Haldex macht Graubremse platt

Heidelberg: Weiteres Kapitel Industriegeschichte nach 95 Jahren geschlossen

 

Zur Protestversammlung am 6. Dezember vor dem Haldex-Gebäude kamen zur Unterstützung auch über 50 Haldex-Betriebsrentnerinnen und -Rentner sowie 20 Metaller anderer Betriebe. (Foto IGM Heidelberg)

Die Schließung und damit das Aus für die Belegschaft der Haldex GmbH Heidelberg (bis 1998 Graubremse) sind besiegelt. Am 20. März wurden per Einigungsstelle ein Interessenausgleich und Sozialplan abgeschlossen. Die ersten Arbeitsverhältnisse werden Ende Juni beendet, die meisten zum 30. September, die letzten zum 31. Dezember, darunter die der Mitglieder des  Betriebsrats. Die 80 Beschäftigten wechseln für sechs bis 12 Monate in die Transfergesellschaft „weitblick“.

 

Der bis 31.03.2020 laufende Mietvertrag mit der Commerzbank-Leasing (Eigentümer des 2002 neu gebauten Fabrikgebäudes in Wieblingen) ist, wie offensichtlich lange geplant, ausgelaufen. Haldex hat für rund fünf Millionen Euro von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht und verkauft die Fabrik jetzt weiter an ein anderes Heidelberger Industrieunternehmen.

Haldex verbreitet weiterhin, an der Verlagerung der Produktion nach Ungarn zum 30.6. und der Entwicklung zum 30.9. nach England festzuhalten – auch wenn man damit angesichts Wirtschaftskrise, Corona-Pandemie und Grenzsperren an die Wand fährt.

 

Übrig bleiben bei Haldex Deutschland nur 19 Beschäftigte. Acht Verwaltungsangestellte in Heidelberg sollen in ein Büro umziehen. 11 Vertriebs-Beschäftigte waren auch bisher schon im Home Office bundesweit tätig. Praktisch soll der deutsche Haldex-Rest vor allem noch als Durchgangsstation für Produkte aus Ungarn oder Slowenien dienen (ins Lager Weyersheim bei Straßbourg). Da die Haldex GmbH immer noch Verlustvorträge aus der Vergangenheit geltend macht, lassen sich so massiv Gewinnsteuern sparen (2017 zum Beispiel sind für 3 Millionen Euro Gewinn nur 3.900 Euro Steuern angefallen.)

 

FAST EIN JAHRHUNDERT GRAUBREMSE (HALDEX) SIND GESCHICHTE

Vor 95 Jahren hat Ingenieur und „Pionier“ August Grau im Stadtteil Kirchheim mit einem Beschäftigten begonnen. 1984 hat sein Enkel den Familien-Betrieb an den Rand des Konkurses gefahren. Der US-Konzern Echlin konnte für ein Butterbrot übernehmen. Nach dessen Ausstieg übernahm der schwedische Haldex-Konzern. Ein Jahr nach dem Umzug vom Pfaffengrund nach Wieblingen, wurde 2003 die mechanische Fertigung nach Ungarn, Slowenien und Polen verlagert. Fast 100 der damals 260 Beschäftigten mussten gehen.

 

2015 folgten große Teile der Montage ins Haldex-Werk Ungarn. Wieder wurden 60 Beschäftigte abgebaut. Übrig blieben noch 100. Die Heidelberger Belegschaft hatte 1984 und 1997 verhindern können, vom Weltmarktführer Knorr-Bremse unter Milliardär Thiele geschluckt und zerschlagen zu werden. Auch 2016/17 leistete sie, gelobt von der schwedischen Presse, den größten Widerstand innerhalb Haldex gegen den Übernahme-Versuch durch Knorr-Bremse.

 

In Heidelberg wird damit nach vielen anderen ein weiterer Metallbetrieb dicht gemacht. In seiner langen Geschichte hatte der Zulieferer von Nutzfahrzeug-Bremssystemen einschließlich Zweigwerken bis zu 930 Beschäftigte (1980). Insgesamt mussten über ein Dutzend Sozialpläne durchgestanden werden. Traditionell galt die Graubremse als bedeutender Streikbetrieb der IG Metall Heidelberg.

 

ENDE OKTOBER HAT HALDEX DIE SCHLIESSUNG ANGEKÜNDIGT

Am 22.10.19 wurden Betriebsrat und Belegschaft in Heidelberg mit der Ankündigung überfallen, das Werk werde Ende des Jahres verlagert und geschlossen. Die Beschäftigten antworteten im Oktober/November mit Protest-Aktionen und Ausfall mehrerer Schichten durch Arbeitsniederlegungen. 50 fuhren am 22.11. mit dem Bus zur landesweiten IG Metall-Kundgebung in Stuttgart gegen Massen-Entlassungen.

 

Zur Protestversammlung am 6. Dezember vor dem Haldex-Gebäude kamen zur Unterstützung auch über 50 Haldex-Betriebsrentnerinnen und -Rentner sowie 20 Metaller anderer Betriebe. In Reden wurde angekündigt, mit allen gewerkschaftlichen Mitteln zu kämpfen, einschließlich einem, möglichen Arbeitskampf für einen Sozialtarifvertrag.

 

Auch in einem Sachverständigen-Gutachten wurde im Januar die Verlagerung als betriebswirtschaftliche Fehlentscheidung beurteilt: Die Entwicklung sei ohne das Heidelberger Know How nicht arbeitsfähig; bei der Produktion in Ungarn würden vordergründige Kosten-Einsparungen (Lohnverhältnis eins zu vier) durch die dort nachweislich viel geringere Produktivität (ein Drittel bis zu 50 Prozent), steigende Logistik- und Transportkosten sowie Qualitätsverluste wieder kompensiert.

 

Wabco, nach Knorr-Bremse zweitgrößter Konkurrent von Haldex (inzwischen von ZF übernommen), geht einen anderen Weg. Laut Vereinbarung mit IG Metall und Betriebsrat von 3.12.2019 investiert Wabco (nach 9,1 Millionen Euro 2017) weitere 8,9 Millionen Euro in Mannheim-Friedrichsfeld. Der Standort wird in ein Forschungs- und Entwicklungs-Kompetenzzentrum für Druckluftbremsen ausgebaut und eine neue 4.500 m² Produktionshalle gebaut.

 

90 Prozent der in der Haldex-Betriebsversammlung Mitte Januar Anwesenden unterzeichneten einen Brandbrief an Vorstand und Aufsichtsrat in Schweden: Rücknahme des Schließungs-Beschlusses! Nachdem das Schreiben in  Schweden und den USA veröffentlicht wurde, sagte Haldex-CEO und -Präsidentin Helene Svahn zu, nach Heidelberg zu kommen – um kurze Zeit später wieder abzusagen. Per E-Mail teilte sie mit, es bleibe bei der Schließung. Einer der entscheidenden Berater bei Haldex, mit Sitz im Aufsichtsrat, ist seit einem Jahr das frühere, für Nutzfahrzeuge zuständige Daimler-Vorstandsmitglied Bernd Gottschalk.

