„Es genügt nicht alleine gegen Rassismus zu sein, man muss AntirassistIn sein“

Der Verein „Mannheim sagt Ja!“ veranstaltete am 05.03.2020 eine Autorinnenlesung der anderen Art. Zu Gast war die Journalistin und Autorin Alice Hasters aus Berlin, die kurze Passagen aus ihrem Buch „Was weiße Menschen nicht über Rassismus wissen wollen – aber wissen sollten“ las. Der Abend war Menschen anderer Hautfarbe gewidmet – People of Color (PoC). Nicht von oben herab, sondern bottom-up. Als Forum und zum Austausch. Rund 100 Menschen kamen, um an der Veranstaltung im Capitol teilzunehmen. Weitere mehr wären auch gerne dabei gewesen; jedoch war die Räumlichkeit bereits eine halbe Stunde vor Beginn an den Kapazitätsgrenzen angelangt.

 

Alltagsrassismus und Menschen-Gruppen-bezogene-Feindlichkeit sind die Probleme

Herausgestellt wurden diese Themen durch die Referentin und die Moderatorin, Tala Al-Deen (Schauspielerin am Nationaltheater Mannheim). Alice Hasters sagte, dass es ihr schwer fiele in einem Kulturraum in Mannheim zu sein, indem sich nach wie vor ein Werbesymbol mit Bezug auf die unrühmliche deutsche Kolonialgeschichte befindet. Tala Al-Deen und sie vertraten die Auffassung, dass dieses „Teil“ aus Respekt und in Solidarität mit den People of Color dort nicht mehr hingehört und anderenorts besser, zum Beispiel in einem Museum platziert wäre. Das Publikum applaudierte zustimmend.

Was es emotional mit Menschen anderer Hautfarbe macht, der allgegenwärtige Rassismus, wurde deutlich, als eine Zuhörerin unter Tränen der Autorin für ihr bloses Dasein in Mannheim dankte. Eine junge Frau aus unserer Mitte – eine PoC.

„White Supremacy“ oder wie es ein Vertreter der verfassungsfeindlichen, rechtsextremen NPD in Mannheim als „Ethnopluralismus“ bezeichnete (Kommunalwahlkampf 2019), ist nichts weiteres als purer Rassismus und Ausgrenzung von Bevölkerungsgruppen. Auch dieses Thema wurde unter vielen weiteren besprochen.

Es wurde die Frage aufgeworfen, „Warum bin ich durch Rassismus betroffen? Liegt es eventuell an mir, als PoC?“

Auf die genannte Frage gab es ein klares Nein zur Antwort. Rassismus ist strukturell und institutionell in der deutschen Gesellschaft verankert. Hier liegt der Handlungsbedarf aktuell und für künftige Generationen, so die einstimmige Meinung des Publikums.

Als eindeutig mitschuldig am aufkeimenden Neofaschismus wurde die AfD mehrfach genannt. Auch in der Diskussionsrunde mit dem Publikum.

Capitol-Geschäftsführung und Mannheimer Morgen unter massiver Kritik

Kritisiert wurde die Tageszeitung Mannheimer Morgen aufgrund der Berichterstattung zum Thema „Sarrotti-Mohr Werbeschild“, wegen einer tendenziösen Online-Umfrage, welche Räume für rassistische Ressentiments öffnete. Besonders scharf kritisiert wurde die Veröffentlichung von Leserbriefen nach dem rassistischen Attentat in Hanau vor wenigen Wochen, die seitens der Redaktion nicht moderiert worden sein sollen.

Heftige Kritik erfolgte auch in Richtung der Capitol-Geschäftsführung. Diese habe bislang noch nicht die Tragweite der Verletzung und der Gefühle der betroffenen Menschen erkannt, geschweige denn gehandelt. (Nach KIM-Informationen, nehmen aufgrund der Kontroverse bereits seit längerem ehemalige und potentielle neue Kunden Abstand vom Capitol-Kulturangebot). Ein Vertreter der Geschäftsführung war am Anfang der Veranstaltung zu beobachten. Danach war er weg.

Kommentarisches Fazit:

Alle TeilnehmerInnen, inklusive mir, haben an diesem Abend etwas mitgenommen – neue Erkenntnisse gesammelt, bestehende Kontakte erneuert oder neue geknüpft. Auch wenn sich die Capitol-Geschäftsführung wegduckte – sich der Diskussion nicht stellen wollte. Geschlossenheit und Solidarität stehen im Vordergrund. Antifaschistische/antirassistische Aktionen werden heute deutlich mehr benötigt als noch gestern.

