SEK-Einsatz gegen vier Mitglieder einer Jugend-Delegation aus Westafrika

Eine sehr aktuelle Forderung auf der Demonstration gegen Polizeigewalt am 2. Mai zum Jahrestag des tödlichen Polizeieinsatzes am Rande des Maarktplatzes. Bild: KIM

Mannheim, 3.5.23. Wenn man den inzwischen auch über die Presse bekannt gemachten Vorgang von seinem Ende her betrachtet, so bleiben einem nur Entsetzen und Scham. Und wieder einmal die Feststellung: Hier offenbarte sich ein ganz offensichtlich rassistisch motiviertes Vorgehen von Polizeikräften, welches vier junge Männer zu Tode erschreckte und ernsthaft traumatisierte. Für alle, denen am internationalem Jugendaustausch im Rahmen der „UN-Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft“ und an sicherem Aufenthalt auch afrikanischer Gäste in Deutschland und auch in Mannheim liegt, stellt es eine unerhörte Peinlichkeit dar. Ein Schock für alle, die für universelle Menschenrechte und respektvollen Umgang aller Menschen untereinander eintreten.

Was ist am 27.4. geschehen und wie entwickelte sich das Drama von vorne?

Auf Einladung der Black Academy in Mannheim und mit Unterstützung des Goehte-Instituts und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung traf in Mannheim vor drei Wochen eine achtköpfige Delegation aus westafrikanischen Staaten ein, vier jungen Frauen und vier Männer. Sie alle sind in ihren Heimatländern als Umweltaktivist:innen tätig; sie arbeiteten in Mannheim an Projekten zum Klimawandel und zur Sichtbarkeit schwarzer Aktivist:innen. Sie trugen ihre Arbeitsergebnisse in der vergangenen Woche auch dem Oberbürgermeister voller Enthusiasmus vor.

Die vier jungen Männer waren in den drei Wochen in einer Wohnung in Käfertal untergebracht, die seit mehr als einem Jahr als Büro- und Aufenthaltsräume von dem einladenden Verein angemietet war. Unglücklicherweise erwies sich jetzt der Untervermieter als ein von der Polizei Verdächtigter aus dem Drogen- und Waffenmilieu. „Nach intensiven Ermittlungen“ sollte dieser der Polizei zufolge zusammen mit einem anderen ebenfalls verdächtigten Mann am 27.4. früh morgens in seiner Wohnung festgenommen werden. Dazu seien zwei richterliche Durchsuchungsbeschlüsse vorgelegen. Da es Hinweise auf eine Bewaffnung der beiden Gesuchten gegeben habe, sei das Spezialeinsatzkommando (SEK) hinzugezogen worden.

Dieses stürmte die Wohnung. Nach Aussage einer Zeugin war die Wohnung zweigeteilt. Der eine Teil sei von dem Untervermieter bewohnt gewesen. Das SEK brach die verschlossene Verbindungstür zum anderen Wohnungsteil auf. Was dann geschah, wird von der Polizei gänzlich anders dargestellt als von Personen, die nach dem Einsatz mit den Betroffenen sprechen konnten. (Diese sind inzwischen wieder in ihre Heimatstaaten zurückgekehrt). Die Polizei behauptet: „Beim schlagartigen Betreten der Wohnung der Beschuldigten in den frühen Morgenstunden über den Haupteingang, verließen vier Männer die Wohnung über die Terrassentür auf der Gebäuderückseite. Aufgrund ihres Aufenthaltes in der Wohnung der Beschuldigten und des fluchtartigen Verlassens der Wohnung bei Eintreffen der Polizei, wurden sie angehalten und einer Kontrolle unterzogen.“
Nach Darstellung der Betroffenen seien sie in ihren Betten überrascht worden und hätten angesichts der Vermummung und schweren Bewaffnung der SEK-Beamt:innen, die sie überhaupt nicht einordnen konnten, Todesangst gelitten. Sie seien aufgefordert worden, sofort die Wohnung durch den Vorderausgang zu verlassen. Die Betroffenen seien in ihrer Nachtwäsche, teils sogar barfuß, den Blicken von Passant:innen ausgesetzt gewesen und hätten sehr gefroren. Sie seien mit Kabelbindern schmerzhaft, teils blutig gefesselt worden und hätten sich auf den Boden legen müssen.
Auch nach Rückfrage von Kommunalinfo bei der Polizei beharrt die Stabsstelle: „Die betroffenen Personen wurden nicht im Zimmer sondern beim Verlassen des Gebäudes auf der Gebäuderückseite bei Eintreffen der Polizeibeamtinnen und -beamten festgestellt. Ihnen wurde aus ihrem Zimmer weitere Kleidung gebracht und sie konnten sich witterungsentsprechend kleiden.“ Die Polizei bestätigt, dass die jungen Leute den Grund ihres Aufenthalts in Mannheim dargelegt hätten. Sie selbst sagten zudem, sie hätten sofort und unaufgefordert ihre Pässe vorgezeigt.