 

Statt im Januar erneut Kampfmaßnahmen vorzubereiten, beschränkte sich der Betriebsrat auf Anraten des zuständigen IG Metall-Betriebsbetreuers darauf, nur auf Verhandlungen zu setzen. Eine bereits im Dezember geplante mehrtägige Betriebsversammlung wurde wieder verschoben. Während im alten Jahr noch Erfolg versprechend auf gewerkschaftliche Kampfkraft und Belegschaft gesetzt worden war, wurde dies nach Jahreswechsel kaum mehr in die Waagschale geworfen. Stimmen, umgehend Warnstreiks und eine Urabstimmung für einen Sozialtarifvertrag einzuleiten, wurden in den Hintergrund gedrängt.

 

In der Folge meinte der Geschäftsführer die Beschäftigten verhöhnen zu können, sie würden ohnehin „hauptsächlich nur Dinge verschrauben“. Ohne den Betriebsrat vorher überhaupt unterrichtet zu haben, durfte er am 31.1. in der Presse verkünden: Der Abschluss des Gebäudeverkaufs „steht kurz bevor“. Und schon am 3.3. (vor Krisenausbruch und vor Beginn der Coronapandemie-Welle) konnte er in der RNZ melden, die Schließung sei durch; es gehe nur noch um den Abschluss eines Sozialplans.

 

In der ab 9.3. tagenden Einigungsstelle unter Vorsitz eines Arbeitsrichters im Ruhestand wurden nach Vorlage der Finanzgarantien durch den Konzern („Patronatserklärung“) in der vierten Sitzung am 20.3. die Interessenausgleichs- und Sozialplan-Vereinbarung sowie das Dokument zur Transfergesellschaft unterzeichnet.

 

Durchsetzen konnte die Geschäftsführung auch die Verlängerung einer seit Januar geänderten Vereinbarung zur Arbeitszeit und Besetzung der drei Schichten in der Montage bis 30.6. Infolge des deutlich gestiegenen Krankenstandes kann fehlendes Personal durch Leiharbeitskräfte und Beschäftigte aus anderen Haldex-Standorten aufgefüllt werden (bis zu einem maximalen Personalstand von 46. (Bis 31.3. waren dies noch 38, die normale Beschäftigtenzahl). Samstags- und Sonderschichten (unter 30 Euro pro Tag Prämie brutto) sind ebenfalls möglich, unter Freiwilligkeit.

 

„MIT WEITEREN KAMPFMASSNAHMEN WÄRE MEHR DRIN GEWESEN“

Die Meinung in der Belegschaft über Verlauf und Ergebnis ist geteilt. Einerseits wird darauf verwiesen, „ab Mitte März wäre unter ‚Corona‘ kein Widerstand mehr möglich gewesen“. Andere sind überzeugt, es war mehr drin: „Als es noch ging, in den ersten acht Wochen nach Jahresbeginn, ist versäumt worden, entscheidende Kampfschritte einzuleiten.“

 

Wirkung auf Betriebsrat und Belegschaft hatten auch Drohungen der Geschäftsführung: Der Konzern könne die hiesige GmbH im Zusammenhang mit „Verlustvorträgen in zweistelliger Millionen Euro-Höhe“ aus der Vergangenheit auch in die Insolvenz gehen lassen. Seitens des IG Metall-Vertreters und des Rechtsanwalts des Betriebsrats wurde dies anhand BAG-Urteilen leider noch bestärkt: Die „gebotene Rücksichtnahme auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens“ könne „die Einigungsstelle sogar zum Unterschreiten einer aus dem Betriebsverfassungsgesetz folgenden Untergrenze eines Sozialplans zwingen“.

 

Zwar hatte der Konzern eine „Liquiditätsausstattungs-Garantie zur Abwendung einer rechnerischen Verschuldung“ der GmbH zum 31.12.2018 gekündigt. Anlässlich der Unterschrift unter den Sozialplan am 20.3. war dann aber die Vorlage einer entsprechenden „Patronatserklärung“ kein Problem. Darin „verpflichtet sich die Haldex AB (schwedische Muttergesellschaft), alle Verbindlichkeiten aus dem Sozialplan in vollem Umfang fristgerecht zu erfüllen“.

 

Drei ehemalige Betriebsrats-Mitglieder haben nach Abschluss des Sozialplans einen Leserbrief geschrieben, der am 6.4. im Lokalteil der RNZ veröffentlicht wurde: „ … Über ein halbes Jahrhundert galt Graubremse/Haldex als Kampf- und Traditionsbetrieb der IG Metall. Entsprechend kämpferisch die ersten zwei Monate nach Schließungsankündigung. Unbegreiflich und traurig, wie es danach im Januar/Februar möglich war, das Werk ohne weiteren gewerkschaftlichen Widerstand plattzumachen …“

 

Bestätigt wird berechtigte Kritik auch durch die höchst befremdliche Stellungnahme vom 23.3. auf der Internetseite der IG Metall Heidelberg: „Die Geschäftsleitung hatte die Maßnahme im Herbst angekündigt und war auf den erbitterten Widerstand der Belegschaft gestoßen. Allein deshalb konnte die Maßnahme entgegen den ersten Planungen des Konzerns, den Standort zum Jahresende zu schließen, über den 31.12.19 gestreckt werden und ein gut dotierter Sozialplan erreicht werden, sagte der, zweite Bevollmächtigte der IG Metall.“ Als ob der Konzern innerhalb von acht Wochen den Betrieb jemals hätte schließen können. Nicht einmal der Konzernvorstand ging davon aus.

 

Im Gegensatz dazu waren die bis Dezember durchgeführten Aktionen von der Belegschaft stets als Auftakt zu eigentlichen Kampfmaßnahmen zum Jahresbeginn verstanden worden. Zumindest eine Schließung sollte verhindert werden; falls dies am Ende doch nicht gelingen sollte, könnten die Beschäftigten wenigstens erhobenen Hauptes aus dem Betrieb gehen und der Konzern müsste beim Sozialplan ein deutlich größeres Stück drauflegen. So die klare Stoßrichtung,

 

SOZIALPLAN-BESTIMMUNGEN

Da eine Betriebsversammlung nicht möglich war, informierte der Betriebsrat am 23.3. die drei Schichten jeweils in einer Info-Veranstaltung im Detail über die Sozialplan-Regelungen. Die Tage zuvor ins Home Office versetzten Angestellten waren per Internet zugeschaltet. Im Schnitt sind die 80 Beschäftigten bereits über 50 Jahre alt und arbeiten mehr als zwei Jahrzehnte im Betrieb. Gemäß Sozialplan erhalten die bis 59-Jährigen Abfindungen von durchschnittlich rund 129.000 Euro brutto (einschließlich Kinder- und Schwerbehinderten-Beträge). Bei über einem Viertel der 70 Betroffenen werden die Abfindungen allerdings aufgrund einer Obergrenze von 195.000 Euro „gedeckelt“.