Oder wie es Gerhard Fontagnier (Vorsitzender von Mannheim sagt Ja!) zum Abschluss der Veranstaltung, sagte:

„Es genügt nicht alleine gegen Rassismus zu sein, man muss schon AntirassistIn sein“

 

Das Buch von Alice Hasters ist in fünfter Auflage unter ISBN 978-3-446-26425-0 im Hanser-Literaturverlag erschienen.

(Bericht und Fotos: Christian Ratz)

 




Muss er weg, darf er hängen bleiben oder soll er ins Museum? Kontroverse Diskussion um den „Sarotti Mohr“ [update: Die Figur bleibt, wird aber verändert]

Der „Sarotti-Mohr“ als Leuchtreklame stellt das ehemalige Logo des Schokoladenherstellers Sarotti dar

Für die einen ist die Sache völlig klar: der „Sarotti Mohr“, Logo einer Leuchtreklame im Capitol, ist ein eindeutig rassistisches Motiv und gehört daher abgehängt. Andere würden sich damit ihrer Kindheitserinnerungen beraubt fühlen und wollen ihn auf jeden Fall hängen lassen. Bei einer Diskussionsveranstaltung am Dienstag, 19. Februar 2019 gingen die Meinungen auseinander und führten zu einer heftigen, emotionalen Debatte. Eine Entscheidung über das Schicksal der jahrzehntealten Leuchtreklame soll in Kürze fallen.

update vom 27.02.2019
Die Capitol Stiftung teilte inzwischen ihren Beschluss mit, die Sarotti Werbeanlage bleibe im Capitol erhalten, die Figur werde weiterhin gezeigt, ihre Haltung würde aber verändert. „Sie soll zum Symbol für unseren Wunsch werden, mit unseren Gästen dauerhaft im Gespräch zu bleiben. Eine Irritation des Betrachters ist hier gewünscht und beabsichtigt, diese soll den Dialog anregen.“ Wie genau die veränderte Haltung aussehen wird, sei noch nicht entschieden und werde in den nächsten Wochen mit einem Kreativteam erarbeitet. Zudem soll zu Beginn eines jeden Jahres gemeinsam mit weiteren Akteuren und Initiativen zu den Aktionstagen „Kein Platz für Rassismus“. Dieser Vorgehensweise sollen die Mitglieder des Beratergremiums, außer Frau Ruhan Karakul, zugestimmt haben. (In einer früheren Version hatten wir fälschlicherweise geschrieben, alle Mitglieder hätten zugestimmt.)

Veranstaltungsreihe soll Diskussion versachlichen

Die Veranstaltung „Die Sache mit dem Sarotti Mohr“ war Teil einer Reihe mit dem Titel „Kein Platz für Rassismus“, die das Capitol in Folge der im Oktober entfachten Diskussion um eine Leuchtreklame über einer Bar organisiert. Damals wurde die rassistische Darstellung des „Sarotti Mohren“ bei der Veranstaltung „Monnemer of Colour“ thematisiert. Der Verein „Mannheim sagt Ja!“ hatte diese organisiert und thematisierte alltäglichen Rassismus, dem Menschen in Mannheim aufgrund ihrer Hautfarbe oder Religion ausgesetzt sind.

Gerhard Fontagnier moderierte die Veranstaltung

Aus der Veranstaltung heraus kam die Forderung, die Sarotti-Reklame abzuhängen. Eine Unterschriftensammlung wurde noch bei der Veranstaltung gestartet. In den folgenden Tagen und Wochen löste dies eine emotionale Debatte aus, die auf der Facebook-Seite des Capitols (über 700 Kommentare) und in den lokalen Medien ausgetragen wurde. Dabei wurden auch rassistische Stereotype verharmlost, geleugnet oder gar verschärft.

Die Diskussionsveranstaltung am 19. Februar sollte nun Sachlichkeit in die Debatte bringen und zu einer guten Lösung beitragen, „denn wir wolle einen guten Kompromiss finden, den alle Beteiligten mittragen können“, betonte Capitol-Geschäftsführer Thorsten Riehle im Gespräch mit dem KIM. Eine Entscheidung soll schon bald durch die Capitol Stiftung als Verantwortliche getroffen werden.

