. Ein mitgeführtes Transparent mit der Aufschrift „1933 SA – 2018 Antifa“ wurde von der Polizei beanstandet und musste eingerollt werden.
Die Demonstrationszüge waren durchzogen mit aufgeheizter und aggressiver Stimmung. In einem dieser Redaktion bekannten Fall wurde eine ältere Kandler Bürgerin, die an der Demostrecke lebt, von Angehörigen übers Wochenende evakuiert, um ihre Sicherheit zu gewährleisten.
Kandel wehrt sich
Gegenprotest gab es in Kandel auch. „Wir sind Kandel“, ein vor knapp 10 Tagen gegründetes Bündnis aus Vereinen, Parteien, Kirchengemeinden, Gewerkschaften und Einzelpersonen zeigten, gemeinsam mit der Kurfürstlich Kurpfälzischen Antifa und Aufstehen gegen Rassismus Südpfalz Paroli. Die InitiatorenInnen wollen nicht zulassen, dass ihre Stadt zu einem „Aufmarschgebiet“ einer PEGIDA 2.0-Bewegung oder gar einem Hotspot von Rechtsextremen wird. Mindestens 600 Menschen demonstrierten gegen Fremdenfeindlichkeit, Ausgrenzung und Rassismus. 200 weiße Luftballons stiegen symbolisch in den Himmel. Damit wollten sie nach eigenem Bekunden ein Zeichen setzen „für ein friedliches Zusammenleben ohne Hass und Fremdenfeindlichkeit.“
Das Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus Südpfalz“ war mit einem Info- und Aufklärungsstand in der Stadthalle Kandel präsent. Über 1.200 Aufklärungsflyer konnten während der laufenden Energiemesse und im Vorfeld an interessierte Personen verteilt werden. Diese Aufstehen gegen Rassismus-Regionalgruppe beteiligte sich mit Vertretern der Regionalgruppen Rhein-Neckar und Weinheim ebenfalls an der Demonstration. Die Gegendemo angemeldet von der Kurfürstlich Kurpfälzischen Antifa unter dem Motto „Für Demokratie und Frauenrechte – bunte Schirme, viel Verstand, Nazis raus aus unsrem Land“ war bunt, friedlich und musikalisch. Unterstützung erfuhr dieser Aufzug durch rund 80 meist junge Antifaschisten*Innen, die kurz davor noch eine Spontankundgebung in der Ortsmitte durchgeführt hatten und von Polizeikräften zum Versammlungsort der Gegendemo in der Nansenstraße eskortiert wurde. Laut und mit bunten Schirmen, Regenbogenfahnen und Transparenten zog dieser Protestzug parallel zu den beiden rechten Demos durch Kandel. Diese Demonstration verlief ohne Vorfälle. Vor und nach der Demo wurden verschiedene Reden gehalten. U.a. vom parteilosen MEP Stefan Bernhard Eck, der bereits bei der Gegendemo am 28.1. gesprochen hatte und von Die Partei unterstützt wird. Musikalisch begleitet wurde diese Veranstaltung von Uli Valnion.
Rechte Presseprovokateure vor Ort
Provoziert wurden die Gegendemonstranten durch den Video-Filmer Michael Stürzenberger (ehemaliger Parteifunktionär „Die Freiheit“, PEGIDA München-Aktivist und Autor bei PI-News) und durch den Fotografen Christian Jung, der auf rechten Blogseiten wie Opposition 24 und Metropolico, publiziert. Beide kritisieren seit dem Wochenende im Internet, dass ihre Arbeit durch die Polizei unterbunden und damit die Pressefreiheit eingeschränkt worden sei. Weiter wird unterstellt, dass die Polizei Hand-in-Hand mit den „Linksfaschisten“ gearbeitet hätte. Unseren Beobachtungen zufolge hatten beide Journalisten des rechten Spektrums, die sich den Demoteilnehmern anfänglich nicht oder gar nicht, als solche zu erkennen gaben, ausreichend Zeit um Videoaufnahmen zu fertigen, Fragen zu stellen und Fotos von den Teilnehmern zu machen. In beiden Fällen haben die Polizeikräfte besonnen und richtig gehandelt. Die geäußerten Unterstellungen, auf einschlägig bekannten Internetseiten in Wort, Bild und im Film publiziert, dass die Polizei parteiisch vorgegangen wäre, sind an den Haaren herbeigezogen.
