Kandel-Demos: Intermezzo und Schlagabtausch bei Gericht / Prozess geht in die vierte Runde / weiterer Prozess bahnt sich an

Archivbild: Kandel am 3.9.19

Am Amtsgericht Kandel wurde am 01.10.19 ein Verfahren fortgesetzt, über das wir bereits berichtet haben. Am 10.09. fand ein sogenannter „Springtermin“ bei Gericht statt. Dieser 10-minütige Termin diente formellen Gründen der Prozessführung vor Gericht. Am heutigen Verhandlungstag sagten zwei Polizeizeugen aus. Ein weiterer geladener Polizeibeamter fehlte unentschuldigt. „Videobeweise“ flossen in die Beweisaufnahme ein. Die Staatsanwaltschaft beharrt auf der Fortführung des Prozesses, obschon die bisherige Beweislage die Anklagevorwürfe kaum noch stützt.

 

„Videobeweis“ vorgeführt – „nichts zu sehen, was die Anklage stützt“

Am ersten Verhandlungstag wurde festgestellt, dass sich Videoaufnahmen in den Asservaten der Polizeibehörden befinden, die dem Gericht nicht vorlagen. Zudem wurde ein Video auf YouTube thematisiert.

Heute zog der vorsitzende Richter zum Verhandlungsauftakt zwei CDs aus seiner Akte. Auf diesen sollten sich die Aufnahmen der Polizei-Videografen vom 07.04.18 am Bahnhof Wörth befinden. Die erste CD lies sich aufgrund nicht näher bekannter technischer Probleme auf dem PC der Gerichtsstenographin nicht abspielen. Das Abspielen der zweiten CD mit mehreren Aufnahmesequenzen/-dateien funktionierte.

Gezeigt wurden die mehrminütigen Videodateien auf dem PC-Monitor der Gerichtsstenographin. Für die anwesenden Pressevertreter war aus deren Sitzposition nur ein sehr eingeschränkter Blick auf die Filmaufnahmen möglich. Zu hören waren nicht näher verständliche Stimmen vieler Menschen, das Bellen von Hunden und zu sehen waren Außenaufnahmen vom Bahnsteig in Richtung Zug. Jedoch keine Aufnahmen, die die Anklage stützen. Wie gesagt der Blick auf die Videovorführung war nur bedingt möglich. Eine Person, die die Aufnahmen ungehindert sehen konnte, sagte nach Ende des Verhandlungstages (sinngemäß): „Da war nichts zu sehen, was als belastendes Beweismittel herangezogen werden kann.“

Sitzungssaal Amtsgericht Kandel kurz vor Verhandlungsbeginn am 1.10.

Zwei Polizeizeugen sagen aus und tragen nicht zu neuen Erkenntnissen bei

Der erste vor Gericht vernommene Beamte sagte im Großen und Ganzen ähnlich aus, wie der Beamte am ersten Verhandlungstag, dem 03.09.19. Viel Erhellendes konnte der Zeuge heute in seinen Einlassungen vor Gericht nicht vortragen. Er sprach viel von „Dynamik“ an diesem Einsatztag. An genaue zeitliche Abläufe konnte er sich nicht mehr erinnern, auch nicht daran welche Personen, aus welchem Grund genau zur Identitätsfeststellung von wem aus dem Zugabteil herausgegriffen wurden. Nur in zwei Punkten war sich dieser Zeuge sicher: Er und der Zeuge vom ersten Verhandlungstag hätten den Angeklagten aus dem Zug geholt und ihn auf dem Bahnsteig an Beamte der Landespolizei übergeben. Und er konnte in einem der gezeigten Videos einen Kollegen identifizieren, in der Art und Weise, wie dieser seinen Schlagstock im Einsatz „führte“.

Diese Aussage entlockte den im Gerichtssaal anwesenden uniformierten PolizeibeamtInnen ein hämisches Lächeln. Diese waren zum Schutz der Verhandlung anwesend, wie auch ein Justizwachtmeister.  Wo der Grund für diese „Schutz- und Personeneinlasskontrollen“ liegt, bleibt das Geheimnis der Justizbehörden.

Auf die Frage der Verteidigung, wie der Zeuge auf die Polizeivideos aufmerksam wurde, antwortete dieser (sinngemäß):“ Auf meiner Dienststelle, aus privatem Interesse und um meine Erinnerungen mit den Filmaufnahmen abgleichen zu können.“ Und dann sagte der Zeuge, dass auch er ein Video auf YouTube gesehen hat von diesem Tag in Wörth. Dieses Video scheint auch dem Vertreter der Staatsanwaltschaft nicht unbekannt zu sein.

Gericht und Verteidigung waren sich augenscheinlich einig, dass die Einlassungen dieses Zeugen mehrheitlich als Schlussfolgerungen einzustufen sind. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft ordnete die Einlassungen des Zeugen eher als beweiskräftig ein.

 

Der zweite Polizeibeamte, der vernommen wurde, berichtete, dass er zu den Anklagevorwürfen keine Aussagen machen kann, da er diesbezüglich selbst keine Beobachtungen gemacht hat. Der Zeuge sagte, dass er auch keine Tritte und Schläge von Zugreisenden gegen seine Kollegen gesehen hat. Er stand beim Versuch des Betretens des Zugabteils in zweiter Reihe. Mitbekommen habe er, dass Menschen im Zug das Zugreifen seiner Kollegen durch Abwehrbewegungen versucht hätten zu verhindern. Einzelpersonen könne er diese Handlungen nicht zuordnen.

Der dritte Zeuge aus den Reihen der Polizei fehlte am heutigen Verhandlungstag unentschuldigt. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft fragte das Gericht, ob deswegen nicht eine Ordnungsmaßnahme gegen den Beamten verhängt werden könnte. Der Vorsitzende zuckte mit den Schultern und rollte die Augen: „Bundespolizei – Koblenz – gerichtliche Ordnungsmaßnahme?“

 

Prozess geht in Runde 4

Heute wurden noch keine Plädoyers gehalten. Dies unterstellte der Staatsanwalt jedoch dem Strafverteidiger. Dieser hatte lediglich angeregt sich erneut Gedanken zu machen, ob eine Prozessfortsetzung noch Sinn macht oder ob man nicht § 153a Strafprozessordnung („Absehen von der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen“) anwenden könnte.

Davon wollte der Staatsanwalt nichts wissen. Seiner Auffassung nach habe der Angeklagte bislang keine Bereitschaft zu einem Schuldeingeständnis, auch nicht in Teilen keine Reue, gezeigt.

Der vorsitzende Richter entschied, dass das mehrfach angesprochene YouTube-Video von „Experten“ mit Unterstützung der Staatsanwaltschaft als Beweismittel gesichert werden soll. Des Weiteren soll ein neuer Polizeizeuge vor Gericht geladen werden, sowie erneut der Beamte, der den Prozesstag heute geschwänzt hatte. Als Fortsetzungstermin wurde vom Gericht der 10.10.19, 13:30 Uhr festgelegt.

