Gewinnexplosion bei der MVV Energie AG

Fahnen wehen vor dem MVV-Hochhaus – nicht auf Halbmast, sondern sehr hoch oben. Das Logo ist inzwischen erneut verändert: Die roten Kringel sind neuerdings ergrünt. (Bild: Wikipedia gemeinfrei)

Der Dreivierteljahresbericht der MVV Energie AG für den Zeitraum 1.10.22 bis 30.6.23 weist einen erheblichen Gewinnzuwachs aus. Betrug das Ergebnis vor Steuern (EBT) im Vorjahreszeitraum 108.605 TEUR, beträgt es für die ersten 9 Monates des Geschäftsjahres 2022/23   1.016.105 TEUR, eine gute Milliarde. Das ist eine Zunahme um 936%. Das „unverwässerte Ergebnis je Aktie“ beträgt 15,73 gegenüber -1,99 EUR im Vorjahreszeitraum. Das Ganze bei rückläufigen Absatzmengen: Strom -27%, Wärme -21%, Gas -15% und Wasser -4%. Dagegen wurden trotzdem mit Strom +29%, Wärme +15%, Gas +65% Umsätze erzielt ohne Energiesteuern. Lediglich die Wassererlöse blieben gleich.

Das „Markt-Umfeld“ beschreibt MVV wie folgt: Die Großhandelspreise für Rohöl sanken gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 14%, bei Erdgas stiegen sie um 17%, Kohle um 2%, CO2-Zertifikaten um 13% und Strom um 19%. Wenn die Einkaufspreise der MVV sich also in diesen Bereichen entwickelten, liegen die Verkaufspreise deutlich höher, wie man aus den obigen Verhältnissen zwischen sinkenden Absatzmengen und deutlich steigenden Umsätzen schließen kann. In einer zweifellos energiekritischen Zeit verdient MVV also gewaltig dazu – Krisengewinnlerin. Zwar musste MVV teuren Strom zukaufen für Neukund*innen (aus dem Bereich pleite gegangener Billig-Anbieter und Dreckschleuder-Vermarkter) und wegen „Verfügbarkeitslücken“ von Kontrakt-Lieferanten, aber andererseits hat MVV aus dem Direktverkauf von erneuerbaren Energien besonders gute Renditen erwirtschaftet.

Es gibt viel zu diskutieren in der Kommunalpolitik

Das wird und muss beim Jahresabschluss erhebliche Diskussionen geben über die Gewinnverwendung einerseits und andererseits über die Preisgestaltung der MVV-Produkte für die Bevölkerung ebenso wie für das Gewerbe, also beim Thema Gewinnerzielung.

Die Kapitaleigner – und der größte ist mit 50,1% Aktienanteilen die Stadt Mannheim – werden sich fragen, ob sie sich mit einer Dividende von weiterhin „nur“ 1,05 EUR/Aktie begnügen wollen, oder ob sie vom Reibach „etwas“ mehr abschöpfen wollen. Die Stadt Mannheim verfolgte bisher die Strategie, die Dividende möglichst konstant zu halten, auch in weniger profitablen Jahren. Schließlich finanziert sie mit diesen bisher sicheren Einnahmen das ÖPNV-Defizit (ca. 35 Mio EUR/Jahr). Allerdings steigt das Defizit auch nicht zuletzt aufgrund riesiger ÖPNV-Investitionen an. Die andere Seite der Medaille ist der erhebliche Investitionsbedarf eines Energieunternehmens, das sich die Dekarbonisierung bis 2030 auf die Fahnen geschrieben hat und das bis 2040 klima-neutral oder sogar -positiv arbeiten will.

