Straßenumbenennung in Mannheim Rheinau-Süd: Wer waren die Kolonialisten?
Über Straßennamen denken wir selten nach. Sie haben für uns meist nur praktische Bedeutung. Aber seit dem 19. Jahrhundert werden Straßennahmen vergeben, um damit Personen zu ehren oder bestimmte Orte bzw. Ereignisse besonders zu würdigen. 1935 wurden im Sinne der NS – Propaganda Straßen nach den Kolonialpionieren Leutwein, Lüderitz, Peters und Nachtigal benannt. Ihre menschenverachtende rassistische Eroberung Südwestafrikas passte in die NS – Zeit. Von den Bewohnern der Siedlungshäuser wurde damals niemand gefragt, wie die Straßen heißen sollten – Bürgerbeteiligung gibt es in einer Diktatur nicht.
In der Nachkriegszeit wurden weitere Straßen nach Forschern und Entdeckern benannt. Darunter war auch Sven Hedin, dessen rassistische Weltanschauung bei der Benennung nicht beachtet wurde. Die Stadt Mannheim hat das renommierte Leibniz-Institut für Europäische Geschichte um ein Gutachten zu den Straßennamen in Rheinau-Süd gebeten. Die Historiker empfehlen eine Umbenennung der Kolonialisten – Straßen und des Sven-Hedin-Wegs, weil eine Ehrung der vier Personen dem heutigen Leitbild der Stadt nicht mehr entspricht.
In der „Mannheimer Erklärung für ein „Zusammenleben in Vielfalt“ wird als Leitbild Mannheims beschrieben:„Kultur der Vielfalt, der Gleichstellung der Geschlechter und der Anerkennung vielfältiger menschlicher Identitäten und Lebensentwürfe.“
Wer möchte, dass alle Menschen der Welt in Würde und Selbstbestimmung leben können, dass Vielfalt, gegenseitiger Respekt und Demokratie gelten, sollte die Umbenennung von Straßen befürworten, deren Namen mit rassistischer Unterdrückung, Gewalt und Ausbeutung verknüpft sind. Straßen können zum Beispiel nach Personen benannt werden, die für globale Menschenrechte, Demokratie oder den Schutz der Natur stehen.
Arbeitskreis Kolonialgeschichte
Der Arbeitskreis Kolonialgeschichte ist ein Zusammenschluss von Mannheimer Bürgerinnen und Bürgern, die sich für die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit Mannheims einsetzen. Dazu gehört auch die Umbenennung der in Mannheim nach Kolonialisten vergebenen Straßennamen, denn auch Straßennamen drücken das Selbstverständnis einer Stadt aus.
Bürgerbeteiligung und die Einbeziehung der Anwohnerinnen und Anwohner sind für uns selbstverständlich. Ob Straßennamen beibehalten oder verändert werden, betrifft jedoch die ganze Stadtgesellschaft. Der Arbeitskreis Kolonialgeschichte unterstützt das Anliegen der Parteien im Mannheimer Gemeinderat und im Bezirksbeirat, die für die Umbenennung stimmen. Er setzt sich auch dafür ein, dass die Anwohnerinnen und Anwohner der betroffenen Straßen im Falle einer Umbenennung von Kosten befreit werden.
- Wir wollen darüber informieren, dass Lüderitz, Nachtigal und Leutwein Vertreter der deutschen Kolonialherrschaft und damit eines rassistischen Unrechtssystems waren, und dass auch Sven Hedin rassistische Unterdrückung gut geheißen hat.
- Wir wollen deutlich machen, dass die Betreffenden verantwortlich für Verbrechen waren bzw. Verbrechen aktiv unterstützt haben. Dass sie wie alle Menschen auch „ganz normale“ Seiten hatten, entlastet sie nicht.
- Ihre aktive Beteiligung an bzw. Unterstützung von Verbrechen unterscheidet sie von anderen historischen Personen, von denen rassistische Äußerungen bekannt sind.
- Wir verstehen die Benennung von Straßen als Ehrung der betreffenden Personen und halten daher eine Umbenennung für die einzig richtige Entscheidung.
- Eine Erhaltung der Straßennamen, ergänzt durch Informationen über die Verbrechen, lehnen wir ab. Ergänzungstafeln geben zwar die Möglichkeit, Verbrechen dieser Personen zu benennen, erhalten ihre Namen aber als etwas Herausragendes. Niemand wäre auf die Idee gekommen, Adolf-Hitler-Straßen beizubehalten und nur durch eine Information wie z.B. „verantwortlich für die Ermordung von 50 Mio. Menschen“ zu ergänzen.
- Darüber hinaus ist nach unserer Meinung eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem kolonialistischen Unrecht nur möglich, wenn wir auch die Perspektive der Opfer und ihren Widerstand einbeziehen.
