Wie tickt Mannheim?
Fakten aus dem Sozialatlas 2014 und dem 3. Bildungsbericht
Irmgard Rother – Es heißt: Mannheim lebt in seinen Stadtteilen. Wohl wahr – aber wie? Wer sich auskennt, weiß es, sieht es, hört es: Auf den Standort kommt es an – und damit die Wahrscheinlichkeit, mit welch unterschiedlichen Entwicklungschancen zum Beispiel die Kinder und Jugendlichen ausgestattet sind, die hier aufwachsen. Es sei denn, es wird gegengesteuert…
Die Stadt Mannheim hat mit dem kürzlich vorgelegten Sozialatlas 2014 (Soz.At) recht ausführliche Informationen zur Sozialstruktur und deren Entwicklung im Zeitverlauf als ersten Baustein einer regelmäßigen kleinräumigen Sozialberichterstattung vorgelegt. Um eine differenzierte Betrachtung zu ermöglichen, wurde das Stadtgebiet Mannheim mit seinen 24 Stadtteilen in 44 Planungsräume aufgeteilt, in denen i.d.R. zwischen 2.000-10.000 EinwohnerInnen ihren Hauptwohnsitz haben.
Zuvor wurde bereits der 3. Bildungsbericht der Stadt Mannheim (Datenstand 2013; BildB) veröffentlicht. Zur Abschätzung künftiger demographischer Entwicklungstrends wurden die kleinräumigen Bevölkerungsprognosen der Stadt Mannheim zugrunde gelegt. Diese Betrachtung gibt wichtige Hinweise auf künftige Bedarfe an bildungsrelevanten Infrastrukturangeboten und Einrichtungen und ermöglicht, damit verknüpfte spezifische Handlungserfordernisse abzuleiten.
Beide zusammen – Bildungsbericht und Sozialatlas – stellen den für Mannheimer Kommunalpolitik Verantwortlichen ein Instrument zur frühzeitigen Problemerkennung und bei gewollter Steuerung die Möglichkeit einer „Erfolgskontrolle“ von Maßnahmen zur Verfügung. „Sozialberichterstattung hat die Aufgabe, Lebenslagen der Bevölkerung abzubilden und einen Überblick über das Ausmaß von Armut und Ausgrenzung bzw. Teilhabe und Verwirklichungschancen bestimmter Bevölkerungsgruppen zu geben.“ [ref]Soz.At, S. 3[/ref]
Von den 311.470 Personen, die Ende 2014 mit ihrem Hauptwohnsitz in Mannheim gemeldet waren, waren 214.735 Personen im erwerbsfähigen Alter (zwischen 15-64 Jahren). Etwa 156.000 Erwerbspersonen (das sind Erwerbstätige und Arbeitslose) waren nach Berechnungen der Bundesagentur für Arbeit Ende 2014 im erwerbsfähigen Alter.
Ende 2014 lag der durchschnittliche Arbeitslosenquotient in Mannheim (Verhältnis der registrierten Arbeitslosen an allen 15-64jährigen) bei 4,2%. Der Durchschnitt sagt jedoch nichts darüber aus, wie sich diese Gruppe von Menschen über die Stadt verteilt. Er reicht von 1,5% im Stadtteil Niederfeld bis hin zu 7,8% im Stadtteil Hochstätt.
Die Erwerbsbeteiligung der Frauen hat in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen. Frauen sind jedoch weiterhin in geringerem Maße erwerbsbeteiligt als Männer. Die Beschäftigungsquote (Relation zwischen der Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten und der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter) liegt bei Männern bei 56,4%, bei den Frauen bei 49,3%. Hinzu kommt, dass Frauen in überdurchschnittlichem Maße in Teilzeitbeschäftigung arbeiten und damit in Beschäftigungsverhältnissen, die überwiegend nicht zu einem existenzsicherndem Einkommen und zu einer unzureichenden eigenen Altersabsicherung führen.
Den weitaus höchsten Anteil junger Menschen an allen Stadtteilbewohnern verzeichnet mit 39,3% der Stadtteil Hochstätt (Mannheim gesamt 27,7%, Oststadt 20,7%), vermehrt in migrationsgeprägten Familien. Obgleich es viele gut ausgebildete junge MigrantInnen gibt, sind junge Menschen mit Zuwanderungshintergrund dennoch weiterhin überproportional von Bildungsbenachteiligung betroffen.
Abb. A11 (Arbeitsmarktdaten Mannheim 2006-2013 – in %) zeigt die Gruppe der unter 15jährigen Kinder im SGB II-Bezug, d.h. der jungen nicht erwerbsfähigen Hilfebedürftigen. Kennzeichnend ist, dass sie in einer Bedarfsgemeinschaft mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen leben und entsprechende Grundsicherungsleistungen beziehen. Die absolute Anzahl der betroffenen Kinder konnte in Mannheim zwischen 2006 und 2013 zwar um rund 1.000 auf 7.883 verringert werden; auffallend ist aber, dass trotz rückläufiger Arbeitslosenzahlen nahezu unverändert etwa ein Fünftel – und somit nahezu 8.000 von den 0-15jährigen Kindern Mannheims – in Bedarfsgemeinschaften und somit an der Grenze zur Armut lebten oder bereits von Armut betroffen waren. Auch hier zeichnen sich nach wie vor erhebliche Disparitäten zwischen den Stadtteilen ab: so reicht der Anteil der 0-15jährigen in Bedarfsgemeinschaften von Neuostheim mit 3,4% bis zur Hochstätt mit 45,9%.
