Anschlag auf ver.di Streikdemo in München: „Tod und Verlust darf nicht benutzt werden, um Hass zu schüren“

In Mannheim war der Morgen des Donnerstag, 13. Februar am Gewerkschaftshaus entspannt und friedlich. Eine Streikdemo mit rund tausend Beschäftigten des öffentlichen Dienst zog gut gelaunt durch die Quadrate. Erst zum Ende der Veranstaltung auf dem Alten Messplatz kamen die ersten Infos aus München.

Ein Auto war dort von hinten in eine parallel stattfindende Streikdemo gerast und hatte zahlreiche Menschen schwer verletzt. Es war ein Anschlag, offenbar religiös motiviert, wie Ermittler später mitteilten. 36 Menschen wurden zum Teil schwerst verletzt, eine Mutter und ihre zweijährige Tochter starben zwei Tage später an ihren Verletzungen.

Frank Wernecke, ver.di Bundesvorsitzender spricht vom „brutalsten Angriff auf eine gewerkschaftliche Veranstaltung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“.

Wer waren die Opfer?

Amel ist der Name der 37 jährigen Mutter, die als Ingenieurin beim Fachbereich Stadtentwässerung der Stadt München angestellt war. Sie ist in Algerien geboren und kam als Kind nach Deutschland, wo sie Umweltwissenschaften studierte.

Sie soll sich für Solidarität, Gleichheit und Arbeitnehmer*innenrechte und gegen Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung eingesetzt haben. Sie hatte beim Streik ihre kleine Tochter Hafsa im Kinderwagen dabei.

„Wir sind zutiefst erschüttert über diese schreckliche Tat. Dass friedlich demonstrierende Menschen, die für ihre berechtigten Interessen eintreten, Opfer einer Gewalttat werden, macht uns fassungslos“ sagt die bayerische Landesbezirksleiterin Luise Klemens.

Stellungnahme der Familie und Freunde

Am Samstag veröffentlichte ein enger Familien- und Freundeskreis der Opfer eine Stellungnahme, in der sie darum baten, den Tod und Verlust nicht zu benutzen, um Hass zu schüren und ihn politisch zu instrumentalisieren. Genau das ist leider direkt nach der Tat geschehen – so traurig, wie erwartbar.

„Wir möchten uns zunächst bei denen herzlich bedanken, die aufrichtige Anteilnahme und Solidarität gezeigt haben. Wir bedanken uns bei den Hilfskräften, bei den Pflegekräften, Ärztinnen für die gute Unterstützung, Begleitung und für den emotionalen Beistand. Amel ist in Algerien geboren und ist mit vier Jahren nach Deutschland gekommen. Sie studierte Umweltschutz in Köln und Bingen. Seit 2017 war sie Beschäftigte der Landeshauptstadt München als Ingenieurin. Sie war Projekt- und Sachgebietsleitung. Gemeinsam mit ihrem Mann und ihrer Tochter Hafsa lebte sie seit 2017 in München. Amel war ein Mensch, der sich für Gerechtigkeit eingesetzt hat. War aktiv für Solidarität, Gleichheit und setzte sich für Arbeitnehmer*innenrechte ein und gegen Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung. Ihr war es sehr wichtig, ihrer Tochter diese Werte mitzugeben.
Wir möchten bekräftigen, dass der Tod und der Verlust nicht benutzt werden, um Hass zu schüren und ihn politisch zu instrumentalisieren. Wir haben mit dieser Erklärung alles gesagt und möchten eindringlich darum bitten, von Anfragen abzusehen, da die Trauer und der Verlust nun im Vordergrund stehen.“
Stellungnahme der Familie und Freunde

Was zum Täter bekannt ist

Unmittelbar nach der Tat veröffentlichten bayerische Sicherheitsbehörden Informationen zum Täter, die kurz darauf wieder korrigiert werden mussten.

Nach letzten Informationen soll der Mann absichtlich und aus religiösen bzw. islamistischen Motiven in die Menschenmenge gefahren sein. Der Täter soll ein 24 jähriger Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes sein, der bislang den Behörden weder als Straftäter, noch als Islamist bekannt gewesen sei. Er sei in Afghanistan geboren und als 15 jähriger im Jahr 2016 alleine nach Deutschland gekommen. Er habe sich legal in Deutschland aufgehalten.

Die Ermittlungsbehörden konnten bislang keine weiteren Tatbeteiligten feststellen und haben auch keine Hinweise, dass der Täter Mitglied eines Netzwerks oder einer Terrororganisation, wie z.B. Islamischer Staat (IS) sei.

Antworten und Solidarität, keine politische Instrumentalisierung

Familie, Freund*innen und ver.di Kolleg*innen wird der Raum zum Trauern genommen. Bereits kurz nach der Tat wurde sie von den Rechten politisch instrumentalisiert für Spaltung, Hass und Hetze.

Am Sonntag veranstaltete die AfD in München eine Kundgebung mit Bezugnahme auf den Anschlag, unter den Teilnehmenden mehrere Bundestagskandidaten, die bereit standen, politisches Kapital aus der Angst der Menschen zu schlagen. Die Hetze der AfD greift pauschal alle Geflüchteten und Zugewanderten an. „Grenzen dicht“ hätte für Täter, wie Opfer gleichermaßen Ablehnung bedeutet.

Gegen menschenfeindliche Hetze, sei sie religiös oder rassistisch motiviert, hat die AfD keine Antwort. Im Gegenteil wissen wir, dass die Täter der Anschläge von Hanau, Halle und Magdeburg allesamt Anhänger der AfD waren.

Ver.di und die Omas gegen Rechts stellten sich den Faschisten in München entgegen. Die ver.di Jugend erklärte: „Das Leid und der Schmerz unserer Kolleginnen und Kollegen gehört nicht euch.“

„Natürlich muss darüber diskutiert werden, welche Konsequenzen Verbrechen haben“, sagt dazu Frank Wernecke. Das bedeute für ihn aber nicht, das Recht auf Asyl auszuhebeln und Schutzsuchenden sämtliche Fluchtwege zu versperren.

Betroffen von solchen Angriffen seien immer auch Menschen mit Migrationsgeschichte, so wie zuletzt in Magdeburg und Aschaffenburg nun auch in München unter den ver.di-Kolleg*innen. „Wir stehen für ein solidarisches Miteinander, gerade auch in so einer dunklen Stunde.“

„Jetzt ist konkrete Hilfe, jetzt ist unsere Solidarität gefragt“, heißt es in einer Mitteilung der Gewerkschaft, die zu Spenden für die Betroffenen und ihren Familien aufgerufen hat.

Spendenkonto:
Gewerkschaften helfen e.V.
IBAN: DE55 2505 0000 0152 0114 90
BIC: NOLADE2HXXX
Stichwort: Opfer Demo München

„Wir werden uns in den kommenden Tagen und Wochen bei den mit Streiks und gelebter Solidarität verbundenen Demonstrationen und Kundgebungen Raum geben, unserer Münchener Kolleg*innen, den Opfern und ihren Angehörigen zu gedenken und als Gewerkschaftsfamilie einander auch in dieser Zeit beizustehen.“ erklärt Frank Wernecke. (cki)




Videobeitrag: Gedenken, Instrumentalisierung, Protest – Mannheim gegen Rechts demonstriert gegen AfD Kundgebung

Der Freitag, 7. Juni 2024 stand im Zeichen von Reaktionen auf das Messerattentat, bei dem der Polizisten Rouven Laur getötet und Teilnehmer einer rechtspopulistischen Kundgebung verletzt wurden. Zum einen würdiges Gedenken am Brunnen des von der Stadt Mannheim zum Gedenkort erklärten Marktplatzes, andererseits das schamlose Auftriumphieren der AfD, die ihren Wahlkampfabschluss zum Thema veranstaltete. Der DGB und das Bündnis Mannheim gegen Rechts hatten zum Gegenprotest gegen die AfD aufgerufen.

Die Bericht mit Bildergalerie zum Tag findet sich hier: Tausende demonstrierten gegen die Instrumentalisierung des Messeranschlags durch die AfD

Videobeitrag bei Youtube: https://youtu.be/DHr_pJsg0ko




Tausende demonstrierten gegen die Instrumentalisierung des Messeranschlags durch die AfD [mit Bildergalerie]

Mannheim. Der Freitag, 7. Juni 2024, stand ganz im Zeichen von Reaktionen auf das Messerattentat vor einer Woche, bei dem der Polizisten Rouven Laur getötet und Teilnehmer einer rechtspopulistischen Kundgebung verletzt wurden (KIM berichtete).

Einerseits würdiges Gedenken am Brunnen des von der Stadt Mannheim zum Gedenkort bis 16. Juni erklärten Marktplatzes mit Bundespräsident Steinmeier und Ministerpräsident Kretschmann rund um die Schweigeminute 11:34 Uhr. Gleichzeitig im Ehrenhof des Schlosses ein schweigender Gedenkakt mit über 500 Polizeibeamt*innen.

Andererseits das schamlose Auftriumphieren der AfD-Landesverbände Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen um 18 Uhr vor N1.

Nachdem ihnen der Verwaltungsgerichtshof Mannheim zweitinstanzlich den Zutritt zur Gedenkstätte Marktplatz verwehrt hatte, musste auf den Paradeplatz ausgewichen werden. Man gedachte vereinnahmend des ermordeten Polizisten, der – so, wie er von Personen geschildert wird, die ihn kannten – sich niemals von einer AfD hätte vereinnahmen lassen wollen.

Gegen diesen Affront, der zugleich zentrale Wahlkampfveranstaltung der AfD war – man erklärte sie kurzerhand zum Höhepunkt und zur Abschlussveranstaltung des Wahlkampfes – mobilisierten DGB und das Bündnis Mannheim gegen Rechts zu einer Kundgebung auf dem Alten Messplatz und anschließender Demonstration zum Paradeplatz. Dort trafen sie auf die AfD, von sehr starken Polizeiketten hinter lückenlosen Absperrgittern erfolgreich auf Distanz, aber „in Hörweite“ gehalten.

Die Verwaltung hatte offensichtlich mit bürgerkriegsähnlichen Zusammenstößen gerechnet. Wer die Presseerklärung des Oberbürgermeister-Dezernats las und ernst nahm, hatte sicherlich Bedenken, sich dem Protest gegen die AfD anzuschließen: „Die Stadt Mannheim steht in engem Kontakt mit der Polizei. Rettungsdienste und Feuerwehr sind in erhöhter Bereitschaft, ebenso wurden die Rettungsleitstelle sowie Krankenhäuser in Mannheim und Umgebung über die bevorstehenden Versammlungen informiert, so dass dort entsprechende Vorbereitungen getroffen werden können.“

Nach Polizeiangaben gab es keine Zwischenfälle. Der einzige Zwischenfall war die AfD.

