Platz in Heidelberg nach der Kommunistin und Antifaschistin Sophie Berlinghof benannt und eingeweiht

Sophie-Berlinghof-Platz in Heidelberg-Handschuhsheim ist eingeweiht

Am 30. Juli 2025 fand die Einweihungsfeier des Platzes statt. Trotz stürmischen und regnerischen Wetters zu Beginn nahmen 120 an der knapp eineinhalbstündigen Veranstaltung teil, darunter rund ein Drittel aus Handschuhsheim und neun Angehörige von Sophie Berlinghof (aus drei Generationen). Sophie Berlinghof war Antifaschistin und Kommunistin, der bisherige Namensgeber Karl Kollnig aktiver Nazi-Anhänger. Die Umbenennung hatte der Gemeinderat bereits am 20. Februar beschlossen.

Gemäß Ablaufplan der VVN-BdA-Kreisvereinigung gab es neben der Begrüßung und Einführung durch Joachim Guilliard, Kreisvorstandsmitglied der VVN-BdA-Kreisvereinigung, und der Hauptrede, abwechselnd vorgetragen von Traudel Polzer und Martin Hornung, Musikbeiträge mit Trompete, Querflöte, Gitarre und Gesang von Rike Fießer, Helmut Ciesla und Michael Csaszkóczy.

Nach Grußworten von Die Linke, SPD, Bunte Linke, Linksjugend [Soldi] und DGB wurde unter großem Beifall das neue Schild Sophie-Berlinghof-Platz von Christiane Schmidt-Sielaff (SPD-Bezirksbeiratsmitglied), Hildegard Lutz (VVN-BdA Heidelberg) und Rainer Benz, Großneffe von Sophie, enthüllt. Den Abschluss bildete das gemeinsam gesungene Lied „Die Moorsoldaten“.

Martin Hornung, Eppelheim


Dokumentation der Hauptrede, abwechselnd vorgetragen von Traudel Polzer und Martin Hornung:

Sehr geehrte Anwesende, liebe Freundinnen und Freunde, Hallo und einen schönen, interessanten Abend!

Bevor wir zur Würdigung von Sophie Berlinghof, ihrem Leben und Wirken kommen – stellvertretend für viele Andere im Widerstand gegen den Nazi-Faschismus – ein paar Bemerkungen zur bisherigen Benennung dieses Platzes.

Entstanden ist der Ort – bekannt als „Der Freie Platz“ (ohne Gebäude-Adressen), vor 70 Jahren – als die Bergstraße zur Mühltalstraße durch gebaut wurde, nachdem zuvor zwei Häuser im Waldweg und eines in der Mühltalstraße abgebrochen worden waren.

Dass ein Platz nach 50 Jahren einen Namen bekommt, der 20 Jahre später wieder geändert wird, ist ungewöhnlich. Benannt nach Karl Rudolf Kollnig wurde er 2005/2006. Zu den Gründen, warum der Gemeinderat ihm am 20. Februar 2025 die Namensnennung entzogen hat, zitieren wir aus einem Aufsatz von Anna-Lena Mohr im Jahrbuch der Stadt Heidelberg 2021. Mit dem Titel: „Die Professoren der Pädagogischen Hochschule und ihre Vergangenheit vor 1945. Anlass für Nachforschungen?“ Zitate daraus:

„Ein Engagement für den Nationalsozialismus kann 1934 festgestellt werden, als er (Kollnig) in die örtliche SA eintrat, kurze Zeit später zum Rottenführer und schließlich zum Scharführer befördert wurde. … Als Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft forschte er ab 1935 als wissenschaftlicher Mitarbeiter unter der Leitung der Professoren Eugen Fehrle … und Günther Franz – beide überzeugte Nazis – an der Universität Heidelberg über die Thematik ‚Volkstum und Stammescharakter der Großstadt‘. … Eine daraus entstandene Veröffentlichung wurde … 1973 aufgegriffen und … von Studierenden … (der PH) veröffentlicht.“

 In dieser Schrift Kollnigs von 1938 heißt es zum Beispiel: „Zu Beginn des 18. Jh. nahm das Verhalten der Juden in der Stadt (Mannheim) so aufreizende Formen an, daß sich die Beschwerden der Bürger beim Stadtrat häuften. Man braucht ja nur einen Blick in die Mannheimer Rathausprotokolle zu werfen, um zu erkennen, wieviel Unruhe und Beschwernis die Bürger durch die Juden erlitten. … Erst das III. Reich schuf neue Gemeinschaften.“

 Anlässlich der Veröffentlichung dieser und anderer Absonderungen hat Kollnig einen linken Studenten (gleichzeitig ASTA-Vorsitzender) angezeigt: er sei als „Reaktionär“ bezeichnet und damit „schwer beleidigt“ worden. Der Student wurde 1973/74 in zwei Instanzen  freigesprochen – mit formaler Begründung – erhielt aber ein Jahr danach als Lehrer Berufsverbot..