Die Situation Alleinerziehender ist häufig materiell erheblich erschwert. Insgesamt sind 6.129 Haushalte in der Stadt Mannheim (3,4 % aller Haushalte) Alleinerziehenden-Haushalte. Besonders hoch ist der Anteil in Hochstätt (9,5%) und Schönau-Nord (7%). Damit war nahezu die Hälfte aller Alleinerziehenden (47,7%) in Mannheim auf Leistungsbezüge nach dem SGB II angewiesen. Im Vergleich mit 2010 zeigt sich, dass das Armutsrisiko in den Alleinerziehenden-Haushalten sogar noch gestiegen ist.
Alleinerziehende sind infolge ihrer umfassenden Zuständigkeit für alle Lebensbereiche mit erhöhten Anforderungen zur Alltagsbewältigung und Existenzsicherung konfrontiert und haben im Vergleich zu Paarfamilien ein ungleich höheres Armutsrisiko, verknüpft mit verringerten Teilhabechancen ihrer Kinder. Darüber hinaus ist das Risiko einer Langzeitarmut bundesweit für Alleinerziehende doppelt so hoch wie im Bevölkerungsdurchschnitt. Die Kinder Alleinerziehender bilden die größte und am dauerhaftesten in Armut lebende Gruppe.[ref]BildB, S. 39[/ref]
Mehrkindfamilien haben ein erhöhtes Benachteiligungsrisiko im finanziellen Bereich: Mehrere Kinder zu haben, stellt ein relatives Armutsrisiko dar. In Mannheim beträgt der Anteil der SGB II-Bedarfsgemeinschaften mit drei oder mehr Kindern an allen kinderreichen Haushalten knapp 33% und liegt damit deutlich über dem Durchschnitt aller Haushalte von 8,4%. Überdurchschnittlich hoch ist der Anteil kinderreicher Haushalte auf der Hochstätt (7,2%).
Ältere Frauen haben in Westdeutschland ein erhöhtes Risiko der Armutsgefährdung, da sie häufig aufgrund der Kindererziehung unterbrochene Erwerbsbiographien aufweisen.
FAZIT:
Überdurchschnittlich häufig von Armut betroffen sind Haushalte mit Kindern (darunter vor allem Alleinerziehende und kinderreiche Familien), Personen mit fehlendem oder niedrigem Bildungsabschluss, Langzeitarbeitslose und Personen mit Migrationshintergrund. Ältere Menschen mit hohem Armutsrisiko – einkommensschwache Gruppen mit langen Biographien der Erwerbslosigkeit, alleinstehende Frauen mit Niedrigrenten, ältere Menschen mit chronischen Gesundheitsproblemen sowie ältere MigrantInnen der ersten Einwanderungsgeneration. Infolge unterbrochener Erwerbsbiographien ist mit einem Anstieg des Anteils der Menschen zu rechnen, die im Alter auf Grundsicherung angewiesen sind.
Armut ist mehrdimensional: Personengruppen, die in Einkommensarmut leben, sind auch in anderen Lebensbereichen benachteiligt. Armut geht mit sozialer Isolation, gesundheitlichen Risiken und geringeren Bildungschancen einher.
Armut prägt Lebensläufe: insbesondere bei Kindern und Jugendlichen wirken sich Armutsphasen erschwerend auf den weiteren Lebenslauf aus. Materiell benachteiligte Kinder sind in der Regel stärker von ungleichen Bildungschancen sowie gesundheitlichen Problemen betroffen als Kinder aus Haushalten, die nicht auf Mindestsicherungsleistungen angewiesen sind.
Armut hat eine räumliche Dimension: Personengruppen mit hohen Armutsrisiko konzentrieren sich zunehmend in bestimmten städtischen Sozialräumen. Es besteht die Gefahr, dass sich Armutsmilieus verfestigen. [ref]SozAt, S. 52[/ref]
Im Rahmen der Vorstellung des Sozialatlas benannte Hermann Genz, Leiter des Fachbereiches Arbeit und Soziales, auch noch eine andere – wesentliche – Seite der Medaille: Für die wohlhabenden Stadtteile bedeuten Fakten, die im Sozialatlas benannt sind, auch „einen Mangel an sozialer Vielfalt“[ref]Mannheimer Morgen, 3.12.2015[/ref]. Im Klartext: Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die in wohlhabenden Stadtteilen ihren Lebensmittelpunkt und nur wenige Alltags-Begegnungen mit Menschen aus anderen Sozialräumen haben, erzielen dadurch leicht einen schrägen Blick auf die gesamtstädtische Wirklichkeit.
Maßgeblich an der Erstellung des Sozialatlas beteiligt war als Mitarbeiter im Fachbereich Arbeit und Soziales, Andreas Ebert. In einem Interview betonte er, dass nach seiner Ansicht Hauptaussage des Sozialatlas sei, dass die Unterschiede in Mannheim so groß seien. Ein Ansatzpunkt zur Änderung wäre, dass bezahlbarer Wohnraum dort geschaffen werden würde, wo sie bisher fehlen – etwa in der Oststadt oder auf dem Almenhof[ref]Mannheimer Morgen 17.12.2015[/ref]. – Die Linken im Mannheimer Gemeinderat stellen seit längerer Zeit zahlreiche Anträge zur Änderung dieses Zustandes – und finden damit vornehmlich bei den VertreterInnen des rechten Flügels im Gemeinderat keine, bei den anderen bisher noch wenig Zustimmung.
Der Sozialatlas fand auch in der Rede von OB Dr. Peter Kurz zum Neujahrsempfang am 6. Januar 2016 Erwähnung. Die „die soziale Durchlässigkeit der Stadtteile“ sei seiner Meinung nach ein „aktiver Beitrag zum sozialen Frieden“ und ein wichtiger Bestandteil der „lokalen Demokratie“. Wohl wahr!
Sollen diese Arbeitsergebnisse – Sozialatlas und Bildungsbericht – nicht zur Makulatur verkommen, muss damit gearbeitet werden.