 

Die Gedenkstätte am Marktplatz – ein Ort zum „stillen innehalten und pietätvollen Gedenken“

Staatliche Gedenkminute am Vormittag

Zur offiziellen Gedenkveranstaltung am Freitagvormittag mit Bundespräsidenten kamen auch hunderte Bürger*innen zum Marktplatz. Ein Meer an Blumen, Bildern, Botschaften und Nachrichten hatte sich rund um das Denkmal in der Mitte des Platzes gebildet. Um 11:34, dem Zeitpunkt des tödlichen Angriffs, gab es eine Schweigeminute für den Polizisten Rouven Laur, die von der Marktplatzkirche eingeläutet wurde. Bundespräsident Steinmeier, Ministerpräsident Kretschmann, Landtagspräsidentin Aras, Oberbürgermeister Specht sowie Kolleg*innen der Polizei nahmen daran teil. Bürger*innen konnten hinter eine Absperrung ebenfalls teilnehmen.

Anhand der Botschaften an der Gedenkstätte konnte man die Vielfalt der trauernden Menschen erkenne: Natürlich viele Kolleg*innen, aber auch politische Botschaften und religiöse, Schulklassen, die Schilder gemacht hatten, Geflüchtete und Muslime, die sich von der Tat distanzieren wollten.

Der Marktplatz als „Gedenk- und Trauerstätte“ wird mittlerweile von entsprechenden Schildern als solcher deklariert. Veranstaltungen, Informationsstände und Versammlungen sind demnach bis zum 16. Juni untersagt.

Bildergalerie: Offizielle Gedenkveranstaltung mit dem Bundespräsidenten am Vormitag

 

Kundgebung des DGB „Mannheim steht zusammen“

Sabine Leber-Hoischen, DGB Kreisvorsitzende

„Jedwede Form von Extremismus ist schädlich für unsere Gesellschaft und ihre Werte. Wir lassen Hass und Hetze nicht zu. Hass und Hetze führen zu Gewalt. Und Gewalt ist keine Lösung, für niemanden. Gewalt lehnen wir ab. Wir leben hier in Mannheim friedlich miteinander. Wir sind nicht immer einer Meinung, und es menschelt manchmal miteinander. Aber was wir ganz klar ablehnen, sind Extremismus, Rassismus, Antisemitismus, Faschismus und jede Form von Diskriminierung. Da sind wir in Mannheim klar, und wir lassen es nicht zu, dass dieses in unsere Stadt getragen wird. (…) wir halten friedvoll zusammen für Demokratie und Vielfalt.“

Mit diesen Worten fasste die stellvertretende DGB-Kreisvorsitzende Sabine Leber-Hoischen die Plattform der großen Kundgebung des DGB zusammen, zu der fast die gesamte Gegenbewegung gegen die AfD-Hetzveranstaltung auf dem Alten Messplatz erschienen war.

Es folgte ein Beitragsblock des Stadtjugendrings, moderiert von Sara Tot, DGB-Jugendsekretärin und SJR-Vorstandsmitglied. Der SJR ist der Zusammenschluss der meisten Sportvereine, aller „Blaulicht-Vereine“, Musikvereine, Die Falken – „extrem viele sehr engagierte junge Menschen in dieser Stadtgesellschaft“. Sara Tot wies darauf hin, dass sehr viel junge Menschen am Sonntag bei der Veranstaltung der „Jungen Alternativen“ und der AfD auf dem Marktplatz unterwegs waren. „Faschismus kennt kein Alter. Deswegen sind wir heute hier.“ Den Redebeitrag teilten sich wechselweise die Vorsitzende des Bundes der Katholischen Jugend Mannheim und der Jugendsprecher der DITIB- Yavuz-Sultan-Selim-Moschee.

Kai Burmeister, DGB Landesvorsitzender

Der DGB-Landesvorsitzende Kai Burmeister stellte den 1. Satz des Grundgesetzes in den Mittelpunkt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, in der Arbeitswelt wie in der ganzen Gesellschaft. Burmeister berichtete über viele Gespräche, die er in dieser Woche mit Polizeibeamt*innen geführt habe, die oft auch über die GdP zum DGB gehören. Er forderte mehr Respekt vor allen Menschen, die ihre Arbeit in Uniform tätigen, von Polizei über Bahn bis zu den Krankenhausärzten.

Das Recht auf Demonstrationsfreiheit beispielsweise und das Streikrecht seien nicht selbstverständlich. Wo Rechtspopulisten an der Regierung sind, werden international diese demokratischen Grundrechte eingeschränkt bzw. abgeschafft. „Deswegen sind Gewerkschaften der natürliche Gegner von Faschisten und Rechtspopulisten.“ Abschließend warb Burmeister für die europäische Zusammenarbeit und sprach sich gegen die Rückkehr zum Nationalismus aus.

Ralf Heller, DGB-Kreisvorsitzender rief zur Teilnahme an der anschließenden Demo auf. „Wir als Gesellschaft müssen hier zusammenstehen.“ Als Zeichen hierfür sangen die Kundgebungsteilnehmer*innen abschließend den Kanon „Wehrt euch, leistet Widerstand gegen den Faschismus hier im Land. Haltet fest zusammen! Haltet fest zusammen!“

Bildergalerie: Kundgebung des DGB „Mannheim steht zusammen“

 

Große Bündnisdemo von Mannheim gegen Rechts

Im Anschluss an die Kundgebung des DGB startete gegen 17:30 Uhr die große Bündnisdemo von „Mannheim gegen Rechts“. Auf dem Banner ganz vorne war zu lesen „Gegen Islamismus und Rassismus – Zusammenhalt für die Vielfalt“. So wurde sich klar gegen zwei rechte Ideologien positioniert, die versuchen, die Gesellschaft zu spalten und für tödliche Anschläge in den letzten Jahren verantwortlich sind: Mannheim, Hanau, Halle oder der Mord an CDU Politiker Lübcke. So kulturell unterschiedlich die fundamentalreligiösen und völkisch-rassistischen Ideologien auch sind, gemeinsam haben sie die Ablehnung einer vielfältigen, multikulturellen und multiethnischen Gesellschaft und das wollen ihre Fanatiker*innen auch mit Gewalt durchsetzen.

Die Demonstration zog über die Kurpfalzbrücke, vorbei am Gewerkschaftshaus und bog am Wasserturm in die Planken ein. Der lange Demonstrationszug war in unterschiedliche Bereiche aufgeteilt. Vorne liefen Vertreter*innen des breiten Bündnisses, wo es anfangs eher ruhig war, weiter hinten lief ein Block der Gewerkschaftsjugend und ein Antifa Block mit vielen Unterstützer*innen aus anderen Städten. Dort ging es im Vergleich zu vorne die ganze Zeit sehr laut und motiviert zu. Die Polizei begleitete den Aufzug von Beginn an mit einem Großaufgebot. Trotz martialischem Aussehen, konnte jedoch von allen Seiten ein deeskalierender Umgang miteinander beobachtet werden.

Am Paradeplatz angekommen zogen die Teilnehmer*innen der Demonstration vor die Absperrgitter, um sich den AfD Anhänger*innen gegenüber zu stellen. Es wurden lautstark Parolen ausgetauscht, in den Reihen der AfD waren viele sichtlich genervt und provoziert von der Gegendemo. Die ganze Situation rund um den Paradeplatz war hitzig und unübersichtlich.

Die Polizei zählte 3300 Menschen bei der Demo von „Mannheim gegen Rechts“, die einer Kundgebung von 700 AfD-Anhänger*innen gegenüber stand. Insgesamt dürften es deutlich mehr Leute gewesen sein, die sich auf und um den Paradeplatz bewegt haben, denn den vielen Menschen, die in der Stadt unterwegs waren entging das Schauspiel nicht. Gerade Passant*innen, die selbst von der Hetze der AfD angegriffen werden, schlossen sich spontan dem Protest gegen rechts an und stimmten mit ein: „Nazis raus!“

Aller Panikmache zum trotz, blieb es den ganzen Tag friedlich. Die Polizei meldete am Abend, dass es nirgendwo Ausschreitungen gegeben habe, keine Straftaten angezeigt oder Personen festgenommen wurden. Es sei lediglich zu verbalen Provokationen gekommen.

Bildergalerie: Demo „Mannheim gegen Rechts“

 

AfD-Wahlkampfabschluss – die Instrumentalisierung des Messeranschlags

Die AfD hatte groß aufgefahren mit den Landesvorsitzenden und Stellvertretern von Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen, sowie einem Bundestagsabgeordneten, einem ehemaligen Polizeibeamten.

Rüdiger Ernst, AfD Stadtrat in Mannheim

Zu Beginn durfte Rüdiger Ernst sprechen, Fraktionsvorsitzender im Gemeinderat und Kreisvorsitzender der AfD. Er thematisierte vor allem den Angriff auf seinen Vorstands-Kollegen Heinrich Koch durch „drei Linksextremisten“. Die von ihm gestellte Person sei später dann als „psychisch krank“ dargestellt worden, obwohl das in der kurzen Zeit gar nicht gehe und auch mit „linkextremistisch“ nicht im Widerspruch stehe. Zum Schluss seiner kurzen Rede wies er darauf hin, dass in Mannheim der „sogenannte Kampf gegen Rechts“ auch mit städtischen Haushaltsmitteln gefördert werde. Da gehe es aber nicht um den Linksextremismus und Islamismus, die eigentlichen Gefahren, sondern es profitierten von der Förderung die „Linksextremisten“.

Ernst verzichtete zu Ende der Veranstaltung, als alle anwesenden Mandatsträger auf die Bühne zum Abschlussfoto gebeten wurden, sich dazuzustellen. Vor die Mandatsträger wurde das Fronttransparent der Veranstaltung gezogen: „Messermänner & Islamisten raus!“  Auf die Frage an Ernst, warum er sich nicht auch dazustelle, meinte er, er sei kein Profilneurotiker (wie seine Kolleg*innen, die da zahlreich standen?). Der eigentliche Grund dürfte sein, dass die AfD in Mannheim einen eher unauffälligen Kurs fährt. Ernst möchte eher die Anschlussfähigkeit an die CDU / ML halten und sich als mglw. Mehrheitsbeschaffer anbiedern. Obwohl in zwei der drei Landesverbänden auch Kommunalwahlen bevorstanden, gab es ausschließlich Hinweise auf die EU- und Landtagswahlen und auch schon auf die Bundestagswahl – alle drei wichtig für den Griff nach der Macht.  Die Kommunalpolitik war für die AfD sichtlich uninteressant.