Solidarität
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) solidarisierte sich mit den Bürgern in Kandel. „Ich sehe mit Erschrecken, wie hier eine Tat für pauschalen Fremdenhass instrumentalisiert wird“. Sie stand mit ihrer Pressemitteilung an der Seite von Bürgern aus Kandel, die sich für ein Miteinander und gegen Hass engagierten. Vertreten wurde die Ministerpräsidentin am 3.3. durch den SPD-Fraktionsvorsitzenden im Mainzer Landtag Alexander Schweitzer.
Quo vadis?
Für den 24.3. kündigt die AfD-Initiative „Kandel ist überall“ eine weitere Demonstration in Kandel an. Eigentlich hatten die Verantwortlichen verlautbart, dass nun Schluss sei in Kandel und man nun den „Widerstand“ auf andere Orte und Bundesländer ausdehnen wolle. Ein Interview des Kandler Stadtbürgermeisters Günther Tielebörger am 5.3. beim SWR scheint diese Überlegungen wieder rückgängig gemacht zu haben.
Ab dem 7. April will „Der Marsch 2017 – Frauenbündnis Kandel“ monatlich bis Ende des Jahres auf dem Marktplatz protestieren.
Im Moment sieht es nicht danach aus, dass in Kandel endlich Ruhe einkehren könnte. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Vor Ort werden die Bündnispartner gegen rechts und Rassismus und für Demokratie, Frauenrechte und Vielfalt augenscheinlich noch länger als gedacht engagiert sein müssen.
(Bericht und Bilder: Johnny Brambach und Christian Ratz)
Weitere Bilder des Tages:
Wird Kandel zum Laufsteg für Rechtsextremisten und Verschwörungstheoretiker?
Archivbild
Für den 03.03.18 sind, stand heute, drei Demonstrationen/Kundgebungen angemeldet. Zwei Veranstaltungen werden, vor allem in AfD-Kreisen, aber auch in rechten Milieus, bundesweit beworben. Für die bürgerlich-antifaschistische, antirassistische Demo wird ebenfalls breit und überregional mobilisiert. Nazi-Bands, u.a. Kategorie C, werben für ein Konzert am 03.03. im Raum Karlsruhe. Dies dürfte kein Zufall sein. Nach bislang noch unbestätigten Informationen könnten über 3000 Demonstranten am ersten Samstag im März in der südpfälzischen Kleinstadt auf die Straßen gehen.
Die AfD-Initiative „Kandel ist überall“ mit dem Versuch einen bundesweiten Widerstand zu etablieren
Vertreter und Anhänger dieser Initiative nahmen am 17.02.18 an einem „Frauenmarsch“ in Berlin teil, dem wenig Erfolg beschert war. Leyla Bilge, AfD-Mitglied, hatte die Berliner Demo angemeldet, die aufgrund des starken antifaschistischen und bunten Gegenprotests zum Fiasko für die Organisatoren und Teilnehmer, überwiegend allerdings dort wie auch schon zuvor in Kandel am 28.1. (wir berichteten) mit männlichen Teilnehmern, wurde. Wenig zimperlich, geradezu aufgeschlossen zu sein scheinen die AfD-Organisatoren, sowohl in Berlin, als auch in Kandel, mit der Wahl ihrer Unterstützer. Leyla Bilge und andere Redner, wie z.B. der in Mannheim lebende Islamhasser und auch schon für die blaue Partei als Filmproduzent tätige Imad Karim, hielten ihre Reden in Berlin vor dem Banner der als rechtsextrem eingestuften Vereinigung „Bürgerbündnis Havelland“, welches in seinem Logo die aus der NSDAP-Zeit stammende sogenannten „Lebens- und Todesrune“ trägt. In der öffentlich auf Facebook einsehbaren Gästeliste für den 03.03. von „Kandel ist überall“ finden sich nicht nur die Namen bekannter AfD-Politiker, u.a. auch aus Mannheim und Heidelberg, sondern auch von Personen aus dem rechtsextremen (z.B. NPD und Berserker Pforzheim) Umfeld, die auch schon am 28.01. an der Demo in Kandel teilgenommen hatten. Versammlungsleiter am 03.03. könnte ein AfD-Mitglied aus dem Westerwald sein, gegen den in 2017 in Rheinland-Pfalz ein Parteiausschluss-Verfahren eingeleitet worden war. Diese Person war ebenfalls Teilnehmer der Demo am 28.01. und vertrat zusammen mit anderen Aktivisten die ausländer- und asylfeindliche Initiative „Bekenntnis zu Deutschland – Stegskopf, wir sagen NEIN“. In einer E-Mail, die dieser Redaktion vorliegt, ruft der AfD-Kreisverband Heilbronn zu einer gemeinsamen Busfahrt bzw. zu Fahrgemeinschaften nach Kandel auf.