- Wir erarbeiten derzeit Informationen über herausragende Vertreter*innen des antikolonialistischen Widerstands insbesondere in Kamerun und Namibia.
- Der „Taufbezirk“ (die von der Stadt vorgenommene Einordnung örtlicher Straßennamen in einen Bedeutungszusammenhang) lautete in Rheinau-Süd in der ersten Zeit: „Kolonialisten“. Mit der Erweiterung der Bebauung wurde er in „Forscher und Entdecker“ umbenannt. Wir schlagen vor, ihn künftig in einen neuen Taufbezirk „Forscher, Entdecker und antikolonialistische Widerstandskämpfer“ zu überführen. Die bisher nach Kolonialisten benannten Straßen sollten die Namen afrikanischer Widerstandskämpfer*innen erhalten.
Adolf Lüderitz
(1834 – 1886)
Kaufmann und Kolonialpionier
- trieb die Umsetzung der deutschen Kolonialinteressen aktiv voran.
- wählte Südwestafrika für eine zu errichtende Kolonie aus.
- begann den Landraub.
- schloß einen Vertrag mit einem lokalen Vertreter ab, den er betrügerisch auslegte („Meilenschwindel“).
- blendete bei seinen Plänen für die wirtschaftliche Erschließung die Bedürfnisse und Interessen der Bewohner des Landes völlig aus.
- forderte staatliche Unterstützung durch Landerforschung, Kriegsschiffe, Richter und Polizeitruppen.
- schlug Prügelstrafen und Zwangsarbeit für die einheimische Bevölkerung vor.
Adolf Lüderitz war ein Sohn des wohlhabenden Bremer Tabakhändlers und übernahm nach dem Tod des Vaters 1878 dessen Tabakgeschäft. Allerdings hatte er mit seinen Auslandsunternehmungen weiterhin wenig Glück. Eine 1881 in Lagos, im damaligen Britisch-Westafrika, gegründete Niederlassung konnte sich gegen die ausländische Konkurrenz nicht durchsetzen. Trotz dieses Misserfolges hielt Lüderitz an seinen Afrikaplänen fest und fand dabei Unterstützung durch den jungen Bremer Kaufmann Heinrich Vogelsang. Beide fassten den Entschluss, in Südwestafrika eine deutsche Kolonie zu gründen, da dieses Gebiet bisher von keiner anderen Kolonialmacht besetzt worden war. Vogelsang hatte auch erfahren, dass in Südwestafrika mit Bodenschätzen, z. B. Kupfer, zu rechnen sei.
Nachdem Vogelsang im April 1883 in der Bucht von Angra Pequena die ersten Unterkünfte für seine Expedition hatte errichten lassen, schloss er am 1. Mai mit dem Nama-Kaptein Josef Frederiks II einen Vertrag ab, in dem die Bucht von Angra Pequena und das Land im Umkreis von fünf geographischen Meilen für 100 Pfund in Gold und 200 Gewehre an die Firma Lüderitz verkauft wurde. Frederiks ging von englischen Meilen zu ca. 1,6 km aus, Lüderitz beharrte später auf der deutschen Meile, die 7,5 Km lang war. Er war sich des Schwindels durchaus bewusst, denn er schrieb an Vogelsang: „Lassen Sie Joseph Fredericks aber vorläufig in dem Glauben, daß es 20 englische Meilen sind.“ Die Nama sahen sich getäuscht, konnten aber trotz heftiger Proteste ihren Standpunkt nicht durchsetzen. Die fragwürdigen Vertragsgrundlagen der Erwerbungen, landläufig auch „Meilenschwindel“ genannt, brachten Lüderitz schon früh den Spottnamen Lügenfritz ein.
Daraufhin wandte sich Lüderitz an das deutsche Auswärtige Amt mit der Bitte um Schutz für seine Besitzungen. Durch Verweise auf das Vordringen der Briten in das Gebiet fand Lüderitz bei der deutschen Regierung Gehör. Nach einem erneuten Gespräch mit Bismarck, an dem auch Adolph Woermann, der Besitzungen in Kamerun und Togo erworben hatte, teilnahm, stimmte der Reichskanzler schließlich zu, einen Reichskommissar für Westafrika zu ernennen, der deutsche Hoheitsrechte für die deutschen Niederlassungen in Westafrika ausüben sollte. Er wurde noch im selben Jahr in der Person des Gustav Nachtigal ernannt. Die deutsche Admiralität entsandte die Kriegsschiffe Elisabeth[3] und Leipzig. Landungstruppen hissten unter Beteiligung von Vertretern der Firma Lüderitz und des Nama-Kaptein Josef Frederiks mit seinen Ratsleuten am 7. August 1884 die deutsche Fahne und stellten das Gebiet unter deutschen Schutz. Deutsch-Südwestafrika war von 1884 bis 1915 eine deutsche Kolonie.