Messerkriminalität mit beliebigen Zahlen, bei denen sich der „fachkundige“ MdB und der Landesvorsitzende Baden-Württemberg gegenseitig überboten, war dann auch das zentrale Thema: Die Regierungen von Land und Bund wurden quasi im drei-Minuten-Takt aufgefordert, endlich für Sicherheit auf den Straßen zu sorgen, damit die Bürger sich unbesorgt in den Städten bewegen können. „Mit einer blauen Regierung“ werde sich das schlagartig ändern, natürlich durch Abschiebung aller „Gefährder und islamistischer Straftäter.“

Die Veranstaltung der AfD brachte im Übrigen den offiziellen Schulterschluss mit der „Bürgerbewegung Pax Europa“ (BPE), deren Gründungsmitglied und Hauptagitator Stürzenberger offensichtlich das Attentat auf dem Mannheimer Marktplatz gegolten hatte. Stürzenberger habe sich über einen Anruf des Landesvorsitzenden sehr gefreut und man habe künftige Zusammenarbeit beschlossen. Ein BPE-Transparent stand schon in der Nähe der Bühne.

Bildergalerie: Kundgebung der AfD

 

Antifademo zum Feierabend

Nach Abreise der AfD entschlossen sich die Teilnehmer*innen des Antifa Blocks, mit einer gemeinsamen Demonstration zurück in die Neckarstadt zu laufen. Dem wurde in Rücksprache mit Polizei und Ordnungsamt auch behördlich die Zustimmung erteilt. Diskussionen gab es offenbar um die Route.

Letztendlich konnte der Demonstrationszug mit mehreren hundert Menschen ohne größere Probleme über den Ring zur Kurpfalzbrücke und zurück zum Alten Messplatz laufen. Damit endete für viele ein langer Tag.

Bildergalerie: Antifa Demo

 

Trotz Panikmache: Weniger AfD als gedacht und die große Katastrophe blieb aus

Tausende Menschen stellten sich gerade einmal 700 AfD Anhänger*innen entgegen. Das war ein deutliches Zeichen für Mannheim und kein großer „bundesweiter“ Mobilisierungserfolg der extremen Rechten. Dennoch sollte die Wirkung der instrumentalisierenden Hetze nicht unterschätzt werden, denn die politische Meinungsbildung findet viel umfangreicher im Internet statt, als auf der Straße. Die „Messermänner“ bleiben Zugpferde der AfD. Aber ein „zweites Kandel“ wird Mannheim wohl nicht werden, wie eine Sprecherin von „Mannheim gegen Rechts“ am Abend resümierte.

Dass der furchtbare Anschlag eines Islamisten zum Wahlkampfschlager der AfD wurde ist bitter. Genau so bitter ist die Tatsache, dass demokratische Parteien auf Bundesebene – von CDU über FDP bis SPD – den „Lösungsvorschlag“ der AfD aufgreifen und Abschiebungen in das von den Taliban regierte Afghanistan versprechen. Populismus funktioniert leider auch jenseits der AfD.

Rückblickend ist die Panikmache von OB Specht äußerst kritisch zu sehen. Mit dem Herbeireden von bundesweit anreisenden Gewalttätern und einem Katastrophenszenario, wurde bewusst versucht, die Bevölkerung von der Teilnahme an den Protesten gegen die AfD abzuhalten. Insgesamt ist das nicht gelungen, denn es haben sich tausende beteiligt – friedlich und solidarisch miteinander, aller Spaltungsversuche zum Trotz. Dennoch werden sich nach den Schreckensmeldungen vom Donnerstag sicher auch einige gegen das Demonstrieren entschieden haben.

Was Solidarität und Zusammenhalt bedeutet, auch in der demokratischen und linken Zivilgesellschaft, wessen Warnungen wir glauben und worauf wir uns verlassen können – das sollte nach diesem Freitag noch einmal gründlich nachbesprochen werden.

(tht/cki/hr/scr/u.a.)




Stürzenbergers Standard-Performance am Beispiel Hannover vor zwei Jahren

M. Stürzenberger BPE Live aus Hannover 05.08.2022 (Bild: Screenshot EWO-Live https://www.youtube.com/watch?v=4mlcEfbSytY)

 

Der Auftritt von Michael Stürzenberger für die „Bürgerbewegung Pax Europa“ (BPE) auf dem Marktplatz war als echte Provokation gedacht und als indirekte Wahlkampfhilfe für die AfD. Er tourt mit solchen Veranstaltugen seit Jahren durch die ganze Republik. Um was es dabei geht, kann man auf EWO-Live-Video über einen Auftritt in Hannover entnehmen.

Ankündigung, dass es gleich losgeht mit Veranstaltung und Live-Stream.

„Eben hat es noch geschüttet aus allen Kübeln. Typisch Hannover würd‘ ich mal sagen. Wir haben hier einen Oberbürgermeister, der türkischstämmig ist und auch noch Muslim ist, und offensichtlich auch keinerlei Probleme mit fundamentalen (sic) muslimischen Organisationen hat – dazu später mehr. Und wir hatten früher einen Bundespräsidenten, der aus Hannover kam, Christian Wulf, der gesagt hat, der Islam gehört zu Deutschland. Hier aus Hannover ist auch der Bundespräsident Frank Walter Steinmeier her, der auch ganz gern in Moscheen pilgert, zum Beispiel bei Ibram Idris in Penzberg, der auch für uns ein Funktionär des politischen Islam ist, der in München ein riesiges Islamzentrum bauen wollte. Also Hannover ist ein ganz schweres Pflaster. Wir haben hier allerhand Widrigkeiten: Das Verwaltungsgericht hat eben einen Eilantrag von uns abgeschmettert. Laut Verwaltungsgericht Hannover ist es zulässig, dass uns der Saft abgedreht wird, wenn weniger als 50 Leute hier sind. Gegen uns ist also fast alles hier verschworen. Was aber nicht verschworen ist, das sind die Patrioten, das sind die Islam-Kritiker, das sind die aufrechten Bürger, die aus Hannover und den umliegenden Städten hierhergekommen sind. Also herzlichen Dank an alle!“

Auf den Ausstellungstafeln ist zu lesen: „Wir sind nicht gegen den Islam. Wir kritisieren den politischen Islamismus.“ Das geht Stürzenberger in der kurzen Einleitungsrede schon ganz schön durcheinander.

 

Stürzenberger bei seinem Intro in Mannheim am 31.5.24. Er filmt sich beim ständigen Umkreisen des riesigen Infostandes und hält dabei schon einen Vortrag über den „politischen Islam“, in Wirklichkeit über „den Islam“ (Bild: Screenshot https://www.youtube.com/watch?v=NS0FB8YPsqg, 150.000 Aufrufe)

Auf der BPE-Website lässt sich Stürzenberger aus, Warum der „politische Islam“ verboten werden muss:

Die Auseinandersetzung mit dem Politischen Islam wird immer absurder. Statt klare Grenzen zu ziehen und konsequent auf dem Vorrang demokratisch beschlossener Gesetze vor uralten religiösen Bestimmungen zu bestehen, knickt man unter dem Mantra angeblicher „Toleranz“,  „Vielfalt“, „Buntheit“,  „Kultur-Sensibilität“ und „Rücksichtnahme auf religiöse Befindlichkeiten“ in vielen Bereichen ein.

Erst, wenn die nicht mehr zeitgemäßen Anordnungen aus einem 1400 Jahre alten Buch als für heutzutage nicht mehr gültig erklärt werden und der Koran historisiert wird, dadurch die Scharia als irrelevant erklärt und der Politische Islam verboten wird, kann dieser verhängnisvolle Weg in die Sackgasse gestoppt werden.

Alles andere würde, auch angesichts der demographischen Veränderungen, auf die langsame, aber kontinuierliche Entwicklung zu einem Islamischen Staat mit Scharia hinlaufen. Dem gilt es entschieden entgegenzuwirken. Die etablierte Politik hat es bisher sträflich vernachlässigt, entscheidende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Politischen Islams vorzunehmen. Deswegen müssen Bürgerbewegungen wie die BPE Druck ausüben, damit diese verhängnisvolle Fehlentwicklung baldmöglichst korrigiert wird.

Mit den „demografischen Veränderungen“ hebt Stürzenberger auf die sich verändernde ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung durch die migrantischen Bewegungen besonders seit der Industrielaisierung ab. Damit schlägt er die Brücke zu den Spezialisten der „Remigration“. Der ethnische, völkische Ansatz wird verbrämt mit der jeweiligen Religion. Hinter der sehr selektiven Religionskritik verbirgt sich das „Deutschland den Deutschen“, religiös maskiert. Man fragt sich, wie alt denn die Bücher der abrahamischen Religionen des „christlich-jüdischen Abendlandes“ sind, das die Islam-Verächter ständig im Munde führen.

Den Part der offen völkischen Hetze übernahmen zwei Tage später die AfD und die Junge Alternative auf dem Mannheimer Marktplatz: Weil die alte Naziparole mit den „drei Wörtern“ in Deutschland verboten ist, schrie der AfD-Redner zum Abschluss seiner Rede: „Remigration – Remigration – Remigration!“

tht

 




„Mannheim hält zusammen!“ – Große Gedenkstunde auf dem Marktplatz

Gedenk- und Sollidaritätsveranstaltung mit Politiker*innen und Vertreter*innen der Religionsgemeinschaften auf dem Marktplatz | Bild: Helmut Roos

Nach dem ersten Schock über den brutalen Mord an einem jungen Polizisten, der auf dem Mannheimer Marktplatz die Versammlungs-, Meinungs- und Redefreiheit der sog. „Bürgerbewegung Pax Europa“ zu sichern hatte, versammelten sich am Montagnachmittag nach Polizeiangaben 8.000 Menschen auf dem Marktplatz, um ihrer Anteilnahme und Trauer Ausdruck zu verleihen.

Sie waren einem Aufruf des Oberbürgermeisters, „der Fraktionen des Gemeinderats“ und der Religionsgemeinschaften gefolgt. Am Marktplatzbrunnen wurde ein Meer von Blumen abgelegt. Die Kolleginnen und Kollegen des Mordopfers hatten sich in einer beeindruckenden Formation aufgestellt, um nach Ende der Veranstaltung an dem Gedenkort vorbei zu defilieren. Transparente sah man ganz wenige, u.a. von der Ahmadiyya-Gemeinde („Liebe für alle – Hass für keinen“), auch eine israelische Fahne war zu sehen.