Dieser Widerspruch könnte gelöst werden, wenn die Polizeibeamt:innen Bodycams getragen und eingeschaltet hätten. Ob dies der Fall war, konnte bzw. wollte spontan von der Pressestelle der Polizei nicht beantwortet werden. Dass der Oberbürgeremeister – er hatte die jungen Leute am Folgetag erneut ins Rathaus eingeladen und lange Zeit mit ihnen gesprochen – durch die Schilderungen der Betroffenen zutiefst erschüttert war und sich genötigt sah, sich bei ihnen für das schlimme Erleben in Mannheim zu entschuldigen, ohne dafür Verantwortung zu tragen, veranlasst die Mannheimer Polizei offenbar nicht, Beweise vorzulegen, die irgend jemanden von der Korrektheit ihrer Version überzeugen könnten. Wie in vielen vorangegangenen Fällen, muss man auch hier davon ausgehen, dass Bodycams nicht eingeschaltet waren, auch nicht außerhalb der Wohnung.

Die Informationspolitik der Polizei wirft im Übrigen massive Fragen auf. Fünf Tage schweigt sie – angeblich, um laufende Ermittlungen nicht zu gefährden. Erst als immer mehr durchsickert und bis aus Berlin Fragen gestellt werden, gibt die Polizei eine äußert lückenhafte Erklärung heraus. Heute, am 3. Mai, wird die ganze Republik zum Zeugen gemacht, wie im Falle einer Groß-Razzia ebenfalls im Waffen- und und Drogenmilieu, in den frühen Morgenstunden in sieben europäischen Ländern und fünf Bundesländern mutmaßliche Mitglieder der `Ndragheta in Handschellen und warm gekleidet aus ihren Wohnhäusern abgeführt und in Autos gesetzt werden, vor laufenden Fernsehkameras. Gefährdung der Ermittlungen?

Wer derart informiert wie das Polizeipräsidium in Mannheim, setzt sich dem sehr starken Verdacht aus, etwas verbergen zu wollen und eine Legende zu bilden. Denn plausibel ist es nicht, warum die vollkommen überrumpelten jungen Menschen aus Afrika, die mit ihrem Kopf nicht beim Thema Kriminalität sondern bei umweltpolitischer Vernetzung waren, eine angeblich falsche Erzählung aus dem Hut zaubern sollten. Die Polizei begründet ihr Vorgehen mit dem Umstand, dass in der für sie vollständig unerwarteten Situation angesichts von vier Schwarzen natürlich auch diese Anlass gegeben hätten, auf Drogen und Waffen untersucht zu werden. Schwarze und Dealer – das ist für viele Polizeibeamt:innen ein Synonym. Selbst wenn man eine Vernehmung der unerwartet Vorgefundenen noch zugesteht – die nachfolgende Behandlung der kooperationsbereiten jungen Männer, die sie als vollkommen entwürdigend erlebten, ist inakzeptabel und menschenverachtend, offenkundig schwarze Menschen verachtend. Das racial profiling, welches Deutsche und Nichtdeutsche schwarzer oder dunkler Hautfarbe immer wieder anlasslos und unbegründet auf unseren Straßen erleben müssen, trägt den selben Fußabdruck.

Das Vorgehen der Mannheimer Polizei samt des unterstützenden SEK bedarf dringend der umfassenden Aufklärung. Im Ausschuss für Sicherheit unter Leitung des Mannheimer OB-Kandidaten Christian Specht (CDU), u.a. Sicherheitsdezernent, war gestern keinerlei Beitrag in diese Richtung von Polizei oder dem Dezernenten zu hören. Die Stadträt:innen waren empört, ohne Vorinformation in diese Sitzung zu kommen und forderten ebenfalls Klarheit.