„Der Grafiker war kein Rassist“

Die Veranstaltung war mit rund 100 Besucher*innen im „Casino“ des Capitols gut besucht. Der Ablauf war in mehrere Teile untergliedert. Zunächst gab es Input, später Diskussion. Gerhard Fontagnier, Stadtrat der Grünen und über den Verein „Mannheim sagt Ja“ mit dem Thema verbunden, moderierte.

Prof. Dr. Ulrich Nieß, Leiter des MARCHIVUM

Als erster Referent betrat Prof. Dr. Ulrich Nieß, Leiter des Mannheimer Stadtarchivs MARCHIVUM die kleine Bühne und präsentierte in seinem Vortrag zunächst den Grafiker Julius Gipkens, der 1922 das Logo entwickelte, das später als „Sarotti Mohr“ Berühmtheit erlangte. Nieß schilderte das künstlichere Schaffen des Grafikers als modern und seiner Zeit voraus. Er berichtete von Stationen einer schwierigen Karriere. Gipkens, der mit einer jüdischen Frau verheiratet war, erlebte selbst Diskriminierung und Verfolgung und sah zum Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland keine Perspektive mehr. Er emigrierte mit seiner Frau, mit der er zwar geschieden war, aber über die gemeinsamen Kinder verbunden blieb, 1938 in die USA. Aus der persönlichen Verfolgungsgeschichte interpretierte Nieß die Einschätzung, dass Gipkens kein Rassist gewesen sei.

Diese Einschätzung birgt jedoch die Gefahr einer Verharmlosung des „Sarotti Mohrs“ als rassistisches Symbol. Der Kontext einer kolonialen Gesellschaft, die rassistische Vorurteile in der Gesellschaft verankert – sichtbar und unsichtbar – wird damit ausgeblendet. Es ist eine Fehleinschätzung, dass nur die politische Rechte – zu der Gipkens offensichtlich nicht gehörte – in ihrem Handeln von Rassismus geprägt sei. Vorurteile und Stereotype prägen die gesamte Gesellschaft, damals wie heute, so dass auch ein Grafiker, der selbst Opfer von Antisemitismus war, von solchen gesellschaftlichen Dynamiken nicht unberührt bleiben muss.

Die Theke im Capitol mit der Sarotti-Leuchtreklame

Noch problematischer wurde es im zweiten Teil des Vortrags von Prof. Dr. Nieß. Er befasste sich mit dem Begriff des „Mohren“ und zitierte zunächst aus sprachwissenschaftlicher Perspektive eine Einschätzung, die dem Begriff aufgrund seiner Wortherkunft und Bedeutung eine eindeutig abwertende Intention bescheinigte. Daher sei er ersatzlos zu streichen.

Allerdings ging Nieß nach diesem kurzen wissenschaftlichen Ausflug auf die umgangssprachliche und alltägliche Bedeutung in der Kolonialgesellschaft ein. Er fand ein lokales Beispiel eines Mannheimers mit dunkler Hautfarbe („nachweislich der erste bekannte Afroamerikaner in Mannheim“) der um die Jahrhundertwende in Mannheim lebte. Sein Sohn soll in Ludwigshafen die Gaststätte „Drei Mohren“ eröffnet haben. Die inhaltliche Bezugnahme würde auf die christliche Geschichte der Heiligen Drei Könige zurück gehen. Nieß kam zu der Einschätzung, dass der Begriff des Mohren deshalb auch eine positive Bedeutung habe. Einige weitere Beispiele brachte er aus dem religiösen Kontext, um seine These zu stützen.

„Rassismus ist ein gesellschaftliches Herrschaftsinstrument“

Der zweite Referent Dr. Halua Pinto de Magalhaes widersprach seinem Vorredner entschieden. Eine positive Deutung des Begriffs entspräche nicht der gesellschaftlichen Wirklichkeit dieser Zeit.

