Neckarstadt-West: Vernichtung von Wohnraum zugunsten bevorzugter Gastronomie – von der Stadt gefördert?
Bevorzugte Gastronomie statt Wohnraum – von der Stadt gefördert?
Auf einer Bezirksbeiratssitzung Neckarstadt-West wurde im Jahr 2018 das Projekt „Startraum“ vorgestellt: „Räume auf Zeit für Gründer, Kreative & Künstler“.
Laut Flyer wurde bzw. wird dieses Unterfangen unterstützt von der Wirtschafts- und Strukturförderung, MWSP, Startup Mannheim, Stabstelle Baukultur sowie dem Kulturamt.
Wir fragten bereits auf jener Sitzung, warum man z.B. nicht interessiert ist an der Unterstützung von Künstlern, die nach einer längerfristigen Mietsituation für Ateliers o.ä. suchen. Hier wird der Unterschied deutlich: Kreativwirtschaft ist nicht unbedingt kreativ oder künstlerisch. Worin besteht der Mehrwert bei einer zeitlich begrenzten Nutzung durch Kreativwirtschaft? “Aufwertung” der umliegenden Immobilien bedeutet: höhere Mieten, Steigen des Mietspiegels, Vertreibung der ansässigen BewohnerInnen!
Es wurde berichtet, dass Räumlichkeiten für 7,50€ kalt zu mieten sein sollen, woraufhin sich logischerweise die Frage ergab: zahlt jemand drauf? Verlangen die Vermieter lediglich 7,50€, um „Künstler“ zu unterstützen? Oder verlangen die Vermieter bspw. 14€ kalt, und die Stadt zahlt die Differenz, um u.a. kommerzielle Mieter mittels Steuergelder zu fördern?
Hier einige Informationen zu Startraum, deren Website seit einigen Monaten offline ist:
“ÜBER STARTRAUM
Hier werden Leerstände in Mannheim gesammelt, die auf eine Aktivierung und Bespielung warten. Das Team von STARTRAUM bietet nicht nur Räume für Gründer, Kreative und Künstler, sondern steht Ihnen bis zur Realisierung Ihres Vorhabens zur Seite.
Zwischennutzungen sind zeitlich befristete Nutzungen einer Immobilie durch Gründer oder Akteure aus dem kreativen Umfeld, die mit meist einfachen Mitteln und geringem Investitionsvolumen umgesetzt werden können. Zwischennutzungen sind darüber hinaus ein wichtiges Instrument der Stadtentwicklung für eine kulturelle und wirtschaftliche Quartiersaufwertung.
Die Vermittlung von Leerständen erfolgt ausschließlich indirekt, beziehungsweise moderiert und anhängig von der Nutzungsidee. Über die passende Zwischennutzung für den jeweiligen Leerstand entscheidet eine Jury aus den unterstützenden Partnern des STARTRAUMS.
Die Leerstände werden für eine maximale Dauer von 2 Jahren vermietet.”
Unter den Inseraten auf der Website befanden sich auch Häuser, die auf der „Investorenliste“ bzw. „Häuserliste“ des Offenen Stadtteiltreffens Neckarstadt (Ost und West) stehen – Häuser, die verkauft wurden rund um den Zeitpunkt der Erklärung der Neckarstadt-West zum Sanierungsgebiet. Auffällig ist, dass diverse Inserate mit Hauskäufen durch Hildebrandt & Hees- bzw. deren Thor GbR-Firmen übereinstimmen. Dazu später mehr.
Startup Mannheim schreibt zu Startraum:
„Zwischennutzungen sind zeitlich befristete Nutzungen einer Immobilie durch Gründer oder Akteure aus dem kreativen Umfeld, die mit meist einfachen Mitteln und geringem Investitionsvolumen umgesetzt werden können. Zwischennutzungen sind darüber hinaus ein wichtiges Instrument der Stadtentwicklung, um strukturschwache Viertel und wenig nutzungsgemischte Nachbarschaften zu dynamisieren. Vergleichbare Projekte in Bremen oder Frankfurt weisen eindeutig positive Effekte auf, da mit Zwischennutzungen meist eine gewisse Aufwertung der Immobilien und deren Umfeld einhergeht.
