„Ernste Bedenken“ der Kartellbehörden gegen Haldex-Deal – Knorr-Bremse „havariert“

Haldex-Beschäftigte könnten Thiele und Co absehbar vom Hals haben

Ende Juni haben die EU-Kartellbehörden den Beteiligten ein erstes „Feedback“ zu der seit September 2016 angekündigten Übernahme des schwedischen Konkurrenten Haldex durch Knorr-Bremse gegeben: Tendenz eindeutig Richtung Ablehnung, da Knorr dadurch eine „marktbeherrschende Stellung“ bekäme. Auch von den US-Behörden kam Anfang Juli ein ähnliches Signal „aus Wettbewerbsgründen“. Betriebsrat Haldex und IG Metall Heidelberg hatten dies bereits seit Herbst prognostiziert (das Kommunal-Info berichtete mehrfach). Knorr versucht trotzdem noch weiter zu machen.

Von der Presse mit Ausnahme der Rhein-Neckar-Zeitung unbemerkt, hat Knorr-Bremse nach neun Monaten(!) am 1. Juni einen offiziellen Antrag auf Übernahme des direkten Konkurrenten Haldex bei den EU-Kartellbehörden eingereicht. Damit haben die Behörden „innerhalb 35 Arbeitstagen“ bis 24. Juli zu entscheiden: Sofortiges Nein oder „Phase II“. Für Ende Juni kündigten sie ein erstes „Feedback“ an. Inhalt: „Eine Genehmigung der Übernahme durch die Wettbewerbsbehörden ist sehr unwahrscheinlich“. So direkt danach das Haldex-“Board of Directors“ am 29.06. kurz nach Mitternacht. Die Medien überschlugen sich: „Haldex will Knorr-Bremse loswerden“ („finance-magacine“), „Haldex-Übernahme droht zu scheitern“ (RNZ), „Knorr-Bremse haveriert“ (dagens industri, Schweden).

Knorr-Bremse setzt auf die „vertiefte Phase II der Prüfungen“ und versucht die Behörden-Stellungnahmen zu ignorieren. Parallel hat der Weltmarktführer für Brems- und Luftfederungs-Steuerungsgeräte für Nutzfahrzeuge bei der schwedischen Börsenaufsicht eine Verlängerung der Aktienannahmefrist von 26.09.17 bis 09.02.2018 beantragt. Außerdem fordert Knorr eine außerordentliche Hauptversammlung der Haldex-Aktionäre noch im Juli. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Konzern das Platzen des Deals noch verhindern kann, wird immer geringer.

Inzwischen geht das Geschacher um Haldex ins zweite Jahr. Am 14. Juli 2016 ist der Aschaffenburger LKW-Achsenhersteller SAF Holland mit 442 Millionen Euro in den Bieterkampf eingestiegen. Schon einen Monat später war er vom Getriebehersteller ZF Friedrichshafen ausgebootet, der wiederum im September von Knorr-Bremse mit 583 Millionen ausgestochen wurde (20 Millionen mehr als ZF). Bei Haldex im Herbst eingestiegene Hedge-Fonds und Tausende Kleinaktionäre sprangen auf das vier Prozent höhere Angebot von Knorr-Bremse (125 schwedische Kronen pro Aktie). Seit Dezember sind 86,1 Prozent der Haldex-Aktien Knorr-Bremse „angedient“.

Jetzt ist das zu Tage getreten, was Betriebsrat Haldex und IG Metall Heidelberg von Anfang an gesagt haben: Die seit Herbst 2016 als „Übernahme-Deal des Jahres“ durch die Presse gegangene Kaufankündigung des Weltmarktführers Knorr-Bremse war ein riesiger Bluff. Nun steht er vor dem Platzen. Die Kartellbehörden konnten die Übernahme des (nach Wabco) zweitstärksten Konkurrenten aus Wettbewerbsgründen gar nicht durchgehen lassen. Dies war klar, insofern wollte Knorr-Bremse Haldex auch weniger erwerben. An Patenten besteht sicher großes Interesse. Vor allem aber sollte eine Verbindung Haldex/ZF verhindert und gleichzeitig der kleine Konkurrent weiter geschwächt werden. Nach dem Motto: Am ausgestreckten Arm verhungern lassen, so lang es geht, am Ende möglichst mit einer Filetierung und Zerschlagung von Haldex.