 

Für die unteren Entgeltgruppen werden pro Beschäftigungsjahr bis 1,6 Monatsentgelte an Abfindung gezahlt, für die mittleren sind es bis zu 1,4 und in den oberen Entgeltgruppen etwa 1,2 Monatsentgelte pro Jahr. Bei den höchsten Verdiensten und hoher Betriebszugehörigkeit liegt der Faktor auch unter 1 (bis 0,6). Nach Transfergesellschaft und anschließendem Arbeitslosengeld-Bezug droht besonders Un- und Angelernten ohne Arbeit nach verbrauchter Abfindung trotzdem vielfach Hartz IV.

 

10 Beschäftigte über 60 Jahre gelten als „rentennah“. Sie bekommen als Ausgleich für die Netto-Verluste in der Transfergesellschaft (Aufzahlung von 60 auf 90 Prozent), beim Arbeitslosengeld und bei der Rente im Durchschnitt an die 70.000 Euro Abfindung (brutto).

 

Auch wenn bei einigen Komponenten deutliche Abstriche hingenommen wurden, ist der Sozialplan, für sich betrachtet, als akzeptabel anzusehen. Ihn aber mit „Konditionen auf oberstem Niveau“ in den Himmel zu loben, wie der IG Metall-Bevollmächtigte am 23.3. in der RNZ zitiert wird, ist unangebracht. Die Möglichkeiten, sowohl einen um rund 20.000 Euro höheren Abfindungs-Durchschnitt wie auch einen höheren „Deckel“ durchzusetzen waren durchaus vorhanden. Noch fragwürdiger sind Aussagen: Man habe immerhin „19 statt 17 Beschäftigte retten können“, und bei den „zahlreichen ungelernten Beschäftigen“ seien die „eher schlechten Aussichten auf einen neuen Job berücksichtigt“.

 

Vom 12,7 Millionen Sozialplan-Volumen entfallen rund 3,5 auf die Transfergesellschaft, in Form von Aufzahlungen beim Kurzarbeitergeld von 60 (67) auf 80 Prozent sowie Qualifizierungs- und Weiterbildungs-Maßnahmen. Dass Vermittlungsquoten der Transfergesellschaft in der Vergangenheit in der Rhein-Neckar-Region „von über 60 Prozent“ auch 2021 realistisch sein werden, muss bezweifelt werden.

 

HALDEX-KONZERN AM SCHLINGERN

Haldex ist nach dem Übernahme-Poker seitens Knorr-Bremse 2016/17 nicht mehr auf die Füße gekommen. 2018 und 2019 wurden in Europa rote Zahlen geschrieben. Jetzt wird das Werk in Heidelberg geschlossen, in dem seit 2016 schwarze Zahlen verzeichnet werden.

 

Zuletzt hat Haldex Mitte Februar bei der EU-Wettbewerbsbehörde Beschwerde dagegen eingereicht, dass Knorr als größter Konkurrent immer noch 10,17 Prozent der Haldex-Aktien halten könne und somit nach schwedischem Recht eine Sperrminorität besitze.

 

Der Haldex-Aktienkurs ist längst in den Keller gesunken: Lag er zu Zeiten des Bieter-Gefechts zwischen ZF und Knorr-Bremse bei 14 Euro, waren es Anfang 2019 noch 4,50; bis Ende März 2020 ist die Aktie sogar auf 2,24 Euro abgestürzt. Ein Vorstandsmitglied nach dem anderen verlässt inzwischen das sinkende Schiff. Die verzweifelte Suche nach einem Käufer oder Investor bleibt seit zwei Jahren ohne Erfolg. Es mangelt an Innovation, Entwicklung und Know How, was auch ZF Ende 2016 als Grund für seinen Absprung bezeichnet hatte.

 

Das europäische Haldex-Auslieferungslager in Weyersheim (bei Straßbourg, Corona-Risikogebiet) ist seit 23.3. geschlossen. Im Werk Landskrona (Schweden) wird aufgrund der Krise im Fahrzeugbau seit 30.3. für 250 Beschäftigte einen Monat Kurzarbeit gefahren. Am 1.4. eine Pressemitteilung des Vorstandes – Corona als Vorwand für ohnehin vorhandenen Markt- und Geschäftseinbruch: „Die Auswirkungen von COVID-19 führten im 1. Quartal zu einm geschätzten Umsatzrückgang von 15 – 20 Prozent und einer geringeren Marge.“ Haldex ist heftig auf Schlinger-Kurs. Keine guten Aussichten für die weltweit 2.200 Beschäftigten.

(mah)

 

 




Haldex Heidelberg: Betriebsrat und IG Metall verurteilen das skandalöse Vorgehen der Geschäftsleitung

Gemeinsame Presseerklärung zu Haldex

Betriebsrat und IG Metall Heidelberg verurteilen das skandalöse Vorgehen von Haldex auf das Schärfste

Die Meldung über die beabsichtigte Schließung des Werks in Heidelberg hat Haldex am 22.10.2019 genau in den Minuten veröffentlicht, in denen die Belegschaft informiert wurde. Die Ankündigung war allem Vernehmen nach von Konzern- und Geschäftsführung seit langem detailliert geplant und vorbereitet.

In und hinter dem Meldungstext stecken eine Vielzahl von Unwahrheiten und Falschinformationen:

Am 31.03.2020 läuft der vor 19 Jahren abgeschlossene Leasingvertrag über Grundstück und Betriebsgebäude in Wieblingen aus. Betriebsrat, IG Metall und Belegschaft haben seit langem auf diese Tatsache hingewiesen, reklamiert, sowie neue Verträge und Zukunftsgarantien gefordert.

Leider blieben Empfehlungen wie zuletzt die, sich in Wiesloch bei Heidelberger Druckmaschinen anzusiedeln, ungehört. Die Geschäftsführung war bis Anfang Oktober 2019 nicht in der Lage, eine Fortführungslösung (Kauf oder Miete) zu finden bzw. sicherzustellen. Stattdessen hat sie – absichtlich oder aus purem Dilettantismus heraus – auf einen Crash bzw. die Schließung des Werks 2020 hingearbeitet.