Dr. Halua Pinto de Magalhaes

Der Schweizer, der seit kurzem aus beruflichen Gründen in Heidelberg lebt, betonte, dass er eher zufällig in die Veranstaltung gestolpert sei und zur eigentlichen Auseinandersetzung um die Leuchtreklame im Mannheimer Capitol wenig sagen könne. Er wollte gemeinsam mit seiner Co-Referentin Dr. Onur Suzan Nobrega zum Thema „Kolonialismus, institutioneller Rassismus und die Rolle von Kulturinstitutionen“ sprechen. Seine Kollegin sei krankheitsbedingt leider kurzfristig ausgefallen. So kam es, dass der Schweizer etwas holprig begann, in seinen weiteren Ausführungen aber umso klarer die Probleme postkolonialer europäischer Gesellschaften darstellen konnte.

In Bern hatte er sich mit der kolonialen Vergangenheit der Schweiz beschäftigt, war Mitglied des Stadtparlaments und hatte im Rahmen des „Berner Rassismusstammtisch“ Diskussionen geführt. Er berichtete von aktuellen antirassistischen Kämpfen, die zur Zeit überall in Europa geführt würden: In Lissabon gegen Polizeigewalt, in Berlin mit Straßenumbenennungen, in den Niederlanden über Kritik am sogenannten „Blackfacing“ und eben hier in Mannheimer über die Auseinandersetzung mit dem „Sarotti Mohren“. Rassismus sei und bleibe ein gesellschaftliches Herrschaftsinstrument, war Halua Pinto de Magalhaes zentrale These. „Die aktuelle Auseinandersetzung ist ein Erbe der kolonialen Vergangenheit Europas.“ Aktuelle Diskussionen könnten nicht ohne den historischen Bezug zur Kolonialgeschichte der jeweiligen Nation betrachtet werden. „Der Kolonialismus war ein Projekt der europäischen Eliten“, es sei um die Ausbeutung des afrikanischen und südamerikanischen Kontinents gegangen. Daran gebe es nichts zu beschönigen.

Die Figur des „Sarotti Mohren“ bezeichnete er als eindeutig rassistisch. Die stereotyp dargestellten roten Lippen, die pechschwarze Haut, die Rolle des Dieners und die comichafte, verniedlichende Darstellung führten zu einer Entmenschlichung. Mit dieser Einschätzung widersprach er der Deutung seines Vorredners. Nieß hatte die Darstellung der Figur als möglicherweise niedlich interpretiert und damit die Option einer positiven Deutung ins Spiel gebracht.

Positive Kindheitserinnerungen versus verletzende Diskriminierungserfahrungen

Tina Koch, Antidiskriminierungsbüro Mannheim e.V.

Dritte Referentin des Abends war Tina Koch vom Antidiskriminierungsbüro Mannheim e.V. (adb). Sie stellte die Arbeit des erst 2018 gestarteten Projekt vor, dass sich in freier Trägerschaft und damit unabhängig von der Stadtverwaltung befindet. Finanziert wird die Arbeit über öffentliche Gelder. Die Antidiskriminierungsberatungsstelle im Aufbau will Menschen dabei unterstützen, sich gegen erlebte Diskriminierung zu behaupten. Es gehe nicht nur um „eins zu eins Diskriminierung“, also den konkreten Einzelfall, sondern auch um gesellschaftliche Strukturen, die Diskriminierung begünstigten. Ein solcher Fall ist die Diskussion um den „Sarotti Mohr“.

Das adb ist Teil des Runden Tischs, den das Capitol Ende 2018 als Gremium gegründet hat, um sich zum weiteren Umgang mit der Sarotti-Werbung beraten zu lassen. Unter anderem entstand aus dem Runden Tisch die Veranstaltungsreihe „Kein Platz für Rassismus“.

Tina Koch berichtete noch einmal von wesentlichen Punkten der Diskussion Ende 2018. Über 700 Reaktionen in den sozialen Medien seien registriert worden, darunter verschiedenste Meinungen, auch rassistische Kommentare. Immer wieder sei das Thema Denkmalschutz genannt worden, was faktisch jedoch keinerlei Relevanz für den weiteren Umgang mit der Leuchtreklame hätte. Sehr emotional werde es beim Thema (Kindheits-)Erinnerungen von älteren Menschen. Es sei auch häufig die Forderung geäußert worden, dass rassistische Logo müsse weg. Doch die große Mehrzahl der Kommentare wurde offenbar von Menschen geäußert, die nicht selbst von Rassismus betroffen waren.

