Gedenkveranstaltung in Heidelberg zum 80. Jahrestag des Überfalls Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion
Vernichtungskrieg: Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941
In Mannheim erinnerte die VVN/BdA in einer Veranstaltung an den 80. Jahrestags dieses geschichtsträchtigen Ereignisses. Leider stehen uns hierüber keine Texte oder Bilder zu Verfügung,
In Heidelberg erinnerte am 22. Juni ein Zusammenschluss von mehreren Organisationen auf dem Universitätsplatz an diesen historischen Tag, nämlich das Friedensbündnis Heidelberg (namentlich Antikriegsforum, VVN/BdA, Die LINKE, SDS, DKP und Freidenker), der DGB und die GEW.
Etwa 100 Menschen folgten den beeindruckenden Kultur- und Redebeiträgen zu den Grausamkeiten des Krieges, den ungeheuren Opfern, dem Leid von Zwangsarbeiter*innen auch in Heidelberg und der deutschen Verantwortung für den Frieden.
Im folgenden Text dokumentieren wir die Rede von Joachim Guilliard vom Heidelberger Friedensbündnis.
Wir wollen hiermit nicht die anderen beeindruckenden Beiträge schmälern. Es seien hier u.a. die weißrussische Sängerin Darya Lenz, begleitet von einer Musikerin auf einer Zymbal (russische Kastenzither) , Michael Csaszkóczy (Gitarre, Gesang), Rike Fießer (Querflöte), Bernd Köhler (Gitarre, Gesang ), Monika Margret Steger (Schauspielerin), Jean-Michel Räber (Schauspieler) erwähnt.
Als Redner und Redner*innen seien hier Martin Hornung (IG Metall), dessen Rede hier ebenfalls dokumentiert ist, und Hildegard Lutz (Stolperstein-Initiative), die zu der Lage der Zwangsarbeiter in Heidelberg sprach, erwähnt. Ebenso sprachen Stadtrat Bernd Zieger von der LINKEN und Silke Makowski von der VVN/BdA, die über die Auswirkungen des Überfalls auf den Widerstand berichtete.
Die Redebeiträge sind auch alle auf der Webseite des Antikriegsforum Heidelberg dokumentiert.
(scr/KIM)
Rede von Joachim Guilliard, Friedensbündnis Heidelberg, Redebeitrag auf der Gedenkveranstaltung am 22. Juni 2021 in Heidelberg
Wir sind heute hier, um an ein besonders finsteres Kapitel der dt. Geschichte zu erinnern. Vor 80 Jahren, am 22. Juni 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht heimtückisch, ohne Kriegserklärung die Sowjetunion. Damit startete der deutsche Imperialismus die größte militärische Operation der Geschichte, die in den folgenden vier Jahren mehr Opfer forderte als jeder bisherige Feldzug. Über drei Millionen Soldaten und 4.000 Panzer wälzten sich in drei Heeressäulen ‒ Tod und Verwüstung bringend ‒ in das Land, ein Land das auf einen Krieg zu diesem Zeitpunkt nicht vorbereitet war. Die folgenden fünf Monate waren fürchterlich, eine unvorstellbare Katastrophe für die betroffenen Gebiete. Die deutsche Wehrmacht stieß bis Leningrad und Moskau vor, an die Dnepr- und an die Donmündung, nach Kiew und Charkow. Weiter kam sie jedoch nicht.
„Tag der Trauer“ nennen die Menschen in den Ländern der früheren Sowjetunion das Gedenken an den Überfall. In ihren Familien bleibt dieser Tag, dieser 22.Juni 1941 unvergessen. Denn es gibt wohl keine Familie dort, die keine Toten durch den deutschen Vernichtungskrieg zu beklagen hatten ‒ die meist sogar sehr viele.
Es war ein schon lange geplanter Krieg. Hitler hatte ihn in „Mein Kampf“ angekündigt und im Februar 1933, kurz nach seiner Ernennung zum Reichskanzler in einer Rede von Reichswehrgenerälen präzisiert. Ziel seiner Politik sei die Ausmerzung des Boschewismus sowie „die Eroberung neuen Lebensraum im Osten und dessen rücksichtlose Germanisierung“. Er umriss dabei schon die Grundzüge des späteren, [„Unternehmen Barbarossa“ genannten] Feldzugs: Die Eroberung eines riesigen Kolonialreiches in Osteuropa bis zum Ural durch die totale Unterwerfung der Sowjetunion und die gewaltsame Verfügbarmachung ihrer Bevölkerung.
