Campus Neckarstadt-West: Zur Problematik „Bildungsgerechtigkeit“ im Stadtteil

Steter Tropfen höhlt bisher nur den Verstand

Was aber bildungspolitisches Engagement jetzt bräuchte!

 Der 18. Juni 2024 ist wieder so ein Tag– alle Medien, sogar die BILD im Titel, prangern die bildungspolitische Lage Deutschlands an. Der nationale Bildungsbericht 2024 war vorgestellt worden. Alle Beteiligten (!), ob Bund, Land, Politik oder Wissenschaft klagen, das System sei „am Limit“.

Seit Jahren würde keine Verbesserung greifen, die Anforderungen würden alles Bemühen überholen. Alle haben genug Krisenberichte hinter sich, von Klima über Infrastruktur bis Bundeswehr. Es scheint, dass man nicht einmal mehr genau zuhört- ach so, mehr Geld.

Lese-Matheschwächen und PISA-Studien hat man auch gelesen, aber irgendwie kommt man ja doch durch. Ja, weil ein kleiner Teil der Schüler/Studentenschaft das noch trägt, ein wachsender Teil hängt ab. Die Kritik, dass besonders das deutsche Schulsystem Ungleichheit verfestigt in Herkunft UND Wohnort ist wie der stete Tropfen…der in diesem Fall dem Stein des Bildungssystems aber eben nichts anhaben kann.

¾ der Schülerschaft aus bildungsnahen Familien studiert, ¼ aus bildungsfernen Familien studiert in einem Bildungssystem, das vermeintlich „Bildung für alle“ gewährleisten soll. Es trifft besonders junge Menschen mit Migrationshintergrund und es verschärft sich jetzt alles dramatisch wegen des Fachkräftemangels. Für das neue Gesetz zur Ganztagesgrundschule fehlen sogar von vornherein Lehrer und Lehrerinnen. Und davor: Keine umfassende Kindergartenbetreuung und Mangel an Erzieherinnen!!

Wenn der Verteidigungsminister sagt wir seien weder verteidigungs-noch kriegsfähig, müsste die Bildungsministerin sagen, wir sind weder bildungsgerecht noch lernerfolgreich.

Deshalb forderte die SPD Vorsitzende Esken ein dem Zeitenwendezuschlag vor knapp 2 Jahren ein vergleichbares Bildungspaket mit 100 Milliarden. Wenn man ihr Büro nun anschreibt (was der Campusverein gemacht hat), wird pflichtbewusst ausweichend darauf verwiesen, wieviel Förderprogramme man auf Bundesebene losgejagt habe.

Und auf Landesebene wird erzählt, dass es ständig steigende Ausgaben gibt und spektakuläre Programme wie seit wenigen Tagen das Zukunftstartchancenpaket für Brennpunktschulen.

Auf kommunaler Ebene wird gestöhnt, dass man begleitend die Schulum- und Neubauten kaum bezahlen und die außerschulischen Fachkräfte (z.B. Schulsozialarbeit) auch nicht aus dem Ärmel zaubern könne.

Auf Schulebene wird in Konferenzen immer noch allein über die Zukunft ihres Schulangebots entschieden und mehr Geld gefordert, um quasi als Einkäufer von Bildungspäckchen, Sportvereinen und Essenscatering einkaufen zu gehen.

Auf Elternebene wird geklagt, dass Stundenausfälle und Leistungsdruck (G 8 Debatten) zuhause Ärger machten.

Auf Migrantenebene wird beklagt, dass es wenig muttersprachliche Lehrkräfte gibt und kaum noch muttersprachlich deutsche Kinder, von denen man „ordentlich Deutsch lernen könnte“.

Das Bildungssystem ist festgefahren und im Frust wie ein betonharter Stein, dem kein Veränderungstropfen etwas anhaben kann.

– Welcher lokale Bildungsdezernent wagt sich proaktiv zwischen Eltern, Schulen und Landesverwaltung und sucht integrierte Lösungen? Welche Landesverwaltung zieht die Bürokratieleinen nicht zusätzlich an, sondern lässt los auf die Gefahr hin, dass auch andere (Fach)kräfte mitwirken, andere Quartiersvernetzungen mit offenen Schulen und flexiblen Lernorten stattfinden?

-Warum hat Deutschland im Unterschied zu Schweden und Frankreich Ganztagesbetreuungssysteme nie konsequent von Grund auf durchgesetzt und qualitativ verbessert? Es ist Außenstehenden nicht zu erklären, wie komplex die Zuständigkeiten im Bildungswesen sind, wie rigide Zeit- und Lernstrukturen, wie weit weg die Lehrerschaft von der Wohnortsituation ihrer Schülerschaft ist. In der Not verdienen sich die Engagierten aus der Lehrerschaft den Respekt, dass sie „trotz alledem“ was tun. Andere halten u.a. an ihrer Teilzeitarbeit oder am Halbtag fest, fürchten inzwischen ärgerliche Eltern.

Wie soll das geändert werden? Mit mehr Geld??

Heute am 18.Juni 24 schreiben alle Medien wieder einmal über die Krise.

Heike Schmoll in der FAZ spricht davon „endlich Verantwortlichkeiten zu klären“, Brigitte Stauber im MM fordert, diese Fragen auf die Tagesordnung zu setzen, Bertram Bähr beschreibt im Lokalteil, wo teure Programme nicht innovativ „von der Leine gelassen werden“. Das Netzwerk Stiftung und Bildung organisiert sich mit vielen geldgebenden Akteuren in Appellen an die Politik, die Deutsche Kinder Jugendstiftung bietet sich vernetzend vergeblich an. Ein koordinierendes Bildungsbüro in der Kommune schweigt, eingebunden in städtischen Vollzug.