Der Runde Tisch hatte mögliche Umgangsweisen zur weiteren Diskussion aufgelistet:

  • Die Sarotti-Leuchtreklame könnte hängen bleiben und mit einer Infotafel ergänzt werden
  • Das alte, rassistische Sarotti-Logo könnte durch das aktuelle ausgetauscht werden
  • Die Werbung könnte kreativ verändert werden
  • Die Leuchtreklame könnte abgehängt und an einem anderen Ort aufgestellt werden, z.B. in einem Museum
  • Alles bleibt, wie es ist

Unverständnis auf beiden Seiten

Mit einem Verweis darauf, dass eine Entscheidung noch nicht getroffen sei, wurde die Diskussionsrunde unter Beteiligung des Publikums eröffnet.

Kritik musste Stadtarchivleiter Ulrich Nieß für seine thematische Schwerpunktsetzung und die Einschätzung zum Begriff des Mohren einstecken. Viele im Publikum äußerten die klare Forderung, die Leuchtreklame müsse abgehängt werden. Manche konnten es nicht verstehen, warum darüber überhaupt diskutiert werden. „Die Sache ist doch völlig eindeutig“.

Es gab aber auch klare Meinungen, alles so zu belassen, wie es ist. Auch ein Mann, der selbst von Diskriminierungserfahrungen aufgrund seiner Hautfarbe berichtete, vertrat diese Position. Er verbinde mit der Sarotti-Werbung ein positives Gefühl, den wunderbaren Geschmack der Schokolade.

Ein anderer zog den schwierigen Vergleich zum Antisemitismus: „Wenn es sich um eine antisemitische Karikatur eines jüdischen Menschen handeln würde, wäre die Entscheidung wohl schon längst gefallen.“ Von den Befürwortern der Leuchtreklame hörte man immer wieder, man solle „die Kirche im Dorf lassen“. Emotionen und Gefühle bestimmten deren Beiträge. Eine Frau fragte sichtlich wütend in Richtung einer Vertreterin des „hängen lassen“: „Warum sollte es mich interessieren, was die Menschen von rassistischen Symbolen halten, die selbst gar nicht von Rassismus betroffen sind?“ Immer wieder war Moderator Gerhard Fontagnier gefordert, die Diskussion in sachliche Bahnen zu lenken. Dennoch blieb es bis zum Ende eine spannende Diskussion, gerade weil sie kontrovers war.

Will man wirklich alle Meinungen zusammen bringen?

Capitol Mannheim

Im anschließenden Pressegespräch betonte Thorten Riehle noch einmal, dass noch keine Entscheidung getroffen sei und für diese ein Konsens mit allen Beteiligten gesucht werde. Er wolle sich nicht der lauten Mehrheit beugen, sondern die verschiedenen Positionen zusammen bringen. Letztlich müsse die Stiftung entschieden, die das Hausrecht im Capitol inne habe.

Wie die Meinungen zusammen gebracht werden könnten, das scheint auch Riehle noch nicht ganz klar zu sein. Problematisch wird eine solche Debatte, da auch die Verharmlosung von Rassismus Legitimation bekommt und als eine Meinung von vielen gilt. Dabei muss bedacht werden, dass an diesem Abend zwar die Rassismus-Kritiker*innen in der Mehrheit waren. Der Großteil der Verfasser*innen der vielen Hundert Facebook Beiträge, Leserbriefe und Kommentare in den Lokalmedien sprach sich aber für Nostalgie und persönliche Emotionen und für das „hängen lassen“ aus – und leistete genau damit der Verharmlosung Vorschub. Eine Entscheidung soll dennoch bald getroffen werden. Es bleibt also spannend.

(Text & Bilder: cki)

 

Siehe auch:
Sarotti-Mohr: Muss er nun weg? Darf er so hängenbleiben? Worum geht es?




Sarotti-Mohr: Muss er nun weg? Darf er so hängenbleiben? Worum geht es?

Live & Eventhaus Capitol | Bild: CC Capitol1927

Es ist mittlerweile schon viel zu diesem Thema gesagt worden und ich gestehe, dass ich die 1000 postings im Web nicht umfänglich studiert habe. Trotzdem ein paar Gedanken zu dieser heißen, (inzwischen wohl schon wieder etwas abgekühlten) Diskussion, die möglicherweise bisher zu kurz gekommen sind.