Das Programm sah nur eine Rede des Oberbürgermeisters vor, der sich dann aber doch auch eine kurze Rede des obersten Dienstherrn der Polizei, Innenminister Strobel anschloss. Bundesinnenministerin Nancy Faeser war überraschend ebenfalls anwesend, ergriff aber nicht das Wort. In einem zweiten Teil der Gedenkveranstaltung gab es ein „interreligiöses Gebet“ unter Beteiligung des evangelischen Dekans, der zugleich die Veranstaltung moderierte, der City-Kirchen-Pfarrerin, des katholischen Dekans, der Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde und ihres Mannes sowie des Kantors der jüdischen Gemeinde, des 2.Religionsbeauftragten DITIB Mannheim, Yavuz Sultan-Selim-Moschee, und einer Vertreterin der alevitischen Gemeinde.

Die versammelte Menschenmenge kann gut und gerne als Querschnitt der Mannheimer Gesellschaft betrachtet werden – nicht sozial, aber politisch, kulturell und ethnisch. Ein solches Zusammenstehen hat Seltenheitswert. Was die Menschen antreibt, kann man der Intensität des Beifalls entnehmen, der immer wieder während der Rede von OB aufbrandet. Das sind zwei herausragende Punkte neben der Trauer- und Anteilnahmebekundung insbesondere für die Eltern und die Lebensgefährtin des ermordeten Polizisten:

Defilee der Kolleginnen und Kollegen des ermordeten Polizisten | Bild: Helmut Roos

Erstens der Dank an die Polizei für ihren schweren Dienst und die Einforderung von Respekt für sie, aber auch für die Feuerwehr, die Sanitäts- und sonstigen Hilfsdienste. Zweitens die klare Aussage: „Mannheim ist der Beleg, dass es möglich ist, in Frieden zusammenzuleben, auch wenn man nicht dieselbe Religion oder dieselbe Nationalität teilt. Eine so pluralistische Stadtgesellschaft bringt auch Spannungen mit sich. Unterschiedliche Sichtweisen, auch Streit, sind nicht verwerflich, wenn sie in gegenseitigem Respekt und auf dem Boden gemeinsamer Werte ausgetragen werden. Für diesen über Jahrzehnte erarbeiteten Zusammenhalt stehen wir gemeinsam ein!“ Specht schließt hier ausdrücklich die Muslime ein: „Die große Mehrheit der in Mannheim lebenden Muslime achtet unsere Gesetze und Werte!“ Specht beendet seine Rede mit der Feststellung: „Wir aber stehen zusammen. Wir lassen uns nicht spalten von Menschen, die behaupten, dass bestimmte Merkmale, wie die Religionszugehörigkeit, die Hautfarbe oder die sexuelle Orientierung Ausschlusskriterien unserer Gesellschaft sind. Mannheim war, ist und bleibt Heimat für alle, die Anstand besitzen und unsere gemeinsamen Gesetze, Werte und Normen achten!“

Blumenniederlegung bei der Gedenk- und Sollidaritätsveranstaltung auf dem Marktplatz | Bild: Helmut Roos

 

Diesen Gedanken der friedlich zusammenlebenden vielfältigen Gesellschaft bringen auch die Vertreterinnen und Vertreter der Religionsgemeinschaften zum Ausdruck. Sie stehen auf der Bühne nebeneinander, auch der muslimische Imam und der jüdische Kantor: Der katholische Dekan Jung erklärt: „Wir in den Religionen glauben und leben in unterschiedlicher Weise. Wir schöpfen aus unterschiedlichen Traditionen. Wir lesen in unterschiedlichen Schriften. Aber mehr als die Unterschiede wiegt das, was uns gemeinsam ist. Die Liebe zum Leben und der Wert eines jeden Menschenlebens.“

Die Trauer- und Gedenkveranstaltung unter dem Titel „Mannheim hält zusammen“ war für sich genommen eine sehr würdige. Der Innenminister erklärte, es sei nicht die Stunde, Konsequenzen zu diskutieren. Man werde diese aber auf jeden Fall ziehen – was immer das heißen mag. Und es blieben Fragen zurück.

Thomas Trüper

 

Kommentar: Ein Marktplatz – zwei gegensätzliche „Wir“ und nur eine halbe Antwort

OB Specht wird für seine Rede viel gerühmt. Den multiethnischen und -religiösen Zusammenhalt hat er klar als die Lebensgrundlage einer Einwandererstadt wie Mannheim herausgestellt. „Wir lassen uns nicht spalten“. Das ist wichtig aus dem Mund eines Konservativen.

Scheinbar verzichtete er angesichts der im Vordergrund stehenden Trauer auf politische Wertungen und Reflexionen. Aber nur scheinbar. Ganz klar stellte er heraus, wo er die Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sieht: Beim Islamismus: „Wir brauchen mehr Wachsamkeit gegenüber jeder Form von Extremismus. Wir müssen die staatlichen Organe so ausstatten, dass Gefährder frühzeitig identifiziert und effektiv überwacht werden können. Es muss künftig auch möglich sein, dass Personen ein Aufenthaltstitel versagt wird, wenn sie einen islamistischen Gottesstaat fordern. In unserem Land und in unserer Stadt darf es keine Rückzugsräume für Islamisten geben.“ So weit, so gut und so in aller Regel rechtsstaatlich nicht praktikabel.

Diese Montagsrede von Specht ignoriert vollkommen die Gefährdung durch völkische und rassistische Ideologen, die am Freitag und Sonntag zuvor ihre Sicht der Dinge auf dem Marktplatz zum Besten geben wollten bzw. gaben. Wenn diese von „Wir“ sprechen, so ist dies ein aussonderndes Wir, völkisch, ethnisch sortierend, rassistisch. Specht übernimmt für die Bürgerbewegung Pax Europa die landläufige verharmlosende Bezeichnung „islamkritisch“. Richtig muss es heißen: Islamfeindlich. Die Gefährder sind nicht nur solche, die ggf. abgeschoben werden könnten, sondern auch solche, die seit jeher in unserem Land leben, u.U. mit Zweitwohnsitz in der Schweiz.

Was AfD und Junge Alternative am Sonntag in der Stadt abgezogen haben, war die „Potsdamer Geheimkonferenz“ mitten auf dem Marktplatz. Die Forderung nach Remigration prangte auf den Transparenten und der Tenor war: Der Islam gehört nicht zu Deutschland – er muss raus, und das geht nur, wenn die Träger:innen dieses Glaubens rausgehen bzw. notfalls rausgeworfen werden. Da wurde das Deutschtums-Wir kühn bis in die Zeit 9 n.Chr. zurückverlegt, als Hermann der Cherusker die römischen Truppen des Varus schlug. „Wir haben schon die Römer rausgeworfen – da wird es uns auch gelingen, die rauszuwerfen, die nicht zu uns gehören“. Woher weiß der Redner der AfD, dass er von den Cheruskern und nicht z.B. von den Kalten abstammt? Eine zweifellos idiotische Frage, so idiotisch wie die deutschtümelnde Geschichtsklitterung über ein „Deutschland“, das erst seit 1871 existiert und von Anfang an mit mächtigen Ab- und Zuwanderungsbewegungen gekennzeichnet war.
Die Kellner:innen und Gäste der türkischen Lokale rund um den Marktplatz mussten sich die Remigrations-Drohung gelassen anhören.
Solche ethnizistisch-rassistischen Brandreden sind hochgefährlich. Sie finden immer wieder Leute, die diese Reden schon mal in blutige Taten umsetzen – von Breivik über die NSU-Verbrecher*innen und den „Manifest“-Schreiber und Mehrfachmörder von Hanau bis hin zu den Waffenlager anlegenden Reichsbürger*innen.

Es gibt die islamistischen Hassprediger und es gibt die rassistischen Hetzer*innen, und beide Sorten finden ihre ausführenden Täter*innen. Auf dem Marktplatz ist Blut geflossen von der Hand eines mutmaßlich islamistischen Täters. Das betrauern wir. Die Aufmerksamkeit und der politische Kampf muss sich jedoch auf und gegen beide Gefährderarten richten. Das vermissen wir.

Specht hat Recht, wenn er auch den Islam-Hassern Meinungs-, Rede- und Versammlungsfreiheit zubilligt, solange die in der Bundesrepublik nicht gerichtlich bestätigt verboten sind. So anstrengend ist Demokratie eben. Aber die Augen vor diesen Gefährdern und Brandstiftern zu verschließen, die am kommenden Freitag gleich bundesweit nach Mannheim mobilisieren um die Tat des mutmaßlichen Islamisten aus dem kriegszerrütteten Afghanistan zu instrumentalisieren, das ist auch unmittelbar gefährlich.

Und wenn sich die AfD-Leute im Gemeinderat auch unauffällig wegzuducken versuchen – die Stadtgesellschaft muss sie stellen; auch die Christdemokraten müssen dies tun und nicht auf ihre möglichen Mehrheitsbringer schielen.

Die eben erst beschworene Freude über das 75 Jahre alte Grundgesetz darf nicht dazu verleiten, wegzuschauen und wegzuhören, wenn auf dem Marktplatz die Aufhebung der Religionsfreiheit, der Unantastbarkeit der Würde des Menschen und der Gleichheit vor dem Gesetz für einen ganzen Teil unserer Gesellschaft von Verfassungsfeinden gefordert werden.

Thomas Trüper

Der Beitrag wurde am 09.06.2024 überarbeitet, nachdem Cem Yalçınkaya, Gemeindesekretär der DITIB – Türkisch Islamische Gemeinde zu Mannheim e.V. Yavuz-Sultan-Selim-Moschee, die Redaktion darauf hingewiesen hatte, dass die DITIB seit 13.05.2024 nicht mehr Mitglied des Arbeitskreises islamischer Gemeinden (AKIG) ist und deshalb beim Friedensgebet auch nicht, wie behauptet, für die AKIG sprach.



Mannheim zwei Tage nach dem Anschlag: AfD Kundgebung für „Remigration“, Menschenkette für Zusammenhalt und eine traurige Nachricht am Abend

Eine Polizeikette trennt die beiden Veranstaltung auf dem Marktplatz

Zwei Tage nach dem Anschlag auf eine rechte Kundgebung, bei der ein mutmaßlich islamistischer Angreifer sechs Menschen mit einem Messer verletzte, fanden am Tatort zwei Kundgebungen statt. Die AfD Nachwuchsorganisation „Junge Alternative“ hatte eine Versammlung mit dem Titel „Sofortige Remigration islamischer Straftäter“ angemeldet. Diese wurde von bundesweit aktiven JA- und AfD-Kadern organisiert. Die Mannheimer AfD spielte keine Rollte. Es nahmen 150 Personen teil.

