Die vielen Covid-19-Toten dürfen nicht noch mehr werden! Was ist los in den Pflegeheimen?
247 Tote in Mannheim im Zusammenhang mit Covid-19 sind eine hohe Zahl. Laut OB Peter Kurz sind davon etwa 50% Pflegheimbewohner*innen zuzuordnen. Letztlich müsse man die Zahl in ihrer Gesamtheit sehen. Aber der Anteil von 50% entspreche auch dem in Heidelberg. Die Frage stellt sich, welche Faktoren zu so hohen Sterbezahlen geführt haben und natürlich erst recht die Frage, mit welchen Maßnahmen das weitere Sterben eingegrenzt werden soll. Hierzu gab es auf der letzten Gemeinderatssitzung (2.2.21) unter TOP 1 viele Fragen und viele Informationen.
Wo steht Mannheim vergleichsweise?
Zunächst ein Blick in die Statistik. Die Tabelle zeigt, wie sich die Zahl der Toten bezogen auf die Einwohnerzahl und auf die Zahl der Infizierten im Vergleich zum Umland und zu zwei Referenzstädten (Duisburg und Nürnberg) verhält. Eine solche Vergleichbarkeit ist in den üblichen Zahlendarstellungen nicht möglich, die bis auf die 7-Tage-Inzidenz/100.000 Einwohner*innen nur absolute Zahlen liefern. Dies war sicher von Anfang an ein Schwachpunkt der Covid-19-Berichterstattungen.
Die Größe „Kumulierte Fälle je 1 Mio. Menschen“ zeigt die Fähigkeit der Stadt- (oder Kreis-)Gesellschaft, die Ausbreitung der Pandemie mehr oder weniger zu begrenzen. Die Relation „Tote je 1.000 Fälle“ ist ein Abbild der Schwere der Erkrankungen infolge einer Covid-19-Infektion und der Effizienz der medizinischen Versorgung, ohne diese beiden Faktoren in ihrer Gewichtung bestimmen zu können. In dieser Relation wird aber auch und wahrscheinlich vor allem die mehr oder weniger gute Schutzfunktion der Altenpflegeheime sichtbar, wenn es denn stimmt, dass die Hälfte der Toten von dort kommt.
Man kann der Tabelle entnehmen: Mannheim steht in Bezug auf die Betroffenheit von der Pandemie (Infektionen je 1 Mio. Einwohner*innen) mit Ludwigshafen und Heilbronn regional an der Spitze und verglichen mit den beiden Referenzstädten besser bis deutlich besser da.
Hinsichtlich der Faktoren Schwere der Erkrankungen, medizinische Versorgung und Schutzfunktion der Altenpflegeheime mit 23 Toten je 1.000 Infizierten steht Mannheim zwischen Stadt Heidelberg (14) und Ludwigshafen (40) eher im unteren Drittel. Auffällig ist die Stadt Heilbronn: Die „Betroffenheit“ von der Pandemie ist dort so hoch wie in keinem der Vergleichsgebiete, die Zahl der Toten je 1.000 Infizierten liegt jedoch am unteren Rand.
Diese Tabelle zeigt Mannheim und die umgebenden Städte und Kreise sowie die zwei Referenzstädte Duisburg und Mannheim (Sozialstruktur und verschiedene sonstige Parameter) im Vergleich. Sortiert sind sie nach der Zahl der Toten je 1.000 registrierten Infektionsfällen. Quelle: http://www.risklayer-explorer.com/event/6/detail. Risklayer Explorer ist eine Kooperation zwischen Risklayer GmbH und dem Karlsruhe Institute of Technology’s (KIT), Center for Disaster Risk Management and Risk Reduction Technology (CEDM – Zentrum für Katastrophen-Risiko-Management und Risiko-Senkung). Für Deutschland greift Risklayer/CEDIM nach eigenen Angaben die Daten direkt von den 401 verschiedenen Gesundheitsämtern ab. Welche Bevölkerungszahlen verwendet werden, ist nicht angegeben. Für Mannheim kann man 309.000 Einwohner*innen rückrechnen. Die wohnberechtigte Bevölkerung liegt jedoch Ende 2019 bei 325.000.
Faktoren der hohen Todesrate in den Altenheimen seit März 2020
Was alles zu dieser Situation beigetragen hat, ist reichlich diskutiert. In der ersten Welle, die allerdings geringe Todeszahlen aufwies, war es der generelle Mangel an Schutzausrüstungen für das Personal sowie an Hygienematerial. Besucher*innen hatten keinen Zutritt, was die Bewohner*innen ungeheuer belastete. Aber das Personal trug mit Sicherheit Infektionen in die Häuser; die Zahl der Abstriche war in der ersten Jahreshälfte viel zu gering.
In der zweiten Welle fehlte es weiterhin an Testkapazitäten. Die Häuser waren weniger hermetisch gegen Besucher*innen abgeriegelt, die Testung der Besucher*innen stieß aber vor allem auf Mangel an testkundigem Personal.