Aber es gibt einen Förderverein Campus Neckarstadt West, der gleichermaßen etwas verbessern will in der Quartiers- Bildungs- und Migrationsdiskussion.

Hier im Stadtteil Mannheim muss man begreifen, dass es gar nicht mehr um Integration von Minderheiten im Unterricht geht. Mehr als ¾ der Schülerschaft kommen aus allen Herren Ländern. Wer soll hier wohin integriert werden? Was soll die Debatte, wenn nicht alle Kinder kurz vor der Schule (kostenlos) kontinuierlich Deutsch lernen und erspielen in einem Kitaplatz? Ist das alles nur eine Geldfrage? Und hat man das alles nicht „ausrechnen“ können…?

Wenn Innovationen diskutiert werden- meist projekthaft befristet oder ganz langfristig in Fachplanungen (die Mannheimer Humboldtgrundschulen Neubauplanung wird am Ende vermutlich 10 Jahre gedauert haben) wimmelt es an großen Erklärungen mit der Folge, dass deutschstämmige Familienväter in besser situierten Stadtteilen meinen, dass permanent Geld in Brennpunkte fließe. Völlig verschleiert wird mit der Rhetorik, daß hier   von völlig verschiedenen Ausgangssituationen und Herausforderungen gesprochen und geschwiegen wird trotz umfangreicher Datenerhebungen in Bildungsberichten, die keiner mehr liest. Blockiert, versteinert. Ungleiches kann man nicht mit gleichmacherischen Mitteln beseitigen.

Immer mehr Forschung wird angesetzt mit meistens den gleichen (erschreckenden) Ergebnissen.

Die langfristigen Folgen für das rohstoffarme Deutschland und für den sozialen Zusammenhalt der Einwanderungsgesellschaft Deutschland sind so fatal, dass sie neben Klimaberichten in Ruhe entsorgt werden können. Die Wahlergebnisse junger Menschen schrecken auf, weil vermeintlich sogar bildungsabgehängte Jugendliche radikal wählen, um sich Anderer zu entledigen.

Den Föderalismus ändern? Die Kommunen zuständig machen, die Zustände bekommen vor der Dimension dieser Aufgabe?

Mehr individuelle Förderung? Dafür ist im „System“ zuerst einmal die Jugendhilfe zuständig in kommunaler Hoheit. Sie ist viel offensiver wie die Gesundheitsprävention von Anfang an mitzudenken. Es geht nicht um das Deutsch pauken in der Nachhilfe, wie mancher gut wollende Kommunalpolitiker meint, sondern um die Lernvoraussetzungen, in denen diese Kinder lernen- deren Intelligenz ja nicht von vornherein weniger wäre! Zeigen nicht migrantische Leistungssportler was geht, wenn sie in die „richtigen Hände“ geraten?

Es geht darum, das „System“ vom Kopf auf die Beine zu stellen.

* Bildung vom Ergebnis her zu denken nicht vom Aufwand. Effizienz zählt, fast egal wie sie zustande kommt!!

*Bildung nachhaltig in längeren und manchmal kleinen stetigen Umsetzungsetappen, nicht Befristungen, zu denken, egal welches Feuerwerk Antragsteller, Projekterfinder, Perfektionisten bieten (die die Dauer der Umstellungsleistung migrantischer Jugendlicher immer unterschätzen.)

Bildung in größter methodischer Vielfalt anzulegen, weil heute und in digitalen und heterogenen Gesellschaften kaum noch „am Schreibtisch“ sondern in Aktionen gelernt wird, wo sich Grundschüler vor allem bewegen oder der öffentliche Raum nicht gelehrt, sondern gestaltet wird.

Das braucht aktive Vernetzung, kein Abwarten. Es braucht die Mobilisierung aller Beteiligten. Es braucht dafür Freiräume (weil schon einmal bei der Zusammenarbeit Grundschulen -Jugend- und Gesundheit der Datenschutz alles zunichte machte!!). Es braucht Führungsverantwortung!

Kommunale Bildungspolitik hat nicht Schulen oder Eltern mit Einzellösungen zu „versorgen“, sondern sie hat Lernlandschaften in ihren Sozialräumen ganz pragmatisch, effizient und offen zu gestalten für alle!

Die Kritik an diesem festgefahrenen System ist wie der Tropfen auf den Stein- wir sollten weder die naive Hoffnung noch die Zeit haben zu warten, bis sich etwas am Stein bewegt. Wer „am Limit“ ist, macht Fehler. Was er braucht sind nicht „mehr Mittel“ in die gleichen Kanäle wie bisher, sondern Kooperation, neue Arbeitsteilungen, weniger Sprüche „Bildung für alle“, sondern Verpflichtungen wie Bildungsunterstützung von allen!

Der Campusverein will keine Löcher stopfen, sondern neue Wege ermöglichen, die nicht von Anderen ignoriert oder subsummiert werden (noch etwas vom Gleichen).

Deshalb veranstalten wir auch Diskussionen zur Bildungsgerechtigkeit. Wie am 10.7.24. (siehe Terminkalender, d. Red.)


Essay von Dr. Konrad Hummel, Vorstandsmitglied Campus Neckarstadt West, vom 18. Juni 2024

(mit freundlicher Zustimmung von Hummel in KIM veröffentlicht)