Sarotti-Mohr: Muss er nun weg? Darf er so hängenbleiben? Worum geht es?
Es ist mittlerweile schon viel zu diesem Thema gesagt worden und ich gestehe, dass ich die 1000 postings im Web nicht umfänglich studiert habe. Trotzdem ein paar Gedanken zu dieser heißen, (inzwischen wohl schon wieder etwas abgekühlten) Diskussion, die möglicherweise bisher zu kurz gekommen sind.
Fetisch-Diskussion
Es wird heftigst über ein an der Wand hängendes Ding diskutiert. Weil es für etwas steht, was unter Menschen, die Menschlichkeit schätzen, verachtet wird: Rassismus und – wesentlich seltener erwähnt – Kolonialimus. Aber auch, weil es ein grafisches Werk ist, zu dessen Wertigkeit es unterschiedliche Meinungen und zu dem es nostalgische Bezüge gibt. Ferner wird aber auch gestritten, weil es Streit über den Streit gibt, über die Berechtigung oder Notwendigkeit oder Zumutung sog. „political correctness“. Es geht also letztlich gar nicht um das Ding, sondern um Prinzipien des menschlichen Zusammenlebens. Wird der Mohr also eines Tages abgehängt, ohne dass wir in der Auseinandersetzung um solche Prinzipien weitergekommen sind, dann war das ebenso ein Schuss in den Ofen, wie wenn er trotzig hängenbleibt. Lasst uns also über die Prinzipien menschlichen Zusammenlebens diskutieren und am Ende über denkbare, aber nicht zwangsläufige dekorative Konsequenzen.
„Hat 40 Jahre nicht gestört!“
Stimmt wohl im Großen und Ganzen. Aber nicht auszuschließen, dass er schon immer einige Leute gestört hat. Warum sonst hat die Marke „Sarotti“ im Jahr 2004 ihr Emblem deutlich „entschärft“: statt des dienenden „Mohren“ – der als mutmaßlicher Sklave sprachlich besser in die guten Stuben und feinen Cafés passt als der „Nigger“ der amerikanischen Plantagen – nun eine „Märchenfigur“, die mit deutlich hellerer Hautfarbe ein paar Sternchen jongliert.
Also: Warum auf einmal diese Aufregung? Ganz einfach: Weil das erste Mal seit 40 Jahren (und wahrscheinlich überhaupt) Menschen aus Mannheim mit nicht weißer Hautfarbe zusammengerufen / eingeladen wurden, um über ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus zu sprechen und Vorträge zu hören. Dies war am 10. Oktober 2018 auf einer Veranstaltung von „Mannheim sagt ja!“ im Capitol unter dem Titel „Monnemer of Colour“. Und sie kamen, die Monnemer*innen of Colour, sahen den Sarotti-Mohr über der Theke prangen und sprachen: Da geht es ja schon los – diese blöde Sicht auf uns nicht biodeutschen Deutsche. Beispielhaft für eine solche „Urdeutsche“ ohne Bleichgesicht sei hier die Quartiermanagerin im Herzogenried genannt, Jennifer Yeboah: in Ludwigshafen geboren und aufgewachsen, der Vater aus Ghana stammend. Sie erzählt später am 2.11.16 in der RNF-Sendung „Zur Sache“ aus Anlass des Mohren-Streits, wie sie von wackeren deutschen Bürgern dann und wann aufgeklärt wird, „wie man sich in Deutschland verhält“
(https://www.rnf.de/mediathek/video/zur-sache-vom-2-november-2018/?fbclid=IwAR0eXUFxdI3poRo5wuD5UPrfYRluPEC_wzqjrl4JlWr6bbLgy5i9bd0HidU)
Oder sie hört: „Sie sind ja ganz nett. Aber dieser Job sollte doch von einer Deutschen gemacht werden.“ Jennifer Yeboah erzählt auch von Jugendlichen mit schwarzafrikanischen (statt weißeueropäischen) Wurzeln, die im Herzogenried geboren und in Kita und Schule gegangen sind, und die nun eine eingeschworene Gemeinschaft bilden mit gemeinsamen negativen alltagsrassistischen Erfahrungen, die ohne einen für sie akzeptablen Treffpunkt nachts im Quartier „herumhängen“, was wiederum das subjektive Sicherheitsempfinden einiger Anwohner*innen beeinträchtigt. Insofern ist es mehr als begrüßenswert, dass der „Sarotti-Mohr“ nun die Stadtgesellschaft verstärkt über solche Phänomene reden lässt. Wie ungeniert überheblich und tatsächlich rassistisch ein – man sollte meinen – gebildeter Mensch sich heute noch äußert, dafür legte der „Ethik-Berater“ Christoph Dyckerhoff in besagter RNF-Diskussion ein bemerkenswertes Zeugnis ab: „Wir haben natürlich mit der Flüchtlingspolitik einen riesigen Wertekonflikt bekommen. Da kommen Menschen zu uns in Massen, die ganz anders ticken und auch zu Respekt ein ganz anderes Verhältnis haben als wir als hochentwickelte Mitteleuropäer“. Man fragt sich unweigerlich, ob der Herr demnächst mit seinen Enkeln zu Hagenbeck in den Zoo geht, um die „gering entwickelten Afrikaner“ dort seinen Enkeln vorzuführen (s.u.). Man fragt sich ferner, ob der Herr die Kriminalisierung von Seenotrettung als Höhepunkte mitteleuropäisch-abendländischer Werte und als Ausdruck von Respekt wertet.
