Tausende demonstrierten gegen die Instrumentalisierung des Messeranschlags durch die AfD [mit Bildergalerie]
Mannheim. Der Freitag, 7. Juni 2024, stand ganz im Zeichen von Reaktionen auf das Messerattentat vor einer Woche, bei dem der Polizisten Rouven Laur getötet und Teilnehmer einer rechtspopulistischen Kundgebung verletzt wurden (KIM berichtete).
Einerseits würdiges Gedenken am Brunnen des von der Stadt Mannheim zum Gedenkort bis 16. Juni erklärten Marktplatzes mit Bundespräsident Steinmeier und Ministerpräsident Kretschmann rund um die Schweigeminute 11:34 Uhr. Gleichzeitig im Ehrenhof des Schlosses ein schweigender Gedenkakt mit über 500 Polizeibeamt*innen.
Andererseits das schamlose Auftriumphieren der AfD-Landesverbände Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen um 18 Uhr vor N1.
Nachdem ihnen der Verwaltungsgerichtshof Mannheim zweitinstanzlich den Zutritt zur Gedenkstätte Marktplatz verwehrt hatte, musste auf den Paradeplatz ausgewichen werden. Man gedachte vereinnahmend des ermordeten Polizisten, der – so, wie er von Personen geschildert wird, die ihn kannten – sich niemals von einer AfD hätte vereinnahmen lassen wollen.
Gegen diesen Affront, der zugleich zentrale Wahlkampfveranstaltung der AfD war – man erklärte sie kurzerhand zum Höhepunkt und zur Abschlussveranstaltung des Wahlkampfes – mobilisierten DGB und das Bündnis Mannheim gegen Rechts zu einer Kundgebung auf dem Alten Messplatz und anschließender Demonstration zum Paradeplatz. Dort trafen sie auf die AfD, von sehr starken Polizeiketten hinter lückenlosen Absperrgittern erfolgreich auf Distanz, aber „in Hörweite“ gehalten.
Die Verwaltung hatte offensichtlich mit bürgerkriegsähnlichen Zusammenstößen gerechnet. Wer die Presseerklärung des Oberbürgermeister-Dezernats las und ernst nahm, hatte sicherlich Bedenken, sich dem Protest gegen die AfD anzuschließen: „Die Stadt Mannheim steht in engem Kontakt mit der Polizei. Rettungsdienste und Feuerwehr sind in erhöhter Bereitschaft, ebenso wurden die Rettungsleitstelle sowie Krankenhäuser in Mannheim und Umgebung über die bevorstehenden Versammlungen informiert, so dass dort entsprechende Vorbereitungen getroffen werden können.“
Nach Polizeiangaben gab es keine Zwischenfälle. Der einzige Zwischenfall war die AfD.
Staatliche Gedenkminute am Vormittag
Zur offiziellen Gedenkveranstaltung am Freitagvormittag mit Bundespräsidenten kamen auch hunderte Bürger*innen zum Marktplatz. Ein Meer an Blumen, Bildern, Botschaften und Nachrichten hatte sich rund um das Denkmal in der Mitte des Platzes gebildet. Um 11:34, dem Zeitpunkt des tödlichen Angriffs, gab es eine Schweigeminute für den Polizisten Rouven Laur, die von der Marktplatzkirche eingeläutet wurde. Bundespräsident Steinmeier, Ministerpräsident Kretschmann, Landtagspräsidentin Aras, Oberbürgermeister Specht sowie Kolleg*innen der Polizei nahmen daran teil. Bürger*innen konnten hinter eine Absperrung ebenfalls teilnehmen.
Anhand der Botschaften an der Gedenkstätte konnte man die Vielfalt der trauernden Menschen erkenne: Natürlich viele Kolleg*innen, aber auch politische Botschaften und religiöse, Schulklassen, die Schilder gemacht hatten, Geflüchtete und Muslime, die sich von der Tat distanzieren wollten.
Der Marktplatz als „Gedenk- und Trauerstätte“ wird mittlerweile von entsprechenden Schildern als solcher deklariert. Veranstaltungen, Informationsstände und Versammlungen sind demnach bis zum 16. Juni untersagt.