Der Marsch 2017 firmiert nun online als „Frauenbündnis Kandel“
Seit dem 06.02.18 existiert auf Facebook besagtes Frauenbündnis, welches real unseren Recherchen zufolge nicht zu existieren scheint. Deutlich wird jedoch, dass Marco Kurz (Der Marsch 2017) bemüht ist, nachdem er offenbar von Seiten der AfD ausgegrenzt wurde, indem er seine Schuldigkeit als Versammlungsleiter am 28.01. getan hatte, seiner Geltungssucht neuen Raum zu verschaffen. Er hat eine weitere Demo für den 03.03.18 in Kandel angemeldet. Seine Demo will er im weiteren Verlauf mit der von „Kandel ist überall“ verschmelzen lassen.
Faktisch gescheitert ist Kurz mit den Versuchen per strafbewährter Unterlassungserklärungen die Pressefreiheit behindern zu wollen. In dieser Woche kündigte er auf seinem Facebook-Profil an, nun den gerichtlichen Klageweg beschreiten zu wollen. Kurz will nach eigenen Darstellungen auf Facebook diese Woche Strafanzeige gegen Unbekannt und gegen Politiker wegen der Gegendemo am 28.1. gestellt haben.
Solidarität wächst – neues Bündnis am 21.02. gegründet
Nicht nur auf lokal- und landespolitischer Ebene wächst die Solidarität um den Protest gegen die Einverleibung der Kleinstadt Kandel und den Missbrauch eines Gewaltverbrechens durch ortsfremde, rechtspopulistische und -extreme Elemente in die Öffentlichkeit und auf die Straße zu tragen. Am gestrigen Abend gründete sich in Kandel das Bündnis „Wir sind Kandel“. Dort vertreten sind Vereine, Kirchen, Gewerkschaften und Parteien, sowie Einzelpersonen, die dem blau-braunen Spuk ein Ende bereiten wollen.
Gemeinsam mit Aufstehen gegen Rassismus Südpfalz wird das neue Bündnis einen Infostand mit Aufklärungsmaterialien und mit Aktionen über den Tag verteilt am 03.03. durchführen. Unterstützt werden diese Aktionen durch Aufstehen gegen Rassismus Rhein-Neckar, Weinheim, Heidelberg gegen Rassismus u.v.m..
Ebenfalls eine Demo angemeldet hat die Kurfürstlich Kurpfälzische Antifa mit Kundgebung, welche überregionale Unterstützung erfährt.
(Bericht und Bilder Christian Ratz)
„Mein Kandel ist bunt“ war das Motto der Gegendemo – NPD war „nicht gekommen, um zu trauern“
Die NPD (Nationaldemokratische Partei Deutschland) in Rheinland-Pfalz will, nach eigenen Angaben, in der zurückliegenden Woche eine mehrtägige Flugblattverteil-Aktion in Kandel durchgeführt haben. Zum Abschluss dieser Aktion lud die rechtsnationale Partei am 06.01.18 zu einer Kundgebung in die südpfälzische Gemeinde ein, bei der auch der mehrfach vorbestrafte Günter Deckert ans Mikrofon trat. Die AfD (Alternative für Deutschland) in diesem Bundesland wurde massiv, als zu weich, durch die NPD kritisiert.
Rund 100 Bürger*Innen und Antifaschist*Innen wollten diese rechtsextreme Agitation nicht unbeantwortet lassen und demonstrierten lautstark, bunt und friedlich gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus. Volker Poß (SPD), Bürgermeister der Verbandsgemeinde Kandel, der nach der Tötung, vermutlich einer Beziehungstat, einer jungen Frau Ende Dezember 2017 durch einen jungen männlichen Asylantragsteller, in extremer Weise verunglimpft und diffamiert wurde, verschaffte sich vor Ort einen eigenen Eindruck über die Geschehnisse an diesem Tag.
Starke Polizeikräfte sorgten für einen reibungslosen Ablauf und schienen besser aufgestellt und koordiniert zu sein, als am 02.01.18 (wir berichteten https://kommunalinfo-mannheim.de/2018/01/04/schweigemarsch-in-kandel-suedpfalz-von-rechten-instrumentalisiert-polizeikraefte-am-rande-ihrer-moeglichkeiten/ )
Schuldzuweisungen, angekündigte Strafanzeigen, Hasspropaganda und keine Spur von Trauer
prägten die Wortbeiträge der NPD-Vertreter. Ricarda Riefling und Jan Jaeschke wiederholten inhaltlich in ihren Ansprachen quasi dies, was sie schon am 30.12.17 in Speyer vortrugen (wir berichteten https://kommunalinfo-mannheim.de/2018/01/04/speyer-zeigt-courage-npd-steht-im-abseits/ ). Jan Jaeschke ergänzte nun, indem er sinngemäß sagte: „Mittlerweile sei man nirgends mehr in Mannheim sicher vor kulturfremden Horden“.