EU-Kartellbehörden sehen wichtige Gründe für Übernahme-Ablehnung

Milliardär und Knorr-Bremse-Eigner Heinz Hermann Thiele (vom „Manager-Magazin“ gerade in die „Hall of Fame“ aufgenommen), sein Vorstandvorsitzender Klaus Deller und ihr Heer von Beratern und Anwälten mussten von vorneherein davon ausgehen, dass die Kartellbehörden den Deal kaum durchwinken würden. „Aufgrund Überschneidungen bei sechs von acht Haldex-Geschäftsfeldern“ meldeten die EU-Kartellbehörden in ihrer ersten Stellungnahme „erhebliche Zweifel und ernste Bedenken“ an. Mit einer Übernahme würde „funktionierender Wettbewerb erheblich eingeschränkt“. Erklärungen von Knorr, man habe ein „umfangreiches tragfähiges Konzept für mögliche Veräußerungen mit indikativen Angeboten vielversprechender Interessenten unterbreitet“, widersprachen die Wettbewerbshüter ebenso: Es bestünden „auch Unsicherheiten bezüglich der Eignung möglicher genannter Käufer der sechs Bereiche“. Gleichlautend machten auch die US-Behörden eine Woche danach bei vier der acht Haldex-Produktlinien für den US-Markt wettbewerbsrechtliche Hinderungsgründe geltend.

Bei den betreffenden Geschäftsbereichen handelt es sich laut EU-Behörden um elektronische Bremssysteme (EBS), Antiblockiersysteme (ABS), Anhängerbrems- und Steuerungsventile, Luftaufbereitungssysteme, Luftfederungsprodukte und Scheibenbremsen. Sie machen über die Hälfte des Haldex-Umsatzes aus. Eine Trennung von ihnen wäre laut Vorstand „sehr kompliziert und auch nicht sinnvoll“. Aufgrund „integrierter Firmenstruktur“ würde ein möglicher Verkauf der Produktbereiche „große Schwierigkeiten“ nach sich ziehen. Viele Werke würden eine Reihe von Produkten produzieren, Forschungs- und Entwicklungszentren an einer Vielzahl von Produkten arbeiten. Das erschwere den Verkauf einzelner Produktgruppen. Auch dem Hauptvortrag von Knorr, man wolle Haldex zu einem „Center of Excellence für Trailer“ machen, weil man selbst bei Anhängern/Trailern wenig im Geschäft sei, wurde von den EU-Behörden widersprochen. Auch dort überschneiden sich die Produkte. Wenn überhaupt realistisch, käme ein Verkauf der betreffenden Haldex-Produktfelder einer behördlich genehmigten Zerschlagung des Unternehmens gleich. Das haben offensichtlich auch die eingebundenen Kunden und Nutzfahrzeughersteller zum Ausdruck gebracht.

Knorr will das Geschacher bis 2018 hinziehen

Knorr-Bremse macht im Nutzfahrzeug-Zulieferbereich mit 9 700 Beschäftigten 2,5 Milliarden Euro Umsatz, Haldex mit 2 100 Beschäftigten 500 Millionen. Zunächst stand als Frist für die Aktienübernahme 28. Februar 2017, dann 16. Juni, derzeit 26. September. Im Interview mit der schwedischen Börsenzeitung „dagens industri“ am 04.07.2017 hat Haldex-CEO Ake Bengtsson mit Wink an die Aktionäre ausdrücklich darauf hingewiesen, der Plan von Knorr-Bremse sei gescheitert, obwohl Haldex „massive Unterstützung“ geleistet habe: „Wir haben intensiv drei Monate mit Knorr-Bremse zusammengearbeitet, um geeignete Standorte für Veräußerungen zu finden. Potenziellen Käufern einzelner Aktivitäten wurde erlaubt, eine Due Diligence (Risiko-Sorgfaltsprüfung bei Unternehmenskäufen) vorzunehmen. Ein solches Vorgehen ist nicht unumstritten, da das Unternehmen interne Daten zeigt und wahrscheinlich Geheimnisse offenbart. Die potenziellen Käufer der Unternehmensteile, bei denen ein fusioniertes Unternehmen Knorr-Bremse/Haldex zu dominant wäre, fanden jedoch nicht die Zustimmung der Behörden.“

Inzwischen ist der Haldex-Vorstand mit dem ablehnenden Feedback der Kartellbehörden im Rücken beim jüngsten Verlängerungsantrag von Knorr wieder zum Nein übergegangen, was viele Beschäftigte längst erwartet hatten. Laut Haldex Board-Vorsitzendem Jörgen Durban und CEO Ake Bengtssson würden seit einem Jahr „Turbulenzen und Unklarheit über den künftigen Eigentümer Haldex belasten“. Viele Kunden seien nicht bereit langfristige Verträge abzuschließen, Beschäftigte würden das Unternehmen verlassen. Das Board ziehe daher seine Unterstützung für das Angebot von Knorr-Bremse zurück. Man werde die schwedischen Börsenaufsicht auffordern, eine nochmalige Verlängerung abzulehnen, da dies „für Haldex weiteren Schaden“ bedeute. Bei einer gegenteiligen Entscheidung werde man diese anfechten.