Eine Dividendenerhöhung würde bei den Mitgesellschaftern sicherlich nicht auf Widerstand stoßen (darunter große Fonds). Anders sieht es aus mit den Energietarifen: Da werden die Mitgesellschafter wenig „Empathie“ für die Bedürfnisse der Bevölkerung in Mannheim und an den anderen MVV-Standorten haben. Vor Jahren hatte der grüne Stadtrat und MVV-Aufsichtsratsmitglied Wolfgang Raufelder für erheblichen Aufruhr bei den Aktionären gesorgt mit seiner Überlegung, ob MVV nicht die Preise senken sollte. „Geschäftsschädigung“ und Angriff auf das Aktienrecht war der Tenor bis hin zur Androhung von Zivilklagen. Die Frage aber, wer die Investitionen für die Klimaneutralität zu zahlen haben wird und ob das unbedingt die MVV-Kund*innen sein müssen, steht mächtig im Raum.

Ende Juni 2023 ist übrigens die „Übergewinn-Abschöpfungssteuer“ ausgelaufen und soll lt. Bundesregierung nicht verlängert werden, wie der Vorstandsvorsitzende Dr. Georg Müller in seinem Bericht erleichtert feststellt.

Das wird insgesamt eine komplizierte Auseinandersetzung. Sie birgt viel Zündstoff in sich, z.B. auch für die Kommunalwahl im kommenden Jahr. Dabei sind perverserweise die hier aufgeworfenen Fragestellungen überhaupt nicht im unmittelbaren Entscheidungsfeld des Gemeinderates, aber sie müssen politisch gelöst werden. Gerade mal drei Aufsichtsratsmitglieder stellt der Gemeinderat plus den AR-Vorsitzenden in Gestalt des Oberbürgermeisters. Die Mannheimer „Stadtwerke“ sind eben eine börsennotierte Aktiengesellschaft… Die Dividende fließt auch keineswegs in den städtischen Haushalt ein, sondern sie wird in der städtischen „MKB GmbH“ verarbeitet (Mannheimer Kommunalbeteiligungen GmbH), zu der auch der Mannheimer RNV-Anteil gehört. Immerhin hat die SPD bereits ihren Diskussionsbedarf in einer Presseerklärung vom 14.8.23 angemeldet: „Mannheimer SPD fordert Diskussion über Höhe und Verwendung des Gewinns der MVV Energie AG“. Trotz der ambitionierten Ziele der MVV „stellt sich die Frage, ob aufgrund der enormen Gewinnexplosion in diesem Geschäftsjahr nicht auch die Preise für Gas, Strom und Fernwärme für die Verbraucher gesenkt werden sollten. Schließlich zählt das Unternehmen ja auch nicht zu den preisgünstigsten Anbietern. Gerade für ein Unternehmen in mehrheitlich städtischem Besitz sollte hier nachjustiert werden. Dies ist auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit.“

Ein verlässlicher kommunaler Wärmeplan muss schnell entwickelt werden

Wir haben schon bei der OB-Wahl festgestellt, dass ganz offensichtlich das „Heizungsgesetz“ in seinem Werdungsprozess die Wahl nicht unerheblich mitbeeinflusst hat, siehe „Rückschau auf die OB-Wahl (https://kommunalinfo-mannheim.de/2023/08/03/rueckschau-auf-die-ob-wahl-und-ausblick-auf-die-gemeinderatswahl-2024/).

Die weitere Entwicklung der MVV und die Weiterentwicklung der Belastung der Bevölkerung mit viel zu hohen Energiepreisen hängt in hohem Maße von bundesgesetzlichen Rahmenbedingungen ab, die noch sehr in der Schwebe sind. Was wir in Mannheim brauchen ist auf jeden Fall der entschiedene Ausbau der Fernwärme auch in weniger dicht besiedelte Stadtquartieren. Außerdem – darauf weist Georg Müller in seinem Bericht zu Recht hin, steht das Gasnetz vor der Alternative: Entweder wird es tauglich gemacht für „grüne Gase“, die dann auch ausreichend zur Verfügung stehen müssen, oder es wird abgeschaltet. Das fossile Erdgas hat auch in den Haushalten keine Zukunft mehr – für viele Hauseigentümer und damit auch für deren Mieter eine Schreckensperspektive. Es ist verdienstvoll, dass die MVV Energie AG soeben auch die Studie veröffentlicht hat: „Zukunft der Gasnetze. Empfehlungen für eine koordinierte Wärmewende.“