An der zweiten Versammlung, eine Menschenkette „Zusammenhalt gegen Gewalt, Hass und Hetze anlässlich der Tat am 31.05.“ nahmen nach Polizeiangaben 800-1000 Menschen aus unterschiedlichen politischen Spektren teil. Die Stadträte Gerhard Fontagnier (Grüne), Chris Rihm (Grüne) und Volker Beisel (FDP) hatten die Versammlung kurzfristig organisiert.

Kundgebung der „Jungen Alternative“ für „Remigration“

Rassistische JA-Kundgebung für „Remigration“

Veranstalterin der rechten Kundgebung war die AfD Jugend „Junge Alternative“ (JA). Unterstützung gab es auch aus der Mutterpartei, beispielsweise von den AfD Bundestagsabgeordneten Nicole Höchst und Christina Baum. Der AfD Kreisverband Ettlingen unterstützte laut Veranstalter organisatorisch. Das „Compact Magazin“ war mit einem Medienteam vor Ort. Eine Fahne der „Deutschen Burschenschaft“ war zu sehen. Der Mannheimer Kreisverband der AfD spielte bei der Veranstaltung keine Rolle. Unter zwei Pavillons, bedruckt mit „AfD“ und „JA“ Logo, traten ab 15 Uhr mehrere Redner*innen ans Mikrofon.

Die These der JA: Mit „Remigration“ wäre die Tat vom Freitag nicht passiert. Dahinter steckt die rassistische Annahme, alle nicht assimilierten Zugewanderten seien potentiell zu solchen Taten fähig und müssten daher zwangsweise abgeschoben werden. Bei den Redner*innen wird diese verfassungsfeindliche These durchaus kontrovers diskutiert. Eine Frau sagte, gut integrierte und friedliche Muslime dürften ihrer Meinung nach in Deutschland bleiben. Nach der Meinung eines nachfolgenden Redners müssten sich hingegen alle Zugewanderten den Deutschen – so wörtlich – „anpassen“ und „unterordnen“. Wieder andere kritisieren den Islam als grundsätzlich gewalttätig und kulturfremd. Die Behauptung, Frauen seien für männliche Muslime Freiwild, wurde verbreitet und drohend gerufen „Deutschland wird christlich bleiben!“. Als Voraussetzung für die deutsche Staatsbürgerschaft wurde das „Abstammungsprinzip“ gefordert. Unter großem Beifall hieß es von der Bühne „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“.

Die heftigsten verbalen Angriffe trafen Grüne und CDU. Ihnen wurde in den Reden vorgeworfen, sie hätten bewusst Islamisten nach Deutschland eingeladen, um das Land zu zerstören. Auch die Fake-Behauptung, die Grünen wollten nur die Persönlichkeitsrechte des Täters und nicht die Polizisten schützen, wurde verbreitet.

Oberbürgermeister Christian Specht (CDU) wurde in einer Rede zum Rücktritt aufgefordert. Beschimpfungen gab es auch gegen die Presse, die nur Stimmung gegen rechts machen und islamistischen Terror verschweigen würde. Zum Abschluss der Kundgebung wurde die Nationalhymne gesungen. Dann wurden Kerzen verteilt, um sie an der Gedenkstätte am Marktplatz aufzustellen.

Als kurzes inhaltliches Fazit der JA Veranstaltung kann man zusammen fassen: Was vor ein paar Monaten noch als „Geheimtreffen“ von Potsdam aufgedeckt wurde, fand am Sonntag als öffentliche Wahlkampfveranstaltung der AfD auf dem Mannheimer Marktplatz statt.

Bildergalerie: Kundgebung der „Jungen Alternative“ für „Remigration“

Menschenkette als parteiübergreifender Ausdruck für gesellschaftlichen Zusammenhalt

Gegen die rechte Veranstaltung hatte sich schnell Widerspruch organisiert. Die drei Stadträte Gerhard Fontagnier (Grüne), Chris Rihm (Grüne) und Volker Beisel (FDP) hatten kurzfristig die Menschenkette „Zusammenhalt gegen Gewalt, Hass und Hetze“ organisiert. Damit sollte zum einen die mutmaßlich islamistische Messerattacke verurteilt und zum anderen der propagandistischen Ausschlachtung durch die AfD widersprochen werden. Mit einer ruhigen Veranstaltung sollte an die Verletzten, insbesondere an den schwerverletzten Polizisten gedacht werden. Man wollte für Zusammenhalt in der Stadt und gegen die Spaltungsversuche von Islamisten und Rechtsextremen demonstrieren.

Die Mobilisierung von bis zu 1000 Menschen wurde von den Veranstaltern als Erfolg und deutliches Zeichen gegen die rechte Kundgebung gesehen. Es nahmen Personen aus ganz unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Bereichen teil, die sich entlang der Breiten Straße an den Straßenbahngleisen aufstellten.

Dennoch blieb es nicht still. Als die JA mit ihren Reden begann, wurde es auch bei der Menschenkette laut. Mit Pfiffen und Rufen wurde die rassistische Hetze kommentiert. Die Polizei war anfangs zurückhaltend, mit vergleichsweise wenigen Einsatzkräften vor Ort. Die Teilnahme an beiden bzw. das hin- und herlaufen zwischen den Veranstaltungen war möglich.

Bildergalerie: Menschenkette für Zusammenhalt und gegen Gewalt, Hass und Hetze

 

Pfeffersprayeinsatz, 40 Festnahmen, Halembas Handy abgezockt – weitere Ereignisse am Rande der Kundgebungen

Für einen größeren Tumult sorge das unerwartete Auftreten von ca 40 Antifaschist*innen, die lautstark mit Bannern, Fahnen und einer rauchenden Fackel in Richtung Marktplatz gelaufen kamen.

Die Gruppe wurde sofort von Polizist*innen gestoppt und mit Pfefferspray attackiert. Die Polizei schreibt dazu: „Gegen 15:15 Uhr versuchte eine Gruppe mit teilweise vermummten Personen die Versammlung auf dem Markplatz zu stören und gewaltsam auf diesen vorzudringen. Einige dieser Personen waren mit Fackeln bewaffnet. Der Sturm auf den Marktplatz konnte durch schnelles polizeiliches Intervenieren verhindert werden.“

Der von der Polizei behauptete gewaltsame Sturm auf den Marktplatz ist spekulativ, da es dazu nicht kam. Dennoch bleibt die Frage, was die Gruppe vorhatte.

Polizeieinsatz und Pfefferspray gegen Antifaschist*innen

Die Polizei setzte die ca. 40 Personen am Quadrat R1 fest und nahm später alle eingekesselten zur Identitätsfeststellung mit dem Vorwurf „Landfriedensbruchs“ in Gewahrsam.

Um den Polizeikessel herum bildete sich eine Menschenmenge, die für die Freilassung der jungen Antifaschist*innen protestierte und auch nach Beendigung der Versammlungen blieb. Die Versammlungsleiter der Menschenkette versuchten zu vermitteln. Die Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut (Die Linke) versuche später eine Freilassung der minderjährigen Festgesetzten zu erreichen.

Der Vorfall hatte auch zur Folge, dass die anfangs zurückhaltende Polizeipräsenz zu einer dichten Polizeikette geändert wurde, die keine Personen mehr zwischen den Veranstaltungen durch ließ. Zudem wurde eine Straßenbahn der RNV als Barriere zwischen die beiden Veranstaltungen gefahren.

Gegen 16:30 Uhr waren alle offiziellen Veranstaltungen beendet. Der vor kurzem wegen Volksverhetzung, Nötigung und Geldwäsche verurteilte bayerische AfD Landtagsabgeordnete Daniel Halemba berichtete später, dass am Ende der Veranstaltung eine 10-köpfige Gruppe sein Handy klaute und unerkannt fliehen konnte. Ein weiterer AfD Anhänger berichtete von einem körperlichen Angriff auf ihn.

Nach den turbulenten Ereignissen des Nachmittags, gab es leider auch am Abend keine Ruhe. Gegen 19 Uhr erreichte die Öffentlichkeit die traurige Nachricht, dass der schwer verletzte Polizist an den Verletzungen des Anschlags von Freitag gestorben ist. (cki)




Islamismus trifft auf Rassismus: Messeranschlag mit mehreren Verletzten in Mannheim

Gerangel mit dem Angreifer auf dem Marktplatz. Eine Szene aus dem Video der Tat, das sich bereits millionenfach im Netz verbreitet hat. | Quelle: Screenshot Youtube / BPE

Am Freitag, 31. Mai 2024 kam es zu einem brutalen Messerangriff auf eine Kundgebung der rechtspopulistischen, islamfeindlichen „Bürgerbewegung Pax Europa“. Mehrere Menschen wurden durch den Messerangriff teils schwer verletzt, darunter 5 Teilnehmer*innen der rechten Kundgebung und ein Polizist. Der Angreifer konnte durch den Schuss eines Polizisten gestoppt werden. Die Verletzten kamen in Krankenhäuser und mussten teils notoperiert werden. Besonders dramatisch ist die Situation des Polizisten, der sich – Stand Samstag – noch immer in Lebensgefahr befindet.

Mutmaßlich islamistische Motivation

Obwohl die Hintergründe des Anschlags laut Polizei noch unklar sind, gilt ein islamistisches Motiv als wahrscheinlich. Zu dieser Einschätzung kommt auch SWR Terrorismusexperte Holger Schmidt.

Die „Bürgerbewegung Pax Europa“ (kurz: BPE) provoziert mit ihren islamfeindlichen Veranstaltungen streng gläubige Muslime. Immer wieder gab es in der Vergangenheit Drohungen und Angriffe. Insbesondere aus der islamistischen und salafistischen Szene ist auch Gewalt zu erwarten. Daher ist eine islamistisch motivierte Gewalttat in diesem Fall das wahrscheinliche Motiv.

Beim Angreifer soll es sich nach Medienberichten um einen 25 jährigen Mann aus Heppenheim handeln, der 2013 von Afghanistan nach Deutschland kam. Bislang sei er aufgrund der Schussverletzung nicht vernehmungsfähig, teilte die Polizei am Samstag mit.

Eine Kundgebung der „Bürgerbewegung Pax Europa“ in Ludwigsburg; in der Mitte am Mikro: Michael Stürzenberger | Archivbild: ADIZ

Wer ist die „Bürgerbewegung Pax Europa“ um Michael Stürzenberger?

Die BPE ist ein Verein um den bayerischen Rechtspopulisten Michael Stürzenberger mit einem einzigen Thema: Islam. Der Verein tourt seit Jahren mit islamfeindlichen Kundgebungen durch die Republik und nutzt drastische Worte und Symbolik zur Provokation.

