Mannheim Neckarstadt-West und Hochstätt: Erfolgreiche Impfaktionen vor Ort
Modellprojekt in Mannheim Neckarstadt-West und Hochstätt
Während nicht nur in Deutschland bei der Bewältigung der Corona-Pandemie immer wieder negative Schlagzeilen wie Maskenskandal, Impf- oder Testchaos die gesellschaftliche Debatte prägen, gibt es auch Positives zu berichten.
Eines dieser Positiv-Beispiele gibt es in Mannheim. Wie in einigen anderen Städten in Deutschland wurde auch in Mannheim in der Neckarstadt-West und auf der Hochstätt ein Modellprojekt aufgesetzt. Diese Stadtteile gelten als sozial besonders benachteiligt mit einem hohen Migrantenanteil. Die Inzidenzzahlen sind dort besonders hoch, die Impfzahlen wiederum besonders niedrig. Die Bevölkerung erhält als Modellprojekt ein allgemeines Impfangebot vor Ort mit mobilen Impfteams. Grundsätzlich kann sich Jeder impfen lassen, die Priorisierung nach Alter etc. fällt weg.
Vom 3. Bis 9. Mai wurden die Impfungen auf der Hochstätt, vom 10. bis 23. Mai in der Neckarstadt-West durchgeführt.
In der Neckarstadt-West mit ihren 24.000 Einwohnern sind die Inzidenzzahlen um 64 % über dem Stadt-Durchschnitt, dreimal so hoch wie in Schwetzinger Stadt/Oststadt. In der Hochstätt mit ihren rund 3.200 Einwohnern dürften die Zahlen ähnlich hoch sein, jedoch wird die Hochstätt nicht als eigener Stadtteil geführt, sondern ist dem eher bürgerlichen Seckenheim zugeordnet. Umgekehrt verhält sich die Statistik bei der Anzahl der Geimpften. Deren Zahl war in der Neckarstadt-West und auf der Hochstätt bisher besonders niedrig.
In der Hochstätt konnten in einer Woche (03.05-09.2021) 859 Erstimpfungen durchgeführt werden. Das ist mehr als ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung. Zählt man die bisher Geimpften und Genesenen (ca. 10%) hinzu, kommt man auf einen Anteil von annähernd 50 %. Ähnlich sind die Zahlen in der Neckarstadt-West. Mit ca. 4000 zusätzlichen Impfungen innerhalb von zwei Wochen (10.05.-23.05.2021) konnte etwa ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung geimpft werden. Zusätzlich werden zur Zeit in einer Pop-Up-Impfaktion ca. 3.000 Impfungen in der Neckarstädter Feuerwache verabreicht. Die Termine der auf ca. eine Woche angelegten Aktion sind schon alle vergeben.
Somit ist es mit dieser Aktion gelungen, das Pro-Kopf- Verhältnis der bisher in der Neckarstadt-West und auf der Hochstätt Geimpften von der untersten Stufe der Skala Mannheimer Stadteile über den Durchschnitt zu heben.
Soweit die nackten Zahlen.
„So gut haben wir noch nie zusammengearbeitet“
Es ist ja nicht damit getan, dass man ein örtliches Impfzentrum eröffnet und schon strömen die Massen. Auf der sehr kompakten Hochstätt war die lokale Impfstation immerhin unübersehbar in der Quartiersmitte untergebracht. Es zeigte sich sehr bald, dass das nicht ausreicht. Hausbesuche und direkte Ansprache über das Quartiersmanagement und über Freiwillige, Einbezug der Schulen, um an die Eltern ranzukommen, wurden unmittelbar eingeleitet. Auf der Hochstätt konnte u.a. der dortige Vorsitzende des Fußballvereins Türkspor Hochstätt für die direkte Ansprache gewonnen werden (siehe Bericht unten).
In der sehr viel größeren und vielgliedrigeren Neckarstadt konnte man aus den gemachten Erfahrungen in der Hochstätt profitieren. Die praktische Umsetzung der Impfaktion wäre ohne eine immense Kraftanstrengung nicht möglich gewesen. Vom Land wurden die mobilen Impfteams zur Verfügung gestellt. Von der Stadt und von zivilgesellschaftlichen Einrichtungen wurden Beschäftigte der Bäderbetriebe, Beschäftigte für die Security, das Quartiermanagement, das Integrationsprojekt ANIMA für Einwanderer aus Südosteuropa, die Beratungsstelle für Prostituierte Amalie, die Projekte Campus und Neckarstadtkids u.a. aktiviert, ebenso Streetworker und Sozialarbeiter der GBG einbezogen. Die Neckarschule, die Humboldt-Grund- und Werkrealschule und die Marie-Curie-Realschule waren ebenso an Bord und beteiligten sich aktiv an der Informationskampagne und suchten das direkte Gespräch mit Eltern. Der städtische Integrationsbeauftragte Claus Preissler spielte eine wichtige Rolle, um den Kontakt zu Migrantenvereinen und Moscheen herzustellen.
Nichts schaffe mehr Vertrauen als die direkte Mund zu Mund-Propaganda, so die Quartiersmanagerin der Neckarstadt-West, Jennifer Yeboah. „Wenn der Iman der albanischen Gemeinde sich impfen lässt, so hat das eine Wirkung auf die gesamte Gemeinde“. Sogar die Menschen um den sogenannten Trinkertreff am Neumarkt blieben nicht außen vor. Nach dem sich zunächst nur Einer impfen ließ, folgten nach und nach alle Anderen. Teilweise wurden die Menschen direkt auf der Straße angesprochen. Jennifer Yeboah hebt das Engagement vieler Ehrenamtlicher hervor, u.a. auch die türkische Migrantenorganisation DIDF. Auch Julia Wege von der Beratungsstelle Amalie konnte Unterstützung geben und dazu beitragen, dass Sexarbeiterinnen aus der Lupinenstraße geimpft wurden. Ein bulgarisch stämmiger Arzt informierte am Bürgerhaus Landsleute.