Darin wird auch auf das das Thema „Sozialer Ausgleich“ (S.68ff) eingegangen, der finanzielle Entlastungen für die Bürger*innen beinhalten müsse. Vollkommen zu Recht heißt es in diesem Kapitel abschließend: „Sobald ordnungsrechtliche Eingriffe bei Kunden und Unternehmen angekündigt werden, müssen zeitgleich auch die Regelungen für Förderungen und für soziale Härtefälle vorliegen.“ Die Verantwortung sieht das Unternehmen beim Gesetzgeber und der öffentlichen Hand, also auch bei der Kommune. Die braucht dafür aber mehr Geld – siehe oben.

Fazit: Der kommunale Wärmeplan muss her samt seiner bundespolitischen Koordinaten. Damit muss sich die Entwicklung der MVV verschränken, und das alles Sozialverträglich!

Einblick in das wirkliche Leben: Gartenstadt-Vertreterversammlung

Am 29. Juni fand die Vertreterversammlung 2023 der Gartenstadt-Genossenschaft Mannheim e.G. statt. Laut Bericht in der Zeitung für Mitglieder Juli | August 2023 meldete sich ein Delegierter. Er erklärte, “dass derzeit wohl eine gewisse Verunsicherung bei einzelnen Mitgliedern [der Genossenschaft] hinsichtlich des aktuell zur Debatte stehenden ‘Heizungsgesetzes’ der Ampel-Koalition bestehen würde.” Er fragte den Vorstand nach diesbezüglichen Erkenntnissen.

In dem Bericht heißt es weiter: “Vorstand Maesch erläuterte daraufhin, dass es Absicht und Ziel der Gartenstadt-Genossenschaft sei, den Anschluss möglichst vieler Objekte an die Fernwärme zu erreichen. In einigen Stadtteilen wären die dafür notwendigen Fernwärmeleitungen bereits vorhanden, so z.B. in der Gartenstadt und auf dem Almenhof. Auch im Stadtteil Rheinau wäre der Anschluss teilweise theoretisch möglich. Allerdings seien Kontaktaufnahme und Gespräche diesbezüglich mit der MVV extrem schwierig. Grundsätzlich wolle die MVV natürlich nur dann Fernwärmeanschlüsse legen, wenn sich dies auch wirtschaftlich rechnen würde. In diese Ansicht sei durch die aktuelle Diskussion anscheinend etwas Bewegung geraten, so dass die MVV nun zumindest eine formelle Planung des Themas vornehmen wolle, bevor sie sich zu einzelnen Maßnahmen äußere. Man müsse also leider Stand heute sagen, dass man hier aktuell eher von Wünschen und Hoffnungen, denn von konkreten Zusagen sprechen könne. Die MVV habe die Zielsetzung, möglichst schnell die Klimaneutralität zu erreichen. Hierfür sei die kommunale Planung entscheidend.” Der Vorstand weist dann noch darauf hin, dass der Betrieb von Gasheizungen jetzt wohl auch noch längerfristig möglich sei.

Von der Gasnetzstudie der MVV über die kommunalen Rahmenbedingungen bis hinein in die Vertreterversammlung einer Mietergenossenschaft ist es ein langer Weg. Nicht zuletzt gute Kommunikation ist gefragt und Transparenz.