Wenn Geschäftsführer Manfred Vogel sich nun in der Presse zitieren lässt, Haldex sei sich „bewusst“, die Maßnahmen seien „für die betroffenen Mitarbeiter und ihre Familien einschneidend“, weisen IG Metall und Betriebsrat dies als puren Zynismus zurück! Noch einen Tag zuvor hat der Geschäftsführer auf Anfrage des Betriebsrats schriftlich mitgeteilt: „Versuche, bei der Stadt Heidelberg das Grundstück zu kaufen, sind mit der Begründung der anstehenden Wahlen bis auf nach November verschoben worden.“ (Tatsächlich waren die Wahlen bereits im Mai.) Weiter erklärte der Geschäftsführer am 21.10.: „Ein Interessent hat ein Angebot abgegeben, so dass eine Lösung gute Chancen hat, realisiert zu werden. Auch die Möglichkeit eines Kaufs (des Gebäudes) durch Haldex ist zu diesem Zeitpunkt nicht ausgeschlossen.“ Anderweitige Befürchtungen und „Aussagen des Betriebsrats“ seien „nicht richtig“.

Das waren noch Zeiten: Zusammen mit dem Betriebsrat machte sich die Geschäftsleitung der Firma Haldex in Heidelberg-Wieblingen für einen fairen und respektvollen Umgang in ihren Werkshallen und Büros stark. Als sichtbares Zeichen brachten Geschäftsführung und Betriebsrat am 01.09.2011 das Schild „Respekt-Kein Platz für Rassismus“ am Firmeneingang und am Tor für die LKW-Anlieferung an. (die Red.)

Tags darauf die brutale Ankündigung! Schließung und Verlagerung nach Ungarn, verbunden mit der höhnischen Bemerkung von Vorstandsmitglied Staffan Olsson, der Aufsichtsrat in Schweden habe dies erst am Vorabend beschlossen. Von den angekündigten 17 verbleibenden Beschäftigten würden tatsächlich nur 6 Beschäftigte bei Haldex in Heidelberg bleiben. Die übrigen 11 sind ohnehin schon immer bundesweit als Vertriebsbeschäftigte im Home-Office tätig. Eine geradezu unglaubliche Behauptung stellt die Verlautbarung in der Presse vom 23.10. dar, mit Betriebsrat und Gewerkschaft seien „bereits heute Verhandlungen über die Schließung aufgenommen“ worden, die „noch dieses Jahr abgeschlossen“ würden.

Diese Aussage weist der 2. Bevollmächtigte der IG Metall Heidelberg Michael Seis entschieden zurück. Jetzt beginnt erst mal die Informationsphase, so der Gewerkschafter. Weil das deutsche Recht vorsieht, dass der Betriebsrat die Möglichkeit hat Alternativen einzubringen, um eine Betriebsschließung zu vermeiden. Derart skandalöse Vorgänge hat es bundesweit nicht oft gegeben.

Der Betriebsrat war für den 22.10. von der Konzern- und Geschäftsführung zu einem eineinhalbstündigen sogenannten „Follow Up“-Gespräch eingeladen worden. Im Anschluss solle es eine Belegschaftsversammlung geben, wurde mitgeteilt. Als Vorläufer des „Follow Up“ hatten im Jahr 2019 auf Wunsch der Geschäftsführung in Heidelberg zwei „Workshops“ mit Betriebsrat und IG Metall über mögliche Verbesserungen zur Zukunftssicherung des Betriebs stattgefunden, unter Moderation des ehemaligen Vizepräsidenten des Arbeitsgerichts Heidelberg, Lothar Jordan – wie sich inzwischen vermuten lässt, ein trügerisches Ablenkungsmanöver. Bei den Terminen am 22.10.2019 mit Betriebsrat und Belegschaft wurden diese nur mit der Ankündigung regelrecht überfahren, der Betrieb in Heidelberg werde im ersten Halbjahr 2020 geschlossen. Der Betrieb in Heidelberg sei gegenüber dem Werk in Ungarn zu teuer, ließ die Konzernführung verlautbaren. Das Lohnverhältnis Ungarn – Heidelberg liege bei 1 zu 4.

Argumente des Betriebsrats, dass das Lohnverhältnis vor 10 Jahren noch bei 1 zu 10 lag und umgekehrt die Produktivität im Werk Heidelberg im Vergleich zum Werk in Ungarn bei 4 zu 1 liegt, wollte die Konzernführung nicht hören oder verstehen. Die Feststellung, dass die Montage in Heidelberg nur 40 Beschäftigte, die in Ungarn sechs Mal so viel hat, wollte die Konzernleitung auch nicht verstehen. Umsatz wird aber dort lediglich 1,3-mal so viel wie hier erzielt.

Seit Oktober sind in Heidelberg zudem fünf ungarische Beschäftigte in der Montage tätig, da in Ungarn die Aufträge zurückgehen würden, teilte die Geschäftsleitung mit. Die Personalleitung hatte dazu dem Betriebsrat die schriftliche „Garantie“ gegeben, mit einer möglichen Verlagerung nach Ungarn habe dies nichts zu tun. Im Beisein von Richter a.D. Lothar Jordan hatte COO Staffan Olsson dem Betriebsrat vor Monaten mitgeteilt, in Ungarn käme es zu Entlassungen. Für November sind erneut fünf ungarische Beschäftigte in Heidelberg. Ebenso auf Glatteis geführt werden sollte die Belegschaft mit dem Antrag, acht Wochen Produktionsvorlauf zu erarbeiten. Auch diesbezüglich stritt die Geschäftsleitung ab, dass dies in Zusammenhang mit einer drohenden Verlagerung stehe.

Erst 2016 / 2017 haben Belegschaft, IG Metall und Betriebsrat nicht unerheblich dazu beigetragen, dass Haupt-Konkurrent Knorr-Bremse den Haldex-Konzern und das Werk Heidelberg letztendlich doch nicht übernehmen, schlucken und zerschlagen konnte. Die schwedische Presse hat damals die „deutsche Gewerkschaft“ ausdrücklich gelobt.

Im Anschluss an die Veranstaltung am 22.10. stand der Betrieb in der Spät- und Nachtschicht still. IG Metall, Belegschaft und Interessenvertretung werden die angekündigte Schließung nicht kampflos hinnehmen und sich dagegen wehren, dass 95 Jahre Heidelberger Industriegeschichte, Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung und die Existenzen von 100 Familien auf diese Weise zerstört werden.

IG Metall Heidelberg, 25.10.2015




Knorr-Bremse musste Haldex-Deal endgültig abblasen

Öffentlicher Druck in Schweden zwang Thiele zum Rückzug

Wie weiter bei Haldex?

… und Schluss! Am 19.09.2017, nach einem Jahr und zwei Wochen, war es endlich so weit: Knorr musste seinen Versuch, den Konkurrenten Haldex durch „Übernahme“ zu zerschlagen, einstellen. (KI hat am 21.09. kurz berichtet.) Mitte August hatte sich in der Haldex-Hauptversammlung noch eine Aktio­närs-Abstimmungsmehrheit von Cash-gei­len Hedgefonds hinter Knorr gestellt. Ermög­licht wurde dies durch die Enthaltung des größtem Aktionär und Ex-Bieters ZF, während die Ein­zelaktionäre, zumeist aus Schweden, gegen Knorr stimmten. Zu gerne hätte der Weltmarktführer Nutzfahrzeug­bremsen Haldex nach dem Ausste­chen von ZF Ende 2016 noch ein weiteres halbes Jahr schmoren und in der Luft hängen las­sen. Am 07.09. musste der Münchner Konzern aber eine „herbe Schlap­pe“ („Handelsblatt“) ein­stecken. Die schwedische Börsenaufsicht SSC lehnte eine weitere Verlän­gerung der Aktienüber­nahme-Frist von 26.09. bis 09.02.18 ab – nachdem sie diese seit 2016 drei­mal verlängert hatte, obwohl gesetzlich nur neun Monate erlaubt sind.