Auch wenn die Betroffenen wieder zurück in Afrika sind – ihre erniedrigende Behandlung muss lückenlos aufgeklärt werden. Das schon wieder oder weiter ramponierte Vertrauen in die Polizei kann nur wieder aufgebaut werden durch systematische Unterbindung rassistischer Tendenzen und Netzwerke innerhalb der Polizei – wahrlich kein neues Thema, aber immer wieder, so auch in diesem Fall, von der Polizei weit von sich gewiesen.

Thomas Trüper




Corona ist kompliziert – Rechtsanwältin Bahner ist darauf ausgerutscht

Nachdem Rechtsanwältin Beate Bahner mit ihrem Eilantrag vor dem BVG scheiterte, erließ höchst persönlich eine Corona-Auferstehungs-Verordnung“. (Bild: Rainer Lück,, CC BY-SA 3.0 de)

Eigentlich ist das Thema: Eilantrag der Rechtsanwältin Beate Bahner an das  Bundesverfassungsgericht zur Außerkraftsetzung der Covid-19-Verordnungen der Landesregierungen bei näherer Betrachtung der Klage selbst schon, aber vor allem durch das aktuelle weitere Schicksal der Anwältin nicht (mehr) geeignet, groß darüber zu berichten – dies hat zu leicht schon den Beigeschmack des Nachtretens. Darüber gab es auch Diskussion in der KIM-Redaktion. Andererseits ist das Spannungsverhältnis zwischen Anforderungen aus der Covid-19-Eindämmung und –Bekämpfung einerseits und der Gültigkeit und Verteidigung von Grundrechten andererseits zu bedeutend, um es wegen eines vollkommen verunglückten Lösungsversuchs unbeachtet zu lassen, insbesondere, wenn am Ende die Akteurin auch noch in der Psychiatrie landet. Wenn da nicht die Alarmglocken läuten!

Doch der Reihe nach bzw. umgekehrt: Das Drama von seinem vorläufigen Ende her betrachtet: Nach Angaben des zuständigen Polizeipräsidiums Mannheim habe Frau Bahner am Abend des Ostersonntags (12. April) auf der Straße einen Mann um Hilfe gebeten, weil sie verfolgt werde. Der Mann habe die Polizei alarmiert. Diese habe aufgrund des Gesprächsverlaufs den Eindruck gehabt, dass Frau B. verwirrt sei und medizinischer Hilfe bedürfe. Frau B. habe Widerstand geleistet. Die Unipsychiatrie, der Frau B. vorgestellt wurde, habe Frau B. stationär aufgenommen. Diese Vorgänge, so die Rhein-Neckar-Zeitung, habe Frau B. auch in einem Audio-Chat mit ihrer Schwester bestätigt, der der Zeitung vorliege (und inzwischen auf youtube zu hören ist. Sie spricht dort von „dunklen Mächten“, von „Anweisungen von ganz oben“, die man erst noch eingeholt habe, und dass man sie ja „in der ganzen Welt“ kenne). Den diensthabenden Polzeibeamt*innen dürfte zu diesem Zeitpunkt zunächst nicht klar gewesen sein, dass der Heidelberger Staatsschutz bereits gegen Frau B. wegen öffentlichen Aufrufs zu einer Straftat ermittelte, nämlich wegen Aufrufs zu bundesweiten Demonstrationen am 11.4. gegen die Anti-Covid-19-Maßnahmen unter Missachtung der bundesweiten Versammlungsverbote. Das Motto der Demo sollte lauten: „Coronoia 2020: Nie wieder mit uns. Wir stehen heute auf“. Auf ihrer Website kann man inzwischen lesen: „Anwältin Beate Bahner gewaltsam in Psychiatrie verfrachtet“; ein Link zur Story führt auf die Website „Impfkritik.de“.

Frau Bahners Website war zuvor wegen des Demo-Aufrufs am 9.4. vorübergehend auf Veranlassung des Polizeipräsidiums Mannheim abgeschaltet worden.

(Nachtrag 15.4.: Laut ihrer Website wurde Frau Bahner gestern abend aus der Heidelberger Psychiatrie entlassen.)