Die BPE ist kein religionskritischer Verein. Während er dem Islam feindlich gegenüber steht, hat er für Europa die Vorstellung einer homogenen „christlich-abendländlichen“ Gesellschaft. In diesem Sinne trennen sie nicht zwischen politischem Islamismus und modernen oder liberalen Formen islamischer Religion. In populistischer Art und Weise machen sie alle Muslime für Gewalt und Terror islamistischer Gruppen verantwortlich.

Typisch für Veranstaltungen der BPE sind Provokationen gegen vermeintliche Muslime oder politische Gegner*innen, die teils auf der Straße per Lautsprecher direkt angesprochen und live ins Internet gestreamt werden.

Mit dieser Politik haben sie in der rechten Szene viel Anerkennung gefunden. Stürzenberger war unter anderem bei Pegida-Demonstrationen ein gefeierter Redner.

Schon im Jahr 2011 veranstaltete die BPE islamfeindliche Kundgebungen in Mannheim, hier auf dem Paradeplatz | Archivbild: JUZ

Reaktionen und politische Folgen

Während sich die Stadt Mannheim im Schock befindet, mobilisieren AfD und zahlreiche weitere rechte Organisationen zu Protestveranstaltungen, Motto „Remigration hätte diese Tat verhindert“ (Zitat Junge Alternative). Damit nehmen sie pauschal alle Menschen mit Migrationsgeschichte und muslimischen Glauben in die Verantwortung für diese Tat.

Für die AfD kommt der Anschlag zu einer günstigen Zeit, eine Woche vor wichtigen Wahlen. Nachdem sie mit Skandalen um ihren Spitzenkandidaten Krah zunehmend in die Defensive geriet, kann sie nun mit rassistischen Mobilisierungen wieder in die Offensive kommen und den Diskurs mitbestimmen.

Für Sonntag 2. Juni hat die AfD-Jugendorganisation Junge Alternative eine Mahnwache für „Remigration“ um 15 Uhr auf dem Marktplatz angemeldet. Für kommenden Freitag 7. Juni um 18 Uhr ruft die AfD bundesweit zur Großdemonstration in Mannheim auf. Änderungen bei Zeit und Ort und weitere Veranstaltungen sind möglich.

Rechter Rassismus vs. Islamistischer Fanatismus – welchen Umgang muss die Linke finden?

Bei der Messerattacke am 31. Mai wurden rechtspopulistische Aktivist*innen von einem mutmaßlichen Islamisten verletzt. Als Zyniker könnte man sagen: Sollen sich die Rassisten und religiösen Fanatiker doch gegenseitig bekämpfen. Doch die gesellschaftlichen Auswirkungen sind fatal und nicht zuletzt hat ein unbeteiligter Polizist die schwersten Verletzungen davon getragen. Als Linke kann man deshalb nicht schweigen.

Es muss herausgestellt werden, welche Ideologien sich in diesem Konflikt entgegen stehen. Die rechtspopulistische und rassistische Ideologie will eine homogene deutsche Gesellschaft ohne in ihrem Sinne fremde Elemente – hier die muslimische Religion. Islamistische Fanatiker wollen ebenfalls eine homogene Gesellschaft, in der sich alle den Regeln ihrer Scharia unterwerfen müssen. Beide Ideologien setzen auf Gewalt. Auch wenn die Opfer diesmal die Rechten waren, gibt es viele Fälle brutaler rechter Gewalt, wie den Mord eines Nazis am CDU Politiker Walter Lübcke oder den rassistischen Anschlag eines AfD Anhängers in Hanau mit neun Toten. Außerdem sollte man Bedenken, dass – global gesehen – die meisten Opfer islamistischer Gewalt selbst Muslime sind, die nicht der „richtigen“ Glaubensrichtung angehören. Probleme kann man nicht einfach abschieben, Probleme muss man lösen.

Der gewalttätigen Ideologie der homogenen Gesellschaft muss die Linke die Idee einer friedlichen und vielfältigen Gesellschaft entgegen stellen – eine Gesellschaft in der es akzeptiert ist, anders zu sein. Herkunft, Kultur, Religion oder Identität dürfen für niemandem zum Nachteil werden. Toleranz muss dort enden, wo Menschenrechte verletzt werden. Das ist bei islamistischer Ideologie der Fall, die anderen die Gesetze ihrer Religion aufzwingen will – genauso bei rassistischer Ideologie, die ihre Vorstellung einer homogenen deutschen Gesellschaft mit Gewalt und Deportationen durchsetzen will. (cki)

Siehe auch: Stellungnahme von Die Linke und Tierschutzpartei




Mannheim: “Free Palestine” Demonstration gegen den Krieg in Gaza – aber wofür eigentlich? [mit Bildergalerie und Video]

In Mannheim haben am Samstagnachmittag zahlreiche Menschen gegen den Krieg im palästinensischen Gaza-Küstenstreifen demonstriert. Die Gruppe “Free Palestine Mannheim” hatte dazu aufgerufen. Die Demonstration zog lautstark vom Alten Messplatz in die Innenstadt und endete auf dem Marktplatz.

Vorgeschichte

Seit etwas mehr als vier Wochen tobt nun in Gaza der Krieg. Die erneute Eskalation begann mit einem Terrorangriff der in Gaza regierenden Hamas auf Israel, bei dem nach israelischen Angaben 1400 Menschen starben, die meisten davon Zivilist*innen. Mehr als 200 Menschen wurden als Geiseln nach Gaza verschleppt. Die israelische Armee begann daraufhin mit massiven Bombardierungen, es folgte eine militärische Bodeninvasion. Laut palästinensischen Behörden hat der Krieg bereits mehr als zehntausend Palästinenser*innen das Leben gekostet, die meisten im dicht besiedelten Küstengebiet sind Zivilist*innen, darunter viele Kinder. Hamas hat ihre militärischen Anlagen mitten in den Wohngebieten. Die Menschen sind in Gaza eingeschlossen und können nicht fliehen.

In Mannheim gab es seit Beginn des Krieges mehrere Kundgebungen: proisraelische, die den Terror der Hamas verurteilten und die Freilassung der Geiseln forderten und propalästinensische, die gegen die militärischen Angriffe auf Gaza und die Unterstützung durch Deutschland protestierten. Auch das Friedensbündnis hatte eine Kundgebung veranstaltet und beide Seiten aufgerufen, die Gewalt zu beenden.

Zunächst wurden propalästinensische Kundgebungen durch die Versammlungsbehörde verboten, dann unter strengen Auflagen genehmigt. Die Veranstaltung am 11. November war nun die erste große Demonstration nach mehreren stationären Versammlungen.

Eindrücke von der Demonstration im Video | Link zu Youtube: https://youtu.be/WI3xkqURl98

Demonstrationsrecht unter polizeilicher Beobachtung

Auf dem Alten Messplatz sprach dann auch zu Beginn ein Anwalt zum Thema Verbote und Repression gegen die propalästinensische Bewegung. Zunächst führte er Deutschland wegen seiner Israelsolidarität als Staatsräson anhand des eigenen Umgangs mit ehemaligen Nazi-Verbrechern vor “Das ist die deutsche Erinnerungskultur und nichts anderes”. Als Beispiel nannte er den Heidelberger OB Neinhaus, NSDAP Mitglied, später CDU und dann mit Großkreuz des Verdienstordens und Ehrengrab geehrt. In Richtung Polizei las er aus dem Grundgesetz vor und kommentierte “da steht nirgendwo, dass das für Palästinenser nicht gilt.”

Gegen 16:30 Uhr setzte sich der Demonstrationszug in Bewegung. Die Polizei begleitete die Veranstaltung mit viel Personal, hielt aber Abstand und schloss den Demonstrationszug nicht komplett ein.

Der Veranstalter hatte den Teilnehmer*innen zur Auflage gemacht, ausschließlich Palästina-Fahnen mitzuführen. Fahnen anderer Nationen oder Organisationen waren verboten. Auf mitgeführten Schildern, viele in englischer Sprache, war beispielsweise zu lesen “Killing children is not self defense”, “End the genocide” oder “The rockets may be above us, but they have forgotten, ALLAH ist above them”.

Vom vorausfahrenden Fahrzeug wurden während des gesamten Demonstrationszugs Parolen vorgegeben, die von der Menge nachgerufen wurden. “Free Palestine”, “In Gaza gehen Kinder drauf”, “Netanjahu treib dich fort”, “Deutsche Medien lügen” und viele weitere.

Wassermelonen und Holocaust

Der gesamte optische und akustische Ausdruck der Versammlung bezog sich konkret auf die Ereignisse in Gaza. Religiöse Zeichen und Symbole anderer Nationen und Organisationen waren weniger zu sehen, als bei vorherigen Veranstaltungen.

Auf mehreren Schildern war eine Wassermelone abgebildet, ein Symbol des Widerstands, das sich in Israel etablierte, als die israelische Regierung das Zeigen der palästinensischen Fahne verboten hatte (1967 bis in die 90er Jahre und wieder seit Januar 2023). Die Wassermelone hat die selben Farben: Grün, Weiß, Schwarz und Rot.

Die Demonstration zog vom Marktplatz zum Paradeplatz, über die Kunststraße, zurück über die Planken und wieder zum Marktplatz. Dort fand eine Abschlusskundgebung statt. Die meisten Redebeiträge schlugen nationalistische Töne an. Auch wenn man es selbst nicht mehr erleben werde, so eine Rednerin in englisch, so könne man die Idee eines freien Palästinas nicht töten und irgendwann würden es unsere Kinder einmal erleben. Ein anderer Redner prophezeite “Wir werden das Buch der Geschichte schreiben.” Die deutschen Politiker “ohne Charakter” seien schon bald vergessen.

Der Veranstalter sagte bei der Abschlusskundgebung, es hätten sich 5000 Menschen beteiligt. Ein Polizeisprecher sprach gegen Ende von 2000 Personen. Größere Polizeieinsätze gab es nicht. Eine Frau, die ein Schild mit der Aufschrift “Stop Holokaust in Gaza” (sic) dabei hatte, durfte dieses nicht mitführen. Am Rande der Demo konnten zwei kleinere Störungen Einzelner beobachtet werden, vermutlich aus der rechten Ecke.

Gegen den Krieg – aber wofür eigentlich?

Alle inhaltlichen Beiträge kritisierten die israelische Regierung, die deutsche und US-amerikanische Unterstützung für Israel oder die deutschen Medien, die Lügen verbreiten würden. Kritik an den Gewalttaten der Hamas wurde von niemandem am Mikrofon geäußert. Die ca. 200 israelischen Geiseln, die immer noch von der Hamas gefangen gehalten werden, erwähnte keiner.