 Frau Mohr schreibt weiter: „Das Bewerbungsschreiben – für eine Dozentenstelle an der Hochschule für Lehrerbildung in Karlsruhe 1936 – gibt ebenso Hinweise auf Kollnigs politische Aktivitäten. (Zitat): ‚Ich bin SA-Scharführer, Verwaltungsführer des Sturmes 7/171 und vorgeschlagen, … in die NSDAP aufgenommen zu werden. … Heil Hitler.‘ Im Mai 1937 wurde Kollnig NSDAP-Mitglied, wozu er sich 1947 folgendermaßen äußerte: ‚Ich wehrte mich damals nicht gegen die vollzogene Aufnahme in die Partei, da ich es für zweckmäßiger hielt, offiziell als politisch zuverlässig zu gelten.“  So weit Auszüge aus dem Jahrbuch.

Zum Vorschlag der Heidelberger Kommission für Straßenbenennungen 2023, Kollnig die Platzwidmung abzuerkennen, hat diese Aufarbeitung wesentlich beigetragen. Die Nachweise und detaillierten Quellenangaben von Frau Mohr haben die Vorwürfe untermauert, dass Kollnig aktiver Anhänger des Nazi-Faschismus war.

Kritisch und selbstkritisch ist anzumerken: Die ersten Enthüllungen völkischer Schriften Kollnigs wurden von der PH und der gesamten Stadt-Öffentlichkeit über vier Jahrzehnte nicht mehr aufgegriffen. Die „Anregung“ aus dem damaligen Vorstand des Stadtteilvereins, Benennung des Platzes nach Kollnig, ist 2005 im Bezirksbeirat und im Gemeinderats-Ausschuss als Antrag „nicht-öffentlich“ behandelt worden, was ebenfalls Fragen hinterlässt. Der Gemeinderat hat den Beschluss „mehrheitlich, bei einer Enthaltung“ gefasst. Erst 2017 wurde Kollnigs Nazi-Vergangenheit durch die Aufarbeitung von Anna-Lena Mohr, damals noch PH-Studentin, im Rahmen eines Seminars wieder Thema.

Der Heidelberger Geschichtsverein listet Kollnigs Biographie in 52 Stichworten auf. 90 Prozent betreffen seine Karriere nach 1945: „Professor, Soziologe, …, Heimatforscher, Politikwissenschaftler, … Historiker“ und anderes, einschließlich vieler Ehrungen. Zu seiner Vergangenheit im sogenannten „Dritten Reich“ gibt es fünf Stichworte. Zu welchem Zeitpunkt sie vom Geschichtsverein aufgenommen wurden – vor der Platzwidmung 2005 oder danach bzw. erst nach 2017 – ist offen.

Als Anlage zu den Beschlüssen der Gremien vor 20 Jahren war ein vom Ersten Bürgermeister (CDU) gezeichneter sogenannter „Lebenslauf“ Kollnigs beigefügt. Seine Aktivitäten während 12 Jahren Nazi-Herrschaft erschöpfen sich darin in zwei kleinen Notizen: „Wissenschaftliche Hilfskraft an der Universität Heidelberg“ und „1939 bis 1945 Kriegsdienst“ – wobei sich Kollnig dazu freiwillig gemeldet hatte. Zu völkischem Schrifttum, SA- und NSDAP-Mitgliedschaft im „Lebenslauf“ – kein Wort.

