Ein Veranstaltungsbericht: „Stimmen aus Gaza und Jerusalem“
Ein Veranstaltungsbericht
„Gaza-Krieg und die gewalttätigen Auseinandersetzungen um Jerusalem“
Der Mannheimer Morgen hat die Veranstaltung folgendermaßen angekündigt:
„Stimmen aus Gaza und Jerusalem – Die Nahostgruppe Mannheim lädt am Dienstag, 25. Mai, 19.30 Uhr zur Online-Veranstaltung „Gaza-Krieg und die gewalttätigen Auseinandersetzungen um Jerusalem“ ein. Dabei geben der in Gaza lebende Abed Schokry sowie der in Jerusalem lebende Suleiman Abu-Deyyeh Einblicke in die Lage vor Ort. Schokry hat in Deutschland Ingenieurwissenschaften studiert und in Berlin promoviert. 2007 wurde er an der Universität Gaza in Palästina berufen und kehrt mit seiner Familie nach 17 Jahren in seine Heimat zurück (…). Suleiman Abu-Deyyeh wurde 1956 bei Bethlehem geboren und studierte Sozialwissenschaften in Bochum und Wirtschaftswissenschaften in Bonn. Er war lange Referent bei der Deutschen Stiftung für internationale Entwicklung und leitet seit 1994 die Palästinaabteilung der Friedrich-Naumann-Stiftung in Jerusalem.“ (MM, 22-05-2021)
Schokry zählte detailliert die katastrophalen Zerstörungen durch den jüngsten Gaza-Krieg auf. In nackten Zahlen: 256 Tote, darunter 66 Kinder , viele Verletzte. Schokry nannte auch die Anzahl der zerstörten Wohnhäuser, die im drei- und vierstelligen Bereich liegen, je nachdem was als zerstört angesehen wird, ganz zerstört oder halb zerstört. Auch viele private Firmen und Unternehmen wurden zerstört, die Zahl 490 wurde genannt. Die Firmen haben vor allem Gegenstände des täglichen Bedarfs produziert, z.B. Bettmatrazen, Produkte des Agrarsektors. Außerdem wurden 68 Schulen und 75 Gebäude von öffentlichen Einrichtungen des Gesundheitswesen, der Polizei etc. zerstört bzw. beschädigt. Die gesellschaftliche und soziale Infrastruktur war schon vor dem Krieg mehr als unzureichend. Nach dem Krieg ist sie am Boden. Der Zugang zu Strom und sauberen Wasser ist unzureichend und zum Teil unmöglich. Das Grundwasser wird immer mehr durch private Brunnen angebohrt. Doch immer mehr Menschen erkranken, da das Grundwasser kontaminiert ist. Über die mangelhafte Stromversorgung konnten sich die Teilnehmer*innen der Veranstaltung selbst ein Bild machen. Immer wieder wurde Schokry aus der Internet-Leitung getrennt, da seine Stromversorgung zusammenbrach. Sein Nachbar konnte kurzfristig aushelfen, da er mittels eines Stromgenerators ein Stromnetz aufbauen konnte. Aber das ist Alltag in Gaza. Israel verhindert seit Jahrzehnten, dass Gaza einen eigenen Flughafen oder Seehafen baut. Gaza hat ca. 2,2 Mio. Einwohner. Der Gaza-Streifen ist 8 km breit und liegt mit einer Länge von 40 km am Mittelmeer. Schokry stellte heraus, dass es eine Einmaligkeit in der Welt darstellt, dass eine Stadt mit einer solchen Größe keinen eigenen Seehafen unterhält.
Mit all diesen Maßnahmen wird ein eigenständiges und normales Leben in Gaza für die Zivilbevölkerung verunmöglicht. Der jüngste Krieg hat die Situation nochmals unerträglicher gemacht.
Der Bericht von Abu-Deyyeh war sehr interessant. Ich will ich zwei Aspekte hervorheben.
- Der unmittelbare Anlass des Gaza-Krieges waren ja die Vorgänge um die Al-Aksa-Moschee und die geplante Vertreibung von 26 Familien aus dem Sheikh-Jarrah-Viertel in Ostjerusalem. Abu-Deyyeh machte deutlich, dass beide Maßnahmen von der Regierung Netanjahu geplant waren, um einen Konflikt mit den Palästinensern zu provozieren. Er selbst machte anhand seiner eigenen Person deutlich, wie ungleich die Rechtslage der Palästinenser und Juden von den israelischen Behörden gehandhabt wird. Er wohnt und arbeitet seit über 30 Jahren in Jerusalem. Er hat seit 1994 einen Antrag auf Familienzusammenführung gestellt. Dieser Antrag ist aber immer noch nicht bearbeitet, stattdessen erhält er seitdem jährlich ein auf ein Jahr befristete Aufenthaltsgenehmigung. In seinem Stadtteil und kann er sich nur deswegen einigermaßen frei bewegen, da er Leiter des dortigen Büros der Friedrich-Naumann-stiftung ist.
- Sowohl Schokry als auch Abu-Deyyeh sind Säkularisten und keine Anhänger von Hamas. Sie machten deutlich, dass es keine militärische sondern nur eine politische Lösung geben kann. Sie sind aber der Meinung, dass sowohl Fatah als auch Hamas Teil der palästinensischen Gesellschaft sind. Den Schlüssel für den Beginn eines politischen Prozesses sah Abu-Deyyeh vor allem bei Israel. Israel müsse drei Dinge akzeptieren: a) Israel müsse ein eindeutiges Signal senden, dass es ein Ende der Besatzung seit 1967 anstrebt. b) Ost-Jerusalem als Teil eines künftigen Palästinenserstaates akzeptiert wird. C) die ständige der Besiedelung der Westbank mit jüdischen Siedlern muss endlich aufhören.
Seit dem Oslo-Abkommen 1994 ist die die Zahl der Siedler um den Faktor 40 gestiegen und hat die halbe Million überschritten. Wer eine 2-Staaten-Lösung wirklich will, muss diese Entwicklung unterbrechen. Ansonsten wird es keine Lösung geben und die Gewalt wird sich fortsetzen. Abu-Deyyeh erkennt die Realität Israel an, wie es die PLO schon im Oslo-Abkommen getan hat. Auch in der Hams werden entsprechende Diskussionen geführt. Aber für die Einleitung eines politischen Prozesses müsse ein Signal aus Israel kommen. In Israel hat außer Meretz keine der im Parlament vertretenen jüdischen Parteien das Recht der Palästinenser auf Eigenstaatlichkeit anerkannt. Likud, die Partei des israelischen Ministerpräsidenten, schließt ein solches Recht explizit aus. Abu-Deyyeh beklagte, dass mit zweierlei Maß gemessen würde. Die Palästinenser fühlen sich ungleich behandelt und zutiefst gedemütigt. Er wünschte sich eine klarere Haltung und ein entschlosseneres Vorgehen der internationalen Staatengemeinschaft.
Roland Schuster
Anmerkung:
Auf folgende interessante LINKs will ich in diesem Zusammenhang hinweisen: