Tränen lügen nicht…
… die Wahrheit sieht trotzdem anders aus.
Vergangene Woche konnte Bundeskanzler Friedrich Merz seine Tränen nicht zurückhalten, als er bei der Wiedereröffnung der Synagoge Reichenbachstraße in München eine Rede hielt. Während sich viele Kommentare um die Frage drehten, ob die Tränen glaubwürdig und authentisch gewesen seien, wurde häufig ausgeblendet, dass auch authentische Tränen problematisch sein können.
Merz bezog sich in einer Passage seiner Rede auf Rahel Salamander, Tochter von Überlebenden der Shoah, die als Kind ihre Eltern immer wieder gefragt habe, ob denn niemand den Juden geholfen habe. Während dieser Schilderung ringt Merz immer wieder um Fassung und muss öfter innehalten. Im Anschluss spricht er sich dafür aus, dass die Bekämpfung des Antisemitismus stets einen außerordentlichen Stellenwert in der deutschen Politik und Gesellschaft haben müsse. So weit so gut.
Die Kommentator*innen der meisten Medien waren sich darüber einig, dass Merz Tränen glaubwürdig gewesen seien und sicher handelt es sich um eine adäquate Reaktion auf die Vorstellung, wie ein Kind mit einer einfachen Frage an seine Eltern versucht die unglaubliche Monströsität des Holocaust erfassen zu können. Was von dieser Monströsität und den heutigen Reaktion darauf jedoch verdeckt wird, ist die Tatsache, dass die Verfolgung der Juden und aller anderen Gruppen im Nationalsozialismus nicht mit dem Holocaust begann. Die Grundlagen dafür mussten erst einmal hergestellt werden, was bereits vor der Machtergreifung der Nazis begann und danach nur mit noch stärkerem Furor und umfassender Gewalt fortgeführt wurde. Dazu galt es vor allem erst einmal bestimmte Gruppen als verantwortlich für gesellschaftliche Probleme, sogenannte Sündenböcke zu markieren. Reale Probleme der Menschen -wie z.B. Armut, Arbeitslosigkeit oder Wohnungsnot- wurden aufgegriffen und mit Gruppen in Verbindung gebracht, die bei genauer Betrachtung wenig für die genannten Probleme konnten und zum großen Teil selbst unter ihnen litten.
Die Bekämpfung der Probleme wurde nicht nur mit der Bekämpfung der markierten Gruppe verknüpft, sondern auch zur Priorität politischer Bemühungen gemacht und quasi als alternativlos dargestellt. Statt systemische Ursachen zu bekämpfen oder diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die aus den Problemen der Vielen Profit ziehen, wurden Aufstiegs- und Wohlstandsversprechen der „Anständigen“ an die härtere Kontrolle, Sanktion oder Beseitigung von Sündenböcken gehängt.
Kommt nur mir das irgendwie bekannt vor?
DeBe