Gejammer über Gutmenschentum und „political correctness“
Es konnte ja nicht ausbleiben, dass der Funken vom Sarotti-Mohr gleich übersprang auf die „Mohrenköpfe“ und das Café Mohrenköpfle in Mannheim und auf die Hotels zu den eins, zwei, drei Mohren. „Dürfen“ die jetzt auch nicht mehr so heißen? Man fühlt sich von der angeblich aufgedrückten „correctness“ verfolgt.
Diejenigen, die dieses Gejammer anstimmen über all die netten Dinge, die man nicht mehr sagen darf, können sich scheinbar gar nicht vorstellen, dass es Menschen gibt, die nicht mehr in den „Mohrenkopf“ beißen wollen, weil sie den geschichtlichen Kontext dieser Bezeichnung zur Kenntnis genommen haben. In einer Zeit, in der man Afrikaner*innen in Deutschland (bis in die Weimarer Republik hinein) in „Völkerschauen“ z.B. bei Hagenbeck zur Schau stellte, kam ja niemand auf die Idee, mit weißer Schokolade überzogene Eischaumerzeugnisse als „Kaiser-Wilhelm-Köpfe“ zu bezeichnen. Wer also unbedingt weiterhin in einen „Mohrenkopf“ beißen möchte, muss halt in Kauf nehmen, dass man ihn als eine ungebildete Dumpfbacke mit Neigung zur billigen Belustigung auf Kosten Dritter bezeichnet. Ganz ungezwungen, aber zu Recht.
„Das ist doch nur eine putzige Figur“ – blinde Beschönigung und Verniedlichung

Sarotti-Höfe in Berlin mit moderner Variante des Logos an der Fassade | Bild: CC JoachimKohlerBremen
Die Figur wurde zum 50-jährigen Markenjubiläum im Jahre 1918 kreiert. „Da gab es doch gar keinen deutschen Kolonialismus mehr“ schreibt ein Blog-Diskutant. An dem Verlust der deutschen Afrika-Kolonien knabberte die kaiserliche Gesellschaft gewaltig – zu schön war die Erinnerung an die billigen „Kolonialwaren“ und wertvollen Rohstoffe, z.B. die Kakaobohnen. Und die den Verlust besonders bedauerten, sannen sofort auf Revanche – nach 11 Jahren ging es weiter.
Die (nicht nur) deutschen Gemetzel um die Kolonien, die auf deutscher Seite den Völkermord an den Herero und Nama beinhalteten, firmierten unter dem hübschen und harmlosen Titel „Platz an der Sonne“. Und so steht auch der „Mohr“, der aus der Masse seiner versklavten Leidensgenossen herausgenommen und in europäische Nobelhäuser als Diener in prächtigen Gewändern verschleppt wurde, als ansehnliches Symbol für die höchst unansehnliche Versklavung und Ausplünderung des afrikanischen Kontinents. Insofern ist der „Sarotti-Mohr“ nur ein zitierter Code. Sein Schöpfer übrigens, der Grafiker Julius Gipkens, beherrschte zu Zeiten des Ersten Weltkriegs durchaus auch die Kunst der Plakatwerbung für deutsche Kriegsanleihen, für die Edelmetallsammlung „Gold geb‘ ich für Eisen“ oder für die Ausstellung „Deutsche Kriegsbeute“ (wikipedia).