Überhaupt gab es keinerlei Auseinandersetzung mit der politischen Situation innerhalb der palästinensischen Autonomieregionen oder der internationalen Unterstützung des Konflikts, zum Beispiel durch Hisbollah, Türkei oder Iran. Die Nicht-Thematisierung solcher zentraler politischer Fragen dürfte unter anderem der Repression in Deutschland geschuldet sein.

Seit kurzem sind die Organisationen Hamas und Samidoun verboten. Wer sich positiv darauf bezieht, kann sich wegen Unterstützung strafbar machen. Auch die zahlreichen Auflagen der Versammlungsbehörde führten zu einer faktischen Selbstzensur der Veranstalter*innen. Einerseits bleiben so der Öffentlichkeit antisemitische Exzesse erspart, andererseits wird es schwieriger, die propalästinensische Bewegung politisch einzuschätzen.

Krieg verwischt die Unterschiede

Die Nicht-Thematisierung der innenpolitischen Situation in Palästina lässt verschiedene Deutungsweisen offen. Entweder stehen alle Teilnehmer*innen geschlossen und unkritisch hinter der Hamas – das scheint eher unwahrscheinlich. Kritische Redebeiträge oder auch Botschaften auf Schildern gegen die Hamas wären aber rechtlich unproblematisch gewesen.

Die Mitglieder der palästinensischen Community könnten auch einen langen Arm der Hamas, der bis nach Deutschland reicht, fürchten, so dass sich niemand traut, gegen die konservativ-islamische Diktatur in Gaza den Mund aufzumachen.

Wahrscheinlicher ist aber die Bemühung um ein Bild der Geschlossenheit. In Kriegszeiten wird der Nationalismus allmächtig und politische Unterschiede geraten in den Hintergrund. Nicht nur bei den Palästinenser*innen ist das so, auch in Israel muss dies beobachtet werden. Noch vor zwei Monaten gab es massive Proteste gegen die Regierung Netanjahu. Mit dem Krieg sind diese verstummt und die Opposition hat sich mit den rechts-religiösen zur Einheitsregierung als Kriegsregierung zusammen geschlossen.

Der “Zwei-Staaten-Kompromiss” scheint in weiter Ferne

Die Forderung nach einer Zwei-Staaten-Lösung spielte auf der Demo praktisch keine Rolle, obwohl sie seit vielen Jahren von internationalen Vermittler*innen als Kompromisslösung angestrebt wird. Nur eine kleine Delegation der linken deutsch-türkischen Organisation DIDF verteilte entsprechende Flugblätter und trug ein Schild mit der Forderung “Zweistaatenlösung sofort”.

Die arabische und muslimische Identität dürfte bei den meisten weiterhin der kleinste gemeinsame Nenner innerhalb der Bewegung sein. Unterstützung aus der nicht arabisch geprägten Bevölkerung, auch aus der linken Szene, gab es nur vereinzelt.

Während bei vergangenen Veranstaltungen von “Free Palestine” die Religion klar im Vordergrund stand – am 28. Oktober wurde auf dem Marktplatz noch zwischen jedem Rebeitrag “Alahu Akbar” gerufen – tritt die Gruppe nun zurückhaltender, säkularer und weniger aggressiv auf. Damit wird sie potentiell anschlussfähiger.

Kurz vor Schluss kam ein junger Rapper auf die Bühne, der ein Stück für die Demo geschrieben hatte. Er sagte mit seinem Text, dass ihm neben den palästinensischen Opfern auch die israelischen Opfer leid tun. Es war der erste, der das auf dieser Bühne geschafft hatte. (cki)

 

Bildergalerie zur Demonstration „Free Palestine“ am 11. November 2023 in Mannheim




„Alltägliche Formen der Ungleichwertigkeit – Was hat das mit uns zu tun?“ – 2. Kongress von Karlsruhe gegen Rechts mit hoher Teilnehmerzahl (mit Fotogalerie)

Das im Jahr 2014 gegründete Netzwerk „Karlsruhe gegen Rechts“ lud am 12.10.19 zum 2. Kongress ein. Rund 100 Personen folgten der Einladung und konnten sich bei Impulsvorträgen informieren lassen und in Workshops konkrete, themenspezifische Inhalte voranbringen. Fazit eines Teilnehmers beim Abschlussplenum: „Man hätte mehr Zeit benötigt. Themen sollten inhaltlich nachbearbeitet werden.“

 

Impulsvorträge und Podiumsgespräche / Halle an der Saale am 09.10.19

Nach der Begrüßung der KongressteilnehmerInnen durch Jakob Wolfrum vom Netzwerk übernahm Tine Meier (GF*In der GEW Nordbaden) die Regie und Moderation des Tages.

Im Andenken an die Opfer des rechtsterroristischen Anschlags in Halle an der Saale, einer Partnerstadt von Karlsruhe, wurde mit einer Schweigeminute den Opfern dort und allen Opfern durch rechtsextremistische Gewalt gedacht.

Hochkarätig besetzt und qualifiziert waren die Redner der Impulsvorträge, welche auch die Workshops am Nachmittag leiteten:

  • Borghild Strähle arbeitet seit 4 Jahren bei adis e.V. (Träger der professionellen Antidiskriminierungsarbeit in der Region Reutlingen/Tübingen und Fachstelle zum Thema Diskriminierung und Empowerment in Baden-Württemberg) im Bereich Beratung und Fortbildung mit dem Schwerpunkt „Ableism“. Freiberuflich ist sie als Selbstbehauptungstrainerin für Frauen und Mädchen mit Behinderungen tätig.
  • Tom David Uhlig ist Mitarbeiter der Bildungsstätte Anne Frank, wo er die Wanderausstellung „Das Gegenteil von gut. Antisemitismus in der deutschen Linken seit 1968“ kuratierte. Er ist Mitherausgeber der Zeitschrift für psychoanalytische Sozialpsychologie „Freie Assoziation“ sowie der „Psychologie & Gesellschaftskritik“.
  • Benjamin Harter ist Integrationsbeirat für Sinti und Roma in Offenburg, Mitbegründer der Initiative SintiRomaPride und ehrenamtliches Mitglied bei der Bildungsinitiative des Dokumentationszentrums Deutscher Sinti und Roma. Sein Großvater, Holocaust-Überlebender, und die Familiengeschichte mit unzähligen Toten des nationalsozialistischen Völkermords prägten ihn von klein auf und machten ihn zum Aktivisten gegen Antiziganismus und Diskriminierung im Allgemeinen.
  • Rüstü Aslandur ist Mitbegründer des Muslimischen Studentenvereins Karlsruhe und des Deutschsprachigen Muslimkreises Karlsruhe. Er ist als Sozialarbeiter und in der Jugendarbeit aktiv. Zudem ist er im interkulturellen Gebiet als stellvertretendes Mitglied des Migrationsbeirats der Stadt Karlsruhe und im interreligiösen Gebiet als Beirat der AG Garten der Religionen tätig.
  • Shirin Eghtessadi ist Kultur- und Medienwissenschaftler*in (MA) und systemische Coach. Sie arbeitet als Projektreferent*in, Coach und Trainer*in im Bereich Empowerment und Antidiskriminierung. Zentral für ihre Arbeit ist die transformative Kraft von Achtsamkeit und Selbstliebe. Und Anna Feldbein ist Theater-, Film- und Medienwissenschaftlerin. Sie arbeitet als Trainerin im Bereich Empowerment, Antidiskriminierung und interkulturelle Kompetenz sowie als Projektkoordinatorin an der Hochschule Karlsruhe. Sie ist Mitbegründerin und im Vorstand von Empowerment! KA

Tine Meier (Moderation) griff zum Einstieg zurück auf den 1. Kongress 2018 mit dem Motto „Dunkle Seite der Gesellschaft – Rechtsruck in der Gesellschaft“ und leitete damit über auf den aktuellen Tag: „Diskriminierung von Minderheiten durch Rassismus und Ausgrenzung. Ein strukturelles Problem der Gesellschaft. Was hat das mit uns zu tun – was hat dies mit mir zu tun?“.

Alle RednerInnen äußersten sich sehr klar und eindeutig während ihrer Impulsvorträge. Wir zitieren aus den Reden sinngemäss:

„Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderung ist eine Utopie. Ausgrenzung geschieht zu 60% im öffentlichen Raum; auch bei Ämtern und Behörden. Alle in der Gesellschaft könnten etwas gegen Diskriminierung tun.“ (Borghild Strähle)

„Der Anschlag in Halle ist keine Überraschung. Anstieg von Antisemitismus ist seit 2014 deutlich zu spüren. Deutschland scheint bei diesem Thema rat- und hilflos zu sein.“ (Tom David Uhlig)

„Die Grenzen des Unsagbaren haben sich verschoben. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit steht auf der Agenda einer Partei, die in Parlamente gewählt wurde. Dies ist kein reines AfD-Thema. Die Grün-Schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg schiebt Sinti und Roma in Balkan-Staaten ab, wo diese nicht sicher sind.“ (Benjamin Harter)

„Kopftuchtragende Putzfrau ist okay, aber bei einer Lehrerin oder Richterin scheinbar ein Problem. Der jüngst genehmigte Bau einer Moschee in Karlsruhe könnte erneut schlimme Geister auf den Plan rufen. Pauschale Kritik am Islam ist kontraproduktiv. Diskurs und Kritik müssen sich gegen den islamistischen Terror wenden. Antimuslimischer Rassismus ist ein grundsätzliches Problem in der Gesellschaft.“  (Rüstü Aslandur)

„Viele kleine Schritte bedeuten in Summe einen großen Schritt hin zu weniger Diskriminierung und Rassismus. Die Handlungsfähigkeit und der Umgang in der Arbeit mit geflüchteten Mädchen muss verstärkt werden.“ (Anna Feldbein)

Die Workshops: Von A bis fast Z                                                                                  

Angeboten wurden nach der Mittagspause thematisch klug ausgewählte 3-stündige Workshops; Freiräume, in denen sich die ReferentInnen noch genauer mitteilen konnten und den TeilnehmerInnen die Chance geboten wurde sich aktiv einzubringen, um die angebotenen Themen voranzubringen.

„Antisemitismus, Antiziganismus, Antimuslimischer Rassismus, Rassismus im Alltag, Was geht mich Ableism an“, befanden sich im Angebot.

Aufgrund der Absage einer Referentin entfiel der vorab angekündigte Workshop zum Thema „Sexismus“.

Fazit des Abschlußplenum: Unbedingt Weitermachen

Mehrheitlich wurde es von den Teilnehmenden begrüßt, dass der Kongress erneut stattgefunden hat. Spannend zu beobachten war, dass sich Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und Motivationen heraus, von der Lebenserfahrung grob geschätzt zwischen etwa 20 und >70 Jahre jung und aktiv, beteiligten.