 

„Neuer Prozess bahnt sich an“

Am 07.10.19 wird vor dem Jugendschöffengericht am Amtsgericht Mannheim (ab 8:45 Uhr, Sitzungssaal 135) in öffentlicher Verhandlung der Prozess gegen einen Beteiligten am Protest gegen den Aufzug des sogenannten Frauenbündnis Kandel im März 2018 geführt.

Archivbild: Kandel März 2018

 

(Bericht und Fotos: Christian Ratz)

KIM-Bericht vom ersten Verhandlungstag (03.09.19):

https://kommunalinfo-mannheim.de/2019/09/03/kandel-demos-erneut-steht-antifaschist-vor-gericht-kaum-aufklaerung-am-ersten-verhandlungstag-mit-fotogalerie/




42. Landeskonferenz der NaturFreunde Rheinland-Pfalz: Rechtsruck stoppen – Entwicklungen in der Gesellschaft mit Angeboten begegnen (mit Fotogalerie)

Unter diesem Credo stand die Konferenz, die am 14. und 15.09.19 in Hochstadt (Südpfalz) stattfand. Eines stand schon nach dem ersten Konferenztag fest: Die NaturFreunde (NF), in diesem Landesverband mit über 4.500 Mitgliedern, wollen politischer werden. Über 60 Delegierte, die knapp 40 Ortsgruppen in Rheinland-Pfalz vertraten, nahmen an der eineinhalbtägigen Tagung teil.

 

Grußworte, Grußworte und noch einmal Grußworte, aber auch klare Aussagen

Begrüßt wurden die TeilnehmerInnen durch die bisherige und auch künftige Landesvorsitzende der NaturFreunde Doris Barnett (MdB, SPD). Daran gliederten sich Grußworte und solidarische Ansprachen vieler RednerInnen. Zuviele und auch zu lange gehalten, was den Zeitplan zum Wanken brachte.

Doris Barnett

Gesprochen haben neben VertreterInnen der NF  auch z.B. zwei Bürgermeister, eine Vertreterin des ADFC und Vertreter politischer Parteien.

An erster Stelle genannt, Kurt Beck (Ministerpräsident in RLP a.D.; SPD), der in seiner zeitlich diszipliniert gehaltenen Rede schwerpunktmäßig europapolitische Themen ansprach. Darunter das Verhältnis zu Russland und den Brexit. Sinngemäß sagte Beck: „Auf Rechtspopulisten, wie die in Großbritannien, welche das Demokratieverständnis in eine gefährliche Schieflage brachten, könne man verzichten.“ Was der MP a.D. sich von der Landestagung und deren TeilnehmerInnen wünschte: keine „Berg heil!“-Rufe mehr.

In der Wortwahl deutlicher wurden in ihren Grußworten Thomas Hitschler (MdB, SPD) und Alexander Schweitzer (MdL, SPD). Beide Politiker, Mitglieder der NF, berichteten u.a. von Erfahrungen aus den Parlamenten, in die sie gewählt wurden. „Die rechtsradikal bis rechtsextrem agierende AfD würdigt die Arbeit verfassungskonformer Parlamente, wie im Bundes- oder Landtag, massiv herab. Anfragen im Bundestag, bspw. die SPD verbieten wollen zu lassen, oder eine Anfrage im Stadtrat Berlin „Weshalb man keine Straßen oder Plätze nach Horst Wessel benennen kann“, liefern ein Zeugnis ab über die Ideologie dieser Partei. Beide Parlamentarier informierten in ihren Reden auch sehr individuell über den Widerstand in Kandel, Landau und Umgebung, was die seit Januar 2018 aus dem rechten Spektrum regelmäßig stattfindenden Aufzüge angeht.

Christian Baldauf (MdL, CDU) sprach am Nachmittag kurz zu den Delegierten. Was dieser Redner vorbrachte passte sogar nicht ins Programm. TeilnehmerInnen fragten: „Wer hat diesen Typen eingeladen?“. Krotesk erschien auch der Abgang des Redners: „Winkend in alle Richtungen, lief Baldauf, einer Mainzer-Karnevals-Veranstaltung gleich in Richtung Ausgang.“ Er wurde nicht aufgehalten und zurückgewinkt wurde eher nicht.

Christian Baldauf

Workshops mit Zukunfts bestimmenden Themen

Der Nachmittag war geprägt durch unterschiedliche Angebote: „Veganes Kochen“, „Betreuung des NF-Kalenders im Internet“, „Wandern mit einem politischen Thema“, „Taschenmesserkurs für die Jugendarbeit: Holzschnitzen“ oder mit einem Angebot sich argumentativ gegen rechte Hass- und Hetzparolen auseinander zu setzen. Diese u.a. Angebote mussten vom zeitlichen Ablauf her zum Teil einschränkend angepasst werden. Am Vormittag wurde zu viel Zeit auf wohlgemeinte, aber auch richtige und wichtige Reden, investiert.

NaturFreunde wollen politischer werden

In einer sehr emotional gehaltenen Rede wurde, an die über 1.000 NF-Mitglieder erinnert, die während der NSDAP-Zeit entweder in Konzentrationslagern oder in Gestapo-/SS-Gewahrsam um ihre Leben gebracht wurden. Michael Müller (Bundesvorstand der NF) sprach in seinem Impulsvortrag auch Themen wie Klima- (Solidarität mit der Fridays for Future-Bewegung) und Friedenspolitik kritisch an.

Zwei Anträge, die einstimmig beschlossen wurden, sollen an dieser Stelle exemplarisch genannt sein:

  • Die NF sprechen sich gegen die von der Bundesregierung beschlossene militärische Aufrüstung aus. Ramstein, Spangdahlen und Büchel sollen keine Basen für einen Angriffskrieg sein. Deutschland (die Bundesregierung) soll Waffenexporte in Krisengebiete verbieten
  • Als Ergänzungsantrag zur Vereinssatzung wurde beschlossen, dass explizit der AfD und anderen demokratiefeindlichen Parteien/Organisationen kein Zugang zu den NaturFreunde-Häusern gewährt wird. Zur Antragsbegründung wurde die Situation mit der AfD und der rechtslastigen Wählergruppe „Schneider“ in Speyer verwendet und wie man lokal mit der Problematik erfolgreich umgegangen ist.

Vorstandswahlen und Zusammenfassung

„Den Delegierten lag ein ausführlicher Rechenschaftsbericht des Landesvorstandes und der Fachgruppen über die Aktivitäten in den letzten drei Jahren vor. Wie berichtet wurde, hat es seit der letzten Landeskonferenz in Kettig eine Reihe von Veränderungen gegeben. Mit der Beteiligung an einem Programm der Bundeszentrale für politische Bildung haben die NaturFreunde Rheinland-Pfalz den Versuch gestartet, sowohl neue Themen und Zielgruppen anzusteuern als auch gezielt vor allem jüngere Interessierte fit zu machen für die Übernahme von Aufgaben und Verantwortung in den Ortsgruppen, die immerhin noch über 4.500 Mitglieder haben.