Fazit: Der „Mohr“ steht als beschönigendes Symbol für den Kolonialismus und für die in diesem Zusammenhang grassierenden Strömungen des Rassismus, nämlich Betrachtung des nicht (mittel)-europäischen Teils der Menschheit als mehr oder weniger minderwertig und zur Vernutzung prädestiniert, Herrenmenschentum eben.
Der Kolonialismus existiert in moderner Form weiter – 66 Millionen Flüchtende sind eines seiner Ergebnisse
Der „Sarotti-Mohr“ symbolisiert nicht graue Vergangenheit, sondern ein höchst aktuelles Verhältnis zwischen den starken Wirtschaftsnationen, den weltweiten Konzernen und den Ländern und Menschen der einst so genannten „Dritten Welt“: Forcierte ungleiche wirtschaftliche Entwicklung, unfaire Handelsabkommen, Ausplünderung und gleichzeitige Marktüberschwemmung mit billigen Agrarprodukten, Schauplatz für geostrategische und Rohstoff-Kriege, Stabilisierung dienstbarer Marionettenregimes.
Insofern kann man dem Sarotti-Mohr und der auf ihn bezogenen plötzlichen Aufmerksamkeit nur dankbar sein. Vielleicht kann die Diskussion dazu dienen, die Naivität vieler Zeitgenoss*innen (oder das bewusste Nicht-wissen-wollen) etwas anzukratzen. Vielleicht geht dann manchen dieser Zeitgenossen ein Licht auf, dass „Mutti“ die Geflüchteten nicht „eingeladen“ hat, sondern dass die Verhältnisse auf der Welt und die deutsche Mitverantwortung für diese Verhältnisse Menschen in die Flucht schlägt und sie an einen der wohlhabenden Pole dieser Welt führt, um hier zu überleben. „Wir sind hier, weil ihr bei uns seid“. Und man kann ergänzen: „Wir sind arm weil ihr reich seid.“
Muss er jetzt weg, der „Sarotti-Mohr?“
Er hängt noch – und die Diskussion ist fast schon wieder verflogen. Letzteres ist schade, aber bezeichnend. Diejenigen, die sich unter dem Joch der Political Correctness wähnen, halten schon Ausschau, worüber die sich als nächstes jammern und sich aufregen können.
Mit ärgerlichen Symbolen der Vergangenheit, die in Wirklichkeit eben gar keine Vergangenheit ist, kann man in zweierlei Art umgehen: Entfernen oder kommentierend stehen oder hängen lassen. Hakenkreuze, die Symbolen eines verbrecherischen politischen Mordprogramms, muss man entfernen.
Sarotti-Mohren? Sie könnten im Capitol zu einem DENK-mal werden, indem sie z.B. künstlerisch entlarvend oder nüchtern-dokumentarisch kommentiert werden. Dann könnte vielleicht die Diskussion und die Bewusstwerdung über Kolonialismus, seine Aktualität und die „Kunst“ der Verschleierung gesellschaftlicher Verhältnisse angeregt werden. Die schlichte Beseitigung solcher Symbole verschafft nur ein kurzes heroische Vergnügen des Handanlegens. Danach geht alles seinen gewohnten Gang.
Das Capitol verfügt mit dem Casino über eine vortreffliche location, in der Diskussionen und Bildungsveranstaltungen zum Thema in loser Folge durchgeführt werden könnten. Die Träger des Capitol schreiben auf ihrer Website: „Im Capitol ist kein Platz für Rassismus, Hetze und Hass – deshalb nehmen wir diesen Hinweis auf rassistische Darstellungen sehr ernst. Wir haben das Denkmalamt und das Marchivum darum gebeten, uns in der Aufarbeitung behilflich zu sein. Unser Ziel ist es mit diesem Thema, das dazu geeignet ist Menschen herabzuwürdigen, adäquat umzugehen. Deshalb muss es unsere Aufgabe sein, unsere Gäste und Künstler zu sensibilisieren. Wir verstehen dies als einen Prozess in dessen Verlauf wir Betroffene zu Wort kommen lassen, Verständnis wecken, die historischen Vorgänge aufarbeiten und einen Umgang finden wollen. Diesen Prozess werden wir in den nächsten Wochen beginnen.“
An diesem Prozess sollten alle Interessierten teilnehmen können. Es könnte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft zwischen Capitol und Marchivum und vielleicht auch der Uni werden. Bildung und Diskussion in angenehmem Ambiente. Dann würde der „dienende Sarotti-Mohr“ ganz dialektisch einer guten Sache dienen.
(Thomas Trüper)