Nach diesem Erfolg schloss Lüderitz 1885 weitere zweifelhafte Verträge über Territorien und Minenkonzessionen und sandte er Expeditionen mit Bergbauexperten aus. Für die Finanzierung fand Lüderitz beim Deutschen Kolonialverein Unterstützung– daraus wurde später die Deutsche Kolonialgesellschaft. Am 3. April 1885 übernahm die Deutsche Kolonialgesellschaft für Südwestafrika das von Adolf Lüderitz erworbene Lüderitzland sowie die damit zusammenhängenden Verbindlichkeiten und Rechte. Die Gesellschaft war auf Betreiben von Wirtschaftsführern und der deutschen Regierung gegründet worden, um zu verhindern, dass die deutschen Niederlassungen in Südwestafrika in englische Hände fallen würden. Mit finanzieller Unterstützung der Kolonialgesellschaft stellte Lüderitz 1886 eine neue Expedition zusammen, die die Möglichkeiten einer neuen Ansiedlung an der Mündung des Oranje-Flusses erkunden sollte. Er verunglückte 1886 bei einer Erkundungsfahrt, von der er nicht zurückkehrte.
Die Ehrung von Adolf Lüderitz durch die Benennung von Orten und Straßen wird in Namibia und in Deutschland kritisch diskutiert.
Gustav Nachtigal
1834–1885
Afrikaforscher, Generalkonsul in Tunis und Reichskommissar für Westafrika
- trat als kaiserlicher Reichskommissar mit der Drohkulisse von Kanonenbooten auf.
- zwang mit Gewaltandrohung und Geiselnahme zu Vertragsunterzeichnungen.
- stellte die privaten Besitzungen und Handelsstützpunkte unter den Schutz des Deutschen Reiches.
- akzeptierte den „Meilenschwindel“ der Firma Lüderitz und sicherte Landraub, Betrug und Erpressung staatlich ab.
- stimmte der Erschließung weiterer Gebiete zu und garantierte dafür militärische Unterstützung.
Theodor Leutwein
1849 in Strümpfelbrunn geboren – 1921 in Freiburg gestorben
- übernahm den Auftrag, die deutsche “Machtstellung den Eingeborenen gegenüber unter allen Umständen aufrechtzuerhalten und zu befestigen“.
- setzte die Kolonialherrschaft bis zum großen Aufstand 1904 militärisch durch, mit Artillerieangriffen, der Zerstörung von Dörfern, Geiselnahmen und Erpressungen.
- führte bewaffnete Feldzüge gegen die einheimische Bevölkerung, die er zu bedingungsloser Unterwerfung zwang;
- integrierte Unterworfene als Soldaten in die „Schutztruppe“.
- bekämpfte kontinuierlich und mit brutalen Mitteln Aufstände.
- Etablierte ein rassistisches Herrschaftssystem, in welchem Kinder eines weißen Vaters und einer schwarzen Mutter nicht als Deutsche anerkannt wurden.
Leutwein machte Karriere in der Reichsarmee und schaffte es 1885 bis zum Hauptmann.Nach Tätigkeiten an diversen preußischen Kriegsakademien wurde er 1893 in den Dienst des Auswärtigen Amtes in die sogenannte Schutztruppe für Deutsch-Südwestafrika überstellt und 1898 zum Gouverneur des Schutzgebietes ernannt. Beauftragt, die deutsche “Machtstellung den Eingeborenen gegenüber unter allen Umständen” aufrechtzuerhalten und zu befestigen, führte er eine Vielzahl von bewaffneten Feldzügen gegen die einheimische Bevölkerung, u. a. gegen die Nama unter der Führung von Hendrik Witbooi. Er zwang diese zum Abschluss eines Schutz- und Beistandsvertrags, den die Witbooi auch fast 10 Jahre lang erfüllten. Ebenso gelang Leutwein der Abschluss eines Schutzvertrages mit einem Herero- Oberhaupt, der ihm bei der Erkundung des Nordens und bei bei der Niederwerfung eines Aufstands der Mbanderu / Ost-Herero 1896 behilflich war. In seinen Memoiren erwähnt Leutwein, dass er Artillerie gegen kaum Bewaffnete einsetzte, Dörfer vernichtete und lokale „Chiefs“ hinrichtete, die eine bedingungslose Unterwerfung verweigerten. Bis Ende 1894 hatte er Süd- und Zentralnamibia formell der deutschen Herrschaft unterworfen. Mit Leutwein begann die systematische Etablierung und Ausdehnung kolonialer Herrschaft in Südwestafrika. Um die eigene “Schutztruppe” zu stärken, beließ er einzelne afrikanische Chiefs, welche die deutscher Oberhoheit