Die „Freien Pfälzer“ suchen Anschluss: Erneuter „Spaziergang“ durch die Mannheimer Innenstadt
Am Samstag, dem 15.10., zogen nach Polizeiangaben ca. 250 Menschen durch die Innenstadt. Mutmaßlich war der Umzug von den „Freien Pfälzern“ organisiert, auf jeden Fall aber angeführt. Es ging um Frieden mit Russland, ums befürchtete Frieren und die Gasversorgung und um die Schädlichkeit von Corona-Impfungen. Vorneweg diverse Pauken und Trommeln mit Stadiontröte. Als eifriger Trommler betätigte sich in der ersten Reihe ein „Druide“, mutmaßlich Burghard B. (Er war erst am 4.2.2022 vom Landgericht Mannheim zu einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung und 1.300 EUR Geldstrafe wegen illegalen Waffenbesitzes und Volksverhetzung verurteilt worden. Laut Hessenschau vom 15.1.22 habe er im Internet gehetzt, Juden und Muslime müssten „vernichtet“ werden. Der „Druide“ wird den Reichsbürgern zugeordnet.)
Der „Druide“ und die Trommler:innen (Weißwesten) der Freien Pfälzer führten den Zug an.
Die Vorhut des Umzuges bildete ein bemerkenswertes Polizei-Aufgebot von zwei Blaulichtwagen – davon einer mit 360°-Megaphonbatterie auf dem Dach sowie sechs Polizeimotorrädern, fast wie eine Präsidenten-Eskorte. Ansonsten wenige begleitende Polizeibeamt:innen, die meisten in den gelben Westen des „Anti-Konflikt-Teams“. Die Demonstration sei „vollkommen friedlich verlaufen“, so die zufriedene Polizei.
Vier Wochen zuvor demonstrierten die „Freien Pfälzer“ hinter dem entlarvenden Transparent „Werden hier noch die Interessen des Volkes vertreten? Energiekrise, Lobbyismus / Korruption, Kriegshandlungen, Gesundheitssystem, Inflation. Wann fängst DU an, Fragen zu stellen? Frieden, Freiheit, Selbstbestimmung!“ Ein wahres Fischernetz für alle Menschen aus dem „Volk“, die „selbstbestimmt“ leben wollen. Wer will das nicht? Wer oder was hindert das „Volk“ daran? Und wie kann die „Selbstbestimmung“ realisiert werden? findet sie auch Grenzen?
Wenn die Volksvertreter und die Politik das Volk verraten, dann helfen wohl nur noch faschistische Milizen und Preppergruppen, am Ende ein “Führer” und dann auch noch ein „Volksgerichtshof“, den sie Nürnberg 2.0 nennen, wie der Aufkleber auf des „Druiden“ Pauke ankündigt.
Diesmal gab es jedoch nur Fahnen und Schilder, die fast alle aus einer Hand gefertigt waren:
Die Parolen
Wogegen geht es bei dieser Demonstration? Welche Forderungen werden geäußert?
„Unbezahlbare Energiekosten – durch unsere eigenen Sanktionen | Staat bereichert sich mit 3.600.000.000 mit Energiepreis-Explosion. Denk nach!| Baut Schulen, keine Waffen | Bei der Bankenrettung sind sie fix, für die Pflege tun sie nix | Steuern runter macht uns munter | Masken & Impfung schädigen Immunsystem – Deshalb sind so viele krank | Solidarität hat Grenzen! | Wir sind nicht das Sozialamt für die Welt! | Unsere Rentner leiden Armut. Unsere Politiker schenken Geld in die ganze Welt. Denk nach! | Wir fordern Wahrheit! | Beschwere dich nicht! Wehre dich! | Wer jetzt nicht aufsteht macht mit“. Und, so richtig volkstümlich-kurpfälzisch, mit weißen Lettern auf diversen schwarzen Fahnen (die sich nur durch den neutralen Schrifttyp von den entsprechenden Transparenten der „Freien Kameradschaften“ unterscheiden): „N’Scheiss muss ich“ – fast wie in der Bewegung gegen die Wiederbewaffnung in den 50er Jahren: „Ohne mich!“. Nur: Damals war es die klare Ansage, sich nicht in die Bundeswehr sperren zu lassen, gegen die erneute Militarisierung Deutschlands einzutreten.
Forderungen sind das alles eigentlich nicht, nur Anklagen gegen “Die”. Es ist ein allgemeines Geraune oder Geschrei gegen „Die da oben“, bzw. gegen „Sie“ oder “Die”. Man denkt gar nicht an Oben und Unten, sondern nur an „Wir“, das „Volk“ und „Die“. Fordert man von der Regierung einen Energiepreisdeckel? Fordert man steuerpolitische Maßnahmen wie etwa die Übergewinnsteuer? Eine Sonderabgabe für große Vermögen im Sinne eines Lastenausgleichs? Eine Senkung der Einkommenssteuer – im unteren Bereich? Im oberen Bereich? Senkung der Mehrwertsteuer? Oder fordert man die Wiedereinführung der Vermögenssteuer? – Nein, es bleibt beim „Steuern runter“, ob für Arme oder Reiche tut nichts zur Sache, wir sind ja das Volk, allerdings eher das mittelständische. Eine Dame hält das Anklageschild „Der Mittelstand in der Hand von Dilettanten“.