Auf Archiv-Bildern des Stadtteilvereins ist zu erkennen, dass die Platz-Einweihung am 20. Januar 2006 rund 90 Teilnehmende hatte – wobei davon ausgegangen werden kann: Kollnigs Nazivergangenheit dürfte den Meisten nicht bekannt gewesen sein. Im „Stadtblatt“ stand anschließend: „Mit dem Beschluss, diesen Platz nach Dr. Karl Kollnig zu benennen, würdigte der Gemeinderat einen verdienstvollen Pädagogen … und Publizisten. Dr. Kollnig wohnte in der Nähe des … nach ihm benannten Platz (Am Zapfenberg, 300 Meter von hier) und genoss es, häufig auf der … (hier) stehenden Bank zu sitzen und sich mit den vorübergehenden Menschen zu unterhalten.“

 Im RNZ-Archiv findet sich ebenfalls nur ein Artikel nach der Einweihung. Darin brachte eine Kollnig nahestehende Person unter einem Pseudokürzel eine Lobeshymne zu Papier – unter der Überschrift „Einem großen Bürger zu Ehren“. Eine Handschuhsheimerin, die mit ihm als Pensionär zu tun hatte, hat ihn jüngst anlässlich des Entzugs der Platzwidmung anders beschrieben: „Er war ein Kotzbrocken.“ Dem haben wir aus unserer Kenntnis vor 50 Jahren an der PH nichts hinzuzufügen.

Ob Mitglieder der städtischen Gremien von der Nazizeit Kollnigs bzw. ersten Enthüllungen 1973 bei ihren Beschlüssen 2005 Kenntnis hatten, ist nicht bekannt.

So viel zu diesem unrühmlichen Kapitel.

Umso mehr freut es uns, dass wir – wenn wir uns umschauen – heute bei der Widmung für Sophie Berlinghof  trotz Urlaubszeit bzw. unsicheren Wetterverhältnissen sicher mehr sein dürften, über 100 Teilnehmende. (Ich höre gerade, es wurde gezählt: Wir sind 120 – gesprochenes Wort, Nachtrag))  Auch dafür nochmals herzlichen Dank.

Von unterschiedlichen Seiten wurde in den letzten zwei Jahren gelegentlich gesagt, der Platz sei für eine Ehrung eigentlich ungeeignet, weil er klein ist. Tatsächlich ging es aber darum, einem Nazi-Anhänger, nach dem der Ort 20 Jahre benannt war, diese Ehre wieder zu entziehen – und im völligen Gegensatz dazu mit einer neuen Entscheidung des Gemeinderats bewusst eine Handschuhsheimer Antifaschistin zu ehren, die im Widerstand gegen die Nazi-Diktatur stand. Darauf, auf diese Symbolik kam es an.

Wer Sophie Berlinghof kannte, kann auch vermuten, was sie selbst – in ihrer stets bescheidenen, auch verschmitzten Art – zu dem Platz gesagt hätte: „Für mich reicht der!“ Irgendwo freut sie sich mit uns über dieses antifaschistische Zeichen, das hier heute gesetzt wird …

Sophie zu würdigen und dabei auf die erfreulichen wie auch einige unsägliche Begleiterscheinungen der Benennung durch den Gemeinderat einzugehen, ist in 15, 20 Minuten nur begrenzt möglich. Wir hielten es auch für das Beste, Sophie weitgehend selbst zu Wort kommen zu lassen und aus ihren persönlichen Erinnerungen, Interviews als Zeitzeugin, Dokumenten und authentischen Berichten vorzutragen. Dies wird jeweils Traudel übernehmen.

Sophie Berlinghof, geboren am 9. Dezember 1910, war eine engagierte Handschuhsheimerin, die sich ihr ganzes Leben gegen Faschismus und Krieg, für eine gerechte und soziale Welt und für die Belange ihrer Mitmenschen eingesetzt hat. Sie war das fünfte von acht Kindern des Arbeiterehepaares Kuhn. Vater Karl war politisch aktiv, ab 1901 Mitglied der SPD und der Gewerkschaft. Auch die Mutter, Franziska, Landarbeiterin, vermittelte den Kindern soziales Denken.

In den 1. Weltkriegs-Jahren eröffnete das Ehepaar ein Milchgeschäft. Die Einnahmen waren spärlich. Daher arbeitete der Vater viele Jahre gleichzeitig in der BASF. Aus der SPD trat er 1914 wegen der Zustimmung zu den Kriegskrediten aus. Nach einigen Jahren in der USPD gehörte Karl Kuhn 1919 zu den Gründungsmitgliedern der KPD in Handschuhsheim.

