Benefizkonzert von „Sicherer Hafen Mannheim“ in der City-Kirche: Bericht von der Sea-Watch

Benefinkonzert am 16.11. von „Sicherer Hafen Mannheim“ in der Konkordienkirche, deren Gemeinde gemeinsam mit der Diakonie Gastgeberin war. Ein Superprogramm kam durch die unentgeltliche Mitwirkung unterschiedlichster Künstler*innen zustande: Markus Sprengler (zugleich Moderator und Überbringer des Grußwortes der Stadt Mannheim) & Open World Stage für „Mannheim sagt JA“, Kantor Amnon Seelig von der jüdischen Gemeinde Mannheim mit Jazz-Pop aus Israel, zwei Opernsänger*innen des Nationaltheaters mit romantischen Opernarien, IG-Metall-Geschäftsführer Klaus Stein mit seiner Band „Rainer Wahnsinn“, der Kamerunische Chor der Konkordienkirche „VKSM Choir“ sowie Musiker der Orientalische Musikakademie Mannheim eV.

Das Junge Nationaltheater Mannheim stellte eine „ultimative Tombola“ mit phantasievoll gekleideten Losverkäufer*innen auf die Beine mit tollen „Theaterpreisen“. Die Veranstaltung war ein Erfolg trotz parallel stattfindendem Filmfestival, LichtMeile und Party zum 120-Jährigen der Abendakademie. Der gesamte Ertrag des Abends geht ungekürzt an Sea-Watach.

Im Mittelpunkt des Abends stand der verstörende und aufrüttelnde Bericht von Manuel Spagl , sozusagen einer Kanzelpredigt der anderen Art. Manuel ist Rettungssanitäter und Medizinstudent und war bei mehreren Einsätzen auf der Sea-Watch dabei. Er berichtete auch über die skandalösen politisch gewollten Rahmenbedingungen, die das Sterben in der Wüste und im Mittelmeer bewirken sowie das Leiden in den Lagern der sog. „libyschen Küstenwache“, mit der die EU zusammenarbeitet.
Im Folgenden dokumentieren wir die Rede von Manuel Spagl. 

Manuel Spagl berichtet über Sea-Watch. (Red/tht; Bild: KIM)

Sea-Watch- Rede von Manuel Spagl

Guten Abend,

Zuallererst möchte mich ganz herzlich bei den Organisatorinnen es heutigen Abends bedanken. Auch bedanken möchte ich mich bei Ihnen und freue mich sehr, dass Sie so zahlreich erschienen sind.

Mein Name ist Manuel und ich bin seit 2016 für Sea-Watch in der zivilen Seenotrettung auf dem zentralen Mittelmeer aktiv. Ich war mehrfach auf der Sea-Watch 2 im Einsatz vor der libyschen Küste und bin auch im Crewing Team und in anderen administrativen Bereichen bei Sea-Watch aktiv.

Ich wurde gebeten heute ein paar Worte zu Sea-Watch, zu meinen Erfahrungen und natürlich zu aktuellen politischen Situation zu sprechen.

Fangen wir also von vorne an:

Als wir 2015 die Arbeit auf dem zentralen Mittelmeer aufnahmen war die Aufgabe schwierig:

Schwierig, mit wenig Ressourcen und mit Freiwilligen, die kaum Erfahrung in der Seefahrt hatten, im Mittelmeer zu bestehen.

Schwierig, auf einer Fläche so groß wie das Saarland (so groß ist unser Einsatzgebiet) die Boote mit unserem sehr langsamen Schiff rechtzeitig zu finden.

Schwierig, bei Wind und Wetter auf dem höchsten Deck mit dem Fernglas nach dem kleinen schwarzen Punkt zu suchen, der Hinweis auf eine Tragödie mit vielen Menschen in Lebensgefahr sein könnte.

Schwierig, nachts in das kleine Rettungsbeiboot zu steigen und in die Dunkelheit zu fahren, voller Angst zu spät zu kommen.

Schwierig, zwischen zwei sinkenden Schlauchbooten mit 270 Menschen zu sein und zu versuchen, die Situation zu beruhigen, obwohl man selbst auch durchdrehen möchte.

Schwierig, wenn dann ein Schlauch platzt und 40 Menschen ins Wasser fallen, sich panisch im Überlebenskampf gegenseitig runterdrücken und man entscheiden muss, wen man zuerst versucht zu retten.

Schwierig, zu entscheiden, den Anfang 20-jährigen Mann nicht mehr weiter zu reanimieren, weil ein weiterer Mensch dringend medizinische Versorgung braucht und wahrscheinlich eine etwas höhere Chance hat zu überleben.

Schwierig, abends auf dem Schiff ins Bett zu gehen, wenn die Nachricht kommt, dass wir heute an der falschen Position standen und ein paar Meilen weiter östlich 300 Menschen ertrunken sind.

Schwierig, diesen Wahnsinn zu verarbeiten, wenn die Ohnmacht – zurück in Deutschland – alles andere erdrückt.