Hitlers Ausführungen, [die auch die Aufhebung der militärischen Beschränkungen durch den Versailler Vertrag enthielten] „waren nichts anderes als das Angebot eines Paktes zwischen NSDAP und Wehrmacht“ [so der Historiker Hannes Heer, Leiter und maßgeblicher Mitgestalter der bekannten Wehrmachtsausstellung[1]]. Die Generäle nahmen sie dankend an. Auch wenn man es später nicht mehr wahrhaben wollte, so gab es eine recht große Schnittmenge gemeinsamer Interessen und Überzeugungen.
Insbesondere die Bestrebungen, „Lebensraum“ im Osten zu gewinnen, waren keineswegs neu. Sie hatte es schon im deutschen Kaiserreich gegeben. Folgerichtig fand 1941 der Feldzug in den herrschenden Kreisen breite Zustimmung. Nicht nur die Faschisten, nahezu alle entscheidenden Kräfte aus Politik, Wirtschaft und Militär standen einmütig und entschlossen hinter dem imperialistischen Eroberungskrieg und waren vom Erfolg überzeugt.
Für den Umgang mit den zu erobernden Gebieten und ihrer Bevölkerung waren in Ministerien, Behörden und Universitäten zuvor auch schon sorgfältige Pläne ausgearbeitet worden.
Sie sahen vor, mittels Versklavung, Vertreibung und Vernichtung der zu „Untermenschen“ erklärten slawischen Völker eine autarke Großraumwirtschaft zu errichten, die dem deutschen Reich Unabhängigkeit von der Weltwirtschaft garantieren sollte. Der Raub von Rohstoffen, Nahrungsmittel und Arbeitskräften sollte so die Ressourcen sichern, die das faschistische Deutschland für seinen Kampf um die Vormachtstellung in der Welt benötigte und gleichzeitig Versorgungsmängel für die deutsche Bevölkerung begrenzen. Die Wehrmacht wurde explizit angewiesen, sich aus dem besetzten Land zu ernähren und alle Überschüsse der Heimat zuzuführen. Hierbei würden, so hieß es im Beschluss der beteiligten Ministerien [vom 2.5.1941] „zweifellos zig Millionen Menschen verhungern“. Doch „Versuche, die Bevölkerung dort vor dem Hungertod zu retten“ würden nur „die Durchhaltepolitik Deutschlands und Europas“ unterminieren, [warnten die „Richtlinien für die Führung der Wirtschaft in den neubesetzten Gebieten“ vom 23. Mai 1941]
Um Siedlungsraum für „dt. Volksgenossen“ zu schaffen, sahen die Eckdaten von Himmlers „Generalplan Ost“ vor, 14 Millionen Einheimische als Arbeitssklaven am Leben zu lassen aber 31 Millionen zu deportieren und zu ermorden. [Jeder tote Russe oder Jude „also ein Stück deutsche Zukunft“ (H.H. S. 50).] Völkermord nach Plan!
Dementsprechend war der Feldzug von Anfang an als rassenideologischer Vernichtungskrieg geplant worden. Mit der Besetzung weiter Teile der SU schuf die Wehrmacht die Vorrausetzungen für die systematische Ermordung der Jüdinnen und Juden in diesen Gebieten durch SS und Polizeibataillone. Darauf war die Rolle der Wehrmacht aber keineswegs beschränkt. Lange konnte sich in der BRD der Mythos einer „sauberen Wehrmacht“ halten, die stets Distanz zur faschistischen Partei und ihren Führern gehalten habe. Dieser Mythos konnte erst Ende der 1990er Jahre, im Zuge der Wehrmachtsaustellung und die von ihr angestoßenen Auseinandersetzungen geknackt werden. Mittlerweile ist es als historische Tatsache anerkannt, dass der Krieg auch von der Wehrmacht bewusst als Vernichtungskrieg geführt worden war ‒ aktiv und mit ideologischer Überzeugung.
Die Wehrmachtsausstellung machte deutlich, dass der Überfall auf Polen, die Besetzung Jugoslawiens vor allem der Feldzug gegen die SU einen neuen Typ von Krieg schuf, der die Schrecken des Ersten Weltkrieges bei Weitem überstieg. Er war, wie es auf Einführungstafel hieß, „ ‒ neben Auschwitz ‒ das barbarischste Kapitel der deutschen und österreichischen Geschichte“.