Thomas Trüper

 

 

 

 




Die Dekarbonisierung des GKM steht auf der Tagesordnung

Ein spektakulärer wegweisender und ein trostloser Besuch beim GKM – das politische Spannungsfeld ist abgesteckt

Mannheim, Rheinau-Hafen (Hafen 21), Blick zum „Großkraftwerk Mannheim“ (GKM), im Vordergrund der neue Block 9 (Bild: Hubert Berberich, CC BY 3.0)

Am 3. August letzten Jahres „besuchte“ – ungebeten – eine Delegation von „Ende-Gelände“ das Großkraftwerk im Morgengrauen mit der schlichten Forderung „GKM abschalten!“ Dies war zweifellos keine realpolitische Aktion, wollte es auch nicht sein, aber es war eine Aktion auf dem Boden der Realität. Die Besucher erklärten, dass „bei Fortsetzung des Status Quo in der BRD innerhalb zweier Jahre der CO2-Ausstoß erreicht ist, der zur Sicherung des Klimaziels maximal 1,5°C Erderwärmung überhaupt noch stattfinden darf.“ Wie das Ganze zu bewerkstelligen sei, wie die komplexen technischen und sozialen Umsteuerungsprozesse zu gestalten sind – dazu konnten und wollten die Besucher keine Antwort geben.

Das ist Sache der Politik: Sie muss die wirtschaftliche und ordnungsrechtliche Rahmenbedingungen schaffen, die involvierten Unternehmen müssen ihrer Verantwortung gerecht werden bzw. zur Wahrnehmung dieser Verantwortung gezwungen werden, und die Beschäftigten, die bisher erfolgreich für Strom und Wärme gesorgt haben, müssen geänderte oder neue Aufgaben auf dem Boden sozialer Sicherheit erhalten. Die unumkehrbare Richtung ist gewiesen.

Einige der Aktivist*innen besetzten das eingehauste Kohleförderband zum Kessel des Block 9. (Bild: Ende-Gelände)

Am 15.11. letzten Jahres besuchte – wie berichtet – sicherlich nach höflicher Anmeldung eine Delegation der AfD aus Mitgliedern des Stuttgarter Landtages, dem Kreistag Rhein-Neckar, sowie den Gemeinderäten Heidelberg und Mannheim das GKM und wurde, wie bei parlamentarischen Parteien üblich, vom Vorstand empfangen. Die AfD-Delegation verkündete dort nach eigenen Angaben, die Partei werde „sämtliche politischen Spielräume nutzen, um den Zusammenbruch der Stromversorgung Deutschlands auf Grund der wahnwitzigen ‚Energiewende‘ zu verhindern“. Lächerliche Ignoranz nach der Art „Die Erde ist eine Scheibe“ und keine einzige Antwort auf die sich stellenden dringenden Fragen, kein einziger brauchbarer Vorschlag – wie man die AfD eben kennt. Über die Resonanz im Werk ist nichts bekannt. Das Bündnis „Mannheim gegen Rechts“ stellte am 30. Januar in einem Offenen Brief an die Aufsichtsräte des GKM zu Recht fest: „Die Bündnisorganisationen von ‚Mannheim gegen Rechts‘ sehen mit Sorge, dass hier in populistischer Art und Weise mit den Ängsten der Beschäftigten im Großkraftwerk gespielt wird.“ Das Bündnis fordert stattdessen einen „konstruktiven Dialog über den Transformations- und Umbauprozess des GKM“.

Solidarische Positionen im Bewusstsein der Notwendigkeit des Kohleausstiegs

Das „Betriebliche Solikomitee“ innerhalb des DGB Mannheim, welches immer wieder aktiv wurde und wird, wenn Belegschaften von sozial nicht abgesicherten Umstrukturierungsmaßnahmen, von Massenentlassungen oder gar Betriebsschließungen bedroht sind, denkt darüber nach, einen Vertreter des GKM-Betriebsrates ins Boot zu holen.