Die EU-Behörden hatten ihre Entscheidung über den Kartellfreigabe-Antrag bis spätestens 30.11.17 an­gekündigt. Zwar ließ Knorr nach der SSC-Ablehnung noch kurzfristig verlauten, man halte an der Übernahme fest. Dann aber wollten Eigentümer Thiele und sein Vor­standsvorsitzender Deller einer wahrscheinlich auch aus Brüssel zu erwartenden Klatsche doch zu­vorkommen. Sie strichen die Se­gel – mit der Begründung, der Haldex-Vorstand verweigere die Zu­sammenarbeit. Das völlig über­höhte Angebot von 125 schwedischen Kronen pro Ak­tie (insge­samt 582 Millionen Euro, 18-facher Multiplikator des Haldex-Ebits) und das Kartellver­fahren wurden zurückgezogen. Das „Oberbayri­sche Volksblatt“ vom 20.09. kom­mentierte: „Knorr-Bremse beugt sich den Realitäten. Die Wider­stände – auch seitens der Kartellbe­hörden – waren letztlich zu groß.“

Schrammen für Patriarch Thiele – „Stoppt den Raubüberfall auf Haldex!“ –

So eine Schlagzeile von „Dagens Industri“ („Industrie heute“). In der schwedischen Presse wurde seit Herbst 2016 über den Knorr-Coup breit informiert, von „Svenska Dagbladet“ bis zur Zei­tung „Affärs­världen“ („Die Geschäftswelt“). Letztere veröffentlichte sogar 111 (!) Artikel. Über den Wi­derstand von Belegschaft und IG Metall in Heidelberg („Deut­sche ‚Union‘ gegen Über­nahme“) wur­de in der Presse ebenso berichtet. Am Ende spitzte sich der Druck der Öf­fentlichkeit, Knorr dür­fe den kleineren Konkurrenten mit 2100 Beschäftigten nicht schlucken, zu. Uni-Profes­soren der „Stock­holm School of Economics“ erstellten für das schwedische „Coporate Go­vernance-Board“ sogar Gutachten gegen den Aktien-Deal, was nun im Nachhinein auch zur Verab­schiedung neuer gesetzli­cher Börsen-Regelungen führen soll. Dem konnte sich auch die SSC nicht entzie­hen, ohne die eige­ne Existenzberechtigung in Frage zu stellen. 

„Schweden-Gegenwehr erfolgreich“, fassten dpa und Reuters zusammen. Der kurzzeitige Inte­rims-Vorstandsvorsitzende von Haldex (davor zwei Jahre Finanzvorstand) wurde eine Woche nach dem Scheitern von Knorr-Bremse vom Haldex-Board als Dank zum Präsidenten und CEO beför­dert. Er hatte sich Ende Juni nach „ernsten Bedenken der EU-Behörden“ getraut, öffentlich von „feindlicher Übernah­me“ zu sprechen: „Sechs von acht Haldex-Sparten überschneiden sich mit Knorr-Produk­ten. Eine Fusion ist sinnlos und wertvernichtend.“ Auch die „Frankfurter Allgemeine (FAZ“) konnte nicht an­ders, als den „Vorschlag“ von Knorr-Bremse, Haldex-Bereiche, die sich mit Knorr über­schneiden, weiter zu veräußern, als „Zerschlagung“ zu bezeichnen.

Hoffnungen des Haldex-Vorstands auf Wiedereinstieg von ZF gedämpft

Bis zuletzt hat die Haldex-Führung auf eine Rückkehr von ZF gehofft, mit 20,1 Prozent größter Ak­tionär. ZF hatte 2016 sein Angebot für Haldex mit der Investitions-Ankündi­gung von einer halben Milliarde Euro verbunden. Die „FAZ“ spekuliert am 20.09.17: „Ohne den größten Anteilseigner von Haldex kann niemand etwas ausrichten. Auch dürften die Friedrichshafe­ner nun gemeinsame Projekte mit den Schweden erwägen, um in einem bislang nicht vertretenen, aber wachsenden Seg­ment mit dem Angebot von Spezialbremsen präsent zu sein.“

Selbst beim Haldex-Vorstand sind aber seit der öffentlichen Absage von ZF anlässlich des Knorr-Stopps durch die SSC die Hoffnungen auf den finanzkräftigen Partner gedämpft. Auch nach dem endgültigen Rückzug von Knorr-Bremse hat ZF nochmals bestätigt: „Wir haben keinen Grund, er­neut ein Angebot für Haldex abzugeben“ (nach „Schwäbische Zeitung“, 19.09.17). Die „Stuttgarter Zeitung“ glaubt: „Derzeit versuchen die Friedrichshafener das nötige Know-How für den LKW-Be­reich selbst zu erarbeiten.“ Auch die Öffentlichkeit in Schweden geht mittlerweile kaum mehr von einen neuen Übernahmeangebot von ZF aus. „Affärsvärlden“ beklagt am Abend des 19.09., es sei „bereits viel Scha­den eingetreten“. Haldex habe „an Dynamik verloren“ und „musste Energie auf Dinge legen, die das Geschäft nicht vorantreiben“. „Affärsvärlden“ weiter: „Die finanziellen Mittel von ZF hätten wahrscheinlich dazu beigetragen, Haldex eine lukrative Zukunft zu bieten. Dass ZF heute Nachmittag angekündigt hat, keinen Grund zu haben, Haldex ein neues Angebot zu unterbrei­ten, muss als traurige Nachricht eingestuft werden.“ Das „Oberbayrische Volksblatt“ stellt fest: „In­sider betonen: Haldex ist nicht mehr dasselbe Unternehmen wie vor Beginn der Übernahme­schlacht: Vie­le Know-How-Träger haben das Unternehmen verlassen.“

Die eigentlichen Ursachen für das Abwinken von ZF dürften aber eher davor und tiefer liegen. Denn schon im Rahmen der Besuche anlässlich des Übernahme-Angebots im Sommer 2016 hatten ZF-Verantwortliche geäußert, man habe bei Haldex „viel mehr an Knor-How, Innovation und Ent­wicklungs-Potenzial erwartet“. Nicht umsonst hat ZF-Boss Sommer im Juli 2017 auch eine Über­nahme des zweitgrößten LKW-Bremsenherstellers Wabco auf den Weg gebracht, bevor ihn der Auf­sichtsrat kurz vor der Unterschrift noch gestoppt hat. Bei Notbremssystemen kooperieren ZF und Wabco bereits.