Während der Abschlussrunde wurden vom Plenum u.a. folgende Signale an die Veranstalter und die Öffentlichkeit gesandt:

„Antimuslimischem Rassismus und Vorurteilen muss mit Fakten begegnet werden. Infoveranstaltungen wurden gefordert.“

„Künftig den Anteil junger Menschen und von Mitbürgern mit Migrationshintergrund versuchen zu erhöhen.“

„Den ausgefallenen Workshop zum Thema „Sexismus“ nachholen.“

„Großes Lob ans Orgateam und die ReferentInnen“

„Leider fehlte eine Abschlußerklärung der Konferenz“

 

Link zum Netzwerk „Karlsruhe gegen Rechts“:

http://ka-gegen-rechts.de/

(Bericht und Fotos: Christian Ratz)

Alle Bilder des Tages:




„Bundesweit einmalige Großübung“ in Mannheim für den Fall eines Biowaffen-Angriffs (mit Video und Bildergalerie)

Wie andere Medien auch berichten wir über die am 26.09.19 statt gefundene Großübung. Des Weiteren gehen wir der Frage nach, warum die Großübung in Mannheim stattgefunden hat, ebenso der Frage nach dem größeren Zusammenhang, in der diese Großübung zu sehen ist und welche Ziele der „spiritus rector“, der Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU), hierbei verfolgt. Über diese Fragestellungen wurde in diesem Kontext bisher nicht von anderen Medien berichtet.

 

„Behörden in Baden-Württemberg üben für den Fall eines bioterroristischen Anschlags“ 

In der Pressmitteilung vom 26. September 2019 schildert das Landeskriminalamt Baden-Württemberg folgendes Szenario:

„Beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg ermitteln Polizeibeamte und Polizeibeamtinnen der Abteilung Staatsschutz gegen eine islamistische Zelle im Großraum Mannheim. Es ist Eile geboten. Kräfte des Spezialeinsatzkommandos (SEK) stürmen zeitgleich die beiden Wohnungen der im Fokus stehenden verdächtigen Personen. In einer Wohnung entdecken sie einen leblosen Körper und stellen sofort fest, dass sie sich mitten in einem improvisierten Labor befinden. Die Verdächtigen experimentieren offensichtlich mit biologischen Kampfstoffen. Zudem stellen die Spezialkräfte eine funktionstüchtige Sprengstoffweste und Waffen fest.“ 

Bei dem Szenario wurde fiktiv unterstellt, dass in diesem Labor das hoch giftige, toxische Rizin hergestellt wird, um einen tödlichen Anschlag auf tausende von Menschen durchzuführen.

Der Innenminister und die Vertreter des LKA betonten mehrfach , dass es keine konkreten Gefahrenhinweise gäbe. Jedoch müsse man sich trotzdem auf solche Szenarien vorbereiten, da in Köln-Chorweiler im Juni 2018 genau eine solche islamistische Zelle ausgehoben worden ist, bevor sie ihre geplanten Bio-Anschläge umsetzen konnte. Der Prozess gegen die mutmaßlichen Täter findet gerade beim Oberlandesgericht Düsseldorf statt. „Wir wollen niemanden Angst machen, aber wir müssen auf das Schlimmste vorbereitet sein“, so der Präsident des baden-württembergischen LKA, Ralf Michelfelder.

Ralf Michelfelder, Präsident des baden-württembergischen LKA

In Mannheim wurden für die Großübung, mit der Bezeichnung „BAO Salus“ unter Führung des LKA rund 150 Personen eingesetzt. Diese kamen vom LKA, von Polizei, Staatsanwaltschaft, Feuerwehr, Katastrophenschutz, Landesgesundheitsamt, Gesundheitsamt Mannheim und von den Rettungsdiensten. Ebenso war aus Berlin eine Beratergruppe des Robert-Koch-Instituts für biologische Einsatzlagen vor Ort. Dem Polizeipräsidium Mannheim und dem Krisenstab der Stadt Mannheim oblag die Gesamteinsatzleitung. Allerdings, so der Eindruck, ist das eher eine Formalie gewesen. Die Federführung vor Ort hatte eindeutig das LKA und der Innenminister. Das Hauptziel der Großübung war die „reibungslose Kooperation verschiedener Behörden und eine enge und gute Zusammenarbeit mit den Spezialisten vor Ort“.

Warum Mannheim als Standort dieser Großübung?

Von Strobl wurde gesagt, dass sich Mannheim mit dem Konversionsgelände des Benjamin Franklin Areals für eine solche „bundesweit einmalige Großübung“ besonders eignen würde. BM Frau Dr. Freundlieb (SPD) ergänzte „wir (die Stadt Mannheim; Anm. d. Red.) freuen uns als Standort ausgewählt worden zu sein“. Die Frage, weshalb ein Gelände in Nähe von Wohngebieten und mit dem Columbus-Areal ein Ort an dem Geflüchtete untergebracht sind ausgewählt wurde, blieb unbeantwortet. Auf genaueres Fragen hin ist jedoch ein anderer Grund für die Standortwahl zu erkennen gewesen. Die Feuerwehr Mannheim ist bundesweit einer von nur acht Standorten und einziger Standort in Baden-Württemberg, der mit einer ATF-Kompetenz (Analytische Task Force) ausgestattet ist. Die Feuerwehr Mannheim stellt hierzu auf ihrer Webseite fest:

„Aufgabe der ATF ist die Aufklärung von Schadensereignissen, bei denen mit der Freisetzung von radioaktiven Stoffen, biologischen Agenzien oder gefährlichen Chemikalien gerechnet werden muss. Von Seiten der Feuerwehr Mannheim wird das Einsatzpersonal und der Basisteil der technischen Ausrüstung gestellt, auf den das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) hochmoderne Analysentechnik aufsetzt.“

Innenminister Strobl räumte ein, dass diese Übung nur sehr schwer in dieser Form in einer anderen Stadt hätte durchgeführt werden können. Weshalb die Mannheimer Feuerwehr mit dieser Kompetenz ausgestattet ist, darüber kann man nur spekulieren. Vermutlich ist es die Nähe Mannheims zu chemischen, biologischen und nuklearen Großanlagen.

In welchen größeren Zusammenhang ist die Mannheimer Großübung einzuordnen?

„Unsere Sicherheitsarchitektur steht heute vor ganz neuen Herausforderungen: Der internationale Terrorismus stellt nach wie vor eine abstrakte Bedrohungslage dar. Die Digitalisierung öffnet Einfallstore für Cyberkriminalität. Darüber hinaus können wir nach wie vor Opfer klassischer Großschadenslagen durch Gasmangel, Stromausfall oder Unwetter werden. Darauf müssen wir unsere Sicherheitspolitik einstellen und fokussieren“, sagte Innenminister Thomas Strobl. „Das Land Baden-Württemberg tut dies mit zahlreichen Großübungen von Polizei und Bevölkerungsschutz, vernetzt über viele Ministerien und nachgeordnete Behörden hinweg. Allein 2019 findet eine Vielzahl verschiedenster größerer Übungen statt, mit denen wir unsere Strukturen zur Bewältigung besonderer Schadenslagen einem Belastungstest unterziehen. Sie sind damit ein fester Bestandteil der Arbeit von Feuerwehr, Rettungsdienst, Bevölkerungsschutz und Polizei – und ganz wichtige Grundlage zur bestmöglichen Aufstellung des Landes in diesem Bereich.“ 

Video – Pressetermin: Behörden in Baden-Württemberg üben in Mannheim für den Fall eines bioterroristischen Anschlags. IM Thomas Strobl spricht zu MedienvertreterInnen

 

Die Arbeit von Strobl wird vom Ministerpräsidenten anscheinend unterstützt:

 „Vorsorge zu treffen ist in vielen Bereichen unerlässlich, so auch im Katastrophenschutz. Es ist uns wichtig, dass wir auf den Ernstfall so gut wie möglich vorbereitet sind, auch wenn wir inständig hoffen, dass er nicht eintritt“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Die Grünen) im Anschluss an eine kürzlich stattgefundene Sitzung des Ministerrats.

Wie die Landespresse berichtet will Innenminister Strobl noch in diesem Jahr ein sogenanntes präventives Sicherheitskonzept für diese Gefahrenlagen einbringen. Für diese Ziel will er „lokale Sicherheits-konferenzen“ regelmäßig durchführen. Großübungen wie in Mannheim dienen diesem Ziel.

Welche konkreten Ziele verfolgt Innenminister Strobl?

Im Oktober dieses Jahrs wird eine noch größere Übung als in Mannheim stattfinden. Am Bundeswehr-Standort Stetten am Kalten Markt wird es eine Großübung mit 2000 Einsatzkräften geben

Die Übung läuft als Terrorismus-Abwehr-Übung BWTEX. Das Besondere hierbei ist, dass der Einsatz der Bundeswehr mit Beteiligung von Feuerwehr, Rettungsdiensten, Bevölkerungsschutz, und Polizei erprobt wird.

Dem Ziel, die Bundeswehr grundsätzlich auch im „Inneren“ einzusetzen, will Innenminister Strobl näherkommen. Dieses Ziel hat der Innenminister auch gegenüber der Presse in Mannheim geäußert. Da er weiß, dass der Einsatz der Bundeswehr politisch umstritten ist und auch die Verfassungskonformität angezweifelt wird, hat er gleich schon mal angekündigt: „Natürlich im Rahmen des Grundgesetzes.“

Ein weiteres Thema von Strobl ist der freiwillige Polizeidienst. Laut Koalitionsvertrag soll dieser auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt werden. Die CDU fordert, dass die Polizei-Freiwilligen nicht nur uniformiert, sondern auch bewaffnet werden. Noch scheint dies ein Streitpunkt innerhalb der Koalition zu sein.

Unter Berücksichtigung all dieser Fakten kann man zu der Feststellung kommen: Großübungen wie in Mannheim und in Stetten am Kalten Markt sollen zum weiteren Ausbau des Sicherheitsstaates genutzt werden. Sie führen nicht zu mehr Sicherheit, sondern tragen zur Militarisierung der Gesellschaft bei. Konkretes Ziel der Oppositionskräfte in gewählten Parlamenten und von zivilgesellschaftlichen Bündnissen sollte sein, den generellen Einsatz der Bundeswehr im Innern und die Einführung eines bewaffneten Polizeifreiwilligendienstes mit demokratischen Mitteln zu verhindern.  

 (Bericht: Roland Schuster / Fotos und Video: Christian Ratz)

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