Housing Action Day 2021: Aktionen in Ludwigshafen
Aktionsbündnis Wohnen Ludwigshafen macht mobil
Boden behalten – Ludwigshafen gestalten – Bezahlbares Wohnen ist ein Menschenrecht
Ludwigshafen 27.3.2021. Das Aktionsbündnis Wohnen Ludwigshafen (Gründung 2018), dem ca. ca. 14 zivilgesellschaftliche Gruppen und Organisationen, vor allem aus dem sozialen Bereich, angehören, führte am europaweiten Housing Action Day einen Protestmarsch durch die Innenstadt durch, um die Verantwortlichen in Stadtverwaltung und Politik aufzurütteln. Die Wohnungsfrage ist zur neuen sozialen Frage geworden, so der DGB Rheinland-Pfalz. Nötig ist eine deutliche Wende in der Bodenvergabe, im Wohnbau und in der Stadtplanung.
Für Menschen mit niedrigerem Einkommen, aber inzwischen auch für Normalverdiener, für kinderreiche Familien und für Flüchtlinge ist es mittlerweile kaum mehr möglich, bezahlbaren Wohnraum in Ludwigshafen zu finden. Anerkannte Asylsuchende, die längst arbeiten, finden seit Jahren keine Wohnung und leben daher gezwungenermaßen noch immer in der Sammelunterkunft, ständig von einer erneuten Quarantäne wegen Corona-Ausbruchs bedroht.
Die Ludwigshafener „Einweisungsgebiete“
Bundesweit bekannt durch RTL und SWR-TV-Serien sind die Ludwigshafener „Einweisungsgebiete“ in der Bayreuther- und Kropsburgstraße. Wohnungslose Menschen werden dort nach dem Polizeigesetz eingewiesen, haben also keinen Mietvertrag und keine Rechte eines normalen Mieters, Zwangswohngemeinschaften sind üblich.
Dies sind Notwohngebiete, die der Gesetzgeber als Behausungen niedrigen Standards für eine begrenzte Übergangszeit vorsieht. In Ludwigshafen leben dort Menschen seit Generationen.
Wer dort wohnt, ist auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt stigmatisiert. Die unhygienischen, krankmachenden Zustände sind verheerend. Viele Wohnungen sind ohne Heizung, ohne Bad und haben nur zu bestimmten, festgelegten Zeiten benutzbare Gemeinschaftsduschen.
Wegen einer fehlenden Zentralheizung wird elektrisch geheizt, was unweigerlich zu hohen Stromkosten und später zu Stromsperren führt. Bekannt ist der Fall eines verzweifelten Bewohners, der an Weihnachten für ein wenig Wärme die Bücher der örtlichen Sozialstelle in seiner Wohnung am Grill zum Heizen nutzte.
Kakerlaken, Schimmel und Kinder mit Dauerschnupfen sind dort alltägliche Wirklichkeit. Eine Flüchtlingsfamilie zum Beispiel lebt dort mit 7 Personen in einem Ein-Raum-“Apartment“.
Das Aktionsbündnis Wohnen fordert eine dezentrale Unterbringung und macht Druck für Veränderung. Fakt ist, dass die versprochenen baulichen Verbesserungen, auch Neubauten sind geplant, seit Jahren nicht in die Gänge kommen, und die Bewohner den ständigen Versprechungen und Vertröstungen nicht mehr glauben können. Außerdem fordert das Bündnis ein Aussetzen von Räumungsklagen und von Versorgungssperren.
Die städtische Wohnbaugesellschaft GAG baut zwar ständig, jedoch sind auch deren Wohnungen inzwischen für viele Menschen zu teuer. Die GAG schmückt sich mit dem Motto „Wohnen für alle“, lässt aber Hartz4-Bezieher auf ihrer Warteliste „verhungern“.
Deshalb wurde der gerade entstehende Neubau der GAG mit seinen vielversprechenden Werbetafeln in der Innenstadt entsprechend ergänzt.
Ludwigshafen ist die am stärksten wachsende Stadt in Rheinland-Pfalz. Der Wohnungsmarkt ist extrem angespannt. Seit 2002 ist der Mietpreis in Ludwigshafen um fast 20% gestiegen. Hunderte von Wohnungen fallen aus der Sozialbindung. Gebaut wird vor allem im hochpreisigen Sektor. Die Bauaktivitäten der GAG können der steigenden Mietentwicklung kaum entgegenwirken.
Rasante Bodenpreissteigerungen – von der Stadt mit befeuert
Die Stadt versucht ihre hohe Verschuldung mit dem Verkauf von Boden an den Höchstbietenden zu mildern und hofft auf Mehreinnahmen durch finanziell potente Neubürger.
Die Bebauung in Ludwigshafen-Süd mit Luxuswohnungen führte zu rasant steigenden Boden-und Wohnungspreisen (natürlich trägt der Spekulationsboom auf dem Wohnungsmarkt auch dazu bei). LU-Süd Bauen am Rhein, gegenüber dem Mannheimer Schloß, zog auch wohlhabende Käufer aus Heidelberg und Mannheim in die vormals geschmähte hässliche Chemiestadt.
