Kaufhof und Karstadt vorm Ende – Wo ist ver.di-Handel?
Galeria Kaufhof/Karstadt erneut in Insolvenz: Zukunftskonzepte gefragt – Von wem, für wen? – von Anton Kobel*
Der letzte deutsche Warenhaus-Konzern Galeria Karstadt Kaufhof GmbH hat Anfang Oktober 2022 erneut Insolvenz beantragt, wieder in einem Schutzschirmverfahren. Offensichtlich waren Management und der Immobilienhändler Benko als Eigentümer mit den Erfahrungen des ersten Insolvenzverfahrens, eingeleitet im April 2020, zufrieden. Streichen konnte der Konzern dadurch über zwei Milliarden Euro Schulden. Der Kollateralschaden – oder besser Nutzen fürs Kapital? – bestand in der Schließung von 40 Filialen und dem »Abbau« von ca. 4.000 Arbeitsplätzen. Vom Staat gab es indessen 680 Millionen Euro, um das im Insolvenzplan vorgelegte neue Unternehmenskonzept, nämlich »eine Neupositionierung der Kaufhäuser in den Innenstädten als vernetzter Marktplatz der Zukunft« und als »Anker-Einzelhändler und gesellschaftliche Anlaufstelle in jeder relevanten deutschen Innenstadt« sowie den Erhalt der übrigen Arbeitsplätze zu ermöglichen.
Mit ver.di war bereits im Dezember 2019 ein »Sanierungstarifvertrag« abgeschlossen worden. In dessen Folge gab es für die Beschäftigten zugunsten der ungekürzten Monatsgehälter Einschnitte beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Ver.di verkündete, damit »für die nächsten fünf Jahre eine umfassende Standort- und Beschäftigungssicherung sowie die verbindliche und vollständige Rückkehr in die Flächentarifverträge des Einzelhandels ab Januar 2025« vereinbart zu haben. Dieser »Erfolg« war fünf Monate später, im April 2020, kaum noch das Papier wert. Im Bewusstsein berechtigter Kritik und bisher unbeachteter Verbesserungsvorschläge von Beschäftigten und Betriebsräten konnte ver.di im Tarifvertrag eine »Mitsprache bei der künftigen Ausgestaltung des Warenhauses« vereinbaren. Der damalige Bundesfachgruppenleiter Einzelhandel Orhan Akman nannte dies als einer der Verhandlungsführer einen »Riesenerfolg«. Jetzt, 30 Monate später, ist davon nichts zu bemerken. ver.di-Handel hat es (bewusst?) versäumt, die vereinbarten Mitsprachemöglichkeiten zu nutzen. Weder auf Bundes- noch auf Landesebene wurden diesbezügliche Diskussionen organisiert und gefördert, von wenigen Bezirken abgesehen. Solche Diskussionen wären auch ein »Gegengift« gegen die Unken- bzw. Nachrufe in der Presse, wonach die Kaufhäuser sich überlebt und folglich keine Zukunft hätten. Verbunden sind diese Rufe oft mit der Forderung, keine weiteren Steuergelder einzusetzen.
Und nun hat das Kaufhof/Karstadt-Management im Oktober 2022 eine weitere Schließung von Filialen angekündigt, nämlich mindestens ein Drittel von derzeit noch 131 Filialen. Zeitgleich hat es die mit ver.di geschlossenen Tarifverträge gekündigt. Begründung des zentralen Geschäftsführers Miguel Müllenbach in seinem Schreiben am 7. Oktober 2022 an die »Liebe[n] Kolleginnen und Kollegen: […] Heute geht es um ein Thema von existentieller Bedeutung […], da wir mit Galeria 2.0 eine Strategie haben, die sowohl nach mehrfacher externer Begutachtung als auch anhand der internen Entwicklungen erwiesenermaßen zukunftsfähig ist […] Seit Februar dieses Jahres ist jedoch – ausgelöst durch den Krieg in der Ukraine – eine Situation eingetreten, in der das Konsumklima in Deutschland auf ein historisches Reexpress Nr. 12/2022 kordtief eingebrochen, die Energiepreise dramatisch explodiert und die Inflation auf ein Rekordhoch gestiegen sind […] Galeria muss beispielweise in den kommenden zwei Jahren über 150 Mio. Euro mehr aufwenden als bislang geplant […] Wir werden unseren Weg nur erfolgreich fortsetzen können, wenn es uns gelingt, die Finanzierung von Galeria neu zu strukturieren und dem Unternehmen neues, frisches Kapital zuzuführen.« Folglich habe das Unternehmen den sog. »Integrationstarifvertrag« kündigen müssen, »um unser Unternehmen wieder insgesamt nachhaltig zu stabilisieren […] Die Folge dieser Kündigung ist zum einen das ›Einfrieren‹ der Vergütung auf dem aktuellen Lohnniveau und zum anderen die Verpflichtung, mit Verdi zu verhandeln, um den Tarifweg nunmehr an die neue Situation anzupassen«. Und weiter: »Ich bitte Sie/Euch deshalb nicht nur um Verständnis, sondern auch um den großartigen Zusammenhalt und das außergewöhnliche Engagement, die uns keine äußeren Zwänge nehmen können.«
Wut und Angst um Arbeitsplatz und Einkommen dominieren die Gespräche der Beschäftigten in der Vorweihnachtszeit. Viele Beschäftigte sprechen angesichts der in den letzten Jahren ziemlich regelmäßig verschlechterten Arbeitsbedingungen nicht mehr von Galeria Kaufhof/Karstadt, sondern von »Galeeria«. In dieser Situation berät die ver.di-Bundestarifkommission Kaufhof/Karstadt über mögliche Forderungen. Bisher, Stand 23. November 2022, sind dies u.a.:
- Tarifbindung des Unternehmens zugunsten der Beschäftigten.