Knorr-Bremse-Milliardär Thiele versucht auf Gier der Haldex-Aktionäre zu setzen

Vom jetzigen Feedback der Wettbewerbsbehörden und der Haldex-Erklärung zeigte sich Knorr nach außen zunächst „überrascht“. Inzwischen versucht es der Konzern sowohl mit Pfeifen im Walde als auch mit Parolen und Manövern. Per Pressemeldung vom 30.06. ließ er verlauten: Man habe Alles im Griff und setze auf „Phase II mit vertiefter Prüfung“. Die Behörden hätten „noch keine finale Entscheidung getroffen“. Das Kartellfreigabeverfahren werde „zuversichtlich mit vollem Engagement“ fortgesetzt (Deller). Neuerliche Sprüche wie „unser Ziel ist es, gemeinsam mit Haldex das nächste Kapitel unserer Unternehmensgeschichte aufzuschlagen“, scheinen aber mittlerweile auch bei den Aktionären weniger zu ziehen. Teilweise macht sich Angst, in die Röhre zu gucken, bis Panik breit. Träume beginnen sich in Luft aufzulösen. Der Wert der Haldex-Aktie sank am 30. Juni um 8,3 Prozent. Eine Stunde nach Öffnung meldete der Börsenticker sogar einen Absturz um 11,6 Prozent auf ein Zehnmonatstief von 101 schwedischen Kronen.

Ausgerechnet der größte Räuber am Markt selbst, Knorr-Bremse, phantasierte darauf, der „Schritt des Haldex-Boards erzeuge erhebliche Unsicherheit für Aktionäre, Kunden und Mitarbeiter von Haldex“. Thieles Tross spricht von einem „eigennützigem und verantwortungslosen Schritt des Haldex-Vorstands, um die Kartellfreigabe zu behindern“. Erneut versuchen die Knorr-Oberen, auf die Aktionäre von Haldex zu setzen und erklärten am 30.06. nach Börsenschluss: Man habe inzwischen „sein Recht ausgeübt und die unverzügliche Einberufung einer außerordentlichen Hauptversammlung beantragt, im besten Fall nicht später als am 28. Juli“. Die Börsenaufsicht sei aufgefordert worden, „weitere Schritte in Bezug auf den Antrag auf Verlängerung der Annahmefrist zurückzustellen, bis die Haldex-Aktionäre die Gelegenheit hatten, über die Unterstützung des Antrags zu entscheiden“. Thiele will Haldex unbedingt noch ein weiteres halbes Jahr schwächen.

Ehemalige Kaufinteressenten ZF und SAF halten sich bedeckt

Nach einem dreiviertel Jahr gibt es bei den Haldex-Belegschaften wieder berechtigte Hoffnung, dass Knorr-Bremse mit seinen Machenschaften scheitert und die EU-Behörden bzw. die schwedische Börsenaufsicht dem Deal einen Riegel vorschieben. Sicher wären dadurch die Arbeitsplätze in Heidelberg und den größeren Standorten in USA, Mexiko, Schweden, Ungarn, China und Indien nicht. Von Heidelberg hatten sich zuletzt im Mai über 80 Prozent der tariflich Beschäftigten in einem Schreiben an Vorstand und Aufsichtsrat von Knorr-Bremse per Unterschrift vehement gegen eine Filetierung des Unternehmens gewandt und für den Fall der Übernahme Erhalt der Arbeitsplätze und der Tarifverträge gefordert.

Der weltweit tätige kleinere Konzern Haldex ist inzwischen ziemlich angeschlagen. Die Netto-Umsatzrendite hat sich 2016 mit 2,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr halbiert. In Europa, wo Haldex 36 Prozent seines Umsatzes macht, hat sich das Unternehmen, wie von Betriebsrat und IG Metall vorhergesagt, durch eigene Maßnahmen wie Produktionsverlagerungen nach Ungarn und die Verlegung der Entwicklung von Heidelberg nach England selbst geschwächt. In England fehlt entsprechendes Entwicklungs-Know How. In Ungarn wurden 2016 mit 222 Beschäftigten (davon rund dreiviertel in der Produktion) nur 34 Millionen Euro Umsatz erreicht, nicht mehr als in Heidelberg mit 111 Beschäftigten (davon rund die Hälfte Angestellte). In den USA erzielt Haldex 51 Prozent seines Umsatzes. Auch dort haben in den letzten neun Monaten aufgrund der Unsicherheit viele Ingenieure dem Unternehmen den Rücken gekehrt. Mittel für notwendige Investitionen in Forschung und neue Produkte sind kaum mehr vorhanden, weshalb man sich 2016 auch für den Einstieg eines starken Interessenten wie ZF stark gemacht hat.

„Dagens Industri“ erwartet, dass ZF einen neuen Anlauf unternimmt. Bisher halten sich aber ZF wie auch SAF bedeckt. ZF: „Wir nehmen die jüngsten Entwicklungen zur Kenntnis. Als größter Aktionär von Haldex (20,1 Prozent) werden wir verantwortungsvoll handeln und den Übernahmeprozess nicht stören. Wir haben Alles getan um Haldex zu schützen und zu fördern, und dabei bleiben wir“ („Schwäbische Zeitung“, 20. und 30.06.17). Die Zukunft von Haldex bleibt ungewiss.

(mho)