Abschiebung nach Italien: Danielas Kampf gegen die Verzweiflung
Drei Monate ist es her, dass der Wahl-Mannheimer Stephen nach Italien abgeschoben wurden. „Dublin“ werden solche Fälle genannt. Wie so viele kam Stephen mit dem Boot über das Mittelmeer nach Italien und dieses Land ist als europäischer Ankunftsstaat für das Asylverfahren zuständig.
Daniela ist die Verzweiflung deutlich anzusehen. Die 45-jährige sitzt in der Küche ihrer Wohnung in der Neckarstadt und berichtet ausführlich von ihrer Geschichte. Aufgeben wird sie auf keinen Fall, das versichert sie immer wieder. Sie will mit allen Mitteln um ihren Lebensgefährten kämpfen, ihn heiraten und ihn zurück nach Mannheim holen. Und sie will ihre Geschichte erzählen, um bekannt zu machen, wie das perfide Abschiebesystem in Europa funktioniert.
Stephens Geschichte beginnt in den 2000er Jahren. In einer Notlage beschloss er, seiner Heimat Ghana den Rücken zu kehren und ging nach Libyen, berichtet uns Daniela. In dieser Zeit sei das Land noch ein Tipp gewesen und er habe schnell Arbeit auf einer Baustelle gefunden. Doch schon damals war das Leben als Gastarbeiter gefährlich. Als es auf der Baustelle einen Diebstahl gab, sei er beschuldigt, bedroht und zusammen geschlagen worden. Bis heute trägt er Narben von den schweren Verletzungen. Später seien die wahren Täter geschnappt worden. Ihnen habe man die Augen ausgestochen und sie in der Wüste ausgesetzt. Dieses drastische Erlebnis habe ihn dazu gebracht, Libyen zu verlassen
Mit dem Schlauchboot nach Europa
Wie unzählige andere sei auch Stephen mit einem kleinen Boot nach Italien übergesetzt. Dort sei er zunächst in privaten Flüchtlingscamps untergekommen. Der Staat lagert die Betreuung an zweifelhafte Unternehmen aus. Er musste von 17 Euro pro Woche leben – unmöglich wie Daniela erklärt. „Die Leute werden zu illegalen Tätigkeiten gezwungen, um zu überleben.“ Die Camp-Leiter, die Daniela „Kapo“ nennt, seien für die Ausbeutung der ihnen Anvertrauten berüchtigt gewesen. Nach schlechten Erfahrungen zog Stephen schließlich weiter nach Deutschland, wo er zunächst in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Nordrhein-Westfalen unterkam. Als er Daniela kennen lernte, zog er zu ihr in die Wohnung nach Mannheim.
Daniela wohnt mit rund 60 weiteren Menschen in einem Wohnprojekt. Im Haus wohnen Familien, Singles und WGs. Alle kennen sich mehr oder weniger. Immer wieder gibt es Zusammenkünfte im Gemeinschaftsraum.
„Stephen hat sich schnell bei uns wohlgefühlt. Es gelang ihm erstmals, sich mit seinen traumatischen Erfahrungen aus Libyen auseinander zu setzten“, berichtet Daniela. Ein Mitbewohner meint, Stephen habe in Mannheim einen „sicheren Hafen“ gefunden. Hochzeit, Familie, eine gemeinsame Zukunft… Daniela und Stephen hatten Pläne.
Vom Einkaufen nicht heim gekommen
Doch das Glück endete abrupt. Als Stephen an einem Mittwoch im Juli zum Einkaufen ging, kam er nicht mehr nach Hause. Bei einer Polizeikontrolle konnte er keine Aufenthaltserlaubnis vorweisen und wurde festgenommen. Am nächsten Tag saß er bereits in Pforzheim im Abschiebegefängnis.
Das Gebäude, eine ehemalige Justizvollzugsanstalt, wurde von der Grün-Schwarzen Landesregierung umgebaut, um Abschiebungen effizienter durchführen zu können. Die Zahlen der zwangsweisen Rückführungen nehmen zu. Vor allem in osteuropäische Länder, aber auch nach Pakistan, Afghanistan, Marokko und Algerien wird abgeschoben. Den mit Abstand größten Anteil machen die Abschiebungen innerhalb der EU aus, allen voran nach Italien. 1.232 gab es allein im ersten Halbjahr 2019.
Grund ist das sogenannte „Dublin-Abkommen“. Es regelt die Zuständigkeit innerhalb der EU. Dort wo ein Flüchtling das erste mal registriert wurde, muss auch das Asylverfahren stattfinden. Dass damit Italien und Griechenland die Hauptlast tragen und es in den Ankunftsländern wegen Überlastung zu Konflikten kommt, ist offensichtlich. Doch seit Jahren schafft es die EU nicht, einen fairen Verteilungsschlüssel umzusetzen.
Vier Wochen hinter Gittern in Pforzheim
Die Zeit im Abschiebegefängnis war emotional aufreibend, berichtet Daniela. Mit allen rechtlichen Mitteln habe man versucht, die Abschiebung zu verhindern. Daniela suchte Unterstützung bei verschiedenen Organisationen, sie schrieb an die Ausländerbehörde, ans Regierungspräsidium, an den Oberbürgermeister… letztendlich blieb alles ohne Erfolg. „Die Erfahrungen waren sehr unterschiedlich“, berichtet sie. „Unser Oberbürgermeister war sehr verständnisvoll und hat sich meinen Fall genau angesehen. Von Mitarbeitern der Ausländerbehörde musste ich mir Vorwürfe anhören, ich sei eine Betrügerin. Alte, weiße Männer, die mir erklären wollten, wen ich lieben darf und wen nicht.“ Am schlimmsten sei die Erfahrung vor Gericht gewesen, als sie erfolglos versuchten, gegen die Abschiebung mit juristischen Mitteln vorzugehen.