Eine weitere Veränderung auf Landesebene ist die Einstellung einer Umweltwissenschaftlerin im Landesbüro, die neben der Wahrnehmung der Aufgaben als anerkannter Naturschutzverband, die Ortsgruppen bei der Entwicklung und Durchführung von Umweltprojekten unterstützten wird. Hinzu kommt ein verstärktes Engagement für Vielfalt und Offenheit in der Gesellschaft (N.B. Stärkenberatung). Eine wirkungsvolle Politik gegen den Klimawandel und das Engagement dafür sind ein weiteres wichtiges Thema, an dem die NaturFreunde nicht nur in Rheinland-Pfalz arbeiten. Diese Entwicklungen fanden breite Zustimmung der Delegierten. Der Vorstand wurde einstimmig durch die Delegierten entlastet.

Im Anschluss wurden 15 Anträge aus dem Landesverband beraten und verabschiedet. Zehn der fünfzehn Anträge setzten sich mit der Weiterentwicklung der NaturFreunde und ihrer Aktivitäten auseinander. Die aktive Verbandsentwicklung gehörte ebenso dazu, wie die Werbung neuer Mitglieder, das Aufgreifen weiterer und neuer Themen in der Arbeit der NaturFreunde oder Beitragsfragen.

Zur langen Tagesordnung der Konferenz gehörten auch die Wahlen des Landesvorstandes und weiterer Landesgremien: Doris Barnett, die bisherige Landesvorsitzende wurde ebenso, wie die anderen Mitglieder des Landesvorstandes, ohne Gegenstimme wiedergewählt.“, so eine Pressemitteilung der NF am 17.09.19 .

 

Das der Landesvorstand in der bekannten Aufstellung erneut wiedergewählt wurde, muss oder müsste zahlreiche Delegierte und NF-Mitglieder im Nachgang in Rheinland-Pfalz schmerzen.  TeilnehmerInnen der Tagung erhofften sich vor den Wahlen eine Verjüngung und Erneuerung im Vorstand.

Unterstützt wurde die Landestagung mit Infoständen von AWO, Pro Asyl und Aufstehen gegen Rassismus Rhein-Neckar. 

(Bericht und Fotos: Christian Ratz)

Fotogalerie:

 




Kandel-Demos: Videobeweis entlastet angeklagten Antifaschisten / Verfahren wird unter Auflagen eingestellt (mit Kommentar)

Am Amtsgericht Kandel wurde am 10.09.19 das Verfahren gegen Siegfried Kerner(*) verhandelt. Ihm wurde zur Last gelegt am 07.04.18 am Bahnhof Wörth „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ und „Beteiligung an einer Gefangenenbefreiung“. Gegen einen Strafbefehl hatte der Beschuldigte Einspruch eingelegt. Die Beweisaufnahme in der Verhandlung erbrachte, dass die Anklage der Staatsanwaltschaft nicht aufrecht zu erhalten war. Das Verfahren wurde unter Auflagen eingestellt. (AZ: 1 Cs 7150 Js 11763/18)

 

„Gefangenenbefreiung“ als Vorwurf der Anklagebehörde konstruiert?

Während der öffentlichen Verhandlung wurde als Beweismittel der Anklage ein Polizeivideo abgespielt, welches die Anklageschrift zementieren sollte. Nur die direkt am Prozess beteiligten Parteien konnten sich den Film auf einem PC-Bildschirm anschauen; die übrigen Prozessbesucher konnten dies nicht. Nach Auskunft des Staatsanwalts, auf Nachfrage des KIM-Reporter, wurde das Filmmaterial von der Bundespolizei gefertigt.

Fazit nach dem Video-Anschauen:

Die Anklage ist, in diesem Punkt, nicht mehr aufrecht zu erhalten. Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung sahen dies ebenso und beantragten einvernehmlich die Einstellung des Verfahrens. Somit erging auch der Urteilsspruch unter Auflagen.

Urteil: „40 Stunden Sozialarbeit“ – weshalb?

Der vorsitzende Richter urteilte, dass der Angeklagte „als Strafe“ binnen drei Monaten 40 Stunden gemeinnützig arbeitstechnisch nachweisbar leisten müsse. Diesem Kompromiss (siehe Kommentar) schlossen sich der Angeklagte und sein Strafverteidiger an. Begründet wurde dieses Urteil damit, dass sich der Angeklagte nicht eventuell doch noch strafbar gemacht haben könnte wegen „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“. Bewiesen vor Gericht wurde auch dieser Anklagepunkt nicht. Der einzige Zeuge der Anklage, der am Verhandlungstag vernommen wurde, ein Polizeikommissar aus Koblenz, konnte diesen Anklagepunkt nicht wirklich erhärten. Im Zweifel für die Anklage?

Das Verfahren gegen den Angeklagten wurde zunächst unter Auflagen eingestellt. Damit ist auch der ursprüngliche Strafbefehl über € 2.400,- hinfällig. Die Verfahrenskosten trägt die Staatskasse.

Große Solidarität mit dem Angeklagten – Unnötige Sicherheitsmaßnahmen

Bereits am frühen Morgen kamen am Prozesstag rund 20 Personen zur solidarischen Unterstützung vor das Amtsgericht Kandel. Die Leute quatschten auf dem Bürgersteig; einige nahmen ihr Frühstück zu sich. Erneut wurden seitens Gerichts strenge Einlasskontrollen durchgeführt. „Leibesvisite, Taschenverbot, Getränkeflaschen nicht erlaubt, auch keine mobilen Endgeräte (z.B. Smartphones)“.

Der Angeklagte verlass vor Gericht eine persönliche Erklärung, in der Siegfried Kerner, u.a. sinngemäß sagte dass er die rechten Aufmärsche in Kandel verabscheue und die vor Gericht geführten Prozesse gegen antifschistische AktivistInnen nur zur Legitimation von Polizeigewalt, wie in Wörth, stattfänden.

KIM berichtete u.a. https://kommunalinfo-mannheim.de/2019/09/03/kandel-demos-erneut-steht-antifaschist-vor-gericht-kaum-aufklaerung-am-ersten-verhandlungstag-mit-fotogalerie/?fbclid=IwAR0ccNSRryg8oNXsZc0P8_Ud4VnE51PCbO6VlGR34NHu3xt467bYD_8qwv8

(Dieser Prozess wird am Amtsgericht Kandel am 01.10.19 um 9:30 Uhr fortgeführt.)

Was den vergleichsweise großen Aufwand an Polizei- und Justizpersonal rechtfertigt, bei einer absolut unauffälligen Besuchergruppe, muss das Amtsgericht erklären. Im Gerichtssaal saßen 3 bewaffnete PolizeibeamtInnen und und ein minderschwer ausgerüsteter uniformierter Justiz-Mitarbeiter. Grundlos oder zur Einschüchterung des Prozessbesucher?