Warum ich Das erzähle? Weil ich für diese Situation noch Worte finde. Das Grauen, das Menschen durchleben, die in einem Boot sitzen, das keine Hilfe bekommt, kann ich nicht in Worte fassen.

Aber ich erzähle es auch das zu verdeutlichen, zu verdeutlichen warum wir Seenotrettung betreiben und zu verdeutlichen, was die Folgen sind, wenn versucht wird unsere Arbeit mit allen Mitteln zu verhindern, wie das aktuell passiert.

Seit über 130 Tagen ist unser Schiff die Sea-Watch 3 in Sizilien festgesetzt. Die rechtliche Beschlagnahmung ist längst aufgehoben, dennoch weigern sich die italienischen Behörden das Schiff freizugeben. 130 Tage, in diesem Jahr die wir nicht hinsehen, davon berichten und retten konnten. 

Und unsere Aufgabe ist bitter nötig, da auch alle anderen NGOs (wie Jugend Rettet, Mission Lifeline oder Sea Eye) üblen Repressalien ausgesetzt sind und es die zivile Flotte nur noch vereinzelt schafft Schiffe in das Einsatzgebiet zu schicken.

Die europäischen Kriegsschiffe haben sich längst zurückgezogen. Die einzigen die heute noch “Seenotrettung” betreiben, ist die sog. Libysche Küstenwache. Eine libysche Miliz, die im Bürgerkrieg einen Hafen erobert hat und sich nur dadurch als Küstenwache qualifizierte. Eine Miliz, deren Köpfe auf den UN-Sanktionslisten stehen und die regelmäßig gegen das Völkerrecht verstößt. Eine Miliz, die in Menschenhandel verwickelt ist und Folterlager betreibt. Eine Miliz, die in den letzten Jahren fast 100 Millionen von Europa bekommen hat, um das schmutzige Geschäft der Grenzsicherung zu erledigen. Wer behauptet, die sog. Libysche Küstenwache und die Schlepper seien zwei getrennte Strukturen, der hat das System nicht verstanden. 

Europa im 21. Jahrhundert

Wir sollen uns daran gewöhnen. Wir sollen uns daran gewöhnen, dass Aylan Kurdis an die türkische Küste angespült werden.

Wir sollen uns daran gewöhnen, dass Fischer vor Marokko Ertrunkene als Beifang in ihren Netzen haben.

Wir sollen uns daran gewöhnen, dass aufgeblähte, teilweise durch Schiffsschrauben verstümmelte Leichen an tunesische und libysche Strände gespült werden.

Wir sollen uns daran gewöhnen das Menschenrechte verhandelbar sind und Migrant*innen kein Recht darauf haben aus Seenot gerettet zu werden.

Ich möchte mich nicht daran gewöhnen!

Ich möchte mich nicht daran gewöhnen, dass weiterhin Menschen zu tausenden jedes Jahr im Mittelmeer ertrinken.

Ich möchte mich nicht daran gewöhnen, dass Menschen weiterhin in seeuntaugliche Boote steigen müssen und damit auf der Flucht ihr Leben zu riskieren.

Ich möchte mich nicht daran gewöhnen, dass Menschen in teilweise mit europäischen Geldern finanzierten libyschen Folterlagern sitzen, in denen Mord und Vergewaltigungen an der Tagesordnung stehen.

Ich möchte mich nicht daran gewöhnen, dass tausende Menschen auf der Flucht in der Wüste verdursten, weil alle sichereren Fluchtwege durch die EU oder von der EU finanziert geschlossen wurden.

Ich möchte mich nicht an die Verzweiflung und die Angst in den Gesichtern derer gewöhnen, die diese Hölle durchlebt haben! Eine Hölle, die sich Menschen aus meiner Generation hier in Deutschland nicht vorstellen können.

Ich möchte mich aber auch nicht daran gewöhnen, in einer Zeit zu leben, in der Solidarität und Zivilcourage kriminalisiert und verfolgt werden. Nicht die Crew der Iuventa10, Pia oder Carola sollten auf der Anklagebank sitzen, sondern Seehofer, Kurz, Salvini, Orban und die Schergen der sog. Libyschen Küstenwache.

Ob des Ertrinken-Lassens im Mittelmeer, des Erfrieren-Lassens in den überfüllten Lagern auf der Balkanroute und den griechischen Inseln oder des Verschleppen-Lassens in libysche Gefängnisse. Das alles ist die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union und der Bundesregierung.

Das Ergebnis ist immer das gleiche: Massenhafter Tod.

Warum das alles jetzt so politisch klingt – es geht doch um Seenotrettung?
Die Menschen sterben dort nicht aufgrund von Unfällen, durch technisches Versagen oder Naturunglücke. Die Menschen sterben aufgrund der politischen Entscheidung zu versuchen, Flucht zu verhindern.

Die Gründe für die Flucht der Menschen sind so unterschiedlich, wie die Menschen, die fliehen müssen.