Fetisch-Diskussion

Es wird heftigst über ein an der Wand hängendes Ding diskutiert. Weil es für etwas steht, was unter Menschen, die Menschlichkeit schätzen, verachtet wird: Rassismus und – wesentlich seltener erwähnt – Kolonialimus. Aber auch, weil es ein grafisches Werk ist, zu dessen Wertigkeit es unterschiedliche Meinungen und zu dem es nostalgische Bezüge gibt. Ferner wird aber auch gestritten, weil es Streit über den Streit gibt, über die Berechtigung oder Notwendigkeit oder Zumutung sog. „political correctness“. Es geht also letztlich gar nicht um das Ding, sondern um Prinzipien des menschlichen Zusammenlebens. Wird der Mohr also eines Tages abgehängt, ohne dass wir in der Auseinandersetzung um solche Prinzipien weitergekommen sind, dann war das ebenso ein Schuss in den Ofen, wie wenn er trotzig hängenbleibt. Lasst uns also über die Prinzipien menschlichen Zusammenlebens diskutieren und am Ende über denkbare, aber nicht zwangsläufige dekorative Konsequenzen.

„Hat 40 Jahre nicht gestört!“

„Sarotti-Mohr“ in traditioneller Darstellung | Bild: pixabay

Stimmt wohl im Großen und Ganzen. Aber nicht auszuschließen, dass er schon immer einige Leute gestört hat. Warum sonst hat die Marke „Sarotti“ im Jahr 2004 ihr Emblem deutlich „entschärft“: statt des dienenden „Mohren“ – der als mutmaßlicher Sklave sprachlich besser in die guten Stuben und feinen Cafés passt als der „Nigger“ der amerikanischen Plantagen – nun eine „Märchenfigur“, die mit deutlich hellerer Hautfarbe ein paar Sternchen jongliert.

Also: Warum auf einmal diese Aufregung? Ganz einfach: Weil das erste Mal seit 40 Jahren (und wahrscheinlich überhaupt) Menschen aus Mannheim mit nicht weißer Hautfarbe zusammengerufen / eingeladen wurden, um über ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus zu sprechen und Vorträge zu hören. Dies war am 10. Oktober 2018 auf einer Veranstaltung von „Mannheim sagt ja!“ im Capitol unter dem Titel „Monnemer of Colour“. Und sie kamen, die Monnemer*innen of Colour, sahen den Sarotti-Mohr über der Theke prangen und sprachen: Da geht es ja schon los – diese blöde Sicht auf uns nicht biodeutschen Deutsche. Beispielhaft für eine solche „Urdeutsche“ ohne Bleichgesicht sei hier die Quartiermanagerin im Herzogenried genannt, Jennifer Yeboah: in Ludwigshafen geboren und aufgewachsen, der Vater aus Ghana stammend. Sie erzählt später am 2.11.16 in der RNF-Sendung „Zur Sache“ aus Anlass des Mohren-Streits, wie sie von wackeren deutschen Bürgern dann und wann aufgeklärt wird, „wie man sich in Deutschland verhält“
(https://www.rnf.de/mediathek/video/zur-sache-vom-2-november-2018/?fbclid=IwAR0eXUFxdI3poRo5wuD5UPrfYRluPEC_wzqjrl4JlWr6bbLgy5i9bd0HidU)
Oder sie hört: „Sie sind ja ganz nett. Aber dieser Job sollte doch von einer Deutschen gemacht werden.“ Jennifer Yeboah erzählt auch von Jugendlichen mit schwarzafrikanischen (statt weißeueropäischen) Wurzeln, die im Herzogenried geboren und in Kita und Schule gegangen sind, und die nun eine eingeschworene Gemeinschaft bilden mit gemeinsamen negativen alltagsrassistischen Erfahrungen, die ohne einen für sie akzeptablen Treffpunkt nachts im Quartier „herumhängen“, was wiederum das subjektive Sicherheitsempfinden einiger Anwohner*innen beeinträchtigt. Insofern ist es mehr als begrüßenswert, dass der „Sarotti-Mohr“ nun die Stadtgesellschaft verstärkt über solche Phänomene reden lässt. Wie ungeniert überheblich und tatsächlich rassistisch ein – man sollte meinen – gebildeter Mensch sich heute noch äußert, dafür legte der „Ethik-Berater“ Christoph Dyckerhoff in besagter RNF-Diskussion ein bemerkenswertes Zeugnis ab: „Wir haben natürlich mit der Flüchtlingspolitik einen riesigen Wertekonflikt bekommen. Da kommen Menschen zu uns in Massen, die ganz anders ticken und auch zu Respekt ein ganz anderes Verhältnis haben als wir als hochentwickelte Mitteleuropäer“. Man fragt sich unweigerlich, ob der Herr demnächst mit seinen Enkeln zu Hagenbeck in den Zoo geht, um die „gering entwickelten Afrikaner“ dort seinen Enkeln vorzuführen (s.u.). Man fragt sich ferner, ob der Herr die Kriminalisierung von Seenotrettung als Höhepunkte mitteleuropäisch-abendländischer Werte und als Ausdruck von Respekt wertet.