Der NPD-Altkader und u.a. wegen Holocaust-Leugnung vorbestrafte Günter Deckert, Parteikreisverband Weinheim-Heidelberg, hielt eine vor Hass- und Hetze strotzende Rede, die wir hier im Detail nicht wiedergeben werden. Auch hier hoffen wir, wie im Falle von Speyer, dass die anwesenden Vertreter der Polizei und Ordnungsbehörde genau zugehört haben. Wir beschränken uns in diesem Bericht daher auf einige wenige Kernaussagen. Deckert wetterte gegen die Bundesregierung ebenso, wie gegen sämtliche ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer und lokalen Behörden; drohte mit Strafanzeigen gegen diese. Intensiv kritisierte er die Kosten für die Unterbringung und Finanzierung unbegleiteter Minderjähriger Ausländer (umA). Diese seien seinen Worten zufolge „alle nur Späher ihrer Herkunftsländer, um Deutschland zu einem Mischvolk und einem Hort für Terroristen zu machen“. Der Hassredner forderte eine 20-25%ige Asylantensteuer, die von Flüchtlingshelfern aus deren Nettoeinkommen zu bezahlen sei. Er unterstellte, dass in Kandel, mit amtlicher Beihilfe, Verkuppelungsorgien zwischen minderjährigen jungen Frauen und Testosteron gesteuerten „Negern“ – er korrigierte sich -, Afrikanern stattgefunden haben sollen. Ähnliches soll sich Deckert zufolge auch in Weinheim/Bergstraße abgespielt haben, wo er glaubt zu wissen, dass deutsche Frauen, fortgeschrittenen Alters sinngemäß Lust auf knackige junge Männer aus Gambia hätten und denen für „Liebesdienste“ ein Taschengeld bezahlen würden. Mit diesem Zusatzeinkommen (zur staatlichen Unterstützung) würden die illegalen Forderer hier mehr verdienen, als ein Richter in Gambia, nach Deckerts eigenen Recherchen. Der AfD in Rheinland-Pfalz stellte Deckert kein gutes Zeugnis aus. Zu verweichlicht und zu nachgiebig sei diese Partei in Mainz. Uwe Junge (AfD-Chef im Landtag) kritisierte Günter Deckert wegen dessen getätigter Aussage, dass es in Afghanistan keinen sicheren Ort für Geflüchtete gibt. „Der hätte keine Ahnung was am Hindukusch (Gebirgsregion in Afghanistan) abgeht“. Zum Abschluss seiner Rede wünschte er den auf der anderen Straßenseite stehenden Antifaschist*Innen, dass diese baldmöglichst in Mannheim von einer Horde marodierender Eindringlinge so malträtiert würden, dass sie von ihren eigenen Eltern im Krankenhaus nicht wiedererkannt werden.
Markus Walter (NPD-Chef in Rheinland-Pfalz) stand in seiner, bisweilen konfusen Rede, Deckert nicht nach. Auch diese geben wir nicht umfänglich wieder. „Ich bin nicht gekommen, um zu trauern“, lautete sein Eingangsstatement. Um dann sogleich den Eltern der Verstorbenen „Mia“ die Schuld für deren Tod zu zuweisen. „Wer den Schlächter der Tochter ins eigene Haus lässt ist Mittäter“, so Walter sinngemäß. Auch er wiederholte in seiner Rede Inhalte, die er auch schon am 30.12.17 in Speyer vorgetragen hatte. Abschließend sagte er „Ich bin kein Rechtspopulist, ich bin Nationalsozialist.“
Nur 20-30 Leute konnten die NPD-Verantwortlichen nach Kandel mobilisieren.
Applaudiert haben sie sich nur gegenseitig. Ein Plakat, welches schon am 02.01.18 für Aufsehen sorgte, da es eigentlich seitens der Veranstalter des Schweigemarschs verboten war, wurde erneut am vergangenen Samstag hochgehalten.