Kommentar:

Der Kompromiss bei der Auflagenzuweisung gestaltete sich fremd-schäm-mäßig nach dem Motto „Wer über- oder unterbietet wen“? 60, 40, 30-Sozialstunden? Ich habe schon zahlreiche Prozesse vor Gericht begleitet. So etwas aber noch nicht erlebt. Im Mittelalter hätten Gerichte möglicherweise das Volk gefragt: „Aufhängen, Verbrennen auf dem Scheiterhaufen oder Vierteilen?“

Ich habe von einem Verfahren berichtet, welches eine Woche zuvor stattfand, mit ähnlichen Vorwürfen gegen einen anderen Angeklagten (dessen Prozess wird am 01.10. am Amtsgericht Kandel fortgeführt). Vor einer Woche noch fehlten Videobeweise in der Gerichtsakte. Bei diesem Prozess, am 10.09., hatte es eine DVD mit Bildmaterial in der Gerichtsakte gegeben, dessen Inhalt den Angeklagten entlastete. Da frage ich mich schon, wie kann sowas sein? Gleicher Tag in Wörth; Personengruppe zuzuordnen, prinzipiell vergleichbare Anklagepunkte und dann eine fast schon diametral von sich abweichende Beweisführung. Was läuft da ab?

Absolut bedenklich wird es, wenn ich die Aussagen und Einlassungen des nicht vereidigten Zeugen der Anklage, eines Polizeikommissar aus Koblenz, nebeneinanderlege. Dieser Polizeibeamte hat meiner Beobachtung nach entweder unwahr am 10.09. ausgesagt bzw. schon eine Woche davor, mit seinen Einlassungen in dem anderen Prozess. Wird so etwas seitens Gericht automatisch abgeglichen?

 

(Bericht und Kommentar: Christian Ratz)

(*) Name von der Redaktion geändert

 

 

 




Kandel-Demos: Erneut steht Antifaschist vor Gericht – Kaum Aufklärung am ersten Verhandlungstag (mit Fotogalerie)

Am 03.09.19 wurde der Einspruch eines 24-jährigen Studenten aus Karlsruhe gegen einen Strafbefehl vor dem Amtsgericht Kandel verhandelt. Ihm wird zum Vorwurf gemacht „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ und „Angriff auf Vollstreckungsbeamte“. Die Straftat soll der Angeklagte am 07.04.18 am Bahnhof Wörth (Pfalz) begangen haben. An diesem Tag fanden in Kandel verschiedene Demonstrationen gegen den Aufzug rechter Gruppen u.a. „Kandel ist überall“ (AfD) und des sogenannten „Frauenbündnis Kandel“ statt. Bei der Anreise nach Kandel wurde eine Regionalbahn aus Karlsruhe kommend in Wörth von Polizeikräften aufgehalten und Bahngäste an der Weiterfahrt gehindert. Der heutige Prozesstag endete mit vielen Fragezeichen und der Bekanntgabe eines Fortsetzungstermins. (AZ: 1CS7150 Js11750/18)

Rückblende

Über das Demogeschehen in Kandel 2018 berichtete KIM regelmäßig und mehrfach. So auch am 07. April des vergangenen Jahres. Was den Vorfall am Bahnhof Wörth angeht berichtete die Redaktion der Beobachter News (BN) umfänglich.

In einem Online-Artikel der BN vom 22.07.19 ist zu lesen:

Vermummt und gewaltbereit

Obwohl nach Berichten die Zugfahrt friedlich verlief und der Zug nahezu überfüllt war, drängten vermummte und behelmte Beamte – auch unter Anwendung von Gewalt – hinein. Danach wurden laut Berichten alle Fahrgäste von den Polizisten durchsucht, ihre Personalien aufgenommen und gefilmt. Insgesamt wurde der Zug drei Stunden im Bahnhof festgehalten, sodass die DemonstrantInnen nicht mehr an den Kundgebungen in Kandel teilnehmen konnten und ihnen so ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit verwehrt wurde. …“

Link zum vollständigen Bericht:

http://www.beobachternews.de/2019/07/22/polizei-wird-gewalttaetig-antifaschist-verurteilt/ 

Die BN veröffentlichten auch Videoaufnahmen, die die Geschehnisse damals dokumentierten. Diese Filmdokumente könnten nun in die Beweisaufnahme in diesem Prozess einfließen, da sie augenscheinlich bereits der Polizei für die Beweissicherung dienten.

Soli-Kundgebung und erster Prozesstag

Kurz vor 8:30 Uhr heute Morgen trafen etwa 20 ProzessbesucherInnen mit einer Regionalbahn aus Karlsruhe kommend in Kandel am Bahnhof ein. Dort wurden sie schon von Polizeibeamten erwartet. Eine Kundgebung, die ursprünglich vor dem Amtsgericht Kandel hätte stattfinden sollen, aber von der zuständigen Ordnungsbehörde in Germersheim verboten wurde, war für den Bereich vor der Gemeindeverwaltung Kandel erlaubt worden.

Dort versammelten sich dann rund 30 Menschen friedlich, auch mit Unterstützung von „Kandel gegen Rechts“, unter streng-freundlicher und vergleichsweise massiver Beobachtung durch Polizei und Ordnungsbehörde Germersheim. Die Behörde war vertreten durch ihre Leiterin Frau Grimm, die zusammen mit Kollegen auch an der Verhandlung teilnahm.

Nachdem ein Infostand aufgebaut worden war, konnte nach Begrüßung durch den Versammlungsleiter eine Solidaritätsrede gehalten werden. In dieser bezog sich der Sprecher auf die Geschehnisse am 07.04.18 und appellierte an die Anwesenden den Beschuldigten bei Gericht zu unterstützen. Am Stand angeboten wurden diverse Infomaterialen und eine Fotodokumentation über den Vorfall in Wörth. Interessierte Pressevertreter bekamen ein knapp 40-seitiges Dossier ausgehändigt, welches KIM vorliegt. Nachdem die Kundgebung beendet wurde, machten sich die AntifaschistInnen auf den Weg zum Amtsgericht.

Für den KIM-Reporter war es keine Überraschung, dass die am Prozess interessierten Menschen dort bereits von Polizeikräften und den Vertretern der Ordnungsbehörde Germersheim erwartet wurden.

Es fand eine strenge Einlasskontrolle im Eingangsbereich des Amtsgericht Kandel statt. Leibesvisitationen inklusive. Das Verbot irgendwelche Taschen oder Rucksäcke in den Sitzungssaal mitzubringen, wurden von einem Justiz-Mitarbeiter verlautbart. „Nur 25 Personen“, war die Teilnahme am Prozess möglich. Die Ordnungsbehörde Germersheim hatte eine eigene für sie reservierte Stuhlreihe. Auf den drei Plätzen, die für Pressevertreter vorgesehen waren, war noch ein Sitzplatz vakant.

Verlesung der Anklageschrift – Beweisführung – weiterer Verhandlungstermin

Der unerfahren wirkende Vertreter der Staatsanwaltschaft ratterte die
Anklageschrift – ohne Punkt und Komma – binnen kürzester Zeit runter. Vorwurf, wie schon eingangs in diesem Bericht genannt „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ und „Angriff auf Vollstreckungsbeamte“. Und dann kam noch was wegen §114 StGB (NB: tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte; Freiheitsstrafe von 3 Monaten bis 5 Jahre). Dieser Paragraf sollte noch eine wesentliche Rolle an diesem Tag spielen.