Bildergalerie: Offizielle Gedenkveranstaltung mit dem Bundespräsidenten am Vormitag
Kundgebung des DGB “Mannheim steht zusammen”
„Jedwede Form von Extremismus ist schädlich für unsere Gesellschaft und ihre Werte. Wir lassen Hass und Hetze nicht zu. Hass und Hetze führen zu Gewalt. Und Gewalt ist keine Lösung, für niemanden. Gewalt lehnen wir ab. Wir leben hier in Mannheim friedlich miteinander. Wir sind nicht immer einer Meinung, und es menschelt manchmal miteinander. Aber was wir ganz klar ablehnen, sind Extremismus, Rassismus, Antisemitismus, Faschismus und jede Form von Diskriminierung. Da sind wir in Mannheim klar, und wir lassen es nicht zu, dass dieses in unsere Stadt getragen wird. (…) wir halten friedvoll zusammen für Demokratie und Vielfalt.“
Mit diesen Worten fasste die stellvertretende DGB-Kreisvorsitzende Sabine Leber-Hoischen die Plattform der großen Kundgebung des DGB zusammen, zu der fast die gesamte Gegenbewegung gegen die AfD-Hetzveranstaltung auf dem Alten Messplatz erschienen war.
Es folgte ein Beitragsblock des Stadtjugendrings, moderiert von Sara Tot, DGB-Jugendsekretärin und SJR-Vorstandsmitglied. Der SJR ist der Zusammenschluss der meisten Sportvereine, aller „Blaulicht-Vereine“, Musikvereine, Die Falken – „extrem viele sehr engagierte junge Menschen in dieser Stadtgesellschaft“. Sara Tot wies darauf hin, dass sehr viel junge Menschen am Sonntag bei der Veranstaltung der „Jungen Alternativen“ und der AfD auf dem Marktplatz unterwegs waren. „Faschismus kennt kein Alter. Deswegen sind wir heute hier.“ Den Redebeitrag teilten sich wechselweise die Vorsitzende des Bundes der Katholischen Jugend Mannheim und der Jugendsprecher der DITIB- Yavuz-Sultan-Selim-Moschee.
Der DGB-Landesvorsitzende Kai Burmeister stellte den 1. Satz des Grundgesetzes in den Mittelpunkt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, in der Arbeitswelt wie in der ganzen Gesellschaft. Burmeister berichtete über viele Gespräche, die er in dieser Woche mit Polizeibeamt*innen geführt habe, die oft auch über die GdP zum DGB gehören. Er forderte mehr Respekt vor allen Menschen, die ihre Arbeit in Uniform tätigen, von Polizei über Bahn bis zu den Krankenhausärzten.
Das Recht auf Demonstrationsfreiheit beispielsweise und das Streikrecht seien nicht selbstverständlich. Wo Rechtspopulisten an der Regierung sind, werden international diese demokratischen Grundrechte eingeschränkt bzw. abgeschafft. „Deswegen sind Gewerkschaften der natürliche Gegner von Faschisten und Rechtspopulisten.“ Abschließend warb Burmeister für die europäische Zusammenarbeit und sprach sich gegen die Rückkehr zum Nationalismus aus.
Ralf Heller, DGB-Kreisvorsitzender rief zur Teilnahme an der anschließenden Demo auf. „Wir als Gesellschaft müssen hier zusammenstehen.“ Als Zeichen hierfür sangen die Kundgebungsteilnehmer*innen abschließend den Kanon „Wehrt euch, leistet Widerstand gegen den Faschismus hier im Land. Haltet fest zusammen! Haltet fest zusammen!“
Bildergalerie: Kundgebung des DGB “Mannheim steht zusammen”
Große Bündnisdemo von Mannheim gegen Rechts
Im Anschluss an die Kundgebung des DGB startete gegen 17:30 Uhr die große Bündnisdemo von „Mannheim gegen Rechts“. Auf dem Banner ganz vorne war zu lesen „Gegen Islamismus und Rassismus – Zusammenhalt für die Vielfalt“. So wurde sich klar gegen zwei rechte Ideologien positioniert, die versuchen, die Gesellschaft zu spalten und für tödliche Anschläge in den letzten Jahren verantwortlich sind: Mannheim, Hanau, Halle oder der Mord an CDU Politiker Lübcke. So kulturell unterschiedlich die fundamentalreligiösen und völkisch-rassistischen Ideologien auch sind, gemeinsam haben sie die Ablehnung einer vielfältigen, multikulturellen und multiethnischen Gesellschaft und das wollen ihre Fanatiker*innen auch mit Gewalt durchsetzen.