formal anerkannten, in ihren Positionen und band ihre Soldaten in seine Truppe ein. Als Gouverneur führte Leutwein Verordnungen ein, mit denen er die nach dem Krieg etablierte rassischen Privilegienherrschaft vorbereitete. Leutwein setzte sich dafür ein, dass Eheschließungen von weißen Männern mit schwarzen Frauen nicht offiziell vollzogen wurden, damit die Kinder nicht als Deutsche anerkannt werden konnten. In seinen Memoiren (Elf Jahre…) reflektierte Leutwein: „Das Endziel jeder Kolonisation ist, von allem idealen und humanen Beiwerk entkleidet, schließlich doch nur ein Geschäft. Die kolonisierende Rasse will der Urbevölkerung des zu kolonisierenden Landes nicht das von dieser vielleicht erwartete Glück bringen, sie sucht vielmehr in erster Linie ihren eigenen Vorteil“. Als sich die Herero Anfang 1904 gegen die deutsche Herrschaft erhoben, wurde Leutwein, der sich aus wirtschaftlichen Nützlichkeitserwägungen für eine Schonung der Herero aussprach, im Juni 1904 durch Generalleutnant Lothar von Trotha als Oberbefehlshaber der Schutztruppe ersetzt, der zu einem rassistischen Vernichtungskrieg und Völkermord bereit war. Im November 1904 musste Leutwein auch das Amt des Gouverneurs abtreten. Auf eigenes Ersuchen wurde er beurlaubt und im August 1905 in den Ruhestand versetzt.
Als Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika ‘unterstützte’ er das im Aufbau befindliche Völkerkundemuseum der Stadt Freiburg. Er veranlasste Ende 1899 und Anfang 1900 die Verschickung von zwei Sammlungen mit 22 bzw. 50 Gegenständen der Herero und Damara nach Freiburg.
Sven Hedin
(1865-1952)
schwedischer Forschungsreisender
- interpretierte den ersten Weltkrieg als Kampf der nordisch-germanischen Rasse gegen das asiatische Russland und würdigte den zurückgetretenen deutschen Kaiser.
- erkundete in Zentralasien u.a.die Möglichkeiten, wirtschaftsimperiale Ambitionen des deutschen Reichs zu verwirklichen.
- unterstützte das NS-Regime und seine Expansionsinteressen.
- unterstützte die judenfeindliche NS-Politik, propagierte die „Germanische Rasse“ und vertrat die irrwitzige Idee der „jüdischen Weltverschwörung“.
Der Schwede Sven Hedin (1865-1952) war ein international bekannter Forschungsreisender, der mehrere große Expeditionen nach Zentralasien durchführte. Obwohl deren wissenschaftlicher Wert gering war, konnte er diese Reisen durch Vorträge und Publikationen gut vermarkten und so vor dem zweiten Weltkrieg eine gewisse Popularität erlangen.
Sven Hedin hat sich politisch eindeutig für deutsche Expansionsinteressen und das nationalsozialistische Regime stark gemacht. Er propagierte ganz im Sinne der NS-Ideologie die „Germanische Rasse“ und stand auch sonst nationalsozialistischen Haltungen und Überzeugungen sowie der Führungsriege des NS-Regimes durchweg sehr nahe.
Als Antisemit unterstützte er die NS-Politik gegen Juden und vertrat die irrwitzige Idee der „jüdischen Weltverschwörung.
Einen Tag nach Hitlers Tod im Mai 1945 würdigt er ihn in der schwedischen Tageszeitung Dagens Nyeter mit folgenden Sätzen: „Heute bewahre ich eine tiefe und unauslöschliche Erinnerung an Adolf Hitler und betrachte ihn als einen der größten Menschen, den die Weltgeschichte besessen hat. Nun ist er tot. Aber sein Werk wird weiterleben. Er verwandelte Deutschland in eine Weltmacht. Jetzt steht dieses Deutschland am Rande eines Abgrunds, da seine Widersacher seine anwachsende Stärke und Macht nicht ertragen konnten. Aber ein Volk von achtzig Millionen, das sechs Jahre lang gegen die ganze Welt mit Ausnahme Japans Stand gehalten hat, kann nie vernichtet werden. Die Erinnerung an den großen Führer wird im deutschen Volk Jahrtausende von Jahren weiterleben.“ (Siehe auch „Wissenschaftliches Gutachten des Leibnitz-Instituts für Europäische Geschichte“ Mainz 2020)
(Text: Arbeitskreis Kolonialgeschichte | Kontakt: makolonialgeschichte@posteo.de)