Der Angeklagte Marcus Schuster(*) verlas vor Gericht eine persönliche Erklärung, in der sinngemäß sagte, dass „er heute in Kandel stellvertretend für 250 Personen hier steht. Für alle die Personen, die am 07.04.19 in Wörth durch Polizeikräfte darin gehindert wurden, sich an Protesten gegen den Aufzug rechter Gruppen in Kandel zu beteiligen. Vom Protest abgehalten wurden gegen AfD, NPD, Identitäre Bewegung und Reichsbürgern. Damit verhindert wurde, rassistischen – migrationsfeindlichen Aufzügen Paroli zu bieten.“ Den konkreten Vorfall in Wörth skizzierte er „als Angriff von Polizeikräften gegen die linke Bewegung, die sich Rechtsextremisten in den Weg stellen wollte“.

Der vorsitzende Richter wollte diese Rede gerne zu den Verhandlungsakten nehmen. Dies wurde vom Angeklagten und seinem Strafverteidiger verneint.

Der einzige von der Staatsanwaltschaft benannte Zeuge, der vor Gericht geladen wurde, war ein Polizeibeamter.

Dieser sagte sinngemäß aus, dass „er am 07.04.18 in Kandel im Einsatz war. Sein Einsatzzug ist nach Order eines Polizeikommandanten nach Wörth verlegt worden. Dort sollte seine Polizeieinheit einen Zug aus Karlsruhe nach Kandel besteigen. Begründet dadurch, dass etwa 30-60 Bahnreisende in Karlsruhe am Bahnhof auf „Menschen mit anderer politischer Einstellung“ getroffen seien und dass es dabei zu einem Diebstahl gekommen wäre.“

Der Beamte sagte aus, dass er (und weitere Polizeikräfte) von einigen Bahnreisenden am Betreten des Zugs durch Schlagen mit Fahnenstangen, Fußtritten und Ellenbogeneinsätzen gehindert wurde. Durchsagen des Lokführers und Ansprachen seitens der Polizei, die Zugänge zum Zug frei zu geben, seien an seiner Einsatzstelle auf dem Bahnsteig keine Folge geleistet worden. Auch einem verbal durch den Leiter des polizeilichen Einsatzzugs ausgesprochener Platzverweis gegenüber aller Bahnreisenden auf dem Weg zur Kandel-Demo „Ihre Kundgebung ist beendet. Sie erhalten ein Platzverbot.“, sollen die Zugreisenden nicht gefolgt sein.

Auf Nachfragen des Gerichts und der Strafverteidigung konnte der Zeuge seine Aussagen was die zeitlichen Abläufe angeht am Wörther Bahnhof nicht präzisieren. In der verlesenen Anklageschrift steht, dass der Angeklagte zwischen 13:00 und 13:15 Uhr festgenommen wurde. Der Polizeibeamte sagte vor Gericht, dass der Zugriff zwischen 15 und 16 Uhr passiert sein könnte.

Auf die Frage der Verteidigung, ob der Zeuge den Angeklagten im Gerichtssaal erkennt, antwortet dieser mit „Ja“. Nachfrage der Verteidigung: „Welche Kleidung und welches Schuhwerk trug mein Mandant am 07.04.18?“. Zeuge: „Daran habe ich keine Erinnerung.“.

Der einzige Zeuge der Anklagebehörden sagte weiter aus, „dass er getreten worden sei und einen schmerzhaften Ellenbogendruck an der unteren rechten Rippe“ gespürt habe. Der Vorsitzende fragt nach (sinngemäß): „Trugen sie Schutzkleidung und waren sie danach dienstunfähig?“. Der Zeuge: „Nein, ich trug normale Uniform, ohne besonderen Zusatzschutz…keine Verletzungen, die zur Dienstunfähigkeit geführt hatten.“

Der Strafverteidiger fragt den Zeugen, ob es Foto- oder Videoaufnahmen der Polizei gäbe, die seine Einlassungen vor Gericht untermauern könnten. Dieser antwortet (sinngemäß): „Es existiert ein Polizeivideo und er habe rund eine Woche nach dem Einsatz dienstlich bedingt auch YouTube-Videos vom 07.04.18 gesehen und mit Kollegen untersucht, um Identitäten von Personen zu verifizieren“.

Zum großen Erstaunen des Gerichts, der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft befindet sich dieses Bildmaterial nicht in der Gerichtsakte.

Die Verteidigung regt darauf hin an, weitere Aufklärung zu betreiben – „Wer soll wann, wo gewesen sein und was getan haben?“ – oder den Prozess nach §StPO 153 einzustellen.

Das Gericht unterbricht die Verhandlung für 10 Minuten, um Recherchen zu betreiben.

Nach der Unterbrechung erklärt der Vertreter der Staatsanwaltschaft, dass er keiner Einstellung nach §153 (NB: Strafprozessordnung: Absehen von der Verfolgung wegen Geringfügigkeit) zustimmen könne, da er den eingangs in der Anklageschrift genannten § 114 StGB stehen hat. Die Videobeweise interessieren auch ihn.

Der Vorsitzende sagte (sinngemäß), dass nach seiner Recherche und Einschätzung im laufenden Prozess Artikel 8 (Versammlungsfreiheit) des Grundgesetz gewahrt sei. Polizeibeamte sind seiner Auffassung nach Bürger in Uniform, die jederzeit z.B. wie in diesem Fall Züge unbehindert betreten und verlassen müssen können, ohne weitere Hintergründe ins Feld führen zu müssen“.

Nun fragte die Verteidigung die Staatsanwaltschaft, ob, um Zeit und Kosten zu sparen, eine Einstellung nach §153a der StPO (Absehen von der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen) eine Idee wäre. Der Staatsanwalt meinte, dass er zuerst die gesicherten Videobeweise sehen wolle und erst danach über die vorgetragene Idee eine Entscheidung fällen kann.

Fortführung

Vom Gericht wurde bestimmt, dass der Prozess am 10.09.19 um 13:30 Uhr am Amtsgericht Kandel fortgeführt wird.

(*) Name von der Redaktion geändert

Alle Bilder des Tages:

(Bericht: Christian Ratz / Bilder: Christian Ratz und KIM-Archiv)




Kandel-Demos: Demonstrant siegt vor Gericht gegen Kreisverwaltung Germersheim

Gegenproteste am 01.09.18 in Kandel (Archivbild)

Am Freitag, 16.08.2019, wurde vor dem Amtsgericht Germersheim der Einspruch des 48-jährigen Andreas Mayer (*) gegen einen von der Kreisverwaltung Germersheim erstellten Bußgeldbescheid in deutlich dreistelliger Höhe verhandelt. Mayer, einem Mitglied des Bündnisses KANDEL GEGEN RECHTS, wurde ein Verstoß gegen das Vermummungsverbot gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1a bei einer Demonstration des stramm rechten und der Reichsbürgerszene nahestehenden sogenannten „Frauenbündnis Kandel“ am 01.09.2018 vorgeworfen.