Von 2008 bis 2017 hat sich der durchschnittliche qm-Preis Bauland in Ludwigshafen um 625% erhöht. Das ist die höchste Steigerung in ganz Deutschland, obzwar ausgehend von einem relativ niedrigen Level. In 2017 lag der durchschnittliche Bodenpreis mit 463 €/qm zeitweilig über dem von Frankfurt (421 €/qm), Köln (460 €/qm) und Mannheim (354 €/qm) . (Quelle: Heinz und Belina: Die kommunale Bodenfrage, Studie im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung, 2/2019). In 2019 war der durchschnittliche Baulandpreis in Ludwigshafen auf 511 €/qm gestiegen. (RP 14.8.2019)
Eine 4-Zimmer-Neubauwohnung mit etwa 160 qm (Baujahr 2019) an der Rheinalle, befahren von ca.. 30.000 Autos/Tag, kostet um 750.000 Euro und mehr. An der Hafenböschung auf der Parkinselseite werden Doppelvillen gebaut. Eine Villa kostet 1,2 Mio Euro. Davor baut die GAG aktuell eine Marina für 800.000 Euro, die Anlegeplätze werden vermietet, die Nachfrage sei hoch.
Aktuell wird an der sogen. Rheinalle u.a. von Dawonia Real Estate Würzburg ein langgezogener, planer Block, dicht an den Gehweg gebaut, kein halber Meter Grünstreifen ist vorgesehen; jeder Quadratzentimeter muss schließlich zu Geld gemacht werden. Die Wohnungen werden angeboten zu einem Mietpreis ab 10,78 Euro/qm.
Der Ludwigshafener Stadtrat hat in 2019 eine flexible Sozialquote beschlossen, die natürlich für LU Süd nicht gilt, deshalb ist sie ja flexibel. Dies führt zu einer Segregation der Stadtgesellschaft. Hier die Armen dort die Wohlhabenden.
Klimagerechtes Bauen ist Gift für Investoren
Investoren die Stadtgestaltung zu überlassen, ist Gift für eine lebenswerte, zukunftsorientierte Stadt für ALLE
Man gewinnt leider in Ludwigshafen den Eindruck, die Stadtgestaltung wird Investoren überlassen und die Stadt gibt ihre Gestaltungshoheit auf. Die Ergebnisse sind mehr als ernüchternd.
Offenkundigstes Beispiel ist das seit Mitte 2015 bestehende Loch am Berliner Platz, im Herzen der Stadt, an der Stelle der legendären Tortenschachtel, ein sogenanntes Filetstück. Ursprünglich geplanter Baubeginn sollte Mitte 2016 sein. Das Gelände wurde vom ersten Käufer Timon Bauregie an die irische Investmentfirma Allcap verkauft, ein durchaus üblicher Vorgang im Bauspekulationsgeschäft. Bauherr ist trotzdem noch Günther Tetzner von Timon Bauregie. Der will ein „repräsentatives Ensemble“ von zwei hohen glatten Glastürmen errichten, einen Ost-Tower mit 19 Geschossen, vormals waren nur 18 Stockwerke geplant, einen West-Tower mit 7 Geschossen – damit sich die Sache lohnt, muss Höhe her.
Für die umliegenden Anwohnern bringt dies Schatten, im unteren Bereich um die Türme werden Windkanäle entstehen, die nicht zum Verweilen einladen. Aus diesem Loch soll das neue Herz Ludwigshafens erwachsen, genannt Metropol. In dem Herz sitzen dann Büroräume, ein Hotel und Arztpraxen sowie solvente Wohnungsinhaber. Das Projekt hat keinerlei Akzeptanz in der Bevölkerung. www.metropol-ludwigshafen.de Das nur 100 m entfernte fantasielose Walzmühlcenter vom selben Bauherr steht mehr oder weniger seit Jahren leer.
Weder die teure Bebauung in LU-Süd noch die Planung am Berliner Platz werden den Klimaanforderungen gerecht. Ludwigshafen ist eine Chemiestadt im Rheingraben, und auch ohne klimatische Erwärmung ist es hier im Sommer oft extrem warm. In einer Stadt staut sich die Hitze. Dem muss eine Stadtplanung Rechnung tragen. Deshalb und angesichts der klimatischen Entwicklung ist radikales Umdenken im Bauen notwendig.
Dazu eine Kundgebungsrednerin:
„Immer kürzer wird die Lebensdauer großer Gebäudekomplexe. In Ludwigshafen ist das Abreißen von Bauten und Straßen alltägliche Wirklichkeit. Nach dem Schnellabriss der Hochstraße Süd in 2020, – mit reinen Abrißkosten von über 10 Mrd. Euro – dem geplanten 12 Jahre andauernde Abriss der Hochstraße West soll zwischendurch auch der Rathausturm niedergerissen werden. Auch das Sparkassengebäude am Berliner Platz soll unter die Abrißbirne kommen.
Mit kurzlebigem Bauen und Abreißen sind nicht nur Milliarden an Kosten für die Kommune verbunden, sondern auch eine ungeheure Co2-Belastung der Umwelt.