Auch der erste Bieter für Haldex, SAF Holland (LKW-Achsenhersteller, Aschaffenburg) hält sich bezüglich Haldex bedeckt, ist laut Branchen-Kreisen selbst der Gefahr eines feindlichen Übernah­meversuchs durch Knorr-Bremse ausgesetzt. Die Eigentumsstruktur von Haldex bleibt prekär. Nach ZF hält Knorr mit 14,9 Prozent die zweitmeisten Aktien und hat am 19.09. noch die Dro­hung hin­terher ge­schickt: „Hinsichtlich unserer Beteiligung an Haldex werden wir als verantwortungsbewuss­ter Ak­tionär auftreten und unsere Optionen im besten Sinne des Unterneh­mens und von Knorr-Bremse nutzen“ (nach „Eurotransport“, 19.09.) Mit mehr als zehn Prozent der Aktien kann Knorr sowohl Dividenden als auch außerordentliche Hauptversammlungen fordern. Hinter Knorr folgen bei Haldex noch eine größere Zahl auf Cash scharfer Hedge-Fonds.

„Der Kampf um den Bremsenmarkt geht weiter“ („Handelsblatt“) – Zukunft von Haldex un­gewiss

Der Aktienkurs von Haldex (vor dem Rückzug von Knorr 107 schwedische Kronen pro Aktie) ist danach nicht extrem abgestürzt, wie von einigen Börsengurus prophezeit. Unter 100 Kronen (10,41 Euro) ist er bisher nicht gefallen. Offensichtlich hoffen die Aktionäre auf einen bal­digen neuen Bie­ter. Die „Börsen-Zeitung“ fragt sich aber am 19.09.: „Wie stark ist Haldex noch?“ Soll­te es dem Haldex-Board nicht gelingen, baldmöglichst eine stabile, langfristige und nachhaltiger interes­sierte Eignerstruktur zu erhalten, werden die Probleme wieder zunehmen. Die Branchenzeitung „Auto­mobilwoche“ kommt zu dem Schluss: „Wie will sich Haldex künftig gegenüber seinen wesent­lich größeren Wettbewer­bern Knorr-Bremse und Wabco am Markt behaupten und wie sieht die Wachs­tumsstrategie des Un­ternehmens aus? Ohne Partner wird es in einer immer komplexeren und zuneh­mend vernetzten Lastwagenwelt wohl kaum gehen.“

Knorr-Bremse, Wabco und Haldex beherrschen den Weltmarkt in der Branche und haben 2016 zu­sammen über fünf Milliarden Umsatz verzeichnet. Auf Knorr entfielen dabei 47, auf Wabco 44 und auf Haldex neun Prozent. Das „Handelsblatt“ liest am 20.09. aus der Kristallkugel: „Fraglich ist, wie stark Haldex unter der monatelangen Hängepartie gelitten hat. Neben Knorr, Wabco und Haldex sind chinesicshe Hersteller weitere Player, die aber in Europa keine Rolle spielen. Sie dürf­ten mit ihrem Interesse an der Technologie zu potenziellen Investoren bei Haldex und beim Börsen­gang von Knorr-Bremse gehören. Der Kampf um den Bremsenmarkt geht also weiter.“

Wie sieht es im Haldex-Werk Heidelberg aus?

Belegschaft, Betriebsrat und IG Metall haben den Stopp von Knorr-Bremse begrüßt. Aufatmen und Erleichterung gab es auch bei Hunderten Ehemaligen des über 90 Jahre alten Traditions- und früher gewerkschaftlichen Kampf- und Streikbetriebs. Ein Jahr Widerstand, auch in Offenen Briefen an Thiele, Deller und Co. deutlich formuliert, haben sich für die Restbelegschaft gelohnt. Euphorisch wie bei Board und Vor­stand von Hal­dex fällt die Freude bei den Beschäftigten allerdings nicht aus. Die Schwierigkeiten und Fragen, wie es strategisch und personell weiter geht, bleiben. Haldex hat im Zuge des von Knorr ewig hingezo­genen Deals enorm an Aufträgen, Kunden und Beschäftigten verloren. Wie dringend notwendige Investitionen vorgenommen und fi­nanziert werden können, ist unklar.

Ob weiter selbstständig oder nicht – entscheidend für die Zukunft des Gesamtunternehmens Haldex wird sein: Welche Festlegungen werden strategisch, operativ und hinsichtlich Produktentwicklun­gen getroffen und werden Fehler der vergangenen Jahre wie Verlegung der Entwick­lung von Hei­delberg nach England oder laufende Produktionsverlagerungen in sogenannte Billig­lohnländer wie Ungarn korrigiert. In Ungarn bewegt sich der Umsatz deutlich unter dem des Heidelber­ger Be­triebs, obwohl die Beschäftigten-Zahl inzwi­schen fast dreimal so hoch wie hier ist. Wenigstens konnte aber in Heidelberg Ende September erst­mals wieder die Übernahme von vier Befristeten erreicht werden.

Das Heidelberger Haldex-Werk (bis 1998 GRAU-Bremse) konnte nach 1984 und ’97 jetzt zum dritten Mal der Übernahme und Zerschlagung durch Knorr-Bremse entrinnen. Für die derzeit 110 Beschäftigten steht als Nächstes im Blickpunkt: Die Laufzeit des 2014/15 abgeschlosse­nen Stand­ort- bzw. Firmentarifvertrags zwischen Haldex und IG Metall geht nur bis 30.06.2018. Aus Sicht von Belegschaft und IG Metall ist unabdingbar, dass rechtzeitig langfristige Vereinbarungen getrof­fen werden, um den Beschäftigten weiterhin Existenz und Perspektive zu ga­rantieren.

Heinz Hermann Thiele (“HHT“) – ein Mann will an die Börse

Thiele wäre nicht Thiele, wenn er das Platzen des Haldex-Deals am 19.09.17 nicht gleichzeitig mit einem neuen „Zukunfts-Highlight“ seines Imperiums verknüpft hätte: Derzeit werde „vorrangig und intensiv geprüft“, für Mitte 2018 den „IPO (Initial Public Offering“) zu vollziehen, den Börsen­gang von Knorr-Bremse. Da sein Konzern auf acht Milliar­den Euro geschätzt wird, würde “HHT“ unter Beibehaltung der Stimmrechtsmehrheit rund vier Mil­liarden Euro einsacken. Mit dann 16 Milliar­den Vermögen könnte er sich noch mehr als Angreifer in der Branche betätigen. Vorstands-Vor­sitzender Deller zu den „neuen Zielen“ nach dem Haldex-Schiffbruch: „Wir werden nun andere Al­ternativen verfolgen.“ In Berlin konnte Knorr-Bremse Ende September gegen sieben Monate Wi­derstand von Belegschaft und IG Metall am Ende die Schließung der Produktion von Hasse & Wre­de und Verlagerung nach Tschechien durchdrücken. Knapp die Hälfte der Belegschaft muss gehen; allerdings verzögert um ein dreiviertel Jahr zum 31.07.18, mit einjähriger Transferge­sellschaft und durchschnittlichen Abfindungen von 1,5 Monatsentgelten pro Beschäftigungsjahr – was es bei Knorr noch nie gab. Tausende Beschäftigte lässt man weiterhin 42 statt 35 Wo­chenstunden ar­beiten, davon fünf unbezahlt. Von 1926 bis 1985 war Knorr-Bremse auch in Mann­heim am Werk, als Eigentümer der Mannheimer Motorenwerke (MWM, heute zu Catarpillar). Thiele fädelte dann den Verkauf an