Konkret soll er im September 2018 im Rahmen der Proteste gegen den Aufmarsch des „Frauenbündnisses Kandel“ zusammen mit weiteren Personen „sich mit normalen Bekleidungsgegenständen (Schal, Kapuzen) und Sonnenbrillen)“ vermummt haben und diese angebliche Vermummung auf Aufforderung der Polizei „nur widerwillig“ entfernt haben.

Gegen den Bußgeldbescheid legte der Beschuldigte Einspruch ein, so dass es nun zur Verhandlung kam. Der Verteidiger von Mayer machte von Anfang an klar, dass es die vorgeworfene Vermummung mittels Kapuze nicht gegeben habe Zudem läge kein Verstoß gegen das Vermummungsverbot vor. Dieser läge nach allgemeiner Rechtsauffassung nur vor, wenn man sich zwecks Verhinderung der Feststellung der Identität vermummen würde. Da sich die Gruppe um Mayer quasi unmittelbar nach Betreten der Demonstrationsroute des sog. „Frauenbündnisses Kandel“ in einer polizeilichen Maßnahme befunden habe und so eine Identifizierung bereits erfolgt war, wäre diese Vermummungsabsicht nicht gegeben gewesen. Zudem hätte sein Mandant sich „mit offenem Visier“, sprich: mit Nennung des Namens, bei den Polizisten und den Vertretern der Versammlungsbehörde vorgestellt, da er versucht hatte, eine Spontanversammlung anzumelden.

Dieser Sichtweise schloss sich der Vertreter der Staatsanwaltschaft an. Er bezeichnete eine Vermummung mit dem ausschließlichen Ziel, nicht von Mitgliedern des Aufmarsches des  „Frauenbündnisses Kandel“ erkannt und fotografiert zu werden, sogar als legitim, zumal Bilder der Gegendemonstranten bereits auf einschlägigen Internetseiten im Umfeld des rechten „Frauenbündnisses Kandel“ publiziert worden seien.

KIM berichtete:

https://kommunalinfo-mannheim.de/2018/09/05/waehrend-bundesweit-tausende-von-buergern-und-buergerinnen-gegen-rechtsextreme-rechtsradikale-aufmaersche-auf-die-strasse-gehen-ist-kandel-weiter-im-tiefschlaf-mit-bildergalerie/

So forderten der Verteidiger von Andreas Mayer und der Vertreter der Staatsanwaltschaft einhellig eine Einstellung des Verfahrens (analog zu einem gleichgelagerten Fall, der bereits im Juni vor dem Amtsgericht Kandel eingestellt worden war). Die Richterin ging sogar noch einen Schritt weiter und stellte das Verfahren nicht ein, sondern fällte ein Urteil zu Gunsten von Mayer, in dem diesem bescheinigt wurde, nicht gegen das Versammlungsrecht verstoßen zu haben, so daß der Bußgeldbescheid der Kreisverwaltung Germersheim nicht rechtmäßig war. Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse.

Bemerkenswert waren einige Aussagen sowohl des Vertreters der Staatsanwaltschaft als auch der Richterin. So stutzte der Vertreter der Staatsanwaltschaft bei der Verlesung des Tatvorwurfs, denn dort war vom „bürgerlich-rechten Aufzug“ die Rede. Hier vertrat er die eindeutige Sichtweise, dass das  „Frauenbündnis Kandel“, sicher nicht bürgerlich, sondern klar rechts sei. Die Richterin wiederum begründete ihr Urteil (bzw. die nicht erfolgte Einstellung des Verfahrens) u.a. damit, dass sie ein Zeichen an die Kreisverwaltung Germersheim senden wolle. Sie habe schon mehrere Bußgeldbescheide im Zusammenhang mit den Gegendemonstrationen gegen die rechten Aufmärsche in Kandel gesehen und keiner davon sei rechtlich haltbar gewesen. Zudem merkte sie an, dass, wenn man Sonnenbrillen oder Schals schon als Vermummungsgegenstände ansehen würde, sie sich selbst regelmäßig strafbar machen würde, da sie Beides häufig mit sich führen würde.

Andreas Mayer sagte nach dem Urteil, dass er „darin ein klares Signal gegen die von Polizei und Kreisverwaltung immer wieder versuchte Kriminalisierung des Protests gegen die rechtsextremen Aufmärsche in Kandel und Umgebung sähe. Mit dem Urteil wurde seiner Meinung nach klargestellt, dass die zuständigen Behörden willkürlich und rechtlich unzulässig gehandelt hätten“.

(*) Name von der Redaktion geändert

(Bericht: Christian Ratz mit Material einer Pressemitteilung)




Antifaschist vor Gericht – Richter fällt zukunftsweisendes Urteil?

Am 12.07.19 wurde beim Amtsgericht Landau der Prozess gegen Michael Unger (*) verhandelt. Die Staatsanwaltschaft warf dem Angeklagten im Rahmen einer Demonstration in Kandel 2018 gegen den Aufzug von rechten Gruppierungen zu Last u.a. verbotene Gegenstände mitgeführt zu haben, gegen das Vermummungsverbot verstoßen zu haben und Widerstandsleistungen gegen Vollstreckungsbeamte geleistet zu haben. Das Gericht verurteilte den Aktivisten nach der Regel „en dubio pro reo“ zu 180 Tagessätzen a € 25,-.  

(AZ: Ls 7350 Js 7983/18 jug)

 

Solidarität und massive Sicherheitskontrollen

Bereits vor dem Prozess veranstalteten Unterstützer des Angeklagten vor dem Gerichtsgebäude eine Soli-Kundgebung. Insbesondere dieser Personenkreis wurde beim Betreten des Amtsgerichts intensiv zweimal kontrolliert. Nummerische Einlasskarten für den Gerichtssaal wurden ausgeteilt; Mobiltelefone und Getränkeflaschen zeitweise von Justizangestellten konfisziert.

En dubio pro reo – Im Zweifel für den Angeklagten

Wenig blieb übrig aus der Anklage der Staatsanwaltschaft. Auch die Vernehmung von diversen Polizeibeamt*Innen konnten die Anklageschrift nicht untermauern. Ebenso wenig das Abspielen eines polizeilichen Videos vom Demonstrationsgeschehen. Der Hauptanklagepunkt „Polen-Böller“ mitgeführt zu haben beziehungsweise solche in Richtung Uniformierter im März 2018 geworfen zu haben, konnte im Rahmen der Beweisführung entkräftet werden.

Verurteilung

Der vorsitzende Richter Ruppert sprach in seiner Urteilsbegründung davon, dass er Michael Unger keinen „Ghandi-Märtyrer-Status“ zukommen lassen könne. „Humanismus und Ratio sollten auch beim Kampf auf der Straße obsiegen“. Verurteilt wurde der jugendliche Antifaschist wegen Verstößen gegen das Vermummungsverbot und das Versammlungsrecht, sowie wegen Landfriedensbruch zu einer Geldstrafe von € 4.500, -. Ins Urteil floss ein, dass der Angeklagte bereits bei Gerichten bekannt ist. Gegen das Urteil vom 12.07.19 kann Berufung eingelegt werden.