In einem Rundschreiben des Solikomitees wird darauf hingewiesen, dass das GKM weiterhin eine Existenzberechtigung habe, dass es eine hohe Effizienz besitze, aber im Sinne der Energiewende umgebaut werden müsse. „Angesichts des Klimawandels ist es höchste Zeit, dass ökologische und soziale Alternativen zur Sicherung der Strom- und Fernwärmeversorgung in der Region sowie der Arbeits- und Ausbildungsplätze der GKM-KollegInnen entwickelt und umgesetzt werden.“

Joachim Schubert, ehemaliges Betriebsratsmitglied von Alstom / GE und Aktiver im „Solikomitee“ schreibt in einem der KIM-Redaktion vorliegenden bisher vom Mannheimer Morgen nicht veröffentlichten Leserbrief:

„Eine vorzeitige Abschaltung des GKM macht den Bau zweier gasgefeuerter Ersatz-Kraftwerksblöcke noch zwingender. Denn im Jahre 2033 wird während Dunkelflauten der dann spärliche „Grünstrom“ erst recht nicht ausreichen. Somit wären wir auf polnischen Kohlestrom und französischen Atomstrom angewiesen. Und unser großes Fernwärmenetz müsste mit Gaskessel beheizt werden. Verschärft wird diese Situation, weil infolge des technologischen Wandels (Industrie 4.0) und der Verkehrswende mehr Strom als heute benötigt wird und bis 2023 die letzten 8 Kernkraftwerksblöcke abgeschaltet werden. Deshalb haben Städte wie Köln und Düsseldorf rechtzeitig gasbefeuerte Ersatzblöcke gebaut, die aus Gasturbine, Abhitzekessel sowie Dampfturbine mit Generator und Fernwärmeauskopplung bestehen. Sie kommen auf einen Gesamtwirkungsgrad von bis zu 85% bei vergleichsweise niedrigem CO2-Ausstoß und haben gute Schnellstarteigenschaften. Damit könnten mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden: preisgünstige und schnell verfügbare Regelenergie, Überbrückung von Dunkelflauten, stabiles Stromnetz, sichere und preisgünstige Fernwärmeversorgung, Einsparung an Treibhausgasen, Erhalt von Arbeitsplätzen im GKM.“

Ob nun diese Einschätzung und dieser Vorschlag genau der richtige Weg ist und wie überhaupt die Dekarbonisierung der Mannheimer Fernwärme vorangetrieben werden kann, darüber ist die Diskussion innerhalb der die Energiewende fordernden Öffentlichkeit noch wenig entwickelt. Die Gewerkschaften halten sich mit eindeutigen Äußerungen noch sehr zurück. Aus politischen Kreisen, vor allem der SPD und der LINKEN, wird die Kohlefrei-Debatte um die damit verbundenen sozialen Aufgaben erweitert. Bei genauerer Betrachtung erweist sich der dringend und schnell erforderliche Umbau als außerordentlich komplex.

Die Stadt und „ihre“ MVV Energie AG sind gefordert …

Die Stadt Mannheim, die vor Jahren nach der Energiemarkt-Liberalisierung ihr ehemaliges Stadtwerk in einen börsennotierten international tätigen Energiekonzern umgewandelt hat, ist hier gefordert. Die MVV Energie, an der die Stadt Mannheim mit 50,1% die Aktienmehrheit hält, ist ihrerseits mit 28% am GKM beteiligt. Das Fernwärmenetz jedoch ist vollständig in Händen der MVV Energie. Somit ist die MVV Energie in der Pflicht, die Energiewende auf dem Strom- und Wärmesektor zu planen und durchzuführen. Das gilt natürlich primär auf dem Gebiet der Technologie. Aber das gilt auch hinsichtlich der gesellschaftlichen Diskussion. Hier gibt es tatsächlich Tausende aus guten Gründen „besorgte Bürger*innen“: Von den um ihre künftige Lebenswelt bangenden jungen Menschen, die sich z.B. bei Fridays für Future engagieren bis hin zu den um ihre Arbeitsplätze bangenden Beschäftigten des GKM. Die Debatte kann erfolgreich nur geführt werden, wenn sie von Ehrlichkeit geprägt ist und wenn die erforderlichen Sachkenntnisse von Physik über Technik bis Ökonomie verbreitet und das heißt demokratisiert werden. Mit dem in Entwicklungsabteilungen und auf Vorstandsetagen gefangenen und eingemauerten Wissen einerseits und undifferenzierter Werbung andererseits kann der gesellschaftliche Umgestaltungsprozess nicht erfolgreich geführt werden. Auch muss die Gesellschaft die Möglichkeit haben, sich in die Entscheidungsprozesse einzubringen. Ist alles, was technologisch möglich ist, auch für die Menschen akzeptabel? Hier stoßen wir ziemlich schnell auf Industrie 4.0 und „smarte“ Steuerungsformen im tagtäglichen Lebensvollzug, die der demokratischen Diskussion und Auseinandersetzung bedürfen, wenn wir am Ende noch souverän und selbstbestimmt leben wollen.