Immerhin „Schulen“ und „Pflege“ werden erwähnt. Aber wie? Bürger:innen-Versicherung für mehr Geld für die Pflege und die Pflegenden? Damit sind wir schon wieder bei der nicht geklärten Frage der Finanzierung öffentlicher Aufgaben gerade in Krisenzeiten. Forderungen gegen Armut sucht man vergebens. Der Mietenwahnsinn taucht auch nicht auf (da sind offensichtlich zu viele Damen und Herren unterwegs, die selbst Vermieter:innen sind.) Zu den wesentlichen Fragen der Klima- und Energiepolitik gibt es ebenfalls keinerlei Äußerung, außer dass alles zu teuer ist. Nur eines ist klar: Grenzen zu! („wir sind nicht das Sozialamt der Welt“) unter dem Motto: der arme „Deutsche Michel“ muss immer zahlen und leiden. Diese Opfer-Story hat scheinbar noch nie etwas von – um es in knappen politologischen Begriffen zu fassen – Kolonialismus, Imperialismus, Rohstoffplünderung, ungleichem Welthandel, Bereicherung der Metropolenländer und somit Fluchtursachen gehört. Was die deutsche Wirtschaft in der Welt alles schafft, ist uns egal! Wir sind nicht das Sozialamt der Welt!
Interessant ist bei dem Aufzug der „Freien Pfälzer“, was man sonst noch sieht und was man nicht sieht: Man sieht vereinzelt Plakatpappen im Stile und mit allgemeinen Friedensparolen der Friedensbewegung inkl. der PACE-Regenbogenfahne.
Man sieht schwarz-rot-goldene Fahnen. Man sieht keine schwarz-weiß-roten Reichsfahnen und sonstige Reichsbürgerstilistik. Lediglich ein Mann trägt mit der Hand die Bundesflagge und über der Schulter die Flagge des Großherzogtums Baden, welches im Deutschen Kaiserreich ab 1871 noch teilautonomer Bundesstaat war. Ein bisschen Reichsbürgerei muss eben sein.
Man sieht keine einzige Parteifahne. Und ja, man sieht neben den üblichen Sprüchen der „Corona-Gegner“ auch einen Hinweis auf „Chemtrails“. Es findet sich hier, was zusammengehört, aber es ist das deutliche Bemühen der Veranstalter zu spüren, als Repräsentanten des „Volkes“ zu erscheinen, indem sie vorgeben: „Wir kennen keine Parteien mehr, nur noch das Volk – und wir führen das Volk“. Da erscheint es fast schon deplaziert, dass ein Demonstrant auf seinem Rucksack ein kleines selbstgemachtes Wellpappeschild trägt: „Nehmt die Grünen vom Netz“.
Die Demo wurde von den Organisator:innen regelrecht „weichgespült“ inszeniert. Mit einigen Angeboten an demokratische Oppositionelle, wie Friedensbewegung oder soziale Protestbewegung, der sie durchaus auch die eine oder andere Parole klaut und ein bisschen ummodelt: „Das Leben muss bezahlbar bleiben. Wir zahlen eure Krise nicht!“
Emanzipatorische Politik, die mit Begriffen wie „frei“ und „Selbstbestimmung“ vorgegaukelt wird, findet hier keinerlei Basis. Emanzipatorische Politik würde klare Antworten und den Streit um den richtigen Weg erfordern, kein wehleidiges Geblubber mit der inhaltslosen jedoch nicht richtungslosen Parole „Wehrt euch!“. Die Richtung weist auf völkische „Lösungen“ inkl. Putsch, auf „Frieden“ ohne Völkerrecht, auf Umbiegung sozialer Forderungen ins Leere im Sinne einer Volksgemeinschaft.
Die “Freien Pfälzer”
Die „Freien Pfälzer“ sind zurzeit wöchtelich in vielen Gemeinden der Pfalz aktiv – nicht nur an Montagen. Sie versuchen in Mannheim in ein Vakuum vorzustoßen, welches durch den in Mannheim gescheiterten Naziaktivismus rund um die NPD entstanden ist und welches gegenwärtig nicht adäquat (im Sinne der rechten Szene) durch die AfD gefüllt ist. Sie schließen unmittelbar an die Coronaleugner-Demos als lockere und weit geöffnete „Spaziergänge“ an, zu denen sie Ende letzten Jahres u.a. auch in dem „wiedererstarkenden Mannheim“ (telegramKanal https://t.me/s/freiepfaelzer?before=77) aufriefen. Namensmäßig beziehen sie sich auf die „freien Sachsen“, deren Gründer RA Martin Kohlmann eine Karriere aufweist von den Republikanern über die Deutsche Soziale Union bis hin zu guten Kontakten zur NPD.
Es wird höchste Zeit …
Es wird höchste Zeit, dass auch in Mannheim die tatsächlichen Kräfteverhältnisse zwischen antidemokratischen „Abstaubern“ bei jeder Krise und den Kräften sichtbar werden, die absolut gerechte und notwendige Forderungen solidarisch auf die Straße tragen, die ein Durchstehen der gegenwärtigen Krisensituation für breite Schichten der Bevölkerung ermöglichen können. Die bundesweiten Demonstrationen am 22.10. in sechs Städten, darunter auch Stuttgart mit lt. SWR 4.000 Teilnehmenden „Solidarisch durch die Krise – soziale Sicherheit schaffen und fossile Abhängigkeiten beenden“ waren ein guter Anfang.
Thomas Trüper (Bilder: KIM)