Direkt nach Beendigung der Verhandlung präsentierten Unterstützer im Gerichtssaal ein Transparent mit der Aufschrift „Auf der Straße und vor Gericht – Niemand bleibt im Regen stehen“.

Ausblick

Weitere Prozesse stehen gegen Antifaschist*Innen, die bei Demos in Kandel beteiligt waren, an. Die Anklagevorwürfe sollen ähnlich lauten. KIM versucht auch diese Gerichtsverhandlungen zu begleiten.

(*)Name von der Redaktion geändert

(Bericht und Fotos: Christian Ratz)




Verstoß gegen das Vermummungsverbot? – Gericht stellt Verfahren ein

Amtsgericht Kandel (Archivbild)

Vor dem Amtsgericht Kandel wurde am 13.06.19 ein Ordnungswidrigkeitsverfahren in öffentlicher Sitzung verhandelt. Im September 2018 soll ein junger Antifaschist gemeinsam mit weiteren Beteiligten am Rande eines Aufzugs des rechten „Frauenbündnis Kandel“ gegen das Vermummungsverbot verstoßen haben. Gegen einen Bußgeldbescheid hatte der Beteiligte Einspruch eingelegt.

 

 

Rückblende

Seit Januar 2018 wird die südpfälzische Kleinstadt, nach der Ermordung einer Jugendlichen Ende Dezember 2017, durch einen inzwischen rechtskräftig verurteilten Asylantragsteller, von Protagonisten aus dem extrem rechten Spektrum für deren Zwecke als Projektionsplattform missbraucht. KIM berichtete mehrfach aus Kandel.

Im September 2018 fanden zwei Aufzüge des rechten, Reichsbürger nahestehenden „Frauenbündnis Kandel“ statt. Im Prozess ging es um den Aufzug der „Follower“ um Marco Kurz am 01.09.18. Bei dieser Gelegenheit hatte sich eine zahlenmäßig überschaubare Gruppierung von Personen mit antifaschistischer Gesinnung der Aufzugsroute des von M. Kurz geführten Frauenbündnis genähert. Polizeibehörden und Ordnungsamt Germersheim vermuteten einen Verstoß gegen das Vermummungsverbot und brachten dies zur Anzeige.

Anzeigen und Bußgeldbescheide – Polizei und Ordnungsbehörde können keine Belege vorweisen – Staatsanwaltschaft empfiehlt Einstellung

 Neben dem Beschuldigten Patrick Lechner (*) wurden noch weitere Beteiligte von den Behörden angezeigt. Einige dieser Personen scheinen wohl Bußgeldbescheide in Höhe von Euro 300,- akzeptiert zu haben. Andere wiederum warten noch auf ihre Verhandlungstermine vor dem Amtsgericht Kandel.

Der vom Gericht, unter Vorsitz des Richters Zwick, aufgerufene Zeuge war der PHK Dieter Scharf (*) vom Polizeipräsidium Ludwigshafen. Er war auch der einzige Zeuge, der Einlassungen für die schuldzuweisenden Parteien vor Gericht machte.

Der Zeuge sagte (sinngemäß), dass er am 01.09.18 als Einsatzleiter einer mobilen polizeilichen Eingreifgruppe in Kandel eingesetzt war. „Eingreifgruppen würden oft erst sehr kurzfristig zusammengestellt. Er soll nicht alle PolizeibeamtInnen in seinem Team vorher persönlich gekannt haben.“ Zu Lasten des Betroffenen vor Gericht, sagte der Beamte, dass der „Angeklagte“ durch seine verbalen Äußerungen und seine Vermummung in den Fokus der Polizeiarbeit geriet. Ergänzend fügte der Zeuge hinzu, dass an diesem Tag in seinem Einsatzgebiet keine polizeilichen Foto- und Videografen verfügbar gewesen sind. Richter Zwick machte unmissverständlich klar, dass es sich bei Patrick Lechner um keinen Angeklagten, sondern um einen Verfahrensbeteiligten handelt.

Der Vorsitzende Richter fragte nach: „Wie der Vorwurf der Vermummung zu belegen sei?“ Der Zeuge (sinngemäß): „Ich habe keine Erinnerung mehr, ob der Beteiligte vermummt war oder Gegenstände (bei der Identitätsfestellung), die geeignet sein könnten gegen das Vermummungsverbot zu verstoßen, bei sich trug.

„Sonnenbrillen und Hoody“ verstoßen nicht gegen das Vermummungsverbot

Vor Gericht vorgetragen wurden Protokolle von Polizeibeamten, die sich im Team von PHK Scharf befanden. Aus diesen Protokolleinträgen konnten keine Beweise erbracht werden, die gegen den Beteiligten sprechen. Im Vorfeld schon hatte die zuständige Staatsanwaltschaft empfohlen das Verfahren einzustellen. Der vorsitzende Richter stellte fest, dass das Tragen einer Sonnenbrille und eines Kapuzenpullovers schlecht geeignet seien, um gegen das Vermummungsverbot zu verstoßen. Daraufhin entschied das Gericht das Verfahren gegen den Beteiligten einzustellen, da der Tatvorwurf nicht erbracht wurde. Die Verfahrenskosten trägt die Staatskasse.

Quo vadis?

Der Rechtsanwalt von Patrick Lechner sagte im Nachgang an die Verhandlung (sinngemäß): „Die Entscheidung des Gerichts war richtig und erfolgte begründet“. Auf Nachfrage sagte der Jurist: „Von dieser Gerichtsentscheidung geht eine Signalwirkung aus, welche Einfluss auf die noch anderen Prozesse in gleicher Sache haben wird.“

Es wird, was die antifaschistischen Kandel-Demos angeht, noch weitere Gerichtsverhandlungen geben.

Die nächste am 25.06.19 vor dem Amtsgericht Kandel: Gegendemonstranten, die per Zug im Sommer 2018 nach Kandel aus Richtung Karlsruhe anreisen wollten, wurden abrupt am Bahnhof Wörth gestoppt und über Stunden von Polizeikräften festgehalten.

Des Weiteren sollen sich in diesem Jahr noch zwei Beklagte wegen vermeintlicher „Böllerwürfe“ auf Polizeibeamte in Kandel vor Gericht verantworten müssen.

(* = Namen der Personen von der Redaktion geändert)

(Bericht und Fotos: Christian Ratz)




„Mittendrin und Bunt“-Festival wurde zum Besuchermagnet (mit Bildergalerie)

Am Pfingstwochenende fand in Kandel ein Musikfestival statt, welches alle Erwartungen übertraf. Ziel und Zweck des Veranstalters „Kandel gegen Rechts“ war es ein inklusives und interkulturelles Angebot zu unterbreiten. Dieses Angebot ging auf: am Samstag mit ca. 2.500 BesucherInnen und am Sonntag mit etwa 4.000 TeilnehmerInnen.