Eilantrag beim BVG

Zur Begründung ihres am 8.4. gestellten Eilantrags schreibt Frau Bahner: „Der Antrag ist begründet, weil alle Corona-Verordnungen der Landesregierungen offensichtlich verfassungswidrig sind und einen staatszersetzenden Angriff auf den Rechtsstaat, die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland, die Grundrechte und die unveräußerlichen Menschenrechte darstellen.“ (S. 18)

Weiter schreibt sie: „Die Panikmache der Regierungen und der Medien sind beispielhaft für die Manipulation ganzer Gesellschaften und für die Zerstörung des Vertrauens und insbesondere des gesunden Menschenverstands nicht nur aller 83 Millionen Menschen in Deutschland, sondern der Menschen in der ganzen Welt! Dies ist eine beispiellose Propaganda, wie Deutschland sie zuletzt im dritten Reich erlebt hat. Zwischenzeitlich sind hunderttausende Existenzen in Deutschland zerstört worden, die Menschen sind in den letzten drei Wochen in beispielloser Weise ihrer Freiheit beraubt worden. Insbesondere wurde die Gesundheit – insbesondere der von der Außenwelt und den Angehörigen abgeschnittenen alten und kranken Menschen in unmenschlicher und zynischer Weise – für die Antragstellerin vergleichbar nur mit der ungeheuerlichen Verfolgung und Ermordung der Juden und weiterer Bevölkerungsgrippen (sic!) im Dritten Reich – schwer geschädigt worden.“ (!!) (S. 24)

Ihre Argumentationskette basiert auf einer vollkommenen Negierung der Gefährlichkeit der Pandemie und auf einer – für eine Fachanwältin für Gesundheitsrecht verblüffenden – Fehlinterpretation des Infektionsschutzgesetzes (IfSG). Dort heißt es:

„Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt (…) so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, (…), soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.“ (§ 28 Abs. 1 IfSG). Sie schließt daraus, dass „Maßnahmen gegen gesunde Dritte nur in engen Ausnahmefällen“ ergriffen werden dürfen. Dass nun aber scheinbar „Gesunde“ (Menschen ohne Symptome) eben auch Infizierte und damit „Ausscheider“ sein können, und dass der Nachweis des noch ziemlich neuen Erregers schwierig und erst mit erheblichem zeitlichen Verzug in größerem Umfang durchgeführt werden kann, spielt in ihren Überlegungen keinerlei Rolle. Daher vergleicht sie die Einschränkung der Bewegungsfreiheit mit der Behandlung von „Kriminellen“: „Noch nie in der Geschichte der BRD wurden friedliche und gesunde Menschen innerhalb von zwei Wochen kriminalisiert.“ (S. 18). Deshalb dann die Forderung nach sofortiger Aufhebung aller getroffenen Einschränkungen.

„Corona-Auferstehungs-Verordnung“ vom 11. April 2020

Von erheblichem – schon religiös zu bezeichnenden – Sendungsbewusstsein zeugt ihre „Auferstehungs-Verordnung“, die man nach allem von ihr verfassten Schriftgut nicht als Satire begreifen kann. Nach der Niederlage mit dem Eilantrag vor dem BVG sieht sie sich als aus Art. 20 (4) GG zum Widerstand ermächtigt: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese (verfassungsmäßige) Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“

Da nun die Bundes- und die Landesregierungen und die Mitglieder des Bundestages aus ihrer Sicht willkürlich die verfassungsmäßige Ordnung im Begriffe sind zu vernichten, macht sie von ihrem (ganz individuell verstandenen) Widerstandsrecht Gebrauch, indem sie feststellt: „Hiermit ergehen auf Basis der vorgenannten Artikel des Grundgesetzes und der darin verankerten freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland die folgenden Verfügungen“, nämlich die Aufhebung aller einzelnen Maßnahmen. Folgt noch die Androhung von „gravierenden Konsequenzen“ bei Verstößen. Und abschließend heißt es: „Die Corona-Auferstehungs-Verordnung vom 11. April 2020 gilt bundesweit und tritt mit sofortiger Wirkung in Kraft. Beschlossen und verkündet durch Beate Bahner, die seit der Erarbeitung dieser Verordnung beschlossen hat, ihre Anwaltszulassung bis auf weiteres zu behalten. Beate Bahner Heidelberg, den 11. April 2020, 19 Uhr“.