Tochter Sophie musste schon als Kind im Milchgeschäft mitarbeiten. Dies war sehr belastend, hatte aber auch „Vorteile“, wie sie später schmunzelnd bemerkte:

„In Mathe konnte ich in der Schule glänzen, denn Kopfrechnen übte ich jeden Tag an der Kasse.“

Der Vater und die Brüder bemühten sich durch Nebenjobs ein paar zusätzliche Mark für den Unterhalt der zehnköpfigen Familie zu verdienen. Trotz existenzieller Probleme förderten die Eltern die Ausbildung der begabten Tochter. Nach der achten Klasse wechselte sie auf Rat der Lehrer 1925 auf die „Höhere Töchterschule“ in der Plöck (das heutige Hölderlin-Gymnasium), anschließend an die Oberrealschule in der Kettengasse. Im Jahrbuch des Stadtteilvereins Handschuhsheim 2002 ist zu lesen:

„Sophie Kuhn legte den Weg oft zweimal am Tag von Handschuhsheim in die Altstadt zurück, das waren viermal eine knappe halbe Stunde, und früh vor der Schule trug sie noch die Milch und in der Mittagspause Zeitungen aus.“

Mit offenen Armen wurde Sophie an den Schulen in der Altstadt nicht empfangen. Im Gespräch mit dem Heidelberger Schriftsteller Michael Buselmeier (1997) berichtet sie darüber. (Die folgenden Zitate stammen überwiegend aus diesem Interview.) Sophie:

„Es waren nur ganz wenige Mädchen dort (am späteren Hölderlin). Wir haben oft genug zu hören bekommen: ‚Merken Sie sich, Sie sind hier nur geduldet.‘ In der Mädchenschule bekam ich eine Schulgeldermäßigung … vor allen Dingen, weil wir zu Hause so viele Kinder waren. In der Realschule habe ich durch Nachhilfestunden etwas mitverdient.“

1931 machte Sophie Abitur. Ihr Traum war immer, Lehrerin zu werden. Zugelassen wurden nur ledige Frauen. Die Gehälter waren weit niedriger als die der Männer, hinzu kam noch ein Lohnsteuer-Aufschlag für ledige Frauen von zehn Prozent. Falls eine Lehrerin heiratete, verlor sie gemäß Zölibat die Stelle automatisch. Sophie dazu:

„… ein gutes Abitur war da … Meine Eltern sagten: ‚Wenn du studieren willst, mach es kurz, denn für ein langes Studium reicht unser Geld nicht.‘ … Ich habe dann Zahnmedizin studiert, weil man dazu nur sieben Semester brauchte. Ich musste das kleine Latinum nachmachen, das war Voraussetzung. Das habe ich nach sechs Wochen bestanden. Im ersten Semester musste man … nicht so viel lernen, da habe ich eben Latein gebüffelt. Nach drei Semestern machte ich das Physikum und war dann ab dem vierten Semester in der Zahnklinik bei den Patienten.“

Schon mit 17 Jahren hatte sich Sophie dem Sozialistischen Schülerbund angeschlossen, mit 20 die Leitung einer kommunistischen Jugendgruppe übernommen. Sie erzählt:

„Ich habe zu dieser Zeit in Handschuhsheim eine Pioniergruppe geleitet, 140 Kinder von Antifaschisten. Das war ein Donnerwetter für die Nazis, dass so viele Kinder … mit der ‚Roten‘ gingen. Wir sind spazieren gegangen, haben Lieder gesungen … Heimatlieder, auch fortschrittliche, die es damals gab. Ich habe vor allen Dingen lernschwache Kinder unterstützt und ein wenig unterrichtet. Wenn ich heute (1997) durch Handschuhsheim gehe, sehe ich viele, die sagen: ‚Es war doch schön, als Sie uns geführt haben.‘ Ich habe den Kindern natürlich auch klargemacht, dass es den Unterschied zwischen arm und reich gibt. Und ich habe ihnen an meinem Werdegang gezeigt, wie ich mich durchkämpfen musste. Immer sagte ich ihnen: ‚Kinder, lernt …, Wissen ist Macht.“

Ihr großes Herz für Kinder hat Sophie, selbst kinderlos, immer behalten. Auch in den 1950er Jahren, zum „Internationalen Kindertag“ fanden solche Veranstaltungen statt – heute Anwesende haben davon erzählt – jeweils am 1. Juni auf einer Wiese oberhalb des Philosophenwegs, mitorganisiert von Sophie Berlinghof.