Achim Judt, Geschäftsführer der städtischen Entwicklungsgesellschaft MWSP, weiß um die schwierige Vermittlung von Leerständen im Sinne einer sinnvollen temporären Nutzung: „Ich bin mir sicher, dass wir mit der gemeinsamen Realisierung des Projektes einen ersten wichtigen Schritt in die richtige Richtung gegangen sind. STARTRAUM kann damit ein wichtiger Baustein für die Lokale Stadterneuerung (LOS) werden und einen Stadtteil durch unterschiedliche Projekte stärken, stabilisieren und qualitativ weiterentwickeln.““
(*1)
Eine kurze Erläuterung zu Startup Mannheim, mg: mannheimer gründungszentren gmbh und der sog. Kulturellen Stadtentwicklung:
“Hinter der Marke STARTUP MANNHEIM steht die mg:gmbh, eine Tochtergesellschaft der Stadt. Unser zentraler Auftrag ist es, innovative, digitale und disruptive Startups dauerhaft in Mannheim anzusiedeln und zu fördern. (…)
Die mg:gmbh fördert auch die kulturelle Stadtentwicklung, um Themen wie Startup-Kultur, Digitalisierung, Kunst, Kreativwirtschaft und Stadtgesellschaft zu koordinieren und zu verbinden. So schaffen wir attraktive urbane Atmosphären und Kieze, die Mannheim für Startups lebenswert machen.”
(*2)
Auf der Homepage des Quartiermanagement Neckarstadt-West gab es ebenfalls einen Artikel zum Thema Startraum, der jedoch nur noch im Cache abrufbar ist:
„(…) Vorteile für Vermieter
Mit einer temporären Vermietung lassen sich nicht nur laufende Kosten decken. Durch Zwischennutzung geht auch oftmals eine Aufwertung der Immobilie und des Umfelds mit einher. Oftmals werden durch Zwischennutzungen auch positive Impulse für das Quartier und die Nachbarschaft gesetzt. Dadurch entsteht ein Gewinn für alle Beteiligten.“
Ablauf
Die leerstehenden Immobilien werden gesichtet und Unterlagen wie z.B. Pläne und Bilder aufbereitet. Im Anschluss wird der Leerstand auf der Seite www.startraum-mannheim.de angeboten und beworben. Hierbei verpflichtet sich der Vermieter in dieser Zeit den Leerstand nicht anderweitig anzubieten. (…)
Die Umsetzung erfolgt durch Robin Lang und Wulf Kramer.“
(*3)
Diese zwei Namen sind bereits öfter gefallen im Bezug auf die Neckarstadt, beide sind Gesellschafter von „Yalla Yalla – Studio for change“. Ein Architekturbüro, das mit seiner gefälligen Designoptik „Stadtentwicklung“ oft im Sinne von Investoren vorantreibt – und ebenfalls auf der Homepage von Startup Mannheim zu finden ist.
Auf facebook schreiben sie am 28.03.2018: „STARTRAUM Mannheim ist ein Projekt von Yalla Yalla! in Kooperation mit der Wirtschaftsförderung der Stadt Mannheim, der MWSP GmbH, Startup Mannheim und dem Kulturamt Mannheim.“
(*4)
„Hierbei verpflichtet sich der Vermieter in dieser Zeit den Leerstand nicht anderweitig anzubieten.“ – Was ist also bis 2020 passiert, wenn die Inserate seit 2018 oder 2019 auf der Website standen? Der Leerstand stand vermutlich weiterhin leer.
Das einzige realisierte Projekt in der Neckarstadt, das wir finden konnten, war „WERQ“ – eine zweiwöchige Zwischennutzung in der Zeppelinstraße in einem Haus der GBG im Sommer 2018.
“Die Location ist eine ehemalige Eisdiele, die wir von der GBG Mannheim zur Verfügung gestellt bekommen. Unterstützt haben uns dabei Startup Mannheim und Startraum Mannheim.“
Im Mannheimer Morgen kamen die Betreiberinnen, die den Stadtteil gerne „Necki West“ nennen, zu Wort:
„Wieso eigentlich in der Neckarstadt? Das sei ein Tipp aus der kulturellen Stadtentwicklung der Stadt Mannheim gewesen, denn zuerst wollten Carina und Ines das Pop-Up im Jungbusch eröffnen. In dem Viertel, wo sie auch wohnen. “Aber der Jungbusch ist wirklich langsam durch. Die Penthouse-Wohnungen werden da jetzt hochgezogen”, sagt Ines. In der Neckarstadt sei noch Platz für Kreative und junge Leute. Alles ist dort möglich.“
(*5)
Die Verbindung zwischen dem „abgegrasten“ Jungbusch und der nun attraktiven Neckarstadt setzt sich fort: Einige Inserate auf startraum-mannheim.de aus dem Jahr 2019 fielen auf, da es sich, wie oben erwähnt, um von Hildebrandt & Hees / Thor GbR gekaufte Häuser handelt – übrigens auch bei diversen Startraum-Inseraten im Jungbusch.