Gejammer über Gutmenschentum und „political correctness“

Es konnte ja nicht ausbleiben, dass der Funken vom Sarotti-Mohr gleich übersprang auf die „Mohrenköpfe“ und das Café Mohrenköpfle in Mannheim und auf die Hotels zu den eins, zwei, drei Mohren. „Dürfen“ die jetzt auch nicht mehr so heißen? Man fühlt sich von der angeblich aufgedrückten „correctness“ verfolgt.

Diejenigen, die dieses Gejammer anstimmen über all die netten Dinge, die man nicht mehr sagen darf, können sich scheinbar gar nicht vorstellen, dass es Menschen gibt, die nicht mehr in den „Mohrenkopf“ beißen wollen, weil sie den geschichtlichen Kontext dieser Bezeichnung zur Kenntnis genommen haben. In einer Zeit, in der man Afrikaner*innen in Deutschland (bis in die Weimarer Republik hinein) in „Völkerschauen“ z.B. bei Hagenbeck zur Schau stellte, kam ja niemand auf die Idee, mit weißer Schokolade überzogene Eischaumerzeugnisse als „Kaiser-Wilhelm-Köpfe“ zu bezeichnen. Wer also unbedingt weiterhin in einen „Mohrenkopf“ beißen möchte, muss halt in Kauf nehmen, dass man ihn als eine ungebildete Dumpfbacke mit Neigung zur billigen Belustigung auf Kosten Dritter bezeichnet. Ganz ungezwungen, aber zu Recht.

„Das ist doch nur eine putzige Figur“ – blinde Beschönigung und Verniedlichung

Sarotti-Höfe in Berlin mit moderner Variante des Logos an der Fassade | Bild: CC JoachimKohlerBremen

Die Figur wurde zum 50-jährigen Markenjubiläum im Jahre 1918 kreiert. „Da gab es doch gar keinen deutschen Kolonialismus mehr“ schreibt ein Blog-Diskutant. An dem Verlust der deutschen Afrika-Kolonien knabberte die kaiserliche Gesellschaft gewaltig – zu schön war die Erinnerung an die billigen „Kolonialwaren“ und wertvollen Rohstoffe, z.B. die Kakaobohnen. Und die den Verlust besonders bedauerten, sannen sofort auf Revanche – nach 11 Jahren ging es weiter.

Die (nicht nur) deutschen Gemetzel um die Kolonien, die auf deutscher Seite den Völkermord an den Herero und Nama beinhalteten, firmierten unter dem hübschen und harmlosen Titel „Platz an der Sonne“. Und so steht auch der „Mohr“, der aus der Masse seiner versklavten Leidensgenossen herausgenommen und in europäische Nobelhäuser als Diener in prächtigen Gewändern verschleppt wurde, als ansehnliches Symbol für die höchst unansehnliche Versklavung und Ausplünderung des afrikanischen Kontinents. Insofern ist der „Sarotti-Mohr“ nur ein zitierter Code. Sein Schöpfer übrigens, der Grafiker Julius Gipkens, beherrschte zu Zeiten des Ersten Weltkriegs durchaus auch die Kunst der Plakatwerbung für deutsche Kriegsanleihen, für die Edelmetallsammlung „Gold geb‘ ich für Eisen“ oder für die Ausstellung „Deutsche Kriegsbeute“ (wikipedia).

Fazit: Der „Mohr“ steht als beschönigendes Symbol für den Kolonialismus und für die in diesem Zusammenhang grassierenden Strömungen des Rassismus, nämlich Betrachtung des nicht (mittel)-europäischen Teils der Menschheit als mehr oder weniger minderwertig und zur Vernutzung prädestiniert, Herrenmenschentum eben.

