Masterplan Mobilität Mannheim: VCD und ADFC fordern eine Verdoppelung des Radverkehrs in Mannheim
VCD Rhein-Neckar und ADFC Mannheim fordern eine Verdoppelung des Radverkehrs in Mannheim bis 2035
Der Masterplan Mobilität soll den Handlungsrahmen und die Strategien zur Steuerung des Mobilitätsverhaltens und des Verkehrs in der Stadt bis ins Jahr 2035 definieren. Aktuell wird hierzu in Mannheim das aktuelle Mobilitätsverhalten und die Verkehrsinfrastruktur analysiert. Parallel dazu werden die generellen Ziele für die Mobilität festgelegt. In einem weiteren Schritt werden die bestehenden Mängel und Chancen betrachtet und geeignete Maßnahmen zur Zielerreichung erarbeitet. Diese werden modellhaft in ihrer Wirkung abgeschätzt und im finalen Masterplan Mobilität beschrieben. Matthias Wirtz vom VCD (Verkehrsclub Deutschland) und Klaus Dieter Lambert vom ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club) begleiten das Thema Masterplan Mobilität Mannheim seit Anbeginn im Jahr 2018 im Projektbegleitkreis „Runder Tisch Masterplan Mobilität 2035“. Kommunalinfo Mannheim stellte an beide Verkehrsexperten folgende Fragen.
Kommunalinfo Mannheim: Was stört den VCD an der aktuellen Formulierung der Ziele im Masterplan Mobilität?
VCD: Die aktuell formulierten Ziele sind rein qualitativ beschrieben und beinhalten nur die gewünschte Richtung der Veränderungen, ausgedrückt in Formulierungen wie z.B. Reduktion, Minderung, Förderung. Es wurden i.A. keine Zielniveaus erarbeitet. Selbst beim Ziel der Minderung des CO2 Ausstoßes im Verkehrsbereich werden keine Zielniveaus für den Masterplan Mobilität entwickelt, obwohl hier klare Vorgaben der EU und des Bundes existieren.
Warum sind Zahlen bei der Zieldefinition so wichtig?
VCD: Ziele entwickeln bei allen Beteiligten erst dann verglichbare Vorstellungen ihrer geplanten Auswirkung, wenn sie mit Zielniveaus verbunden werden. Diese sollten durch kontrollierbare und verständliche Indikatoren beschrieben werden. Nur wenn die Dimension der angestrebten Veränderung im Mobilitätsverhalten formuliert wird, können entsprechende Handlungsstrategien und Maßnahmen in der weiteren Bearbeitung des Masterplan Mobilität auch entwickelt werden, um diese Veränderung zu bewirken.
Können Sie das unseren Lesern an einem Beispiel verdeutlichen?
VCD: Beispiel „Schaffung attraktiver Voraussetzungen für den Fußverkehr“. Hier bleibt Stand heute offen, ob und welche Erhöhung der Anzahl an Fußwegen angestrebt wird. Eine Erhöhung der Fußwege sollte aber das Ziel sein und die Schaffung einer attraktiven Fußwegeinfrastruktur eine mögliche Handlungsstrategie hierfür. In welcher Dimension dieses Ziel verfolgt werden soll, wird erst ersichtlich, wenn es mit einem Zielniveau verknüpft wird, z.B. 5% mehr Fußwege oder z.B. ein um 2%-Punkte erhöhter Modal‑ Split an Fußwegen.
Beispiel „Bereitstellung und Bewirtschaftung von Parkraumangeboten für Kfz und Fahrräder“: Hier bleibt völlig offen, ob das Parkraumangebot erhöht, gleichbleibend oder reduziert werden soll. Erst durch die Formulierung eines Zielniveaus wie z.B. das Kfz-Parkraumangebot soll gleich bleiben, aber die Bewirtschaftung von 20% der Plätze auf 40% erhöht werden, würde für alle Beteiligten ersichtlich, was erreicht werden soll.
Vielleicht hat die Verwaltung Sorge, hoch gesteckte Ziele nicht zu erreichen?
VCD: Manche vom Bund, dem Land oder der Stadt formulierten Zielniveaus mögen auf den ersten Blick nicht erreichbar erscheinen, wie z.B. das Ziel, die Zahl der jährlichen Verkehrstoten auf Null zu reduzieren („vision zero“). Alleinig betrachtet und mit einer mittelfristigen Perspektive mag diese Einschätzung nachvollziehbar sein. Der Masterplan Mobilität wird aber den gesamten Bereich der Mobilität verändern. So mag es sein, dass Maßnahmen ergriffen werden, die positiv auf die Zahl der Verkehrstoten Einfluss nehmen, wie z.B. eine Erhöhung der Anzahl Wege im ÖV oder eine Ausweitung der 30‑ Zonen in urbanen Räumen. So kann sich durch das Zusammenwirken verschiedener Maßnahmen ein Umfeld entwickeln, in dem auch das Ziel der „vision zero“ möglich wird. Auf die Zielfindung und die Formulierung von Zielniveaus sollte nicht durch a priori Abschätzungen der Wahrscheinlichkeit ihrer Erreichbarkeit eingewirkt werden. Auch zunächst sehr anspruchsvolle oder konkurrierend wirkende Ziele sollten aufgenommen und in der weiteren Betrachtung berücksichtigt werden. Dadurch können im Ergebnis des Masterplan Mobilität die Aufwände zur Zielerreichung und nicht auflösbare Zielkonflikte transparent für alle dargestellt werden. Die politischen Entscheidungsträger können auf dieser Basis eine Entscheidung über die Umsetzung sinnvoll treffen.