Die Lutherstr. 25 wurde am 5. März 2019 auf Startraum-Mannheim.de inseriert:
“Stadtteil: Neckarstadt-West
Mietdauer: Konzeptabhängig
Fläche: 85 qm
Kosten: 7,50€/qm
OBJEKTBESCHREIBUNG
Mitten in der Neckarstadt-West am Neumarkt befindet sich die momentan leerstehende Fläche im Erdgeschoss, die als kleiner Laden oder kleines Café genutzt werden kann.
Kaltmiete 7,50 € / Quadratmeter
Kaution 2 Monatsmieten
LAGE
Mannheim- Neckarstadt-West am Neumarkt”
Ebenfalls inseriert wurde die Lutherstr. 21a:
„Stadtteil: Neckarstadt-West
Mietdauer: Konzeptabhängig
Fläche: ca. 110 qm
Kosten: 7,50€/qm
OBJEKTBESCHREIBUNG
Die Gewerbefläche (EG) in der Neckarstadt-West steht momentan leer und kann vielfältig zwischengenutzt werden. Sie eignet sich als Atelier, Bürofläche oder auch als kleiner Laden/kleines Café mit direktem Anschluss an den Neumarkt.
Bad, Toiletten und Aufenthaltsraum sind vorhanden.
Kaltmiete 7,50 € / Quadratmeter
Kaution 2 Monatsmieten
LAGE
Mannheim- Neckarstadt-West am Neumarkt”
Eine Fläche in der Mittelstraße 3 wurde im April 2019 auf facebook folgendermaßen angepriesen:
“Dürfen wir vorstellen: Unser Leerstand in der Mittelstraße 3. In dieser lebendigen Straße in der Neckarstadt-West tummelt sich gefühlt ganz Mannheim: Jung, Alt, Hipster, Spießer, Einheimische und Zugereiste. Ein spannender Ort für eine Zwischennutzung!
Hard Facts: 7,50€/qm // 120 qm // zentrale Lage // Kaution 2 MM // Innenhof (!)
Mehr Infos und weitere Leerstände unter: startraum-mannheim.de #startraum #mannheim #zwischennutzung #leerstand #leerstandbeleben #neckarstadt#neckarstadtwest #lebendigestadt #stadtfüralle“
(*6)
Diese drei Adressen wurden ebenfalls genannt in einem Schreiben der MWSP bzgl. „Aufwertung der Mittelstraße und anliegende Straßen“ im April 2020, eine Antwort auf eine Anfrage des Bezirksbeirats Neckarstadt-West.
Laut dem Schreiben “eröffnen in den kommenden Monaten weitere gastronomische und andere Angebote:
Mittelstraße 3 Restaurant mit israelischer Küche
Lutherstr. 21a Bistro mit verschiedenen Speisen
Lutherstr. 25 Kaffeerösterei
Langstr. 78 Italienische Osteria
Mittelstr. 61-63 Türkisches Grillrestaurant
Elfenstr. 22 Improtheater Mannheim“
Jede dieser Adressen ist auf der “Häuserliste” als Hildebrandt & Hees- / Thor-Haus bekannt.
Auch Startraum wird genannt: „Nach anfänglicher Erprobungsphase wurden zwischenzeitlich Gelder in den städtischen Haushalt 2020/2021 eingestellt.“ – 30.000€ pro Haushaltsjahr für „Zwischennutzungen“ – Beantragt beim Gemeinderat laut Bürgerinfo Mannheim von SPD und Grünen.
Hier möchten wir kurz anmerken, dass offizielle Partner im Sanierungsgebiet Neckarstadt-West = Hausbesitzer wie Hildebrandt & Hees / Thor (und auch die GBG) pro Jahr 30.000€ “unterstützende Zuschüsse” zahlen.
“Die Weiterverwendung (…) erfolgt in Abstimmung mit den zu beteiligenden städtischen Dienststellen und Organisationseinheiten, wie
– Fachbereich Bildung
– Fachbereich Jugendamt und Gesundheitsamt
– Fachbereich Demokratie und Strategie – strategisches Quartiermanagement
– Fachbereich Arbeit und Soziales
– Dezernat OB – Presse und Kommunikation
– Fachbereich Stadtplanung
– mg-GmbH – Kulturelle Stadtentwicklung
– und dem Quartiermanagement.”
