Kontroverse um den Schauspielintendanten des Nationaltheater Mannheim – „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ im Visier
Kontroverse um Holtzhauer, Schauspielintendant des Nationaltheater Mannheim
Engagement für „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ verwerflich und antisemitisch?
Der Mannheimer Morgen hat ausführlich über die Kontroverse berichtet. Ausgangspunkt für die öffentliche Sichtbarkeit des Konflikts ist die öffentliche Aufforderung von Oberbürgermeister Peter Kurz an Christian Holtzhauer, sich zu seiner Unterstützung der Initiative GG 5.3 zu erklären. (MM 27.01./28.01./30.01.2020). Ausgerechnet die AfD setzt sogar noch einen oben drauf. Am 4. Januar forderte die AfD-Fraktion im Stuttgarter Landtag wegen Holtzhauers Unterschrift die Überprüfung der Landesmittel für das Mannheimer Nationaltheater.
Was ist passiert?
Im Dezember 2020 veröffentlichten die Leiter zahlreicher Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen ein „Plädoyer der ‚Initiative GG 5.3 Weltoffenheit‘“.
In dem zweisprachig verfassten Aufruf betonen die Unterzeichner, dass sie den Boykott Israels durch BDS ablehnten. Zugleich warnen sie vor einer Einschränkung der grundgesetzlich geschützten Kunst- und Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Absatz 3 GG) durch „missbräuchliche Verwendungen des Antisemitismusvorwurfs“. Sie fordern, bei der Meinungsäußerung eine „Differenz“ zuzulassen und „einer Vielstimmigkeit Freiräume zu garantieren“. Christian Holtzhauer ist neben vielen anderen einer der Unterzeichner des Aufrufs.
BDS (Boykott, Desinvestition, Sanktionen) verlangt ein Ende der Besatzung des Westjordanlandes, der Golanhöhen und Ost-Jerusalems durch Israel, die Gleichberechtigung arabisch-palästinensischer Bürger Israels und ein Recht auf Rückkehr nach Israel für palästinensische Flüchtlinge und deren Nachkommen. Die BDS-Kritiker sehen in den Forderungen des BDS eine Infragestellung des Staates Israel.
Stellung zum BDS und israel-kritische Positionen umstritten
Wir haben den vollständigen Wortlaut des Aufrufs einschließlich der Unterstützer unten dokumentiert (Dokument 2 – https://www.humboldtforum.org/wp-content/uploads/2020/12/201210_PlaedoyerFuerWeltoffenheit.pdf). Wer den vollständigen Text liest, kann Holtzhauer nachvollziehen, der sich gegen die Unterstellung des Antisemitismus entschieden zur Wehr setzt. Er bekräftigt „Wir sind gegen jede Art von Antisemitismus“. Holtzhauer und der „Initiative GG 5.3 Grundgesetz“ gehe es darum, dass im Zuge der Kunstfreiheit auch Unterstützer der BDS-Bewegung in deutschen Kultureinrichtungen gastieren dürften. Ansonsten wird die Meinungsfreiheit unter Umständen eingeschränkt.
Anmerkung am Rande: Der MM hat in insgesamt 3 Seiten den „Fall Holtzhauer“ recht ausführlich dokumentiert. Holtzhauer betont, dass „das Existenzrecht Israels auch das Recht des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung für ihn außer Frage“ stehe. Meine Frage ist, warum wird in diesen drei Seiten mit keiner Silbe von einem ebensolchen Recht der Selbstbestimmung des Palästinensischen Volkes gesprochen? Bzw. vom Recht aller Menschen in Israel und Palästina auf ein gemeinsames und friedliches Leben.
Wenn gleich Holtzhauer sich nicht in Gegensatz zur Anti-BDS-Beschlussfassung des deutschen Bundestags im Mai 2019 und des Gemeinderats Mannheim begehen will, so kritisiert das Plädoyer der „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ die Folgen: .“ Unter Berufung auf diese Resolution (des Bundestags, d. Red.) werden durch missbräuchliche Verwendungen des Antisemitismusvorwurfs wichtige Stimmen beiseitegedrängt und kritische Positionen verzerrt dargestellt.“
Anti-BDS-Beschlüsse rechtlich und politisch in der Kritik
Inzwischen ist der Beschluss des Bundestags von vielen Seiten unter Druck geraten. Sowohl bezüglich seiner Rechtmäßigkeit (siehe Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs und verschiedener Verwaltungsgerichtsinstanzen) als auch seiner politischen Tragfähigkeit. Selbst in den eigenen Reihen wird der Bundestagsbeschluss inzwischen kritisch gesehen.
Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages bezeichnet die Bundestagsresolution zu BDS nicht als „echten, sondern als „schlichten Parlamentsbeschluss“, der keinerlei gesetzliche Wirksamkeit hat. Bezüglich der Verbindlichkeit dieses Beschlusses heißt es im Rechtsgutachten: „Ein derartiges Gesetz wäre nicht mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit zu vereinbaren und daher verfassungswidrig. (Wissenschaftlicher Dienst des BT zu BDS-Beschluss des Deutschen Bundestages (Drucksache 19/10191) 21. Dezember 2020.)
Nur am Rande: Soweit mir bekannt wurden durch die Anti-BDS-Beschlüsse nicht rechte und offen rassistische Veranstaltungen sanktioniert, sondern vor allem Veranstaltungen aus dem linken Kontext.
Es spricht also viel dafür, entsprechende Beschlussfassungen bzgl. BDS wieder aufzuheben.
Israel-Kritik unerwünscht?
Der in dem Plädoyer erwähnte Achille Mbembe ist zweifelsohne zu einem der bekanntesten Fälle im Zusammenhang von BDS-Vorwürfen geworden. Der renommierte afrikanische Philosoph und Historiker wurde als geplanter Gastredner für die letztjährigen Ruhrtrienale wieder ausgeladen, da ihm unterstellt wurde, dass er u.a. den Holocaust relativieren würde. Mbembe wehrte sich zwar vehement gegen diese Vorwürfe, er ist wohl letztlich wegen seiner Kritik an der israelischen Besatzungspolitik gescheitert. Der Fall hatte weitreichende Folgen. Es wurde die sofortige Entlassung der Intendantin gefordert, zumindest ist nun ihr Vertrag nicht mehr verlängert worden.
Es gibt viele weitere Beispiele dieser Art. Seit 2016 sind über hundert Fälle bekannt, in denen israelkritische Veranstaltungen aus öffentlichen Räumen ausgeschlossen wurden oder erst gerichtlich durchsetzbar waren.
Auch in Mannheim
Fälle dieser Art gab es auch in Mannheim. Der bekannte deutsch-jüdische Prof. Rolf Verleger wollte im September 2019 einen Vortag zur Geschichte Israels halten. Örtliche Vertreter der Deutsch-Israelischen Gesellschaft übten massiven Druck auf kommunale, kirchliche und andere Entscheidungsträger auszuüben, damit die Veranstaltung nicht stattfindet. Selbst die Einhaltung eines Veranstaltungsvertrags mit einem zur Absage gedrängten Hotel musste erst gerichtlich erzwungen werden.
Rolf Verleger ist ein linker Humanist, Verfechter gleicher Rechte für Juden und Palästinenser und mitnichten ein Antisemit. Da er aber als ein starker Kritiker der israelischen Regierungspolitik auftritt, geriet er ins Visier auch der hiesigen Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG).
Auch im Falle der Kontroverse um Holtzhauer ist der Ursprung offensichtlich die DIG, die den Stein ins Rollen brachte. Der Vorsitzende der DIG Rhein-Neckar, Chris Rihm, forderte am 13.12.2020 in einem Brief an den OB auf, zu klären wie die Unterschrift von Holtzhauer mit seiner Funktion als Intendant des Nationaltheaters zu vereinbaren sei. Derart unter Druck gesetzt sah sich der OB offensichtlich jetzt seinerseits zum Handeln gegenüber Holtzhauer veranlasst. (Über die Systematik der Ausgrenzung israel-kritischer Positionen siehe unteren Artikel „Wie Israel-Kritik systematisch ausgegrenzt wird“)
Fazit
Stefan M. Dettlinger schreibt im Kommentar des Mannheimer Morgen: „Ob in diesem Fall nun missbräuchlich oder nicht: Der Antisemitismus-Vorwurf ist eine Keule, die keine Gegenwehr zulässt.“ Das ist leider wahr aber auch zynisch. Denn wenn der Vorwurf missbräuchlich ist, dann ist Gegenwehr mehr als legitim und sollte unterstützt werden.