Nicht zuletzt trug das Jobcenter zum Erfolg bei. Fast alle der über 1.700 gemeldeten Bezieher*innen von Transferleistungen konnten telefonisch benachrichtigt werden.
Die Impfaktion war ein voller Erfolg. Bestand die wartende Menschenschlange vor dem Bürgerhaus Neckarstadt in den ersten zwei Tagen vorwiegend aus jüngeren Leuten und Studenten, so veränderte sich das Bild immer mehr in eine Richtung, die die gesamte Wohnbevölkerung repräsentierte. Tobias Vahlpahl, der städtische Leiter für die Koordinierung des Quartiermanagements, brachte es so auf den Punkt: „So gut haben wir noch nie zusammengearbeitet.“
„Ein Quantensprung“
Tobias Vahlpahl ging noch weiter. Er stellte einen „Quantensprung“ fest. Viele positiven Dinge seien zwar schon in der Vergangenheit, also vor Corona, angelegt, wie die Integrationsarbeit, Schulsozialarbeit, Quartiersmanagement, Anima usw. Aber durch die Impfaktion sei man einen Riesenschritt vorangekommen. Es gäbe die Chance, dass die geknüpften Kontakte sich auch nachhaltig auswirken. „Die Neckarstadt-West ist kein abgehängter Stadtteil sondern ein Stadtteil voller Leben“
Vom Impfchaos zu einem guten Ende?
Seit der Novellierung des Infektionsschutzgesetzes und seiner Inkraftsetzung am 23. April 2021 ist ein wenig Ordnung in die Sache gekommen. Daraufhin wurden die jeweiligen Landesverordnungen angepasst. Auf dem Portal der Stadt Mannheim sind eine Vielzahl von Maßnahmen dargestellt. Insofern scheint man tatsächlich auf einem guten Wege zu sein und das Licht am Ende des Corona-Tunnels wird sichtbar. Die großflächigen Impfungen wirken sich immer mehr aus. Bis dato sind in Mannheim 163.800 Menschen gegen das Corona-Virus (Stand 21.05.2021) geimpft worden.
Kritik am staatlichen Umgang mit der Corona-Pandemie insbesondere auf den höheren Ebenen bleibt aber zu Recht bestehen: Das betrifft vor allem die Privatisierung und das jahrelange Runtersparen des Gesundheits- und Pflegesektors, ebenso die mangelnde Bezahlung und Wertschätzung der betreffenden Beschäftigten. Auch die Patente und die Herstellung der Impfstoffe dürfen nicht in der Verfügungsgewalt einiger Konzerne obliegen, sondern müssen der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden. Die Knappheit des Impfstoffes, insbesondere in den ärmeren Ländern, ist Menschen gemacht und systemisch bedingt.
Roland Schuster
Bericht zur Impfungsaktion auf der Hochstätt
Im Folgenden ein Bericht der Mannheimer LINKEN Stadträt*innen Nalan Erol und Dennis Ulas:
Die Stadt Mannheim setzte in der Woche vom 3. bis 9. Mai zwei mobile Impfteams des Mannheimer Impfzentrums auf der Hochstätt ein. In den Räumen des Quartierbüros Hochstätt können sich alle Bewohner*innen des Stadtteils täglich von 9-15 Uhr ohne Termin und ohne Priorisierung impfen lassen. Verwendet wurde der Impfstoff von Moderna. Hintergrund dieser Aktion ist die Tatsache, dass in sozial benachteiligten Stadtteilen die Inzidenzzahlen am höchsten sind – Corona offenbart bereits vorhandene soziale Ungleichheiten in der Gesellschaft, die durch die Pandemie noch größer zu werden drohen. Daher ist der Einsatz mobiler Impfteams in diesen Stadtteilen, zu denen auch die Hochstätt zählt, ein wichtiger Beitrag, um die Infektionszahlen zu senken und für eine bessere Gesundheit der Bewohner*innen zu sorgen.
DIE LINKE und die Fraktion LI.PAR.Tie unterstützen und begrüßen diese Aktion. Daher waren Dennis Ulas und Nalan Erol von der Gemeinderatsfraktion LI.PAR.Tie. am 5. Mai vor Ort auf der Hochstätt, um sich ein Bild von der Situation zu machen und sowohl mit dem Impfteam als auch mit den Bewohner*innen ins Gespräch zu kommen. Das engagierte medizinische Personal war zufrieden mit dem bisherigen Verlauf der Aktion und dem Interesse der Bewohner*innen. An jenem Nachmittag war der Andrang aber nicht allzu groß. Daher klingelten Nalan Erol und Dennis Ulas an zahlreichen Wohnungstüren, um mit den Bewohner*innen ins Gespräch zu kommen und Werbung für das Impfen im Quartierbüro Hochstätt zu machen. Wenige zeigten kein Interesse am Impfen, einige waren bereits geimpft und viele wussten noch gar nichts von der Aktion, insbesondere Menschen mit mangelhaften Deutschkenntnissen. Aus diesem Grund regten die beiden bei der Stadtverwaltung an, bei künftigen Aktionen dieser Art Briefkasteneinwürfe in verschiedenen Sprachen zu machen und die Menschen auf der Straße oder an den Haustüren gezielt anzusprechen, um sie auf die Impfaktion aufmerksam zu machen.