(*7)
Zurück zu den zwei Häusern in der Lutherstraße:
Im Mai 2020 konnte man Baufreigabescheine in den Fenstern sehen.
Lutherstr. 21a:
Antragsteller: Thor c/o Hildebrandt & Hees GmbH
Vorhaben: Nutzungsänderung einer Wohnung zum Gastrogewerbe
Lutherstr. 25:
Bauleiter: Robin Lang
Entwurfsverfasser: Yalla Yalla GbR
Vorhaben: Nutzungsänderung mit Umbau einer Erdgeschosswohnung in ein Cafe
Antragsteller: Pourista UG
Ob diese Vorhaben, so wie 2019 inseriert, über Startraum „vermittelt“ wurden, ist uns unbekannt, auffällig sind jedoch die Zusammenhänge zwischen den immer gleichen Akteuren.
Pourista betreibt bereits im Jungbusch, in einem Hildebrandt & Hees-Haus, ein Cafe. Ebenfalls findet man den Namen bei Startup Mannheim angesiedelt. Der Ableger in der Lutherstraße wird am 11.07.2020 als “Concrete Coffee Roasters” eröffnen.
Der Geschäftsführer von Pourista, Florian Fischer, ist unseren Informationen nach der Vorsitzende des “Gewerbevereins Neckarstadt-West Jungbusch” und bei einem Projekt namens “Westwind” beteiligt, siehe unten.
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Startraum Mannheim wird laut eigener Aussage 2020 nicht weiter von Robin Lang und Wulf Kramer betreut, sondern von der Kulturellen Stadtentwicklung.
Allerdings gibt es eine Neueintragung ins Handelsregister von den Herren Lang und Kramer – Die Livable Cities GmbH ist involviert in „Die Entwicklung, Herstellung, Handel und Vertrieb von Möblierungen im Außenbereich, sowie Beratungsleistungen.“ – Beispiele dürften dann vermutlich bald in den gerne als “Szeneviertel” bezeichneten Stadtteilen zu sehen sein, anstelle immer knapper werdender Parkplätze.
Besonders kritisch sehen wir die „Nutzungsänderung“ von Wohnraum in Gastronomie, man kann es auch als Zweckentfremdung oder gar Zerstörung von Wohnraum bezeichnen. Wurde bzw. wird dies von der Stadt unterstützt oder gar finanziell gefördert? Zumindest wird es geduldet, da den Akteuren bei der „Lokalen Stadterneuerung“ (LOS, initiiert von der Stadt Mannheim und MWSP) Hausverkäufe als auch Bauvorhaben bekannt sein sollten – und da, wie im Schreiben der MWSP gesehen, die baldigen Eröffnungen auch noch stolz angekündigt werden.
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Wie ist das zu vereinbaren mit der Tatsache, dass Hildebrandt & Hees / Thor als offizieller Partner der Stadt im Sanierungsgebiet Neckarstadt-West aktuell Wohnraum in Gewerbe umwandelt, und bei Neuvermietungen im Stadtteil zwischen 11 und 14€ pro kalt-qm verlangt?
Dazu an anderer Stelle mehr.
Wir fordern:
Transparenz im Umgang mit städtischen Geldern!
Transparenz gegenüber der Bewohnerschaft über die Vorgänge und Akteure der “Lokalen Stadterneuerung”!
Erhalt von bezahlbarem Wohnraum in der Neckarstadt!
Keine Zweckentfremdung von Wohnraum zugunsten von Gastronomie!
FairMieten – Initiative gegen Mietwucher in der Neckarstadt
Links:
http://www.startraum-mannheim.de (offline)
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Weiterführende Links:
File under:
Sanierungsgebiet Neckarstadt-West
Zwischennutzungsmanagement
Leerstand
Quartiermanagement
Lokale Stadterneuerung
MWSP
Kreativwirtschaft
Startup Mannheim
Startraum Mannheim
Kulturelle Stadtentwicklung
mg: mannheimer gründungszentren gmbh
Yalla Yalla
Pourista / Concrete Coffee Roasters
Gewerbeverein Neckarstadt-West Jungbusch
Hildebrandt & Hees
Thor GbR
Zweckentfremdung von Wohnraum
Westwind
Jungbusch
Gentrifizierung