Der Mannheimer Gemeinderat muss über die angestrebten Ziele des Masterplan Mobilität in diesem Jahr entscheiden.
VCD: Genau. Erst danach werden entsprechend der Ziele geeignete Strategien und Maßnahmen entwickelt und ihre Wirkung abschließend modellhaft abgeschätzt. Wie aber kann über die angestrebten Ziele sinnvoll entschieden werden, wenn ihre Dimension nicht beschrieben wird? Wenn z.B. über den Neubau einer Schule auf dem Gelände der ehemaligen Spinelli-Kaserne im Gemeinderat entschieden wird, steht die Anzahl der unterzubringenden Klassen fest. Es wird nicht nur von einem dimensionslosen Gebäude zu schulischen Zwecken gesprochen.
Haben Sie schon bei der Verwaltung nachgefragt, warum die Ziele nicht quantitativ erfasst werden sollen?
VCD: Ja, mündlich und schriftlich. Aktuell liegen uns nur Stellungnahmen des Dienstleisters IVAS vor. Wir gehen allerdings davon aus, dass die Verwaltung als Auftraggeber von IVAS diese Stellungnahmen unterstützt. Zunächst sollen Ziele demnach nur qualitativ beschrieben werden. Anschließend sollen konkrete Maßnahmen ausgearbeitet werden, deren Wirkungsgrößen mit Hilfe eines Verkehrsmodells abgeschätzt werden. Das sich dann einstellende Mobilitätsverhalten und die sich ergebende Verkehrsmenge wird als erreichbare quantitative Ziele postuliert. Dieses vermeintlich abgesicherte Vorgehen stellt in keiner Weise sicher, dass Wege aufgezeigt werden, um Ziele des Bundes wie die Einhaltung der NOx-Grenzwerte oder des Landes wie die Verdoppelung des Anteils an ÖV-Wegen zu erreichen.
Die Firma IVAS begründet die Zurückhaltung auch mit dem begrenzten Einfluss der Stadt auf Handlungsfelder der Mobilität aufgrund von Zuständigkeiten von Bund und Land
ADFC: Diese Aussage ist zwar prinzipiell richtig, jedoch in der zeitlichen Perspektive eines Planes bis ins Jahr 2035 irreführend. Es sind aktuell Gesetzesänderungen auf Bundes- und Landesebene in der Abstimmung, die den Kommunen mehr Freiräume eröffnen, das Mobilitätsverhalten ihrer Bewohner zu beeinflussen. Durch das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Erreichung der Klimaziele ist sogar von weiteren Vorgaben zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes im Verkehrsbereich auszugehen. Hier sollte die Stadt Mannheim in der Lage sein, kurzfristig angemessen zu reagieren.
Haben Sie dafür ein konkretes Beispiel?
ADFC: In Freiburg hat z.B. vor wenigen Wochen der Gemeinderat die zukünftige Ausgestaltung der Anwohnerparkgebühren beschlossen. Je nach Länge, Breite, Höhe und Gewicht der Fahrzeuge wird der Anwohnerparkausweis dann bis zu 360 Euro pro Jahr kosten. Eine bundeseinheitliche Regelung, die einen Höchstsatz von 30,70 Euro pro Jahr vorsah, wurde letztes Jahr aufgehoben. An einer entsprechenden Verordnung, dass Kommunen die Anwohnerparkgebühren selbst festlegen dürfen, wird derzeit in der Landesregierung BW noch gefeilt. Freiburg ist jedenfalls schon vorbereitet.
Das hat jetzt aber gar nichts mit Radverkehr zu tun?
ADFC: Oh doch! Die Rahmenbedingungen zur Nutzung von privaten PKW beeinflussen die Anzahl von PKW pro Haushalt und diese wiederum den Stellenwert, der dem Auto oder eben dem Fahrrad in der Verkehrspolitik einer Stadt zukommt. Und Vergleiche mit anderen europäischen Städten zeigen, dass der billigen Verfügbarkeit von Parkplätzen hierbei eine entscheidende Bedeutung zukommt.
Welche Zahlen zu den Zielen im Jahre 2035 schlagen Sie denn vor?
ADFC: Wir fordern eine Verdoppelung des Anteils des Radverkehrs. Bisher (2018) sieht die Zusammensetzung des Modal Split so aus: KFZ 40%, zu Fuß gehen 28%, Fahrrad 17% und ÖPNV 15%. 2035 soll es so aussehen: KFZ unter 20%, zu Fuß gehen 30%, Fahrrad über 30% und ÖPNV 20%. Es sollen Zwischenziele für die Jahre 2025 und 2030 formuliert werden. Maßnahmen, die schnell umgesetzt werden können, wie z.B. die Erhöhung der Anwohnerparkgebühren, werden vorgezogen. Aufwändige infrastrukturelle Maßnahmen, die planerischen Vorlauf und ggf. Bauzeit benötigen, erfolgen etwas später.
Wie kommen Sie auf diese Zahlen?
ADFC: Es gibt schon ähnliche Vorgaben des Landes, an denen sich die Stadt orientieren sollte. Dann gibt es Vergleiche mit anderen Städten: Amsterdam hat mit 822.000 Einwohnern diese Prozentwerte schon heute. Weiterhin die zu erwartenden Vorgaben zum Klimaschutz im Verkehrssektor vom Bund und schließlich: die Aufenthaltsqualität in der Stadt wird sich erhöhen und die Mannheimer werden im Schnitt durch die häufigere Bewegung gesünder sein als heute. Das ist doch eine gute Sache!