Das gesellschaftliche Echo

Am selbigen Tag sollten ja überall Corona-Demos stattfinden. Beispielsweise in Berlin Mitte gab es lt. RBB Resonanz bei 300 bis 350 Personen: „Der Verein ‚Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand‘ hatte im Internet zu der nicht genehmigten Demo aufgerufen. Er bezeichnet die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus als ‚Ermächtigungsgesetz‘ und den Zustand als ‚de-facto-Diktatur‘. Laut Polizei hatte es zu der Veranstaltung ‚weder eine Anmeldung noch den Versuch einer Anmeldung gegeben‘.“ In Heidelberg waren lt. Blog auf „impfkritik.de“ 2 Leute unterwegs.

Dass Frau Bahner zunehmend „befremdlich“ geschrieben hat und vollkommen einseitig und unter Ausschluss der tatsächlichen medizinischen Diskussion argumentiert, ist das Eine. Dass viele, die sich mit dem Spannungsverhältnis zwischen medizinischer Vernunft und Einforderung der Grundrechte beschäftigen, Beate Bahner zunächst folgten und teilweise immer noch folgen, macht deutlich, dass in Corona-Zeiten mit den eher zunehmenden Wissens-Unsicherheiten das Urteilsvermögen extrem herausgefordert wird. Auch hier gilt offensichtlich: Die einfache Lösung ist nicht unbedingt die richtige.

Thomas Trüper

 




Versammlungsrecht: Stadt Mannheim stand als Beklagte vor Gericht und unterliegt

Im April 2017 hätte eine angemeldete Demonstration in Mannheim stattfinden sollen. Diese wurde von der Verwaltung per Verbotsverfügung untersagt. Die Anmelderin der Demonstration reichte daraufhin Klage beim Verwaltungsgericht Karlsruhe ein (AZ 1 K 9981/17). Diese wurde am 27.05.19 öffentlich verhandelt. Vertreter der Stadt und des Polizeipräsidiums Mannheim gaben am Verhandlungstag kein gutes Bild ab. Im am 29.05.19 mündlich verkündeten Urteil stellt das Gericht fest, dass die Stadt Mannheim rechtswidrig gehandelt hatte.

 

Rückblende

Für den 08.04.17 hatte ein Bündnis eine Demonstration in Mannheim mit dem Titel „Staatsterrorismus stoppen! Weg mit dem Verbot der PKK!“ angemeldet. Dieses Bündnis bestand aus der Antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD) organisiert in der Interventionistischen Linke (iL), Linksjugend Mannheim, der  Interventionistischen Linke Rhein-Neckar (iL Rhein-Neckar) und Ciwanên Azad Rhein-Neckar. In einer Pressemitteilung der AIHD wurde am 22.05.19 mit Bezug auf den anstehenden Gerichtsprozess in Karlsruhe vermeldet:

„Nachdem die beiden ursprünglich angesetzten Verhandlungstermine verschoben wurden, verhandelt das Verwaltungsgericht Karlsruhe nun am 27. Mai 2019 über die Rechtmäßigkeit eines Versammlungsverbots, das die Stadt Mannheim im April 2017 verhängt hatte.