- »Es muss ein innovatives und tragfähiges Zukunftskonzept […] unter Beteiligung und Mitwirkung der Arbeitnehmer:innen und externem Sachverstand entwickelt werden. […] Der Eigentümer verpflichtet sich zu konkreten Investitionssummen. Auch das Management muss einen festgelegten Betrag zur Sanierung leisten.«
Letzteres spiegelt die Skepsis von ver.di-Aktiven wider gegenüber einem ›Irgendwie-weiterSo‹, vor allem mit neuem Geld, erneut auch von den Beschäftigten durch Verzicht auf Gehaltserhöhungen in Zeiten von Inflationsraten von zehn Prozent. Dem Management trauen die wenigsten die Fähigkeiten für ein »Kaufhaus der Zukunft« zu. Endlich soll das seit Jahren immer wieder betonte Erfahrungswissen der Beschäftigten genutzt werden, so aktive Kaufhof/Karstadt-Betriebsräte. Welches Sortiment vor Ort und in der Region nachgefragt wird, können »die in der Zentrale nachgewiesenermaßen nicht wissen und planen«. Es sei nicht nur die Konkurrenz durch den Online-Handel, sondern auch die Auswahl und Qualität der Waren und die durch den permanenten Personalabbau reduzierte Beratung. Immer mehr wird nach den Erfahrungen der letzten drei Jahrzehnte mit wechselnden, im Einzelhandel unerfahrenen Eigentümern auch die Eigentümerfrage diskutiert. Das offensichtliche Scheitern des Kunsthändlers Berggruen und des Immobilienhändlers Benko als Eigentümer sowie von deren Managern beflügeln zunehmend solche Überlegungen. Staatliche Kredite und andauernde Gehaltsverzichte der Kaufhof/Karstadt-Beschäftigten ermutigen zu bisher ungewöhnlichen Überlegungen. Wie wird ver.di-Handel damit umgehen? Ohne Ideen und Druck von Mitgliedern und Aktiven wird es wahrscheinlich auch kaum Veränderungen in der bisherigen Haltung von ver.di geben. Und die ist seit Jahren bekannt und ziemlich ideen- und erfolglos: Wir nutzen die Rechte der Betriebsräte und Gesamtbetriebsräte sowie die tarifvertraglichen Möglichkeiten von ver.di u.a. zu Sanierungs-, d.h. Verzichtsverträgen, und dann hoffen wir, dass es gut wird. Oder neoliberal: Der Markt wird es richten. Die Risiken für alle Beteiligten sind bekannt.
* Anton Kobel ist seit 1973 gewerkschaftlich haupt- und ehrenamtlich tätig im Bereich Handel
erschienen in express Nr. 12/2022 – mit freundlicher Genehmigung des Autors im Kommunalinfo dokumentiert.
Ein ehernes Gedenken an Otto Schabowicz
Am 16.12.2022 ist Pater Otto Schabowicz verstorben. bringen würde
Anton Kobel: “Pater Schabowicz, oder Schabo wie er von fast Allen genannt worden ist, war ein konsequenter Aktivist beim Kampf um Arbeitsplätze und gegen Unternehmerwillkür im Großraum Mannheim. Wir von HBV MA/HD haben Schabo als aktiven solidarischen Kollegen beim Kampf gegen die Schließung von Hertie in E1 im Jahre 1995/96 und beim Kampf gegen Schlecker in 1994/95 erlebt.“
Wer mehr erfahren will: Roger Scholl hat im Mannheimer Morgen vom 21.12.2022 einen kenntnisreichen Nachruf geschrieben.
Dokumentiert: ver.di-Linke NRW fordert Rücknahme der Kündigung von Orhan Akman durch ver.di
Am 13. November [2022] war Orhan Akman, bisheriger Bundesfachgruppenleiter Einzelhandel, zu Gast bei der ver.di Linken NRW. Dabei hatte er die Möglichkeit, seine Sicht auf die eskalierende Auseinandersetzung um seine Kandidatur und inhaltliche Vorstellungen für die Entwicklung in ver.di vorzustellen. Inzwischen wird von vielen Mitgliedern und Gremien in ver.di die Rücknahme der Kündigung gefordert. Wir sind der Auffassung, eine konkurrierende Kandidatur zum Bundesvorstand oder für eine Fachbereichsleitung ist Bestandteil einer demokratischen Entscheidungsfindung und darf nicht durch eine Kündigung verunmöglicht werden. Orhan Akman muss die Möglichkeit haben, seine Kandidatur weiter aufrecht zu erhalten und für seine Positionen zu werben. Ob er damit Erfolg hat, muss in einer demokratischen Willensbildung entschieden werden. Der Koordinierungskreis der ver.di-Linken NRW