Kommunale Strategie zum Schutz der Pflegeheimbewohner*innen
Dennoch ist es sachlich nicht richtig, wenn man die Heime einfach als „vergessen“ hinstellt. Auf eine entsprechende Anfrage der AfD im Mannheimer Gemeinderat skizzierte der Leiter des Gesundheitsamtes, Dr. Peter Schäfer, die ergriffenen Maßnahmen:
So habe jedes Pflegeheim seit März 2020 ein „differenziertes Hygienekonzept erstellt“. Dabei sei es um folgende Punkte gegangen: 1) Konkrete Hygienemaßnahmen, 2) Besuchersteuerung, 3) Feste Besuchszeiten mit 4) einem Anmeldesystem und 5) Regelungen für Beschäftigte. Man habe die Konzepte fortlaufend an das Infektionsgeschehen angepasst und an die ständigen Nachjustierungen seitens des Landes.
Seit 17.12. habe Mannheim eine Allgemeinverfügung erlassen, die über die Allgemeinverfügung des Landes hinausgeht. Bei Besuchen in Altenpflegeheimen ist demnach eine FFP-2-Maske anzulegen und ein negativer Antigen-Schnelltest vorzulegen. (Laut aktueller Landesverordnung sind diese Schnelltests für Besucher*innen gebührenfrei – sie werden von der Pflegeversicherung übernommen.)
Ganz wichtig sei es für die Heime gewesen, trotz der hohen Pandemiegefahrenlage in der zweiten Welle Besuche in den Heimen zuzulassen. Dies sei eine eindeutige Lehre aus der ersten Welle gewesen. Hierfür mussten räumliche und technische Maßnahmen ergriffen werden.
Innerhalb des Krisenstabes sei eine eigene, ständig tagende Arbeitsgruppe eingerichtet worden aus Vertreter*innen des Gesundheitsamtes, der Heimaufsicht, des Fachbereichs Arbeit und Soziales und des OB-Büros. Seit Herbst 2020 gebe es ferner eine 14-tägig zusammenkommende Konferenz mit den Trägervertretungen und Einrichtungsleitungen der Heime, innerhalb derer zusätzlich zu den oben genannten Punkten auch die Impfkampagne und ggf. Sofortmaßnahmen im Fall von Infektionen in einem Heim besprochen werden. Zur Bewältigung der Schnelltests sei es auch um den Einsatz der Bundeswehr-Amtshilfe gegangen.
Zur Impfstrategie bestätigte die Oberbürgermeister, dass es nicht geplant sei, im eigenen Haushalt gepflegte über 80-Jährige Personen zu impfen, so lange nur der Biontech-Wirkstoff im Einsatz sei wegen der erforderlichen Kühlung und der geringen Haltbarkeit aufbereiteter Impf-Dosen. Als Argument wird genannt, dass dieser Personenkreis nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehme. Es gebe jedoch mit dem AstraZeneca-Wirkstoff die Perspektive einer hausärztlichen Impfung.
Der Einsatz der Bundeswehr im Pflegeeinrichtungen werde von 29 auf 44 Soldat*innen erhöht. Der Einsatz sei bis Mitte Februar begrenzt, könne aber tageweise verlängert werden. Dieser Einsatz soll dann durch Ehrenamtliche abgelöst werden, die über die Arbeitsagentur geworben werden. Offensichtlich zieht die Verwaltung die Arbeitsagentur der durch die Bertelsmann-Stiftung installierten Plattform #Pflegereserve vor.
Für die Testung von Beschäftigten der Heime stehen 3 Testkits pro Woche und Person aus Landesmitteln zur Verfügung.
Resümee der Verwaltung zu den Heimen
Die Verwaltung wies darauf hin, dass es in Mannheim 32 stationäre Pflegeheime gibt, von denen 18 durch freie Träger, 10 durch private Träger und von der städtischen APH GmbH (Tochter der Klinikum Mannheim GmbH) betrieben werden. Es liegt nahe zu untersuchen, ob es bestimmte Relationen zwischen der Trägerschaft oder sonstigen Strukturen und der Infektionsrate in den Häusern gibt, z.B. Spezialisierungen auf bestimmte Pflegebedürfnisse.
Der OB kündigte eine „weitere Auseinandersetzung und Analyse“ an, „warum es nicht stärker gelungen ist“, die Bewohner*innen zu schützen. „Das Ergebnis ist nicht befriedigend“.
Dr. Schäfer machte abschließend deutlich, dass es eine sehr schwierige ethische Frage sei, wie in den Heimen zu verfahren ist: „Ansatz kann nicht sein: Keine Infektionen in den Heimen um jeden Preis!“. Die Forderung der in den Heimen Gepflegten sei in der ersten Welle sehr eindringlich gewesen: „Sperrt uns nicht ein!“. Insgesamt „haben die bislang getroffenen Maßnahmen nicht gegriffen“, obwohl das Personal in den Häusern „über das übliche Maß hinaus engagiert“ sei, in der schwierigen Situation trotzdem „auch Teilhabe zu ermöglichen“.
Thomas Trüper