Ukraine im zweiten Kriegsjahr – wie geht es weiter? Gut besuchte Veranstaltung mit dem Historiker Peter Brandt
“Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts” (Willy Brandt)
Der Gesprächskreis Mannheim des politischen Nachrichtenblogs NachDenkSeiten hat am 14. November zu einer Veranstaltung im Bürgerhaus Neckarstadt in Mannheim eingeladen. Der Saal war mit 200 Besuchern bis auf den letzten Platz gefüllt. Vom großen Andrang waren selbst die Veranstalter überrascht, beherrschen doch momentan als kriegspolitisches Thema nicht die Ukraine, sondern der Krieg in Israel/Gaza die Schlagzeilen. Mit dem Historiker Prof. Peter Brandt trat aber auch ein erwiesenermaßener Kenner der Materie als Redner auf. Peter Brandt ist Sohn des früheren Bundeskanzlers Willy Brandt, der bekanntlich als Begründer der Entspannungspolitik in die bundesdeutsche Geschichte eingegangen ist. Ganz im Sinne dieser Tradition wirbt Peter Brandt für einen Waffenstillstand, für Verhandlungen und für eine politische Lösung des kriegerischen Konflikts Russlands und der Ukraine. Er lässt keinen Zweifel an der Verantwortung Russlands für diesen Krieg. Gleichzeitig wirft er aber dem Westen, der NATO und Deutschland vor, eine Mitverantwortung für diesen Krieg zu haben und nicht alles für eine politische Verhandlungslösung zu tun. Andernfalls drohe die atomare Apokalypse, von der auch Deutschland unmittelbar bedroht sei.
Es würde die Kapazität des Kommunalinfos übersteigen, die mit vielen Fakten unterlegte Rede des Historikers und die anschließende Diskussion widerzugeben, die zusammen zwei Stunden umfassten.
Statt dessen wollen wir die einleitenden Worte von Jochen Schneider veröffentlichen. Sie geben einen guten Vorgeschmack dessen wider, was danach vorgetragen und diskutiert worden ist. Schneider ist Koordinator des Mannheimer Gesprächskreises der NachDenkSeiten.
Zu seiner Person:
Begrüßungsrede von Jochen Schneider
Der Anlass für die heutige Veranstaltung ist ein traurigerer. Es herrscht Krieg in und am Rande Europas . In der Ukraine und im Nahen Osten.
Die Hoffnung auf die sogenannte Friedensdividende mit dem Ende des Ost-West-Konflikts 1990 hat sich nicht erfüllt.
Unsere Planung der heutigen Veranstaltung war, Antworten zu suchen, wie aus der Spirale der militärischen Gewalt und Eskalation in der Ukraine und der Aufrüstung in Deutschland/NATO zu entkommen ist.
Diese Antworten finden wir in der herrschenden Politik nicht oder kaum wahrnehmbar. Stattdessen eine fast schon pseudoreligiöse Begeisterung für immer weitere Waffenlieferungen, ohne offensichtlich den militärischen Sachverstand zu haben, wie dies der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr Kujat überzeugend darstellt.
Auch die veröffentlichte Meinung – Presse, Rundfunk, Fernsehen – ist zu großen Teilen nicht willens oder in der Lage Standpunkte zu formulieren, die der Regierungspropaganda kritisch gegenüberstehen.
Die Entwicklung im Nahen Osten hat unsere Planung für das Thema des heutigen Abends überrollt.
Es würde den Rahmen dieser Veranstaltung sprengen, die schreckliche Situation in Israel und Palästina angemessen zu diskutieren.
Gänzlich ignorieren kann ich sie auch nicht.
Ich möchte Marion Friedländer, eine der letzten Überlebenden des Holocaust zitieren:
„Die Lehre aus dem Holocaust ist die bedingungslose Verteidigung der Menschenrechte für alle! Es gibt kein christliches, muslimisches, jüdisches Blut. Es gibt nur menschliches Blut.“
Menschenrechte sind in diesem Falle keine Verhandlungsmasse. Sie gelten für Palästinenser und für Israelis
Aber:
Es kann keine Rechtfertigung geben für Terror, Geiselnahme und Entführung von Jugendlichen bei einem Musikfestival durch die Hamas – und es kann keine Rechtfertigung geben für unverhältnismäßige militärische Gewalt, die über das Maß der Selbstverteidigung Israels hinausgeht Beides ist ein Rückfall in die Barbarei!
Das Existenzrecht Israels gilt genauso selbstverständlich wie das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat.
Zurück zum Thema heute Abend:
Wir setzen uns ein für eine differenzierte Betrachtung des Krieges in der Ukraine .
Auch hier muss gelten, politische Ursachen des Krieges zu analysieren und Schlüsse daraus zu ziehen, die eine Politik des friedlichen Zusammenlebens in Europa ermöglicht und die nicht Sicherheitspolitik, die auf einem Interessenausgleich beruht, durch Fanatismus und Hass zu ersetzen.
Wer das Sicherheitsinteresse Russlands diskutiert, ist deshalb kein Verteidiger des autokratischen Systems in Russland !
Wir benennen den Einmarsch in die Ukraine als Bruch des Völkerrechts, kritisieren jedoch das weitere Drehen an der Eskalationsschraube militärischer Mittel durch die NATO.
Die Antwort kann nur sein:
VERHANDELN STATT SCHIESSEN !
Wie kommen wir diesem Ziel näher?
Antworten erhoffen wir uns vom Referenten des heutigen Abends, Prof. Dr. Peter Brandt.
Einige Fragen möchte ich seinen Ausführungen voranstellen:
Haben wir im Westen alles getan, diesen Krieg zu verhindern?
Warum wurden die Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland im März 22 von den USA+UK sabotiert ?
Kann es im deutschen Interesse liegen, die Ziele der USA widerspruchslos und bedenkenlos zu unterstützen ?
Haben wir nichts aus der Zeit des Kalten Kriegs gelernt ? Auch damals hatten wir es nicht mit Friedenstauben in der UdSSR zu tun.
Die Entspannungspolitik hatte jedenfalls eine angemessene Strategie, die mit zur Überwindung der Teilung Europas führte.
Auch in den USA gab es unter Kennedy 1962 anlässlich der Kuba-Krise die Analyse, dass mit Chruschtschow ein Interessenausgleich gesucht werden muss. Kennedy war überzeugt, dass ein Krieg gegen eine Atommacht tödlich für alle sein wird.
Wie schaffen wir es, friedensfähig in Deutschland und Europa zu sein oder zu werden und nicht „kriegstüchtig“, wie das der – muss man ja jetzt sagen – Kriegsminister Pistorius sich vorstellt?
Was sind die zentralen Positionen des Konzeptes eines „Verhandlungsfriedens für die Ukraine“, das Peter Brandt zusammen mit dem ehemaligen Generalinspekteur der Bundeswehr Kujat, Prof. Funke und Horst Teltschik – ehemaliger Sicherheitsberater von verschiedenen CDU-Bundeskanzlern – erarbeitet hat?