Die Demonstration zog über die Kurpfalzbrücke, vorbei am Gewerkschaftshaus und bog am Wasserturm in die Planken ein. Der lange Demonstrationszug war in unterschiedliche Bereiche aufgeteilt. Vorne liefen Vertreter*innen des breiten Bündnisses, wo es anfangs eher ruhig war, weiter hinten lief ein Block der Gewerkschaftsjugend und ein Antifa Block mit vielen Unterstützer*innen aus anderen Städten. Dort ging es im Vergleich zu vorne die ganze Zeit sehr laut und motiviert zu. Die Polizei begleitete den Aufzug von Beginn an mit einem Großaufgebot. Trotz martialischem Aussehen, konnte jedoch von allen Seiten ein deeskalierender Umgang miteinander beobachtet werden.
Am Paradeplatz angekommen zogen die Teilnehmer*innen der Demonstration vor die Absperrgitter, um sich den AfD Anhänger*innen gegenüber zu stellen. Es wurden lautstark Parolen ausgetauscht, in den Reihen der AfD waren viele sichtlich genervt und provoziert von der Gegendemo. Die ganze Situation rund um den Paradeplatz war hitzig und unübersichtlich.
Die Polizei zählte 3300 Menschen bei der Demo von „Mannheim gegen Rechts“, die einer Kundgebung von 700 AfD-Anhänger*innen gegenüber stand. Insgesamt dürften es deutlich mehr Leute gewesen sein, die sich auf und um den Paradeplatz bewegt haben, denn den vielen Menschen, die in der Stadt unterwegs waren entging das Schauspiel nicht. Gerade Passant*innen, die selbst von der Hetze der AfD angegriffen werden, schlossen sich spontan dem Protest gegen rechts an und stimmten mit ein: „Nazis raus!“
Aller Panikmache zum trotz, blieb es den ganzen Tag friedlich. Die Polizei meldete am Abend, dass es nirgendwo Ausschreitungen gegeben habe, keine Straftaten angezeigt oder Personen festgenommen wurden. Es sei lediglich zu verbalen Provokationen gekommen.
Bildergalerie: Demo “Mannheim gegen Rechts”
AfD-Wahlkampfabschluss – die Instrumentalisierung des Messeranschlags
Die AfD hatte groß aufgefahren mit den Landesvorsitzenden und Stellvertretern von Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen, sowie einem Bundestagsabgeordneten, einem ehemaligen Polizeibeamten.
Zu Beginn durfte Rüdiger Ernst sprechen, Fraktionsvorsitzender im Gemeinderat und Kreisvorsitzender der AfD. Er thematisierte vor allem den Angriff auf seinen Vorstands-Kollegen Heinrich Koch durch „drei Linksextremisten“. Die von ihm gestellte Person sei später dann als „psychisch krank“ dargestellt worden, obwohl das in der kurzen Zeit gar nicht gehe und auch mit “linkextremistisch” nicht im Widerspruch stehe. Zum Schluss seiner kurzen Rede wies er darauf hin, dass in Mannheim der „sogenannte Kampf gegen Rechts“ auch mit städtischen Haushaltsmitteln gefördert werde. Da gehe es aber nicht um den Linksextremismus und Islamismus, die eigentlichen Gefahren, sondern es profitierten von der Förderung die “Linksextremisten”.
Ernst verzichtete zu Ende der Veranstaltung, als alle anwesenden Mandatsträger auf die Bühne zum Abschlussfoto gebeten wurden, sich dazuzustellen. Vor die Mandatsträger wurde das Fronttransparent der Veranstaltung gezogen: „Messermänner & Islamisten raus!“ Auf die Frage an Ernst, warum er sich nicht auch dazustelle, meinte er, er sei kein Profilneurotiker (wie seine Kolleg*innen, die da zahlreich standen?). Der eigentliche Grund dürfte sein, dass die AfD in Mannheim einen eher unauffälligen Kurs fährt. Ernst möchte eher die Anschlussfähigkeit an die CDU / ML halten und sich als mglw. Mehrheitsbeschaffer anbiedern. Obwohl in zwei der drei Landesverbänden auch Kommunalwahlen bevorstanden, gab es ausschließlich Hinweise auf die EU- und Landtagswahlen und auch schon auf die Bundestagswahl – alle drei wichtig für den Griff nach der Macht. Die Kommunalpolitik war für die AfD sichtlich uninteressant.
