Leserbrief: Das nennt ihr modern?
Am 22. April veröffentlichte die Redaktion des KIM die Pressemitteilung des Bündnisses „Nordisches Modell“ unkommentiert unter dem Titel: Starke Stimme(n) für eine moderne Prostitutionspolitik in Deutschland.
Und diese Stimme hat viel zu sagen. Prostitution sei „ein perfides System aus sexueller Ausbeutung und brutaler Gewalt“. Ich dachte bisher es sei eine sexuelle Dienstleistung, zwischen Erwachsenen, gegen Entgelt. Diese Stimme fordern nun auch, dass Deutschland endlich wegkommt von „den gescheiterten Regulierungsversuchen des nicht regulierbaren Gewaltsystems Prostitution“. Nun kann nur spekuliert werden, welche Regulierungsversuche sie meinen.
Etwa das im Jahr 2002 in Kraft getretene Prostitutionsgesetz?
Durch dieses wurde einiges rund um das Feld der Prostitution, welche zwar seit 1927 legal war, aber als sittenwidrig und gemeinschaftsschädlich galt mit dem Ziel entkriminalisiert, die Sexarbeitenden zu stärken und zumindest rechtlich zu entdiskriminieren und zwar explizit die Sexarbeiter*innen und nicht die Kund*innen und Bordellbetreiber*innen.
Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung, laienhaft als Zwangsprostitution bezeichnet, war damals und ist bis heute strafbar, auch wenn sich Begrifflichkeiten durch die Neufassung des Gesetzes 2005 veränderten.
Die EU Osterweiterung, die extrem unterschiedlichen Lebensstandards innerhalb der EU, die damit einhergehende Arbeitsmigration, sowie die 2005 eingeführten Hartz IV Gesetze, schafften in Deutschland einen prekären Niedriglohnsektor der auch vor der Sexarbeit nicht halt machte, da gerade dort der Einstieg in Arbeit, z.B. bei Sprachbarrieren besonders niedrigschwellig ist.
Vielleicht meinen sie auch das am 1. Juli 2017 in Kraft getretene Prostituiertenschutzgesetz.
Ziel des Gesetzes sei es, Prostituierte „besser zu schützen und ihr Selbstbestimmungsrecht zu stärken, […] Grundlagen zur Gewährleistung verträglicher Arbeitsbedingungen und zum Schutz der Gesundheit […] zu schaffen“ sowie „Menschenhandel, Gewalt gegen Prostituierte und Ausbeutung von Prostituierten und Zuhälterei zu bekämpfen“.
Im Gegensatz zum überwiegend entkriminalisierenden Prostitutionsgesetz von 2002, kann dieses Gesetz als klarer Versuch einer Regulierung der Prostitution gewertet werden. Erlaubnispflicht von Bordellbetrieben, Beratungspflicht und Zwangsregistrierung, sowie verbindliche Vorgaben für Arbeitsplätze (Duschen, Toiletten, Kondompflicht etc.), deutlich erweiterte Befugnisse der Polizei, wie Durchsuchungen von privatem Wohnraum auch ohne Durchsuchungsbefehl bei Verdacht auf Prostitution etc..
Es ist also anzunehmen, daß das „Bündnis Nordisches Modell“ dieses doch recht junge Gesetz als gescheitert bezeichnet und somit mehr weiß, als das für die Auswertung zuständige Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Dieses schrieb im am 30.06.2020 veröffentlichten Zwischenbericht „eine Auswirkung dieses Gesetzes ist zum jetzigen Zeitpunkt und alleine auf der Grundlage der beschränkt aussagekräftigen statistischen Daten nicht möglich“. Der Start einer hoffentlich trotz Corona-Pandemie aussagekräftigen Evaluation ist für Juli 2022 geplant.