Zum Hintergrund:
Für den 10. April 2017 hatte ein Bündnis kurdischer und kurdistansolidarischer Gruppen aus der Rhein-Neckar-Region in Mannheim eine Demonstration unter dem Titel „Staatsterrorismus stoppen! Weg mit
dem Verbot der PKK!“ angemeldet. Der Protest sollte sich gegen die Verfolgung von oppositionellen und kurdischen Gruppen in der Türkei und gegen die Kriminalisierung der kurdischen Bewegung in der BRD richten, in deren Zentrum das 1993 verhängte Verbot der PKK steht. Der Zug sollte die Forderungen nach einem Ende der Repressalien in der Mannheimer Innenstadt sichtbar machen. Nachdem mit dem Ordnungsamt der Stadt Mannheim in einem ersten Kooperationsgespräch geringfügige Routenänderungen aufgrund von Baustellen abgesprochen worden waren, vollzog die Behörde wenige Tage vor der Demonstration plötzlich eine 180-Grad-Wende und verbot die Demonstration komplett.
Zur Begründung wurden ausschließlich Gemeinplätze bemüht, darunter ein angeblich angestiegenes „Aktions- und Aggressionsniveau der gewaltbereiten Linksextremisten“ sowie ein pauschal unterstelltes „bei den jungen Kurden vorhandenes Gewaltpotenzial“. Als Belege führte die Stadt Mannheim mehrere kurdische Versammlungen an, bei denen es – häufig provoziert durch türkische Rechte – zu Konflikten gekommen sein sollte. Außerdem verwies die Ordnungsbehörde auf das wenige Tage zuvor
verschärfte Verbot praktisch aller Kennzeichen kurdischer Organisationen, darunter auch zahlreicher völlig legal arbeitender Vereine; man erwarte Verstöße gegen diese neue Regelung. Da angesichts der brutalen Verfolgungen in der Türkei nach dem „Putschversuch“ im Sommer 2016 die Emotionalisierung bei diesem Thema besonders hoch sei, könne eine Demonstration dazu nicht stattfinden.
Die einzigen Punkte, die die Stadt Mannheim mit direktem Bezug auf die angemeldete Demonstration vorbrachte, waren ein Facebook-Post im Vorfeld, das ein Foto von vermummten Teilnehmern einer
1.-Mai-Demonstration in Istanbul zeigte, sowie ein Mobilisierungs-Video, in dem verbotene Symbole und Graffiti zu sehen waren.  Eine konkrete Gefahr durch die angemeldete Demonstration zeigte die
Versammlungsbehörde nicht auf. Die pauschalen Unterstellungen von denkbaren Straftaten und die inkriminierten Facebook-Veröffentlichungen sind als Begründung für die Aufhebung eines zentralen Grundrechts wie der Versammlungsfreiheit absolut untauglich. Das will die Anmelderin mit
ihrer Klage gerichtlich festgestellt wissen.
Die Verhandlung findet am Montag, 27. Mai 2019 um 11.30 Uhr im
Sitzungssaal 1 des Verwaltungsgerichts Karlsruhe (Nördliche
Hildapromenade 1, Erdgeschoss) statt.“

Anmerkung der Redaktion: Tatsächlich angemeldet war die Demo für den 08. April 2017.
KIM hatte berichtet https://kommunalinfo-mannheim.de/2017/04/04/wir-sind-nicht-unbedingt-geschockt-weil-wir-von-der-doppelmoral-wissen-interview-mit-der-kurdischen-jugend-ciwanen-azad/

Der Gerichtsprozess beginnt mit einem Paukenschlag 

Drei Berufsrichter, unter dem Vorsitz von Herrn Vogel, und zwei ehrenamtliche Richter bot das Verwaltungsgericht am Verhandlungstag auf. Für die Beklagte fanden sich Frau Aumüller (Stadt Mannheim; Fachbereich Sicherheit und Ordnung) und Polizeidirektor B. Bühler (Polizeipräsidium Mannheim) ein. Die Anmelderin und somit Klägerin, Silke Makowski, mit Rechtsbeistand RA Heiming waren ebenso vor Gericht vertreten. Die Verhandlung wurde von Zuschauern begleitet.

Gleich zu Beginn stellte Frau Aumüller den Antrag die Klage abzuweisen. Der Vorsitzende stellte dieses Ansinnen zurück und wollte zuerst in die Beweisaufnahme eintreten.

Kooperationsgespräche und Verbotsverfügung 

Im Vorfeld der für den 08.04.17 angemeldeten Demonstration fand am 21.03. ein erstes Kooperationsgespräch statt. Was als übliche Praxis betrachtet werden kann. Laut den Einlassungen der Prozessbeteiligten vor Gericht, verlief dieses zielorientiert und zeigte Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten, was z.B. die Demo-Route anging. Es war davon auszugehen, dass die Veranstaltung unter Auflagen stattfinden kann.

Total überraschend für die Anmelderin kam eine Einladung zu einem zweiten Kooperationsgespräch am 31.03.17, welches eher unüblich ist.

Dort wurde der Anmelderin klar gemacht, dass eine Demo unter keinen Umständen genehmigt werden wird. Maximal eine stationäre Kundgebung in Mannheim – unter strengen Auflagen – und mit starkem Polizeiaufgebot (inklusive Wasserwerfer). Die beklagte Partei im Prozess widersprach dieser Darstellung und berief sich auf die Verbotsverfügung (liegt dieser Redaktion vor).

Der Vorsitzende stellte fest, dass man an dieser Stelle nicht weiterkommen würde, da Aussage gegen Aussage stehen würde, und stieg tiefer in die Beweisaufnahme ein.

