Welche Schlussfolgerungen lässt das Panaschierungsergebnis bei der Gemeinderatswahl zu?

Wenn es nicht so skurril wäre, könnte man die Kommunalwahlen in Baden-Württemberg als das glatte Gegenteil der US-Präsidentschaftswahl bezeichnen: Das Land ist nicht total gespalten und niemand ist gezwungen, entweder Hüh oder Hot zu sagen. Im Gegenteil: Jede wählende Person kann sich mittels seiner in Mannheim 48 Stimmen mit seinem winzigen Stimmenanteil so beteiligen, wie er / sie es für einen guten Gemeinderat für sinnvoll hält: kreuz und quer, nach politischen Neigungen, nach Berufen der Kandidierenden, nach Geschlecht, Bekanntheitsgrad oder sonstigen Kriterien. Man muss sich auf jeden Fall nicht für eine bestimmte Partei oder Liste entscheiden. Man kann panaschieren.

Unveränderte Stimmzettel

Bei der zurückliegenden Kommunalwahl in Mannheim haben 38% der Wählenden trotzdem einen unveränderten Wahlzettel in die Urne geworfen und damit allen Kandidierenden auf der Liste je eine Stimme gegeben. Das könnten die besonders von einer bestimmten Partei überzeugten Menschen sein: Bei der Linken beispielsweise 2.148, bei den Grünen 10.572 oder bei der Tierschutzpartei 462. Die Wahrscheinlichkeit ist jedoch groß, dass das eher Menschen sind, die zwar eine Affinität zu der jeweiligen Liste haben, denen aber im Wesentlichen das Wahlverfahren zu kompliziert ist. Und die 462 Tierschutzpartei-Wählenden haben in Wirklichkeit ihrer Partei einen Bärendienst erwiesen. Sie hätten jede:m der 24 Kandidierenden zwei Stimmen geben müssen, dann hätte diese Partei 11.088 Stimmen mehr gehabt. Dann wären das aber auch keine „unveränderten“ Stimmzettel gewesen. Und auch viele überzeugte Mitglieder von Parteien nutzen lieber die Möglichkeit, innerhalb der Liste “umzuräumen“.

Das Wahlbüro der Stadt Mannheim hat unlängst nun auch die Tabelle der Panaschierungsgewinne der einzelnen Listen veröffentlicht, für alle Wahlbewerber:innen in allen Stimmbezirken bzw. Stadtbezirken. Die Tabelle offenbart erneut die rege Panaschierungstätigkeit des Wahlvolkes. Es wird nicht nur in Blasen gewählt, sondern teilweise querbeet. Die Parteien stellen sich der gesamten wahlberechtigten Gesellschaft, und die wählt im wahrsten Sinne des Wortes aus.

Tabelle 1

  

Tabelle 1 zeigt das gesamte Panaschierungsgeschehen: Die Zeilen zeigen die Stimmen, die die Listen auf ihren eigenen Stimmzetteln erhielten (jeweils fett gedruckt) sowie Stimmen, die ihnen zugedacht wurden auf den Stimmzetteln anderer Listen. Unter den „eigenen Stimmzetteln“ verstehen sich die unveränderten wie auch diejenigen Stimmzettel, die z.B. trotz Eintragung von Kandidierenden anderer Listen überwiegend diejenigen der „eigenen“ Liste enthalten. Ebenso zählen darunter die vergebenen Stimmen auf anderen Listen, die der „Führungsliste“ zugeordnet werden. Die vorletzte Spalte enthält die von der Liste erzielte Gesamtstimmenzahl. Rechts daneben ist die Zahl der durch Panaschieren hinzugewonnen Stimmen aufgeführt. Die unterste Zeile der Spalten zeigt, wie viele Stimmen jede Liste an andere Listen „abgegeben“ hat, allerdings nicht als Verlust; die Wählenden nutzten die jeweilige Liste nur als „Transportmittel“ für ihre Panaschierungsstimmen.

Mehr wegtransportiert als gewonnen haben Grüne und AfD, fast neutral lief es bei SPD und CDU, die kleineren Parteien / Listen ab Freie Wähler/ Mannheimer Liste haben alle profitiert.

 

Tabelle 2

Tabelle 2 stellt die Panaschierungsresultate dar als prozentuale Zuschläge von anderen Listen auf die 100% „eigenen“ Stimmen.

Einige Punkte verdienen festgehalten zu werden:

  1. Die Wähler:innen der drei großen Parteien CDU, Grüne und SPD haben teilweise die zwei anderen z.T deutlich auch mit Stimmen bedacht. Auffällig sind die 110.176 Stimmen von Grünen-Zetteln für die SPD. Diese verdankt fast 20% ihres Aufschlags auf die „eigenen“ Stimmen den Grünen und der CDU. Diesen drei Parteien fällt die Pflicht zu, rechtsradikale Ambitionen der AfD in die Schranken zu weisen.
  2. Die Linke wird gar mit einem 26,5%-Zuschlag zu ihren eigenen Stimmen von Grünen- und SPD-Wähler:innen unterstützt. Es ist wie eine Bestätigung der merheitsbildenden Zusammenarbeit der drei Fraktionen in der vergangenen Amtsperiode, die nun aber nicht mehr mehrheitsbildend ist.
  3. Die FDP bekommt von den Wählenden der Grünen, SPD und v.a. natürlich der CDU insgesamt 47,8% Zuschlag.
  4. Die AfD ist diejenige Partei, die am wenigsten von allen 13 Listen zu ihren eigenen Stimmen hinzugewonnen hat (+ 4,5%). 2,7%-Punkte kommen von CDU-Wähler:innen, 0,6%-Punkte von der Mannheimer Liste (zusammen 23.000 Stimmen). Eine gewisse Affinität von Teilen der Anhängerschaft dieser beiden rechten Parteien zur AfD ist somit feststellbar. Die mag sich neben den programmatischen Überschneidungen auch durch gesellschaftliche Beziehungen ergeben, wie ja auch in der vergangenen Gemeinderatsperiode ein freundliches Geschäker zwischen Stadträten dieser Fraktionen immer wieder auffiel. Von den knapp 53.000 über AfD-Wahlzettel transportierten Stimmen für Andere profitierten zur Hälfte CDU und Mannheimer Liste und in kleinerem Umfang MfM. Ob diese Freundlichkeiten für die AfD Anlass zur Hoffnung geben, dass diese Freund:innen der AfD sich durch gute Gespräche am Ende mit Grausen aus dem rechten Klüngel verabschieden, zu dem sie sich offensichtlich hingezogen fühlen (so der Kommentar von Steffen Mack am 11.07.24 im Mannheimer Morgen), ist mehr als fraglich, zeigt aber, dass die AfD eher ein Mittelstandsproblem ist als eines der „Abgehängten“. Der Wunsch nach einem „sauberen, normalen Deutschland“ (AfD) ist nicht auf die AfD beschränkt. Das Wahlergebnis der AfD mit schwachen Panaschierungsbewegungen deutet eher auf eine entschlossene und fast hermetische Truppe hin, auch wenn sich ihre Vertreter:innen in Mannheim bemühen, smart zu erscheinen. Ihre Wähler:innen bevorzugen das Original und verzichten  darauf, ihre Stimmen zu streuen.

Thomas Trüper

Quellen: https://www.mannheim.de/de/stadt-gestalten/politik/wahlen-und-abstimmungen/ergebnisse/gemeinderatswahl,
Panaschierungsgewinne auf Stadtebene (XLSX),
Panaschierungsgewinne auf Stadtbezirksebene (XLSX).
Grafiken: KIM.