Der Kolonialismus existiert in moderner Form weiter – 66 Millionen Flüchtende sind eines seiner Ergebnisse

Der „Sarotti-Mohr“ symbolisiert nicht graue Vergangenheit, sondern ein höchst aktuelles Verhältnis zwischen den starken Wirtschaftsnationen, den weltweiten Konzernen und den Ländern und Menschen der einst so genannten „Dritten Welt“: Forcierte ungleiche wirtschaftliche Entwicklung, unfaire Handelsabkommen, Ausplünderung und gleichzeitige Marktüberschwemmung mit billigen Agrarprodukten, Schauplatz für geostrategische und Rohstoff-Kriege, Stabilisierung dienstbarer Marionettenregimes.

Insofern kann man dem Sarotti-Mohr und der auf ihn bezogenen plötzlichen Aufmerksamkeit nur dankbar sein. Vielleicht kann die Diskussion dazu dienen, die Naivität vieler Zeitgenoss*innen (oder das bewusste Nicht-wissen-wollen) etwas anzukratzen. Vielleicht geht dann manchen dieser Zeitgenossen ein Licht auf, dass „Mutti“ die Geflüchteten nicht „eingeladen“ hat, sondern dass die Verhältnisse auf der Welt und die deutsche Mitverantwortung für diese Verhältnisse Menschen in die Flucht schlägt und sie an einen der wohlhabenden Pole dieser Welt führt, um hier zu überleben. „Wir sind hier, weil ihr bei uns seid“. Und man kann ergänzen: „Wir sind arm weil ihr reich seid.“

Muss er jetzt weg, der „Sarotti-Mohr?“

Er hängt noch – und die Diskussion ist fast schon wieder verflogen. Letzteres ist schade, aber bezeichnend. Diejenigen, die sich unter dem Joch der Political Correctness wähnen, halten schon Ausschau, worüber die sich als nächstes jammern und sich aufregen können.

Mit ärgerlichen Symbolen der Vergangenheit, die in Wirklichkeit eben gar keine Vergangenheit ist, kann man in zweierlei Art umgehen: Entfernen oder kommentierend stehen oder hängen lassen. Hakenkreuze, die Symbolen eines verbrecherischen politischen Mordprogramms, muss man entfernen.

Sarotti-Mohren? Sie könnten im Capitol zu einem DENK-mal werden, indem sie z.B. künstlerisch entlarvend oder nüchtern-dokumentarisch kommentiert werden. Dann könnte vielleicht die Diskussion und die Bewusstwerdung über Kolonialismus, seine Aktualität und die „Kunst“ der Verschleierung gesellschaftlicher Verhältnisse angeregt werden. Die schlichte Beseitigung solcher Symbole verschafft nur ein kurzes heroische Vergnügen des Handanlegens. Danach geht alles seinen gewohnten Gang.

Das Capitol verfügt mit dem Casino über eine vortreffliche location, in der Diskussionen und Bildungsveranstaltungen zum Thema in loser Folge durchgeführt werden könnten. Die Träger des Capitol schreiben auf ihrer Website: „Im Capitol ist kein Platz für Rassismus, Hetze und Hass – deshalb nehmen wir diesen Hinweis auf rassistische Darstellungen sehr ernst. Wir haben das Denkmalamt und das Marchivum darum gebeten, uns in der Aufarbeitung behilflich zu sein. Unser Ziel ist es mit diesem Thema, das dazu geeignet ist Menschen herabzuwürdigen, adäquat umzugehen. Deshalb muss es unsere Aufgabe sein, unsere Gäste und Künstler zu sensibilisieren. Wir verstehen dies als einen Prozess in dessen Verlauf wir Betroffene zu Wort kommen lassen, Verständnis wecken, die historischen Vorgänge aufarbeiten und einen Umgang finden wollen. Diesen Prozess werden wir in den nächsten Wochen beginnen.“

An diesem Prozess sollten alle Interessierten teilnehmen können. Es könnte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft zwischen Capitol und Marchivum und vielleicht auch der Uni werden. Bildung und Diskussion in angenehmem Ambiente. Dann würde der „dienende Sarotti-Mohr“ ganz dialektisch einer guten Sache dienen.

(Thomas Trüper)