 

Rechtsextreme „wegbassen“

Verkürzt könnte man dies so darstellen; dies würde aber nicht gänzlich dem Sachverhalt entsprechen. Laut und deutlich wurden die fast zweidutzend  auftretenden Musiker und Künstler auf der Outdoor-Bühne vor und in der Bienwaldhalle. Diverse Kooperationspartner trugen dazu bei, dass die Veranstaltung zu einem für Kandler Verhältnisse Mega-Event wurde. Das Versprechen „Mittendrin und Bunt“ wurde von allen Akteuren umfänglich erfüllt. Ob Groß oder Klein, alle TeilnehmerInnen konnten aus dem breitgefächerten Angebot nach Belieben mitnehmen was individuell in der Priorität ganz oben stand.

Was hat Ostritz mit Kandel zu tun?

Auf den ersten Blick scheinbar gar nichts. Beide Orte trennen rund 700 Straßen Kilometer voneinder. Inhaltlich verfügen beide Orte über deutliche Schnittmengen, was Aufzüge aus dem extrem rechten Spektrum angeht. Die Menschen in Ostritz kämpfen gegen Neo-Nazi-Konzerte unter dem Label „Schild und Schwert“; in Kandel formierte sich eine Mehrheit gegen die Aufzüge des faschistoiden Vereins (e.V.) „Frauenbündnis Kandel“. Aus diesem Aufeinandertreffen könnte sich eine engere Zusammenarbeit entwickeln.

Syrischer Künstler stellt Arbeiten aus

Emad Al Sarem, kam Ende 2015, mit seiner Gattin, beide als Geflüchtete, nach Deutschland. Der studierte Innenarchitekt und schaffende Künstler sagt (sinngemäß): „Wir sind angekommen. Mit meinen künstlerischen Arbeiten versuche ich meine Geschichte, die Geschichte Syriens und die durch Krieg und Vertreibung eingeprägten Erfahrungen zu verarbeiten.“ Emad gibt nach eigenen Angaben Kunstkurse für Kinder und Senioren in der Südpfalz.

Rechtsextreme Beobachter?

Augenzeugen berichten davon, dass ein Ex-Mitglied des „Widerstand Kandel“ mit Thor-Steinar Shirt bekleidet von den vor Ort eingesetzten Security-Mitarbeitern einen Platzverweis erhielt. Des Weiteren scheint es nach Beobachtungen weiterer aufmerksamer Personen so zu sein, dass zumindest zwei bekannte Neo-Nazis, im Umfeld des Festivals gesichtet wurden.

Die Dicken Kinder füllen und rocken die Halle

Man kann die Landauer Combo „Die Dicken Kinder“ als Kultband bezeichnen. Am Pfingstsonntag trug die Band maßgeblich dazu bei, dass das zweitägige Festival einen grandiosen Abschluss finden wird.

  

 

 

Bildergalerie:

 

(Bericht und Fotos: Christian Ratz)




Kandel feiert an Pfingsten „Mittendrin & Bunt“

Am 08. und 09. Juni wird in Kandel das interkulturelle und inklusive Begegnungsfest Mittendrin & Bunt gefeiert.  BesucherInnen können sich auf ein hochkarätiges und abwechslungsreiches Musikprogramm freuen. Dies wird ergänzt durch ein internationales gastronomisches Angebot, ein Kinder- und Familienprogramm sowie umfangreiche Informations-und Austauschmöglichkeiten. Der Eintritt ist kostenlos.

 

Die Veranstalter von Kandel gegen Rechts sagen

 „Wir freuen uns sehr auf das Fest und hoffen auf viele BesucherInnen, die mit uns feiern.“  Gemeinsam möchten die OrganisatorInnen ein klares Zeichen in Kandel setzen für eine offene Gesellschaft, Vielfalt, Inklusion und ein friedliches Miteinander. Im Vordergrund steht an dem Wochenende aber der Spaß. Spaß an Musik und am Tanzen, am Essen und Trinken, an Begegnungen und Austausch.

Attraktive und beliebte Musiker werden am Start sein

Damit dies gelingt wurde ein abwechslungsreiches Musikprogramm zusammengestellt, das für alle Geschmäcker etwas bereithält. Während tagsüber eher ruhige Töne angeschlagen werden und interkulturelle Gruppen für Stimmung sorgen bringen am Abend Bands wie „Die dicken Kinder“ „Gino in the Bottle“ oder „Strom & Wasser“ die Halle zum Beben. „Besonders freuen wir aus auch auf die CBF Allstars, die integrative Band vom „Club Behinderter und Freunde Südpfalz e. V.“ so die OrganisatorInnen.

 

Infostände runden das Programm ab

Lokale und regionale Initiativen präsentieren sich auch auf der Infomeile. Dort können sich die BesucherInnen zu verschiedenen Themen informieren und austauschen. Mit dabei unter anderem Attac Kandel, WIR sind Kandel, Partnerschaft für Demokratie Wörth am Rhein, QueerNet Rheinland-Pfalz,  Aufstehen gegen Rassismus Südpfalz e. V.  oder Viva con Agua Landau. Bei kleinen Workshops kann man sich aktiv beteiligen. Zudem stellt der syrische Künstler Emad al Sarem seine bewegenden Bilder aus, in denen er seine Fluchterfahrungen verarbeiten.

(Pressemeldung und Fotos: Kandel gegen Rechts)

 

 

 

 

 

 

 




Kommentar: Franziska Schreiber in Kandel (03.05.19) – Was viele denken?

Als ich die Kandeler Stadthalle betrete, treffe ich auf eine Franziska Schreiber die so unauffällig wirkt wie all die anderen unauffälligen Leute, denen man begegnet. Das einzige, mit dem sie auffällt, ist, dass sie bis zum Beginn der Veranstaltung, abgesehen von den üblichen Begrüßungen durch die Veranstalter des Abends, etwas abseits in der Distanz sitzt. Vielleicht denken manche – „wäre ja auch irgendwie dreist, sich jetzt in den Mittelpunkt zu drängen“, „klar, sie hat ja auch was gut zu machen“ oder „es dauert noch bis wir sie näher ranlassen“. Das sind vielleicht die Unwegsamkeiten denen sie auf ihrem Weg nach der AfD immer wieder begegnet.

Ich selbst ging skeptisch und mit einem gewissen Vertrauensdefizit hier hin. Franziska Schreiber hat an diesem Abend etwas gut gemacht – sie hat sich authentisch gezeigt, hat Fragen beantwortet, wirkte souverän und man nahm ihr ab, dass es nicht aufgesetzt war. Sie ist sich ihrer Geschichte bewusst. Am Ende ließ man sie nah ran. Eine Besucherin dankte ihr für ihren Mut, und ich erzählte ihr von meiner Skepsis, die ich heute mitbrachte und fügte hinzu, dass ich erleichtert bin nicht enttäuscht zu sein. So kam es, dass ich einer ehemaligen JA-Vorsitzenden die Hand gab und das nicht nur aus Höflichkeit tat.

(Kommentar und Fotos: Daniel Kubirski)