… und beginnen Elemente der Dekarbonisierung zu liefern

Wer die Geschäftspolitik der MVV Energie aufmerksam verfolgt, kann feststellen, dass die MVV Energie im Laufe der letzten Jahre einen Richtungswechsel im Sinne der Energiewende vollzogen hat – dies nicht ohne Einwirken ihres Hauptaktionärs Stadt Mannheim. Nicht weniger als die Dekarbonisierung der Fernwärme in einer Stadt mit dem größten und drittjüngsten Steinkohlekraftwerk (Block 9) ist als Ziel formuliert, also der Abschied von der Kohle und auch letztlich vom fossilen Erdgas – „spätestens bis 2050“. Dieser Zeitraum von 30 Jahren ist natürlich viel zu lang. Die Anstrengung und der Kampf um ein deutliches „Schneller!“ muss geführt werden. Aber wie soll das funktionieren?

Das Müllheizkraftwerk auf der Frieseneheimere Insel deckt seit dieser Woche 30% der Mannheimer und regionalen Fernwärme neben dem Prozessdampf für Industriebetriebe ab. (Bild: tht)

 

Seit 3. Februar: 30% weniger Kohle in der Fernwärme

Einen gewaltigen Schritt hat die MVV mit einer 60-Millionen-Investition gemacht: Sie hat – was schon längst möglich gewesen wäre – das Müllheizkraftwerk auf der Friesenheimer Insel endlich an das Fernwärmenetz angeschlossen, welches 60% der Mannheimer Wohnungen und darüber hinaus noch 30.000 Wohnungen in der Region beheizt. Mit diesem Anschluss wird das GKM nur noch 70% seiner Wärmemenge abgenommen kriegen. Ab 2024 kommt dann noch der Anschluss des Biomassekraftwerks hinzu, welches dann 10% der Mannheimer Fernwärme liefern wird. Damit stammen dann nur noch 60% der Fernwärme aus der Primärenergie Kohle. Sicher: Abfall ist mit seinem Anteil an Erdölprodukten wie Plastikteilen keine gänzlich erneuerbare Energiequelle, was in der CO2-Bilanz auch berücksichtigt wird. Und das Abfallaufkommen muss natürlich insgesamt und grundsätzlich reduziert werden. Aber dieser Energieträger ist deutlich der blutbeschmierten Importsteinkohle vorzuziehen. Mit dieser Verdrängung der Fernwärme aus dem GKM wird natürlich dessen Betrieb unwirtschaftlicher und weniger effizient. Der von der MVV bereits angekündigte nächste Schritt wäre dann die Installation von Gas- und Dampfturbinen. Der Brennstoff Erdgas kann dann perspektivisch ersetzt werden durch Biomethangas oder auch Wasserstoff, beide vollständig regenerierbar.

Und der „Rest“? Im Gegensatz zu dem großen 40%-Schritt von der Friesenheimer Insel wird der „Rest“ mit vielfältigsten kleinteiligen alternativen Methoden zu ersetzen sein, als da beispielsweise neben den schon erwähnten Biomethan- und Wasserstoffgasen wären: Tiefengeothermie, Wärmerückgewinnung aus Luft, Boden, Abwasser, Flusswasser, Photovoltaik, Klärschlammverschwelung etc. Es wird viele dezentrale Einspeisungen in das Wärmenetz geben, dessen Temperatur zu diesem Zweck deutlich herabgesetzt wird, beginnend auf den Konversionsgeländen Franklin und Spinelli.