Roland Schuster
Dokument 1
Wie Israel-Kritik systematisch ausgegrenzt wird
Wie das gemacht wird? Man schaue mal bei Wikipedia nach:
Das Simon-Wiesenthal-Zentrum, eine private einflussreiche Organisation mit Hauptsitz in Los Angeles und guten Kontakten in die US- und israelische Regierungsadministration erstellt seit 2010 alljährlich eine „Liste der zehn weltweit schlimmsten antisemitischen Vorfälle“. 2020 ging Platz 7 an die „deutsche Kulturelite“, insbesondere an das Goethe-Institut, die Bundeskulturstiftung, die Berliner Festspiele, das Deutsche Theater, das Einstein Forum, das Humboldt Forum und weitere staatlich finanzierte Kultureinrichtungen. Auch die „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ ist in diesem Zusammenhang erwähnt. Man muss übrigens bei weitem kein BdS-Befürworter sein, um auf diese Liste zu kommen. 2019 kam Christoph Heusgen, Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen, auf Platz 7 der Liste, weil er im Sicherheitsrat 25mal „gegen Israel“ gestimmt und israelische Bulldozer mit Hamas-Raketen verglichen.
Dokument 2
Plädoyer der „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“
Als Repräsentantinnen und Repräsentanten öffentlicher Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen verbindet uns der staatliche Auftrag, Kunst und Kultur, historische Forschung und demokratische Bildung zu fördern und der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Dafür sind wir auf eine Öffentlichkeit angewiesen, die auf der normativen Basis der grundgesetzlichen Ordnung streitbare und kontroverse Debatten ermöglicht. Unsere besondere Aufmerksamkeit gilt dabei auch marginalisierten und ausgeblendeten Stimmen, die für kulturelle Vielfalt und kritische Perspektiven stehen. Der gemeinsame Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus, Rechtsextremismus und jede Form von gewaltbereitem religiösem Fundamentalismus steht im Zentrum unserer Initiative.
Eine spezifische Herausforderung besteht für uns heute darin, die Besonderheiten der deutschen Vergangenheit unseren Kooperationspartner:innen in der ganzen Welt verantwortungsvoll zu vermitteln, um eine gemeinsame Gegenwart und Zukunft zu entwerfen. Eine Vergangenheit, die einerseits geprägt ist durch den beispiellosen Völkermord an den europäischen Juden und Jüdinnen und andererseits durch eine späte und relativ zögerliche Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte. Dazu bedarf es eines aktiven Engagements für die Vielfalt jüdischer Positionen und der Öffnung für andere, aus der nichteuropäischen Welt vorgetragene gesellschaftliche Visionen.
Es ist unproduktiv und für eine demokratische Öffentlichkeit abträglich, wenn wichtige lokale und internationale Stimmen aus dem kritischen Dialog ausgegrenzt werden sollen, wie im Falle der Debatte um Achille Mbembe zu beobachten war. Die historische Verantwortung Deutschlands darf nicht dazu führen, andere historische Erfahrungen von Gewalt und Unterdrückung moralisch oder politisch pauschal zu delegitimieren. Konfrontation und Auseinandersetzung damit müssen gerade in öffentlich geförderten Kultur- und Diskursräumen möglich sein. Vor diesem Hintergrund bereitet uns auch die Anwendung der BDSResolution des Bundestages große Sorge. Da wir den kulturellen und wissenschaftlichen Austausch für grundlegend halten, lehnen wir den Boykott Israels durch den BDS ab. Gleichzeitig halten wir auch die Logik des Boykotts, die die BDS-Resolution des Bundestages ausgelöst hat, für gefährlich. Unter Berufung auf diese Resolution werden durch missbräuchliche Verwendungen des Antisemitismusvorwurfs wichtige Stimmen beiseitegedrängt und kritische Positionen verzerrt dargestellt.
Aus diesem Grund haben wir uns zu der „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ zusammengefunden, in der wir unsere Kompetenzen und Kräfte bündeln, um uns für die Verteidigung eines Klimas der Vielstimmigkeit, der kritischen Reflexion und der Anerkennung von Differenz einzusetzen. Mit dem Namen verweisen wir auf Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes, in dem die Freiheit von Kunst und Wissenschaft garantiert wird. Weltoffenheit, wie wir sie verstehen, setzt eine politische Ästhetik der Differenz voraus, die Anderssein als demokratische Qualität versteht und Kunst und Bildung als Räume, in denen es darum geht, Ambivalenzen zu ertragen und abweichende Positionen zuzulassen. Dazu gehört es auch, einer Vielstimmigkeit Freiräume zu garantieren, die die eigene privilegierte Position als implizite Norm kritisch zur Disposition stellt.