Die Abschiebehäftlinge genießen einige Lockerungen im Vergleich zum Strafvollzug. Sie dürfen telefonieren und das Internet benutzen. Allerdings mit Einschränkungen. Smartphones seien verboten, sagt Daniela, „sie könnten ja Fotos machen“. In der Praxis bedeutete das, dass Stephen zwei mal pro Woche kurz an einen PC durfte.
Bereits die Ankunft war schwer. „Stephen wurde an Händen und Füßen gefesselt, er wusste nicht warum.“ Er sei dann zu einer Zwangsuntersuchung gebracht worden, eigentlich eine Routinemaßnahme, um die Reisetauglichkeit festzustellen, doch bei Stephen sei sein Trauma wieder voll ausgebrochen. „Er dachte er wird erschossen“, berichtet Daniela.
Der psychische Druck sei im Abschiebegefängnis immer mehr gewachsen. Es habe Gerüchte gegeben, dass etwas ins Essen gemischt sei, um die Insassen ruhig zu stellen. In der Nachbarzelle habe sich ein Drama abgespielt. Ein Krebspatient im Endstadium sei quasi im Sterbeprozess abgeschoben worden. „Das war sehr bewegend. Geflüchtete und Unterstützer hatten für ihn Geld gesammelt, sind ihm hinterher geflogen und haben seine Ankunft in der Heimat organisiert.“ erzählt Daniela von ihren Erlebnissen.
Ankunft in Italien mit 50 Euro
Alle Mühen halfen nichts und Anfang September wurde Stephen in ein Flugzeug gesetzt und nach Italien ausgeflogen. Mit ihm kamen zwei Beamte der Bundespolizei und ein Arzt. Daniela hat die Gesamtkosten der Abschiebung aufgelistet und kommt auf rund 20 000 Euro. „Das ist eine Verschwendung von Steuergeldern“, meint sie. „Stephen hat den Staat kein Geld mehr gekostet. Er hat bei mir gewohnt, ich habe mich um seinen Lebensunterhalt gekümmert.“
Am Flughafen sei Stephen freundlich von den italienischen Behörden empfangen worden. „Sie haben ihm einen Espresso spendiert. Dann stand er da, mit 50 Euro in der Tasche, vor dem nichts.“
Über Netzwerke konnte Stephen einen Bekannten ausfindig machen, bei dem er kurzfristig unterkommen konnte. Er bekomme keine staatliche Unterstützung. Da ihm aber die Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis verweigert werde, finde er auch keinen regulären Job, mit dem er seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten könnte. Daniela schickt ihm etwas Geld, mit dem er sich über Wasser halten kann.
Wie auch in Deutschland, nutzen italienische Unternehmer die Notsituation der Geflüchteten aus. Auf Arbeitsstrichen finde man kleinere Jobs, berichtet Daniela. „Für einen ganzen Tag Fliesenlegen gibt es 25 Euro auf die Hand.“ Doch auch solche Einkunftsmöglichkeiten seien schwer zu bekommen. Es gibt viel Konkurrenz.
Spenden und Chat-Gruppen helfen
Vor der Verzweiflung hat Daniela die Solidarität vieler Menschen bewahrt. Mitbewohner*innen, Nachbar*innen und der Verein Mannheim sagt Ja! hätten Geld gesammelt und ihr den Rücken gestärkt. Auch der Rückhalt aus ihrer Familie habe ihr gut getan. Rund 1500 Euro seien an Spenden zusammen gekommen. Nach Danielas Schätzung hat sie die ganze Sache aber bereits rund 8000 Euro gekostet – und ein Ende ist nicht in Sicht. „Rechtsanwaltskosten und die Flüge nach Norditalien sind teuer. Shame on me, wenn ich an die Umweltbelastung denke. Aber ich will Stephen so oft besuchen, wie es geht.“
Hilfreich sei auch der Austausch mit Gleichgesinnten über soziale Medien. In Chat-Gruppen vernetzen sich Menschen mit ähnlichen Schicksalen. So weiß Daniela, dass sie nicht die einzige ist, die durch den Staat von ihrer Liebe getrennt wurde. „Man wird zur Aktivistin“, meint sie angesichts der gefühlten Ungerechtigkeit.
Wie es weiter geht, ist für alle Beteiligten ungewiss. Daniela und Stephen wollen auf jeden Fall heiraten und zusammen ziehen. Doch die Hürden sind hoch. Die Identitätsprüfung durch die Botschaft ist teuer und langwierig. Ausgang ungewiss. Die deutschen Behörden stellen weitere, schwierige Prüfungen hinten an. Unter anderem muss ein Nachweis über Sprachkenntnisse erbracht werden. Wegen seiner Traumatisierung falle Stephen das Lernen aber sehr schwer.
Das Verfahren könnte sich Monate, vielleicht sogar Jahre hinziehen. Daniela wird den Kampf um ihre Liebe nicht aufgeben, da ist sie sicher. „Stephen soll zurück nach Hause kommen, wir vermissen ihn sehr. Ich besuche ihn so oft es geht in Italien. Gnade Gott allen Dublin Rückgeführten und hoffen wir, dass sich alles bald zum Besseren wendet.“
(cki)