Das Bündnis sieht die Lösung aller Probleme im „Nordischen Modell“. Das Wissenschaft und Forschung regelmäßig moniert, dieses Modell gebe es gar nicht, da das sogenannte „Nordische Modell“ in den verschiedenen Ländern ganz unterschiedlich umgesetzt wird und auf unterschiedliche soziokulturelle Bedingungen trifft, stört diese ExpertInnen wenig. Auch über die Frage, wie die versprochene Entkriminalisierung im Unterschied zu heute aussehen soll kann nur spekuliert werden. Logische Konsequenz aus dem im „Nordischen Modell“ implementierten Sexkaufverbot, wäre tatsächlich die Abschaffung der Sperrbezirke, denn wenn Sexkauf überall verboten ist, dann braucht es ja weder Rotlichtviertel, noch Verbotszonen. Die Reaktion von Verwaltungsbehörden und Polizei darauf, darf mit Spannung erwartet werden.
Wahrscheinlich bleibt man mit Absicht unkonkret. Schließlich ist das Ziel dieser Neo-abolitionistischen Anti-Sexarbeitsbewegung nicht die Entkriminalisierungen oder gar Besserstellung der Frauen in der Sexarbeit (männliche und genderdiverse Sexarbeit wird ignoriert um das Narrativ Sexarbeit=Frauenunterdrückung aufrecht erhalten zu können), sondern die Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen durch Kriminalisierung der Kunden auszutrocknen und damit letztlich Sexarbeiter*innen die Arbeitsgrundlage zu entziehen.
Genau dies würde aber zu einer massiven Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für Sexarbeitende führen und darauf weisen eine Reihe von Auswertungen zum sogenannten Nordischen Modell hin.
So ist es wenig verwunderlich daß in diesem Bündnis Terre de Femme Deutschland zu finden ist, welches regelmäßig antimuslimische Ressentiments schürt und offen trans*feindlich ist, aber nicht Amnesty international, die deutsche Gesellschaft für Menschenrechte oder BufaS e.V. (Bündnis Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter) die ein Sexkaufverbot ablehnen. Es scheint diese Stimme(n) ist wohl eher laut als stark und das Modell alles andere als modern.
Daß es in der Sexarbeit auch Gewalt, Ausbeutung, Rassismus und Sexismus gibt bestreitet niemand. Diese Phänomene sind aber gesellschaftlicher Natur und nicht charakteristisch für sexuelle Dienstleistungen. Natürlich sollte Niemand im Bereich der Sexarbeit arbeiten müssen, der dies nicht will, dafür braucht es Umstiegs- und Qualifizierungsangebote die nicht direkt in Abschiebung, Obdachlosigkeit, Hartz IV oder Schulden führen.
Gerade für Mannheim mit seinen schwierigen Arbeitsbedingungen für Sexarbeiter*innen wäre ein lösungsorientierter sachlicher Diskurs der einerseits nicht ständig den jetzt schon strafbaren Menschenhandel mit legaler Sexarbeit verwechselt und andererseits Sexarbeitenden nicht jegliche Selbstbestimmung und Handlungsmacht abspricht wichtig.
Wer sich also, jenseits von Sexualmoral und ihrem Bedürfnis nach Kontrolle des weiblichen Körpers, auf den aktuellen Stand der Debatte bringen möchte, sei auf „ The Prostitution Problem“ in „Archives of Sexual Behavior“ der führenden internationalen Fachzeitschrift für Sexualforschung (Grundlagenartikel von Benoit et al. 2019 mit 8 darauf bezogenen Kommentaren) verwiesen. Soviel sei verraten, diese Expert*innen sprechen sich überwiegend gegen den aktuellen Trend repressiver politischer Maßnahmen aus und fordern dazu auf, genauer zu analysieren, was für wen an der Sexarbeit eigentlich das „Problem“ ist und welche Unterstützungsangebote aktive und ehemalige Sexarbeiter*innen tatsächlich fordern.
Isabell Fuhrmann
BDSM-Coach