Die Motivation der Behörden die Veranstaltung zu untersagen wurde infrage gestellt / Welche Rolle spielten dabei Erkenntnisse von Verfassungs- und Staatsschutzbehörden? 

Die Richter des Verwaltungsgerichts wollten wissen, ab welchem Zeitpunkt bestimmte Verdachtsmomente bestanden, die Veranstaltung zu verbieten und ob es hierfür schriftliche Belege gäbe, die sich nicht in der Gerichtsakte befinden. Zudem wurde gefragt, ob es bei der Anmelderin Zweifel gibt, als Versammlungsleiterin zu fungieren.

Die erste Frage des Vorsitzenden, ob der Stadt Mannheim der damals neue Erlass des Bundesinnenministerium (erweitertes Verbot bzgl., Zeigen pro-kurdischer Symbole/Vereinsgesetz) bekannt gewesen sei, konnte Frau Aumüller nicht beantworten. RA Heiming sagte, dass dieser Erlass Thema des ersten Kooperationsgesprächs war und entsprechende Unterlagen verteilt wurden.

Polizeidirektor B. Bühler führte an, dass ein Mobilisierungsvideo, illegal geklebte Plakate und Graffitis zusammen mit Erkenntnissen der Verfassungs- und Staatsschutzbehörden das Verbot gerechtfertigt haben.

Die Rechtfertigung der beklagten Partei fußte auf der Annahme, die öffentliche Ordnung und die Unversehrtheit für Leib und Leben, unbedingt gesichert wissen zu wollen. „Provokationen den Demoteilnehmern“ gegenüber wollte man Vorhalt gebieten, gewaltbereite Linksautonome wollte man nicht sehen in Mannheim.

Das Gericht wollte wissen, ob Bühler schriftliche Belege für die Einschätzungen seitens Verfassungsschutz/Staatsschutz vorlegen könne. Dies wurde von ihm verneint. „Wurde nur mündlich übermittelt“ (sinngemäß).

Nachgefragt wurde seitens des Gerichts auch, ob die beklagte Partei Protokolle über die Kooperationsgespräche gefertigt hat. Dies konnte nur für das erste Gespräch am 21.03.17 bestätigt werden. Was das zweite Gespräch angeht, wurde vermeldet, dass es eine behördeninterne E-Mail-Korrespondenz gibt, die allerdings datiert ist, knapp 6 Monate nach der Verbotsverfügung. Ein Protokoll, wie beim ersten Gespräch, würde nicht existieren.

In puncto der Anmelderin wollte das Gericht wissen, ob es Bedenken gäbe was die Qualifikation angeht. Die beklagte Partei, sagte dass es keine Gründe gab und gibt Frau Makowski nicht als geeignete Anmelderin oder Versammlungsleiterin anzuerkennen.

Das Gericht wollte auch von der beklagten Partei wissen, welche Erkenntnisse zum Gefahrenpotenzial zählen, um die Verbotsverfügung zu begründen:

Angeführt wurde von Frau Aumüller, dass die Mannheimer Innenstadt überwiegend von Migranten mit türkisch-nationalem Gedankengut bewohnt wird. Der Vorsitzende fasste nach und fragte, wie sich dies begründen lies? Aumüller (sinngemäß) „Rund um den Marktplatz gibt viele türkische Lokale und Geschäfte“

Herr Bühler sagte, dass Erkenntnisse der Verfassungs- und Staatsschutzbehörden einen Beitrag geliefert hätten. Ursprünglich waren diese Behörden davon ausgegangen, dass etwa 150 „bekannte Linksautonome“ mit einer latenten Gewaltbereitschaft an der Demo teilnehmen könnten. Eine weitere Analyse hätte ergeben, dass der Personenkreis auf 100 Personen eingeschränkt werden kann. Exemplarisch wurde im Prozess das Facebook-Nutzerprofil eines Ali H. (Identität der Redaktion bekannt) bemüht. Dieser habe den Aufruf zur Demo mit persönlichen Kommentaren gespickt in seinem Facebook-Profil geteilt.