Wir verteidigen die weltoffene Gesellschaft, die für die Gleichwertigkeit aller Menschen mit den Mitteln des Rechtsstaats und öffentlichen Diskurses streitet sowie Dissens und vielschichtige Solidaritäten zulässt. Dies ist die Grundlage, welche es den Künsten und Wissenschaften erlaubt, ihre ureigene Funktion weiterhin auszuüben: die der kritischen Reflexion der gesellschaftlichen Ordnungen und der Öffnung für alternative Weltentwürfe.
Arbeitskreis:
- Berliner Festspiele, Thomas Oberender (Intendant) • Berliner Künstlerprogramm des DAAD, Silvia Fehrmann (Leiterin) • Bündnis Internationaler Produktionshäuser: • FFT Düsseldorf (Forum Freies Theater ), Kathrin Tiedemann (Künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin) • HAU Hebbel am Ufer / Berlin, Annemie Vanackere (Intendantin) • HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste / Dresden, Carena Schlewitt (Intendantin) • Kampnagel / Hamburg, Amelie Deuflhard (Intendantin) • Künstlerhaus Mousonturm / Frankfurt am Main, Matthias Pees (Intendant) • PACT Zollverein / Essen, Stefan Hilterhaus (Intendant) • tanzhaus nrw / Düsseldorf, Bettina Masuch (Intendantin) • Deutsches Theater Berlin, Ulrich Khuon (Intendant) • Einstein Forum Potsdam, Susan Neiman (Direktorin) • Goethe-Institut, Johannes Ebert (Generalsekretär) • Haus der Kulturen der Welt, Bernd Scherer (Intendant) • Jüdisches Museum Hohenems, Hanno Loewy (Direktor) • Kulturstiftung des Bundes, Hortensia Völckers (Künstlerische Direktorin) • Moses Mendelssohn Zentrum für Europäisch-Jüdische Studien, Miriam Rürup (Direktorin) • Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt (MARKK), Barbara Plankensteiner (Direktorin) • Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss, Hartmut Dorgerloh (Generalintendant) • Wissenschaftskolleg zu Berlin, Barbara Stollberg-Rilinger (Rektorin) • Zentrum für Antisemitismusforschung, TU Berlin, Stefanie Schüler-Springorum (Leiterin)
Weitere Unterzeichner*innen des Plädoyers:
- Deutscher Bühnenverein, Carsten Brosda (Präsident) • DOK Leipzig, Christoph Terhechte (Künstlerischer Leiter und Geschäftsführer) • Düsseldorfer Schauspielhaus, Wilfried Schulz (Generalintendant u. Festivalintendant Theater der Welt 2021) • Forum Transregionale Studien, Andreas Eckert (Vorstandsvorsitzender) • Münchner Kammerspiele, Barbara Mundel (Intendantin) • Nationaltheater Mannheim, Christian Holtzhauer (Schauspielintendant) • Schauspiel Köln, Stefan Bachmann (Intendant) • Staatsschauspiel Dresden, Joachim Klement (Intendant) • Theater Krefeld-Mönchengladbach, Michael Grosse (Generalintendant) • Thalia Theater, Joachim Lux (Intendant Thalia Theater u. Präsident des Deutschen Zentrums des Internationalen Theaterinstituts (ITI)) • Völkerkunde Museen in Leipzig, Dresden und Herrnhut, Léontine Meijer-van Mensch (Leiterin) • Württembergischer Kunstverein, Hans D. Christ und Iris Dressler (Direktoren)
Der Arbeitskreis dankt für fachlichen Rat und Diskussionsbeiträge:
- Aleida Assmann (Professorin em. für Anglistik und Allgemeine Literaturwissenschaft) • Stephan Detjen (Journalist) • Emily Dische-Becker (Journalistin) • Anselm Franke (Kurator) • Andreas Görgen • Wolf Iro (Kulturmanager und Autor) • Wolfgang Kaleck • Christoph Möllers (Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie) • Michael Wildt (Professor für Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert mit Schwerpunkt im Nationalsozialismus)