In Polen hatte die Wehrmacht bereits an ersten Einübungen im Völkermord mitgewirkt. Bei ihren Feldzügen ab 1941 auf dem Balkan und in der Sowjetunion ließ sie alle rechtlichen und moralischen Normen beiseite. Hitler hatte vorgegeben, diese Kriege außerhalb des damaligen Völkerrechts zu führen [, d.h. u.a. die Haager Landkriegsordnung und die Genfer Konventionen, die D. unterzeichnet hatte, zu ignorieren]. Die Generalität folgte seiner Aufforderung, angesichts des „schicksalhaften Kampfes“ mögliche moralische und rechtliche Bedenken zu überwinden. Das Oberkommando erließ dazu vier Grundsatzbefehle, die mittlerweile als die „verbrecherischen Befehle“ bezeichnet werden. Dazu zählt der berüchtigte Kommissarbefehl, der anordnete, tatsächliche oder vermeintliche „Politkommissare“ der Roten Armee „an Ort und Stelle zu erledigen“, Ein anderer Befehl ordnete die sofortige Erschießung von Partisanen und verdächtigen Zivilisten an, sowie kollektive Vergeltungsmaßnahmen, d.h. Massaker, in umliegenden Dörfern an. Alle Juden wurden zu militärischen Gegnern und so zum Freiwild erklärt.
Folgerichtig führte die Wehrmacht ihren Feldzug von Beginn an mittels barbarischen Terrors gegen die Zivilbevölkerung. Musste sich die Wehrmacht zurückziehen, hinterließ sie „verbrannte Erde“. [Deutsche Soldaten zerstörten von 1941 bis 1945 über 1700 Städte, 70.000 Dörfer, 32.000 Fabriken und 4000 Bibliotheken. Am Schlimmsten traf es Weißrussland, wo nahezu alle Städte in Schutt und Asche gelegt und im Zuge der Besetzung 2,2 Millionen Zivilisten und Kriegsgefangene ermordet wurden. ]
Die als Blitzkrieg konzipierte Invasion konnte jedoch Ende 1941 vor Moskau gestoppt werden. Ein Jahr später besiegelte dann die vernichtende Niederlage in Stalingrad die grundlegende Wende im Zweiten Weltkrieg. Unter ungeheuren Opfern und Entbehrung leisteten die Bevölkerung der Sowjetunion und ihre Rote Armee damit den größten Beitrag zur Befreiung Europas von der Herrschaft des deutschen Faschismus
Insgesamt kamen dabei jedoch über 28 Millionen Sowjetbürgerinnen und Sowjetbürger ums Leben. 11 Millionen Rotarmisten und 17 Millionen Zivilisten, darunter 3 Millionen Juden. Millionen sowjetischer Kriegsgefangener und ZwangsarbeiterInnen starben in deutschen Lagern.
Das darf nie vergessen werden!
Die herrschenden, transatlantisch ausgerichteten Kreise in Deutschland wollen die Erinnerung daran jedoch offensichtlich verblassen lassen, da sie der Rechtfertigung ihres aggressiven Kurses gegen Russland im Wege steht. Bundesregierung und Bundestag haben sich geweigert, offizielle Gedenkfeiern durchzuführen.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hielt zwar eine über weite Strecke gute zentrale Gedenkrede zum 80. Jahrestag, in der er den Feldzug auch klar als „monströser, verbrecherischer Angriffs- und Vernichtungskrieg“ charakterisierte. Zu der sich daraus ergebenden besonderen geschichtlichen Verantwortung Deutschlands gegenüber den Menschen in Russland sagte er jedoch wenig und nichts zu den konkreten Verpflichtungen für die deutsche Politik.
Doch diese kann nur lauten, sich für Frieden und Entspannung einzusetzen, für Zusammenarbeit mit Russland statt Konfrontation!
Militärministerin Kramp-Karrenbauer, die von einer „bereits akuten Bedrohung der EU“ durch Russland faselt, fordert hingegen alle Hemmungen gegen den östlichen Nachbarn fallenzulassen. Die Linke solle sich „von der Vorstellung lösen“, Frieden mit Russland „sei wegen des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion 1941 eine moralische Pflicht.“
Dieser skandalösen und brandgefährlichen Politik müssen wir entschieden entgegentreten! Vom deutschen Boden soll NIE WIEDER Krieg ausgehen, dies war und ist die wichtigste Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg und dem deutschen Faschismus.
Und selbstverständlich soll auch NIE WIEDER ein deutscher Soldat oder eine deutsche Soldatin gen Osten marschieren. Die bereits im Rahmen der NATO an den russischen Grenzen agierenden Bundeswehreinheiten sind vor dem Hintergrund der deutschen Verbrechen ein Affront und müssen abgezogen werden.
Wir dürfen nicht aufhören, auf die geschichtliche Verantwortung Deutschlands für den Frieden zu pochen, insbesondere auch für eine entschiedene Entspannungspolitik gegenüber Russland.