Die Bundespolitik muss entscheidend nachbessern

Der Kabinettsbeschluss vom 29. Januar zum Kohleausstieg ist hochumstritten und so nicht haltbar. Dieser Meinung sind außer den Bundesländern mit Braunkohleförderung eigentlich alle Akteure. Das Prinzip dieses Kabinettsbeschlusses, welcher auch dem vor einem Jahr mühsam erzielten Kohlekompromiss widerspricht, ist erstens die Garantie für die Braunkohleverstromung bis 2038, vergoldet mit 4,5 Mrd. Euro Subventionen und zweitens die zwingende Durchsetzung der Reduzierung der CO2-Emissionen. Wenn aber diese Reduzierung nicht vom Braunkohleausstieg kommt, dann muss sie aus dem früheren Steinkohleausstieg erfolgen. Steinkohle ist aber wesentlich effizienter zu verstromen – ein nicht tolerierbarer Widerspruch. Ferner sollen die süddeutschen Steinkohlekraftwerke als „systemrelevant“ zur Sicherstellung der Energieversorgung länger laufen als die im Rest der Republik. Das hieße dann lt. Aussagen des GKM für Mannheim: 2033. Zu lang zweifellos, aber die Gesamtreihenfolge stimmt nicht. Gleichzeitig werden die Subventionen für die Energiekonversion (z.B. G- und D-Turbinen) nur für einen kürzeren Zeitraum gewährt, so dass die Süddeutschen gar nicht drankommen. Die Aufregung über den Kabinettsbeschluss zum Kohleausstieg war bei der Feier zum Anschluss der Müllverbrennung an die Mannheimer Fernwärme uni sono: Vom Landesumweltminister über den Oberbürgermeister und MVV-Aufsichtsratsvorsitzenden, zum Vorstandsvorsitzenden der MVV. Auch der GKM-Miteigentümer EnBW hat sich inzwischen so geäußert.

Man sieht: Innerhalb weniger Tage verrutscht der GKM-Kohleausstieg um fünf Jahre, was erst einmal positiv aussieht aber im Gesamtsystem – welches insgesamt zu langsam ist – keinerlei Sinn macht.

Perspektiven und Notwendigkeiten für die GKM-Belegschaft

Die ca. 570 Beschäftigten des GKM müssen sich auf einen langen Transformationsprozess einstellen. Die GKM-Belegschaft ist nicht die erste, die einen solchen Prozess durchlaufen muss. Ähnliches zeichnet sich auch für die Automobilbranche ab. Äußerst schmerzlich und vernichtend war z.B. die Umstrukturierung des GE-Konzerns in der Sparte Großkraftwerke für die Mannheimer Belegschaft. Es ist die Pflicht des GKM-Vorstandes, den anstehenden Prozess gemeinsam mit dem Betriebsrat und der Gewerkschaft sozialverträglich zu gestalten. Auch die kommunale Wirtschaftspolitik trägt hier eine Mitverantwortung. Elemente eines solchen Prozesses müssen eine demografisch sehr bewusste Personalpolitik sein, die Ansiedelung der Brückentechnologie G- und D-Turbinen auf dem Gelände des GKM, die Eröffnung einer Industriepark-Perspektive mit Übernahme- und Beschäftigungsgarantien. Dies alles ist leichter gesagt als getan, insbesondere bei den gegenwärtig sprunghaften und verworrenen politischen Rahmenbedingungen. Wichtig ist aber, aus der nur beharrenden Defensive in die Initiative und Offensive zu kommen.

Thomas Trüper, Stadtrat DIE LINKE | Fraktion LI.PAR.Tie.