„Mein Kandel ist bunt“
Unter diesem Motto gingen rund 100 Menschen auf die Straße, darunter auch der VG-Bürgermeister Volker Poß, um den rechtsextremen, rassistischen NPD-Vertretern deutlich zu sagen, dass diese hier nicht willkommen waren. Von ihrem ursprünglichen Versammlungsort aus zogen die antifaschistischen Bürger*Innen in kleinen Gruppen in Richtung des Ortes, wo sich die Neo-Nazi’s versammelt hatten. Mit Rufen wie „Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda“, „Haut ab“, „Verpisst euch, niemand vermisst euch“ wurde gegen die Reden der NPD reagiert.
Nicht provozieren ließen sich die Gegendemonstranten von den Handyfilmern aus der NPD-Gruppe. Selbst als Ricarda Riefling nebulös meinte, dass die Antifa in Rheinland-Pfalz nichts auf die Reihe bekommen würde und an diesem Tag auf Unterstützung aus dem Saarland angewiesen sein soll, blieb die Menschenmenge ruhig und fragte sich wohl insgeheim „Wer ist die Antifa?“.
Faktisch belegt ist, dass die ohnehin schon stark geschwächte NPD in Rheinland-Pfalz auf personelle Unterstützung aus Baden-Württemberg angewiesen war.
Rückspiegel
Im Rahmen unserer Nachrecherchen zum 02.01.18, die noch nicht abgeschlossen sind, können wir jetzt bestätigen, dass es sich bei den Anmeldern/Initiatoren des rechtslastigen Schweigemarsches um Marco Kurz und Edgar Baumeister aus dem Rhein-Neckar-Raum handelt. Wir hatten deren Namen in unserer Erstberichterstattung nicht voll ausgeschrieben.
Marco Kurz versucht derzeit über eines seiner diversen, von Facebook, noch nicht gesperrten Nutzerprofile Spenden für angekündigte Strafanzeigen/Prozesskosten zu sammeln. Im Umkreis der Anmelder/Initiatoren werden die Rufe lauter zu vk.com (dem russischen Pendant zu Facebook, ohne jegliche Kontrolle und Moderation) zu wechseln, da man dort ungestört agieren könne. Eine neue geheime FB-Gruppe scheint M. Kurz in der vergangenen Woche gegründet zu haben, um nicht sämtliche „Follower“ auf FB zu verlieren bzw. um seine Mitstreiter, die nicht virtuell nach Russland emigrieren wollen, noch möglichst lange für seine rechtspopulistische Sache instrumentalisieren zu können.
Der ZDF Länderspiegel brachte am 06.01.18 eine Zusammenfassung der Geschehnisse in dieser Woche aus Kandel. Hier zu sehen gleich im ersten Bericht:
Mannheimer LINKE verurteilt Polizeigewalt in Weinheim
hho – Die Mannheimer LINKE ist entsetzt über die Polizeigewalt gegen Gegendemonstranten beim Weinheimer NPD-Parteitag.
Am 21. und 22. November wurden bei Protesten gegen den NPD-Parteitag in Weinheim 201 Antifaschisten verhaftet und etwa 120 verletzt. Auf Youtube ist ein Video aufgetaucht, das belegt, wie Polizisten auf sich zurückziehende Protestierende eintreten und einknüppeln. Dazu erklärt Hilke Hochheiden, Sprecherin der Mannheimer LINKE: „Wir sind entsetzt und empört über die massive Gewalt von Seiten der Polizei. Wir begrüßen, dass die Mannheimer Polizei bereits angekündigt hat, die Vorgänge zu thematisieren. Das allein reicht aber nicht. Die Vorfälle müssen lückenlos aufgeklärt werden. Die prügelnden Beamten haben dabei den Vorteil, dass sich vermutlich nicht feststellen lässt, wer auf die Demonstranten eingeschlagen hat. Der Einsatz zeigt einmal mehr, dass die von Grün-Rot versprochene aber nicht umgesetzte Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte längst überfällig ist.“
„Nur wenige Tage nach dem Urteil, dass der Polizeieinsatz gegen die S21-GegnerInnen am sogenannten Schwarzen Donnerstag gesetzeswidrig war, agierte die Polizei in Weinheim ähnlich gewaltsam. Es darf einfach nicht sein, dass gut ausgerüstete Polizeibeamte derart brutal gegen Antifaschisten losgeht. Eine Teilnehmerin der Demonstration wurde sogar so schwer an den Halswirbeln verletzt, dass sie im Krankenhaus behandelt werden muss. Wir wünschen ihr gute Besserung und erwarten, dass das der Einsatz für die Polizei entsprechende Konsequenzen hat“, fügt Kreissprecher Dennis Ulas hinzu.