Messerkriminalität mit beliebigen Zahlen, bei denen sich der „fachkundige“ MdB und der Landesvorsitzende Baden-Württemberg gegenseitig überboten, war dann auch das zentrale Thema: Die Regierungen von Land und Bund wurden quasi im drei-Minuten-Takt aufgefordert, endlich für Sicherheit auf den Straßen zu sorgen, damit die Bürger sich unbesorgt in den Städten bewegen können. „Mit einer blauen Regierung“ werde sich das schlagartig ändern, natürlich durch Abschiebung aller „Gefährder und islamistischer Straftäter.“
Die Veranstaltung der AfD brachte im Übrigen den offiziellen Schulterschluss mit der „Bürgerbewegung Pax Europa“ (BPE), deren Gründungsmitglied und Hauptagitator Stürzenberger offensichtlich das Attentat auf dem Mannheimer Marktplatz gegolten hatte. Stürzenberger habe sich über einen Anruf des Landesvorsitzenden sehr gefreut und man habe künftige Zusammenarbeit beschlossen. Ein BPE-Transparent stand schon in der Nähe der Bühne.
Bildergalerie: Kundgebung der AfD
Antifademo zum Feierabend
Nach Abreise der AfD entschlossen sich die Teilnehmer*innen des Antifa Blocks, mit einer gemeinsamen Demonstration zurück in die Neckarstadt zu laufen. Dem wurde in Rücksprache mit Polizei und Ordnungsamt auch behördlich die Zustimmung erteilt. Diskussionen gab es offenbar um die Route.
Letztendlich konnte der Demonstrationszug mit mehreren hundert Menschen ohne größere Probleme über den Ring zur Kurpfalzbrücke und zurück zum Alten Messplatz laufen. Damit endete für viele ein langer Tag.
Bildergalerie: Antifa Demo
Trotz Panikmache: Weniger AfD als gedacht und die große Katastrophe blieb aus
Tausende Menschen stellten sich gerade einmal 700 AfD Anhänger*innen entgegen. Das war ein deutliches Zeichen für Mannheim und kein großer „bundesweiter“ Mobilisierungserfolg der extremen Rechten. Dennoch sollte die Wirkung der instrumentalisierenden Hetze nicht unterschätzt werden, denn die politische Meinungsbildung findet viel umfangreicher im Internet statt, als auf der Straße. Die „Messermänner“ bleiben Zugpferde der AfD. Aber ein „zweites Kandel“ wird Mannheim wohl nicht werden, wie eine Sprecherin von „Mannheim gegen Rechts“ am Abend resümierte.
Dass der furchtbare Anschlag eines Islamisten zum Wahlkampfschlager der AfD wurde ist bitter. Genau so bitter ist die Tatsache, dass demokratische Parteien auf Bundesebene – von CDU über FDP bis SPD – den „Lösungsvorschlag“ der AfD aufgreifen und Abschiebungen in das von den Taliban regierte Afghanistan versprechen. Populismus funktioniert leider auch jenseits der AfD.
Rückblickend ist die Panikmache von OB Specht äußerst kritisch zu sehen. Mit dem Herbeireden von bundesweit anreisenden Gewalttätern und einem Katastrophenszenario, wurde bewusst versucht, die Bevölkerung von der Teilnahme an den Protesten gegen die AfD abzuhalten. Insgesamt ist das nicht gelungen, denn es haben sich tausende beteiligt – friedlich und solidarisch miteinander, aller Spaltungsversuche zum Trotz. Dennoch werden sich nach den Schreckensmeldungen vom Donnerstag sicher auch einige gegen das Demonstrieren entschieden haben.
Was Solidarität und Zusammenhalt bedeutet, auch in der demokratischen und linken Zivilgesellschaft, wessen Warnungen wir glauben und worauf wir uns verlassen können – das sollte nach diesem Freitag noch einmal gründlich nachbesprochen werden.
(tht/cki/hr/scr/u.a.)