Übernahmefrist erneut um drei Monate bis 26.September verlängert Knorr-Bremse zieht Haldex-Deal weiter in die Länge

Mitte April hat der Knorr-Bremse-Vorstand bekanntgegeben, man habe bei der schwedischen Börsenaufsicht „Swedish Securities Council (SSC)“ einen weiteren Antrag auf Verlängerung der Übernahmefrist für den Konkurrenten Haldex bis 26.09. eingereicht. Das schwedische Aktienrecht sieht einen längeren Zeitraum als neun Monate nicht vor. Dies hat es auch noch nie gegeben. Trotzdem hat die Behörde die Ausnahme-Genehmigung Ende April erteilt. Haldex war zuvor von der Behörde um Stellungnahme gebeten worden und hatte auf Einwände verzichtet.

Seit Dezember sind 86,1 Prozent der Haldex-Aktien Knorr-Bremse „angedient“. (Das Kommunal-Info hat mehrfach berichtet.) Einen offiziellen Antrag auf Genehmigung des Erwerbs von Haldex hat der Weltmarktführer für Nutzfahrzeugbremsen Knorr-Bremse bei den europäischen Kartellbehörden bis heute nicht gestellt. Die letzte aktienrechtliche Frist für eine Übernahme wäre am 16. Juni abgelaufen. Einmal eingereicht, hat die europäische Kommission 35 Arbeitstage, dann muss sie ihre Entscheidung über den Antrag verkünden. Knorr-Bremse hätte also nur bis 28.04. Zeit gehabt, eine Übernahme offiziell zu beantragen. Um dies zu umgehen wurde die dritte Verlängerung bis 26.09. in die Wege geleitet.

Presseorgane sprachen von „Gegenwind bei Haldex-Übernahme“ (Handelsblatt, 19.04.) und „Haldex-Deal wackelt immer stärker“ (Finance Magazin 20.04.) Laut Knorr-Bremse sei „Hintergrund des Antrags“, dass die „Chancen einer Kartellfreigabe zu vertretbaren Bedingungen für Knorr-Bremse deutlich verbessert werden, wenn mehr Zeit gewährt werde“, auch um „mögliche Maßnahmen für etwaige Auflagen vorzubereiten“ (DGAP-Finanznachrichten, 19.04.17). Nächste Auslauffrist für einen offiziellen Übernahmeantrag ist damit der 08.08.2017 (sieben Wochen vor 26.09).

Betriebsrat Haldex und IG Metall Heidelberg generell skeptisch

Betriebsrat und IG Metall sehen auch die Ausdehnung der Übernahmefrist auf 12 Monate mit Skepsis: Wenn Knorr-Bremse als Begründung anführt, man wolle den Kartellbehörden „umfangreichere und detailliertere Informationen zur Verfügung stellen“, stellt sich die Frage, was man in den abgelaufenen acht Monaten gemacht hat. Eine andauernde Hängepartie und Unsicherheit kann nur zu weiterer Schwächung von Haldex führen, nachdem im vierten Quartal 2016 erstmals seit Jahren auch wieder Verluste geschrieben wurden. Im Quartalsbericht März 2017 klagt der Haldex-Vorstand: „Das Risiko, dass Beschäftigte das Unternehmen verlassen und wir Probleme haben, neues Personal zu rekrutieren, nimmt zu“ –  für Knorr-Bremse willkommene Erscheinungen. Als Interims-Vorstand Finanzen hat Haldex gerade ein erst 2015 selbst gegangenes ehemaliges Mitglied zurückgeholt und für den Aufsichtsrat einen Pensionär (vor Jahren Vorstandsvorsitzender). 

Die mehrmaligen Verlängerungen seitens Knorr-Bremse bestärken Zweifel, ob Haldex wirklich erworben und fortgeführt werden soll. Denn als Weltmarktführer, der alle acht Haldex-Hauptproduktlinien ebenfalls herstellt, braucht Knorr den kleineren Konkurrenten nicht. Schon im Herbst 2016 wurde daher überwiegend vermutet, dass Knorr-Bremse nur eine Verbindung ZF/Haldex, also einen starken Konkurrenten verhindern wollte und deshalb ZF ausgestochen hat (nachdem ZF zuvor SAF Holland überboten hatte). Dieses Ziel hat der Knorr-Vorstand im Dezember mit seinem extrem überhöhten Angebot von 580 Millionen Euro erreicht, das in etwa beim Dreifachen des sonst in der Branche Üblichen liegt. Haldex macht mit 2 100 Beschäftigten rund 500 Millionen Euro Umsatz. Die Anlasser-Sparte von Bosch mit 7 000 Beschäftigten und 1,4 Milliarden Umsatz wurde gerade für 545 Millionen Euro an den chinesischen Autozulieferer ZMJ verkauft.

Im Hinblick auf die Zukunftsmusik autonomes Fahren von LKW ist oberstes Ziel von Knorr-Bremse, Lenkung, Steuerung, Bremsen, Achsen, Elektronik alles unter sein Dach zu bringen. Inzwischen wird Vorstandsvorsitzender Deller in der Presse zitiert, man werde noch mit „einigen Überraschungen“ aufwarten. Am 07.04. berichtet die Zeitschrift Produktion, in Börsenkreisen werde spekuliert: „Schluckt Knorr-Bremse jetzt SAF Holland?“ Finanzen.net wiederum stellt am 13.04. fest: „SAF gilt als möglicher Käufer für Haldex-Abspaltungen.“ Dieses Interesse vermutet die Schwäbische Zeitung auch bei ZF: „Der Zulieferer ZF, der noch immer rund 20 Prozent von Haldex hält, äußerte sich: ‚ZF hält weiterhin einen nicht unwichtigen Anteil an Haldex, wir sind an einer positiven Entwicklung des Unternehmens interessiert‘, sagte ein Sprecher.“ Das Karussell dreht sich heftig – für die Haldex-Belegschaften alles Andere als positiv.