Dies kann nur bedeuten: Schluss mit der Aufrüstung und Schluss mit dem militärischen Aufmarsch nach Osten! Keine deutsche Beteiligung mehr an Kriegsmanöver!
Weg mit den Atomwaffen auf deutschem Boden und so schnell wie möglich raus aus der NATO!
[1] Hannes Heer, Christian Streit, Vernichtungskrieg im Osten – Judenmord, Kriegsgefangene und Hungerpolitik, VSA Verlag, 2020, S.20
Redebeitrag von Martin Hornung zu sowjetischen Zwangsarbeiter*innen in Heidelberg
Politik und Geschichtswissenschaft, auch hier an der Universität, sprechen gerne von sog. „dunklen Kapiteln“ der deutschen Geschichte. Dazu gehören auch die Millionen Zwangsarbeiter*innen, die unter Nazi-Deutschland besonders leiden mussten.
Schon wenige Wochen nach dem Überfall auf die SU forderte die deutsche Industrie den Einsatz sowjetischer Kriegsgefangener, um fehlende Arbeitskräfte zu rekrutieren. Von den 20 – 30-jährigen Deutschen waren im Sommer 1941 bereits 85 Prozent als Wehrmachts-Soldaten eingezogen, die ersetzt werden sollten. Ende Oktober wurde dies befohlen und 350.000 Kriegsgefangene ins Reichsgebiet verschleppt. Ab 1942 deportierten die Nazis wöchentlich etwa 40.000 Menschen aus der SU als „Arbeitskräfte“ ins Deutsche Reich.
Im Sommer 1944 mussten 630.000 Kriegsgefangene und 2,1 Millionen „Zivilarbeiter*innen mit dem Zeichen „Ost“ Zwangsarbeit leisten. Hauptsächlich waren es junge Menschen, die jüngsten 13-jährige Schüler. Sie wurden auf Straßen, in Fabriken, Schulen, Universitäten, Kinos eingefangen und ohne Wasser und Verpflegung und in Viehwagen ohne Toiletten abtransportiert. Unter ihnen waren viele Frauen. Männer konnten weniger verschleppt werden, da sie in der Roten Armee kämpften.
Insgesamt wurden mehr als acht Millionen „zivile“ und vier Millionen Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter*innen vom nazideutschen Kapital und seinem Anhang ausgebeutet; fünf Millionen von ihnen kamen aus der ehemaligen Sowjetunion. Jede dritte Arbeitskraft im faschistischen Deutschland war Zwangsarbeiter bzw. Zwangsarbeiterin. In der Industrie stellten sie 1942 rund 50 % der Beschäftigten. Etwa 2,7 Millionen haben diese unmenschliche Tortur nicht überlebt.
In Heidelberg gab es bis zum Überfall auf die Sowjetunion laut „Jahrbuch zur Geschichte der Stadt Heidelberg (von) 1996“ in drei Fabriken zusammen rund 70 sog. „ausländische Arbeitskräfte“. Im Sommer 1942 begann auch in Heidelberger Betrieben die Ausbeutung sog. „russischer Zivilarbeiter*innen“ in großem Ausmaß. „Zwangsarbeit in Heidelberg, 1940 – 1945, Verschleppt und Vergessen“ ist das Kapitel im Jahrbuch überschrieben. Nachdem die ersten größeren Kontingente sowjetischer Zwangsarbeiter*innen von der Reichsbahn auch hierher transportiert worden waren, hat die Stadt unter Oberbürgermeister Carl Neinhaus (NSDAP) in der Schlierbacher Landstraße der Schnellpresse AG (heute Heidelberger Druckmaschinen) ein Lager für sowjetische Kriegsgefangene eingerichtet.
Mitte 1942 mussten laut Liste „Ausländerlager des Kreises“ 333 sog. „Ostarbeiter“ und 171 sog. „Ostarbeiterinnen“ in Heidelberg Zwangsarbeit leisten und in Lagern hausen. Ende 1942 wird die Zahl der in Zwangsarbeit Beschäftigten in 35 Heidelberger Industrie-Betrieben mit 1.148 angegeben, 2/3 von ihnen aus der damaligen Sowjetunion: 606 „Ostarbeiter*innen“ und 168 sowjetische Kriegsgefangene.
Die Fuchs-Waggonfabrik in Rohrbach (danach Harvester / Dresser / Furukawa) ließ 187, später mindestens 300 „Ostarbeiter*innen“ für sich schuften, Graubremse im Pfaffengrund 32. Auch der Firma Teroson wurden 1942 31 Frauen zugewiesen, der Schnellpresse in der Weststadt 14 Frauen und 13 Männer.