 Krieg, Hunger, Gewalt, Armut, Perspektivlosigkeit oder Verfolgung aufgrund von ethnischer Zugehörigkeit, Religion, Gender, Sexueller Orientierung oder politischer Zugehörigkeit. Das wissen wir alles längst. 

Was wir auch wissen ist, dass die Hunderte von Jahren und bis heute andauernde Ausbeutung des globalen Südens durch den globalen Norden eine große Fluchtursache ist. Dass unsere Rüstungsexporte dazu führen, dass wieder Menschen fliehen müssen, wenn ihre Heimat gerade zerbombt wird, wie es gerade durch unseren Nato-Partner und Europas Türsteher, dem türkischen Despoten Erdogan in Nordsyrien, Rojava, getan wird.

 Wer über Fluchtursachen sprechen will, muss auch über unser Wirtschaftssystem sprechen. Oder anders gesagt, die Menschen ertrinken auch in unserer buchstäblichen überflüssigen Lebensweise.

 Und wir drehen uns weiter. Weiter um die Arbeit, um den Uniabschluss und vor allen um uns selbst. Anstatt dass wir uns endlich organisieren, gemeinsam. Gemeinsam dieses System, das so viel Gewalt und Tod produziert, aufhalten!

Ich gehe nicht häufig in die Kirche. Als ich darüber nachdachte, was ich heute Abend sagen könnte, ist mir ein Kirchenbesuch vor wahrscheinlich 15 Jahren mit meiner Großmutter in den Sinn gekommen. Eine Geschichte, die dort erzählt wurde, hat sich wieder in mein Bewusstsein gedrängt. Und ich habe sie nachgeschlagen und finde sie sehr passend zu der heutigen Thematik. Für die etwas Bibelfesteren unter Ihnen: es handelt sich um die Geschichte von Lazarus und sie steht in Lukas 16, 20ff.

Die Geschichte handelt von einem reichen Mann, der in Saus und Braus lebt. Dem Bettler Lazarus, der direkt vor seiner Tür ist, schenkt er keine Beachtung.  Nach dem Tod beider fährt Lazarus in den Himmel auf zu Abraham, der reiche Mann aber landet in der Unterwelt. Etwas verwundert bittet der reiche Mann Abraham darum, er möge ihm Lazarus schicken, dass er sein Leid mindert. Da dies nicht möglich ist, bittet er darum, dass Lazarus doch zu seinen Brüdern gehen sollte, um sie zu warnen. Auch das ist nicht möglich. Abraham teilt ihm mit, es gibt doch die Propheten. Wenn die Brüder nicht auf sie höhren, kann er auch nicht helfen.

Ich erzähl das jetzt nicht um Mitgliedern oder Politiker*innen der sog. Christlichen Parteien mit dem Fegefeuer zu drohen. Ich finde es dennoch passend, da dem Reichen Verantwortung an der Armut des Lazarus zugeschrieben wird, und der Reiche doch das Elend vor seiner Tür ignoriert. Noch entscheidender finde ich, dass wir daraus lernen, dass am Ende niemand sagen braucht: “Ich, ich habe von nix gewusst”. Heute brauchen wir dafür natürlich weniger die Propheten, sondern guten Journalismus und politische Bildungsprogramme.

Was tun?

Natürlich können Sie die zivile Seenotrettung und die Seebrücke unterstützen.  Auf ihren Plätzen liegen Flyer von Sea-Watch, spenden Sie, bestellen Sie sich Merch für Weihnachten, und ganz besonders freuen wir uns über Fördermitgliedschaften. 

Aber auch politisch muss sich einiges ändern:

Wir können uns nicht mehr erlauben auch nur noch einen Millimeter den Forderungen der Rechten, aber auch zum Teil der bürgerlichen Mitte, nachzugeben.

Ganz besonders möchte ich insbesondere Parteimitglieder oder Entscheidungsträger*innen der SPD und Bündnis 90 / Die Grünen ansprechen, falls heute welche anwesend sind. Hört auf mit faulen Asyl-Kompromissen. Wir brauchen kein Verständnis mehr für die Forderungen von sog. besorgten Bürger*innen.

Wenn ihr Wahlen gewinnen wollt – na gut, aber gewinnt sie mit solidarischen Programmen oder gar nicht!

 Bei jedem weiteren verbalen oder tätlichen Angriff müssen wir stärker solidarisch zusammenstehen. Wenn sie uns spalten wollen, müssen wir solidarische Netzwerke aufbauen, wenn sie noch mehr Zäune bauen, müssen wir sie einreißen. Solidarische Häfen brauchen eine solidarische Praxis, hier in Mannheim und überall.

 Abende wie heute geben Hoffnung. Zumindest für den kurzen Moment. 

 Wie sagte unsere Kapitänin Pia so schön:

 „So schlagen unser Herzen für die Liebe und unsere Fäuste den Faschismus!“

 Vielen Dank!