1931 trat Sophie dem Kommunistischen Jugendverband bei. Während des Studiums war sie in der „Roten Studentengruppe“. Heidelberg war in den frühen 1930er Jahren braune Hochburg. An der Universität waren die Nazis und völkischen Studierenden stark vertreten. In einem Interview mit einer Studierendenzeitung 1989 sagt Sophie:

„Wenn wir als junge Studentinnen damals vor 1933 Flugblätter verteilt haben, hieß es immer: ‚Geht heim in die Küch‘, geht heim an de‘ Herd.“

Bei der Wahl zum „Allgemeinen Studentenausschuss (ASTA)“ 1933 konnte die „Rote Studentenfront“ deutlich an Stimmen zulegen. Die Nazis tobten, denn ihre Liste hatte weit weniger Zugewinne und blieb unter der absoluten Mehrheit. Nach der Machtübergabe an Hitler rächten sie sich an der „Roten Studentenfront“ mit öffentlicher Denunziation. Am 1. Juni stellte die lokale Nazi-Zeitung „Heidelberger Beobachter“ die Aktivistinnen und Aktivisten an den Pranger und forderte ihre Relegation von der Universität. In dem von Sophie aufbewahrten Dokument heißt es:

„Der Führer der Heidelberger Studentenschaft (Gustav Adolf Scheel, später „Gauleiter“ und „Reichsstatthalter“) hat beim Rektor den Antrag gestellt, daß diese undeutschen Menschen von der deutschen Hochschule ausgeschlossen werden sollen. Wir geben die Namen dieser 27 Studierenden nachstehend bekannt und verlangen gleichzeitig den sofortigen Ausschluß dieser volksfremden und den Gedanken der Volksgemeinschaft zersetzenden Bolschewiken. Auffällig ist, daß ein außerordentlich großer Prozentsatz dieser Leute Juden sind. Wir fordern die rücksichtslose Säuberung unserer Hochschule von derartigen zweifelhaften Elementen!“ (An erster Stelle genannt): „Kuhn, Sophie, med. dent., die Tochter des Milchhändlers Kuhn, Handschuhsheimer Landstraße 132 !!“

Die Universität kam der Aufforderung der Nazis nach, alle auf der Liste Genannten wurden wenige Tage danach zwangsexmatrikuliert. Im Fall Sophie war die Namensnennung auch ein Aufruf zum Boykott und zu gewalttätigen Angriffen auf das Milchgeschäft ihrer Eltern. Über Bekannte bekam sie eine Stelle in ihrem Berufsfeld, in einem zahntechnischen Labor. Aber schon nach vier Wochen endete auch dies, als ein Stromableser in den Betrieb kam – ein SA-Mann. Er denunzierte Sophie sofort. Auf Druck der Nazis entließ das Labor sie von heute auf morgen.

Der Terror des Nazi-Regimes und die Verhaftungen vieler Genossinnen und Genossen, für deren Familien Sophie als Rote Hilfe-Mitglied Geld sammelte, hielten die junge Frau nicht davon ab, im antifaschistischen Widerstand aktiv zu bleiben. Am 22. August 1933 fand eine Großrazzia gegen die KPD Heidelberg und nahestehende Organisationen statt, unter den 40 Verhafteten auch Sophie Kuhn. Es folgten tagelange Verhöre durch die Gestapo und wochenlange sogenannte „Schutzhaft“ im „Faulen Pelz“, in Einzelhaft.

Daneben gab es immer wieder Hausdurchsuchungen bei der Familie, das Milchgeschäft wurde auf Grund der Hetze zunehmend boykottiert. 1934 sahen sich die Eltern zur Aufgabe gezwungen. Als Sophie zum Arbeitsamt ging, wurde ihr eine Stellenvermittlung verweigert. Sie blieb erwerbslos, bis die Nazis 1943 zu allgemeinen Zwangsverpflichtungen griffen. Arbeit in der Rüstungsindustrie verweigerte Sophie und kam in der damaligen Fabrik für pharmazeutische Präparate „Alfred Zwintscher“ in der Römerstraße unter.

Der Widerstand fand inzwischen mehr über lose Netzwerke zusammen. Damit konnten, wenn auch zu spät, die Gräben zwischen den uneinigen Parteien in der Bewegung der Arbeiterinnen und Arbeiter, KPD und SPD, und innerhalb der Gewerkschaften besser überbrückt werden. In späteren Interviews berichtet Sophie über Verbindungen und Wochenendfahrten mit Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten und der Naturfreunde-Bewegung.