Selbst der Haldex-Vorstand deutet mittlerweile an, was vom Spiel von Knorr-Bremse zu halten ist. So hat er Ende März den Beschäftigten vieldeutig mitgeteilt: „Die einzig realistische Option für Haldex, eine Teilnahme an den Szenarien-Planungen (im Zusammenhang mit laufenden Prüfungen seitens der Kartellbehörden) abzulehnen, wäre, wenn wir beweisen könnten, dass der Deal nicht passieren wird.“ Ebenso ist im Zusammenhang mit dem Zurückholen eines Ex-Vorstandsmitglieds (siehe oben) von „Überbrücken des intensiven Übernahmeprozesses“ die Rede. Und: „Wir können unseren beteiligten Interessengruppen versichern, dass wir fortfahren, Haldex als eigenständiges Unternehmen mit einer Langzeit-Strategie und starker Kunden-Verpflichtung fortzuführen.“

Der neue Vorstands-Vorsitzende, CEO Ake Bengtsson, will einen der Gründe für das Interesse an Haldex in der „Entwicklung von autonom fahrenden LKW“ ausmachen. Dabei könne die Technologie von Haldex „eine prominente Rolle“ spielen. Auch der Anfang Mai neu gewählte Aufsichtsrats-Vorsitzende Jörgen Durban „mit Erfahrung in Unternehmens und Aquisitions-Recht“ hat in der Aktionärshauptversammlung am 04.05.17 versucht, der Führung und sich selbst Mut zuzusprechen: „Haldex ist in einer sehr interessanten Situation. Das Unternehmen hat es geschafft, den Fokus auf das laufende Geschäft zu halten, was beeindruckend ist, wenn man betrachtet, wie lang Haldex sich selbst in einer unsicheren Eigentümer-Situation befindet.“ In einer Belegschaftsversammlung in Heidelberg in der ersten Mai-Woche hat das schwedische Vorstands-Mitglied Produktion sinngemäß ausgeführt: Man müsse sich weiter auf das tägliche Geschäft konzentrieren, egal ob künftig unter Knorr-Bremse oder weiterhin als eigenständiges Unternehmen, wenn Alles vorüber sei.

Gefahr einer Filetierung von Haldex

Knorr-Bremse zielt in erster Linie darauf ab, Haldex als Konkurrenten möglichst zu schwächen und weitgehend vom Markt zu entfernen. Laut Pressemitteilung vom 20.04. wolle man mit dem erfolgten Verlängerungs-Antrag „die Einreichung bei den EU-Kartellbehörden optimieren und sicherstellen, dass die beste Vorgehensweise gewählt wird.“ Im Hinblick auf mögliche Kartellamts-Auflagen und -Einsprüche verbreitet Vorstands-Vorsitzender Deller aber schon seit einiger Zeit: „Es gibt ja auch Notfallpläne, falls ein Kernkraftwerk explodiert“ (Handelsblatt, 27.03.17). Immer mehr schält sich heraus, was das heißen kann: Eine beabsichtigte Filetierung und Zerlegung von Haldex – indem Knorr-Bremse den kleineren Konkurrenten unter Berufung auf Kartellamts-Auflagen und im Zusammenspiel mit ZF, SAF Holland und anderen nach Bereichen und Produktgruppen aufteilen und den Rest am Markt verscherbeln könnte.

Herauslesen lässt sich das auch aus einer Information des Haldex-Vorstands an die Beschäftigten Ende März: „Knorr-Bremse erstellt Szenarien-Planungen für sich überschneidende Produkte unserer jeweiligen Geschäftsfelder. Diese beinhalten Alternativen wie: ‚Beide halten, Haldex- und Knorr-Bremse-Produkte‘ oder ‚Haldex-Produkte halten‘ oder ‚Knorr-Bremse-Produkte halten‘. Theoretisch sollte jedes Szenario umfangreich genug sein, um das Produkt einem potenziellen externen Käufer anbieten zu können.“ Damit werden auch Befürchtungen von Knorr-Bremse-Beschäftigten bestätigt, dass auch sie von Auswirkungen des Haldex-Deals negativ betroffen sein könnten.

Ob der Termin 26.09. wirklich der letzte ist, ist fraglich. Der Haldex-Vorstand hat den Beschäftigten bereits mitgeteilt, ob die schwedische Börsenbehörde einen möglichen weiteren Antrag von Knorr-Bremse sogar über 12 Monate und die derzeitige Ausschlussfrist Ende September hinaus genehmigen würde, wisse man nicht, da es einen solchen Fall noch nie gegeben habe.

Zu rechnen ist bei Knorr-Bremse mit allem. Ob man Haldex letztlich wirklich kauft und fortführt oder den Konkurrenten nur möglichst lang schwächen und am ausgestreckten Arm verhungern lassen oder am Ende unter Berufung auf Kartellamts-Auflagen im Zusammenspiel mit anderen Interessenten filetieren und zerlegen will –  das scheinen nur Milliardär und Knorr-Bremse-Eigner Heinz-Hermann Thiele, sein Vorstands-Vorsitzender Klaus Deller und ihre eingeweihten Anwälte und Berater zu wissen.

Gegenwind für Knorr-Bremse

Nicht nur wegen des Haldex-Deals ist der seit über einem Jahrzehnt tariflich nicht gebundene Knorr-Bremse-Konzern seit einem halben Jahr in den Schlagzeilen. Neben dem Widerstand gegen die angekündigte Verlagerung der Tochter Hasse & Wrede von Berlin nach Tschechien und die Ausdehnung der 42-Stundenwoche im Konzern gibt es derzeit auch eine Auseinandersetzung zwischen Vorstand und Konzern-Betriebsrat, wie hoch die Entgeltanhebung sein soll (der IG Metall-Tarifvertrag sieht zwei Prozent ab 1. April vor). Bereits im März waren alle neun bundesweit betroffenen IG Metall-Geschäftsstellen von Berlin über Heidelberg bis München mit einer gemeinsamen Erklärung an die Öffentlichkeit gegangen und hatten die Praktiken des Konzerns angegriffen. Auch der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann und der bayerische DGB-Vorsitzende Matthias Jena haben in ihren jüngsten 1. Mai-Reden in Stuttgart und Passau die Knorr-Bremse-Praxis öffentlich als „Steinzeitkapitalismus“ gegeißelt.

Betriebsrat Haldex und IG Metall Heidelberg haben Knorr-Bremse im Dezember für den Fall einer Übernahme ihre Forderungen übermittelt: Erhalt aller Arbeitsplätze und Standorte sowie der Tarifbindung und der Tarifverträge. Mehr als drei Viertel der Heidelberger Belegschaft bzw. über 80 Prozent der tariflich Beschäftigten haben dies in der ersten April-Hälfte durch ihre Unterschrift unter eine entsprechende Erklärung nochmals bekräftigt. Eine Filetierung wird darin ebenso abgelehnt. Das Schreiben soll nun an Vorstand und Aufsichtsrat von Knorr-Bremse gehen.

(mho)