Wohn- und Verwaltungstürme aus Beton und Glas sind in ihrer CO2-Bilanz eine Katastrophe. Zement, der kaum recycelbar ist, ist ein echter Klimakiller. Seine Herstellung hat mehr Anteil an den weltweiten Co2-Emissionen als der gesamte Flugverkehr. (FR 4.2.2021).
Bauen mit Beton und Stahl ist mit einer klimagerechten Stadt nicht vereinbar. Ökologische Nachhaltigkeit spielt jedoch im Bau überhaupt keine Rolle, denn die Baubranche ist rein auf Profit ausgerichtet. Der Investor will schnelles Geld sehen.
Das weiß jeder mittlerweile. Trotzdem wird in Ludwigshafen das Bauen neuer Verwaltungsgebäude wie z.B. jüngst für die TWL an Stelle des abgerissenen Kaufhauses Horten und für die Pfalzwerke an der Stelle des abgerissenen C+A-Gebäudes an private Investoren vergeben. Diese haben kein Interesse an aufgelockerten, begrünten Fassaden, an der Verwendung von Lehm, Klinker, Holz, Backsteinen, Natursteinen.
Wir fordern von den politisch Verantwortlichen in der Stadt eine Stadtplanung, die den Anforderungen des Klimawandels gerecht wird, dass sie genaue Vorgaben an die Bauherren macht, und dass sie Boden nur noch an solche Unternehmen vergibt, die eine lebenswerte Stadt der Zukunft gestalten wollen, und die vor allem bezahlbaren Wohnraum bauen. Wir wollen eine Stadt für alle. Grünflächen statt Glastürme! Menschenwürdiges und klimagerechtes Wohnen für JEDEN.“
In einem am HAD21 verteilten Flyer fordert das Bündnis Wohnen Ludwigshafen:
- Bezahlbaren Wohnraum bauen statt Luxus-Wohnungen!
- Eine kommunale Koordinationsstelle zur sozialen Wohnungsvermittlung.
- Einen sofortigen bundesweiten Mietenstopp für die kommenden 6 Jahre.
- Mietschulden erlassen! Wohnraum, Kleingewerbe, Kulturszene und soziale Zentren sichern! Höchstmieten festsetzen.
- Einführung einer verbindlichen Quote von mindestens 25% für günstigen Wohnraum in allen künftigen Wohnungsbauprojekten in Ludwigshafen.
- Wohnungslose und Geflüchtete in Pandemiezeiten in Ferienwohnungen oder Hotels unterbringen, statt Mehrfachbelegung von Zimmern und Zwangs-Wohngemeinschaften.
- Abschaffung der Einweisungsgebiete und Auflösung der Sammelunterkünfte. Sofortiges Handeln für eine menschenwürdige Unterbringung für alle Obdachlose. Privatsphäre mit Mietvertrag ist eine Grundbedingung, um sich zu stabilisieren.
- Bodenspekulation beenden! Boden ist nicht beliebig vermehrbar, deshalb Ende des Verkaufs von städtischem Boden zu Höchstpreisen an private Investoren.
- Bodenbevorratung betreiben! Grundstücke behalten und die Stadt nach den Bedürfnissen aller Bürger anstatt nach Gewinninteressen gestalten.
- Vergabe von Boden nur in Erbpacht und an gemeinnützige und genossenschaftlich orientierte Bauträger.
- Ökologisches und klimaggerechtes Bauen statt schnelles Geld für Investoren!“
Zum Schluß: Ein weiser Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1967 sagt aus: „ Die Tatsache, dass der Grund und Boden unvermehrbar und unentbehrlich ist, (es) verbietet, (…) seine Nutzung dem unübersehbaren Spiel der Kräfte und dem Belieben des Einzelnen vollständig zu überlassen: eine gerechte Rechts-und Gesellschaftsordnung zwingt vielmehr dazu, die Interessen der Allgemeinheit in weit stärkerem Maße zur Geltung zu bringen als bei anderen Vermögensgütern“.
(frr)
Das Aktionsbündnis Wohnen Ludwigshafen wird getragen von:
AK Asyl Oggersheim, Arbeitskreis kritische Soziale Arbeit Ludwigshafen, ATTAC Ludwigshafen, DGB Region Vorder- und Südpfalz, Café Asyl Mundenheim, Caritas-Zentrum Ludwigshafen, Caritas Förderzentrum St. Martin, Evangelische Kirche Ludwigshafen, Haus der Diakonie Ludwigshafen, Hochschule Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen, Krankenhaus zum „Guten Hirten“, Mieterverein Ludwigshafen, Frankenthal und Speyer e.V., pro familia Beratungsstelle Ludwigshafen, Ökumenische Fördergemeinschaft Ludwigshafen (ÖFG) GmbH, Initiative Respekt: Menschen! e.V., Treff Global, Treff International. (Parteien sind nicht erwünscht)
https://abwohnenlu.wordpress.com/
Auch in Mannheim gab und gibt es Veranstaltungen und Aktivitäten rund um den HOUSING ACTION DAY. Diese Bild stellt eine Aktion vor dem Haus in der Waldhofstr. 8 in Mannheim-Neckarstadt dar.(scr)