Zu den schönen Erlebnissen, die es in dieser Zeit in ihrem Leben auch gab, gehörte insbesondere 1935 die Heirat ihres Freundes Hans Berlinghof, der auch im Kommunistischen Jugendverband gewesen war. Nach der Befreiung vom Nazi-Faschismus engagierte sich Sophie beim Wiederaufbau des gesellschaftlichen und politischen Lebens und war 1947 an der Neugründung der KPD in Heidelberg beteiligt. Kurzzeitig war sie auch Beisitzerin in der örtlichen Spruchkammer, legte ihr Amt aber nieder. Sophie:

„Wir haben früh gemerkt, dass man die Kleinen – den Müllmann oder den Straßenkehrer, der bei der Nazi-Partei war – vor die Spruchkammer gezogen hat. … Wir haben das schnell durchschaut und beschlossen: Wir gehen aus der Spruchkammer raus, wir verurteilen nicht die kleinen Mitläufer, … wir wollen die Haupt-Belasteten und Belasteten vor uns haben.“

Wie richtig dies war, wurde erst kürzlich wieder bestätigt, in einem Vortrag des Mannheimer Historikers, Professor Philipp Gassert an der Universität Heidelberg: „Bei der frühen Entnazifizierung fällt in Heidelberg die vergleichsweise hohe Anzahl der ‚Mitläufer‘ auf. Die Heidelberger Spruchpraxis wurde zu einem Skandal und erforderte eines Landesintervention“ (zitiert nach RNZ, 12. Juni 2025).

1947 wurde Sophie Berlinghof zusammen mit zwei weiteren KPD-Vertretern für drei Jahre in den Gemeinderat gewählt, 1950 für sechs. Mit der Einführung von Panaschieren und Kumulieren bei Kommunal-Wahlen saßen erstmals vier Frauen im Gemeinderat. Sophie:

„Ich war im Wohnungs-, Sozial- und Wohlfahrtsausschuss. Auch nachdem ich 1956 aus dem Stadtrat ausscheiden musste (auf Grund des KPD-Verbots), kennen mich viele Heidelberger heute noch (1997) und sagen mir oft: ‚Wenn Sie nicht gewesen wären, hätten wir keine Wohnung.“

Nach dem Krieg war der schwerste Schlag für Sophie der frühe Tod ihres Mannes Hans 1955. Ein Jahr darauf wurde ihre politische Arbeit durch das Verbot der KPD jäh gestoppt. Diesen Tag schildert sie so:

„Als dann das Verbot … kam, standen vor dem Haus vier Kriminalbeamte; zwei von denen hatte ich Wohnungen verschafft. Ich ging hin und sagte: ‚Wer braucht denn noch eine Wohnung?‘ Sie waren natürlich verdutzt und haben sich entschuldigt. … Und als ich nachmittags in mein Geschäft kam, standen wieder zwei Kriminale da; das waren Leute, die früher für die Gestapo gearbeitet hatten. Sie haben den Laden durchsucht, aber nichts gefunden.“

Wenig später erhielt Sophie ein Schreiben, es werde Anklage gegen sie erhoben, weil sie Kanzler Adenauer beleidigt habe, in seinem Vorzimmer würden ehemalige Nazis hocken, zum Beispiel Hans Globke (zuvor Kommentator der Rassegesetze). Sophie:

„Ich musste vor einen Richter treten, der die Anklage vorlas und sagte: ‚Es tut mir leid, aber das stimmt ja alles, was Sie da geschrieben haben.“

Nach dem Tod ihres Mannes Hans bekam Sophie nur eine kleine Witwenrente, von der sie nicht leben konnte. Sie eröffnete zusammen mit einer ihrer Schwestern, selbst Kriegswitwe mit Kindern, ein Obst-, Südfrüchte- und Gemüse-Geschäft an der Tiefburg. Anfangs war dies äußerst schwierig, oft wurden auch Parolen an die Tür geschmiert: „Die NSDAP lebt“ oder ein großes Hakenkreuz. Trotzdem konnte die Kundschaft und das Geschäft bis 1983 gehalten werden.