Erst auf Nachfrage des Gerichts reichte die Stadt Mannheim, vor dem Prozesstag, eine Liste nach, die das Gefahrenpotenzial für die Demo am 08.04.17 aus Sicht der Behörden beschreibt:

(Beispiele)

  • 2012: Kurdisches Kulturfestival in Mannheim -> Verwaltungsgericht sagte bei der Verhandlung, dass eine Kulturveranstaltung auf einer Liegenschaft der Stadt Mannheim (Maimarktgelände) sich schlecht eignet, was das Datum und die Art der Veranstaltung angeht
  • 2015: Demo des Bündnisses „Mannheim gegen Rechts“ (gegen PEGIDA im Rhein-Neckar-Raum) -> Gericht stellte infrage, ob der Vergleich im Kontext mit der Klage steht
  • Diverse weitere pro-kurdische Demonstrationen im Rhein-Neckar-Raum ab 2016 (z.B, Solidemos für Rojava, Afrin und Marsch nach Strassburg) -> Gericht konnte spontan keinen Bezug zur angemeldeten Demo (08.04.17) herstellen

Mobi-Video: Polizeidirektor sieht Gespenster 

Vor Gericht wurde ein seinerzeit, vor der geplanten Demonstration, verbreitetes Mobilisierungsvideo mehrfach abgespielt. Dies erfolgte im Rahmen der Beweisaufnahme.

Bühler glaubte in dem Video-Clip einen (gewaltbereiten) Schattenboxer zu sehen und jugendliche, kurdische AktivisitInnen, die den „Wolfsgruß“ zeigen. Plus weiterer strafrelevanter Tatbestände.

Richtig ist, dass in diesem Clip verbotene Symbole gemäß aktueller Rechtsprechung (in einem geschlossenen Raum) durch die Veröffentlichung 2017 gezeigt wurden (z.B. das Konterfei von Abdullah Öcalan).

Der Vorsitzende stellte fest; dass es untypisch ist, dass kurdische Aktivisten den „Wolfsgruß“ zeigen, da dieser allgemein der rechtsextremen Gruppierung der „Grauen Wölfe“ zuzurechnen sei.

Das vermeintliche „Schattenboxen“ im Video wurde vor Gericht aufgeklärt: „Eine Hand trägt Kleister auf“ (um danach ein Plakat anzubringen).

Das Gericht fragte B. Bühler, ob gegen den Urheber des Video Ermittlungen erfolgten und ob Textpassagen in die deutsche Sprache übersetzt worden seien.

Bühler (sinngemäß): „Ermittlungen seien damals eingeleitet worden. Resultate würde er nicht kennen. Und es wurden, seines Wissens nach, keine Übersetzungsversuche unternommen“.

RA Heiming, als Vertreter der Klägerin, sagte hierzu (sinngemäß): „Zuerst wurde in deutscher Sprache musikalisch vorgetragen „Hoch lebe die internationale Solidarität“ und des Weiteren in kurdischer Sprache eine Sympathiebekundung für Abdullah Öcalan.“

Gericht zieht ein Fazit und kündigt Urteil an 

Das Gericht wies den Antrag der Stadt Mannheim auf Abweisung der Klage zurück. Begründet hat dies der vorsitzende Richter Vogel mit der fundamentalen Bedeutung des Artikel 8 im Grundgesetz (Versammlungsfreiheit): Nicht schlüssig seien dem Gericht die Beweggründe für die Verbotsverfügung. Diverse Gerichtsurteile bzgl. Artikel 8 GG würden existieren, die teilweise eine weite Auslegung und Interpretation in der Rechtsprechung aufweisen. Das Gericht wird sich mit der Urteilsfindung intensiv beschäftigen.

Ein mündliches Urteil wurde für den 29.05.19 angekündigt.

Das Urteil und seine Auswirkungen

Am 29.05.19 sprach das Gericht das mündliche Urteil und stellt darin fest, dass die Stadt Mannheim mit der Verbotsverfügung rechtswidrig gehandelt hatte. Die Stadt Mannheim muss zudem die Kosten des Verfahrens tragen. Die schriftliche Begründung des Urteils wurde für Juni 2019 avisiert.

Als Konsequenz wird wohl davon auszugehen sein, dass die Stadt Mannheim (Fachbereich Sicherheit und Ordnung) und die zuständigen Stellen im Polizeipräsidium Mannheim künftig bei gleich oder ähnlich gelagerten Fällen gesetzeskonform im Sinne des Grundgesetzes entscheiden werden.

 

(Bericht und Fotos: Christian Ratz)