1968 schloss sich Sophie Berlinghof der neu gegründeten DKP an. Einer der wichtigsten Schwerpunkte ihres politischen Engagements blieb aber die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. In Heidelberg zählte sie zu den Gründungsmitgliedern der Kreisvereinigung, war ab 1948 Mitglied des Kreisvorstands und jahrzehntelang örtliche VVN- (ab 1971 VVN-BdA)-Sprecherin.

Maßgeblich war Sophie 1951 daran beteiligt, die Gedenkstätte für 16 hingerichtete Antifaschistinnen und Antifaschisten der Georg-Lechleiter-Gruppe auf dem Bergfriedhof einzurichten. Seither laden VVN-BdA und DGB jedes Jahr am 1. November zu einer Gedenkveranstaltung auf dem Bergfriedhof ein.

Sophies Wirken als Kommunistin war von sozialem Engagement für ihre Mitmenschen geprägt. Vor allem im Stadtteil war sie fest verankert und als echtes „Hendsemer“ Original für ihre offene Art beliebt – bekannt als kluge, liebevolle und witzige Frau, die stets ein offenes Ohr für alle hatte, die Rat und Hilfe suchten.

Das von vier Bürgermeistern und 35 Gemeinderats-Mitgliedern unterzeichnete Dokument von 1956, als sie auf Grund des KPD-Verbots ausscheiden musste, trägt die Überschrift: „Zur freundlichen Erinnerung an gemeinsame Arbeit für das Wohl der Stadt.“ Bei der Feier zu Sophies 90. Geburtstag in der Gaststätte „Essighaus“ in der Plöck hielt Oberbürgermeisterin Beate Weber (SPD) eine Ansprache. Damals junge Antifaschistinnen und Antifaschisten schenkten Sophie eine selbstgebackene Torte mit dem Antifa-Logo. Die RNZ titelte: „Ein Vorbild für alle.“

Sophie Berlinghofs Tod am 18. März 2002 war ein Schlag für viele Heidelbergerinnen und Heidelberger, für alle Antifaschistinnen und Antifaschisten, nicht nur in Süddeutschland. Viele erinnern sich noch an die riesige Beerdigung, mit der Sophie das letzte Geleit gegeben wurde.

Harald Stierle, seit knapp 40 Jahren in Handschuhsheim, ab 2009 zehn Jahre im Bezirksbeirat für Die Linke, hat im Oktober 2023 offiziell den Vorschlag eingereicht, den Platz nach Sophie Berlinghof zu benennen. Harald, nochmals danke dafür!

In den Gremien standen zwei weitere Vorschläge zur Debatte: Berndmark Heukemes, Ausgrabungsforscher, und Annette Albrecht, Gründerin des „BiBeZ“-Zentrums „zur Förderung behinderter / chronisch erkrankter Frauen und Mädchen“. VVN-BdA und Die Linke / Bunte Linke haben erklärt, insbesondere Frau Albrecht habe als Heidelbergerin auf Grund ihrer großen sozialen Verdienste die Benennung einer Straße nach ihr in einem Stadtteil verdient, allerdings habe sie keinen „Ortsbezug“ zu Handschuhsheim.

Den Antrag Berlinghof wollten Vertreter der Stadt anfangs ganz aussortieren – ohne Erfolg. Mitte Januar nahmen über 50 Interessierte an der Veranstaltung der VVN-BdA und der Stolperstein-Initiative in der Volkshochschule „Wer war Sophie Berlinghof?“ teil. In der RNZ gab es von November bis Februar 12 Leserbriefe, die den Vorschlag unterstützten. In einem schrieb eine Handschuhsheimerin, die Sophie selbst gekannt hat: „Kommunismus bedeutete für Sophie Berlinghof: Eintreten für eine gerechte Gesellschaft.“

Die Stadtverwaltung legte nach und versuchte, aus Sophies KPD-Mitgliedschaft eine „demokratischen Wertvorstellungen widersprechende extremistische Haltung“ zu konstruieren. Als einzigem von 16 Vorschlägen für neun Straßen wurde dem Antrag eine zweieinhalbseitige sogenannte „Stellungnahme“ beigefügt: Die KPD habe „die Weimarer Republik und die Demokratie bekämpft, wie dies die NSDAP tat“. Frau Berlinghof sei „Staatsfeindin“, für eine Benennung „ungeeignet“. VVN-BdA und Die Linke haben diese ungeheuren Behauptungen und Verleumdungen im Februar in einem Flugblatt widerlegt.

Thomas Mann wurde am 6. Juni für seinen 150.Geburtstag gefeiert. In einem Leserbrief in der RNZ Ende Januar zu Sophie Berlinghof wurde auf ein Zitat des Schriftstellers von 1943 verwiesen: „Der Schrecken vor dem Wort Kommunismus, von dem der Faschismus so lange gelebt hat, ist die Grundtorheit unserer Epoche.“ DGB und GEW unterstützten den Antrag. Die Stolperstein-Initiative kündigte an, zu Ehren von Sophie am 8. Oktober auch einen Stolperstein vor dem Gebäude an der Tiefburg zu verlegen, in dem sich ihr Geschäft befand. Wir laden bereits heute auch dazu ein. Kurz vor der Gemeinderatssitzung gab es in der Altstadt zwei „antifaschistische Stadtrundgänge auf den Spuren von Sophie Berlinghof“; am ersten, sonntags, mit Vorträgen unter anderem vor der Alten Uni, dem „Faulen Pelz“ und dem Rathaus, nahmen 30 Interessierte teil.

Nachdem der von der Linken und der SPD unterstützte Antrag im November im Bezirksbeirat und im Februar im Haupt- und Finanzausschuss die Mehrheit knapp verfehlt hatte, stimmten in der entscheidenden Sitzung des Gemeinderats am 20. Februar von 42 anwesenden Mitgliedern 22 dem Antrag Sophie-Berlinghof-Platz zu. Die CDU hat die Entscheidung bedauert, die AfD geschäumt. Und das ist gut so.

Zuvor war schon ein Antrag angenommen worden, eine nach dem Nazi-Anhänger Friedrich Endemann benannte Straße in der Weststadt in Emil-Henk-Straße umzubenennen. Emil Henk (1893 bis 1969) war Sozialdemokrat und als Mitglied der Rechberg-Gruppe und des Kreisauer Kreises im Widerstand. Von den Nazis ist er 1934 ein Jahr und acht Monate ins Gefängnis gesteckt worden.

Sehr geehrte Anwesende, liebe Freundinnen und Freunde,

Sophie Berlinghof hat als Antifaschistin und Kommunistin – gerade auch für die heutige Zeit, in der gesellschaftlicher Rechtsruck und braune Hetze sowie Aufrüstungshysterie und Propaganda für „Kriegstüchtigkeit“ ständig mehr zunehmen – wichtige Zeichen gesetzt.

Wir möchten uns als VVN-BdA abschließend für die Unterstützung herzlich bedanken, die der Antrag auch im Bezirksbeirat, im Stadtteil Handschuhsheim und in der gesamten Stadt erhalten hat. Ganz besonders danken wir der Linken / Bunten Linken und der SPD, die den Vorschlag als „Sachantrag“ formuliert und auf den Weg gebracht hat. Dank auch an die größte Fraktion der Heidelberger Grünen, die Grün-Alternative-Liste (GAL) und „Die Partei“, die in der Schlussabstimmung im Gemeinderat für den Antrag Sophie-Berlinghof-Platz gestimmt haben; ebenso an den DGB und die GEW.

Stellvertretend für Viele möchten wir nennen: Frau Christiane Schmidt-Sielaff (SPD) und Judith Hamm, Linke (beide Mitglied im Bezirksbeirat), Zara Kiziltas (Gemeinderätin der Linken), Herrn Sören Michelsburg (SPD-Fraktionsvorsitzender) und Jörg Götz-Hege (stellvertretender DGB-Vorsitzender und GEW-Vorstandsmitglied Heidelberg / Rhein-Neckar).

Ein besonderer Dank geht zum Schluss an Rainer Benz aus Kirchheim, Lehrer am Thadden-Gymnasium. Er ist Großneffe von Sophie Berlinghof und hat einen Brief an den Gemeinderat geschrieben. Auch in der entscheidenden Sitzung am 20. Februar hat er für die Angehörigen in der Fragestunde nochmals persönlich eindringlich an das Gremium appelliert, seine Großtante für ihr Leben und Wirken zu würdigen.

Wir Alle sind Sophie und ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern zu großem Dank verpflichtet. Ihr Mahnen „Aus der Geschichte lernen“, „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“ ernst zu nehmen – das hat Sophie Berlinghof uns als Vermächtnis hinterlassen.

Wir bedanken uns bei Allen für´s Kommen, für´s aufmerksame Zuhören und die Unterstützung.