Nach den im Stadtarchiv vorliegenden Personen-Karteien bedienten sich in Heidelberg Industrie, Gewerbe, Hotellerie, Landwirtschaft, Stadt, Universität und Privathaushalte insgesamt 27.000 Arbeitssklavinnen und -Sklaven – vor allem aus Russland, Weißrussland und der Ukraine. Auch das Hotel Europäischer Hof hatte z.B. 176 Zwangsarbeits-Beschäftigte.
Die Zwangsarbeiter*innen waren dem Wirtschaftsministerium unterstellt, unter dem örtlichen Kommando der Wehrmacht. Das Wohnlager der französischen und belgischen Zwangsarbeiter*innen der Graubremse war im Pleikartsförsterhof zwischen Kirchheim und Pfaffengrund.
Die sog. „Ostarbeiter*innen“ waren im berüchtigten „Baggerloch“ eingepfercht, wo heute der Hauptbahnhof ist – unter erbärmlichen hygienischen Verhältnissen, auf verlausten Strohsäcken, die danach verbrannt werden mussten. Es war kalt, dunkel und feucht. An der Uniklinik war eine sog. „Entlausungsbaracke“ eingerichtet.
Das „Baggerloch“ bestand aus drei Baracken. Das Lagergelände war mit zweifachem, zweieinhalb Meter hohem Maschen- und Stacheldraht eingezäunt. Der Schlafraum (mit Wache) hatte 20 auf acht Meter – für 59 russische Kriegsgefangenen-Zwangsarbeiter. Die Frauenbaracke mussten sich 68 „Ostarbeiterinnen“ aus sechs Betrieben teilen.
Lagerleiter war der Personalchef der Graubremse. In den Akten ist ein Antrag von ihm an die Stadtverwaltung für ein Fahrrad zu finden: „Das Fahrrad wird dringend zu Kontrollfahrten zu den Gemeinschaftslagern der Firma … sowie den Epidemiebaracken in der Römerstraße benötigt.“
Die sowjetischen Zwangsarbeiter*innen galten als „rassisch minderwertig“, sie wurden am meisten drangsaliert und litten besonders unter bitterem Hunger. Ihr Essen bestand zumeist aus Rüben und Kartoffeln. Die Schnellpresse hat im Februar 1943 ein Schreiben an das Wirtschaftsamt der Stadt gerichtet. Darin heißt es: „Wir ersuchen Sie um einen Bezugsschein über 25 kg Kartoffelmehl. Unsere Ostarbeiter müssen täglich 12 – 13 Stunden arbeiten. Wir wollen etwas Abwechslung hineinbringen und die Leute zusätzlich verpflegen, um eine einigermaßen gute Arbeitsleistung herauszubringen.“ Das Amt hat den Antrag „nach eingehender Prüfung“ abgelehnt.
Eltern von Kolleginnen und Kollegen der Graubremse haben berichtet, dass Stamm-Beschäftigte den Zwangsarbeiter*innen oft heimlich Essen, Kleidungsstücke und Schuhe zugeschoben haben, um sie vor dem Verhungern und Erfrieren zu retten.
Die Behandlung der westeuropäischen Zwangsarbeiter*innen war nicht ganz so brutal, weil sie den Deutschen als sog. „Artverwandte“ galten. „Ostarbeiter*innen“ wurden als sog. „Untermenschen“ angesehen, deren Arbeitskraft bis zur Erschöpfung ausgebeutet wurde.
Für ihren Arbeitseinsatz galt eine sog. „Richtlinie für Sowjet-Bürger“ – im Nazi-Jargon: „Der Russe ist genügsam, daher leicht und ohne schwerwiegenden Einbruch in unsere Ernährungsbilanz zu ernähren. Er soll nicht verwöhnt oder an deutsche Kost gewöhnt werden, muss aber gesättigt und in seiner dem Einsatz entsprechenden Leistungsfähigkeit erhalten werden.“
Das Durchschnittsalter der Zwangsarbeiter*innen lag bei 20 Jahren, die „Ostarbeiter*innen“ waren ganz unten in der Hierarchie. In der Industrie erhielten sie etwa 20 Prozent der Löhne der deutschen Beschäftigten. Kosten für Unterkunft, Verpflegung, Bewachung wurden davon abgezogen, ebenso für das Futter der Wachhunde.
Erst 55 Jahre nach der Befreiung – vor allem aufgrund des internationalen Drucks und um sich „Rechtssicherheit“ gegen Opferansprüche zu verschaffen – haben sich Bundesregierung, Bundestag und deutsche Industrie gezwungen gesehen, ein Gesetz zur Einrichtung einer Bundesstiftung zu verabschieden.
Eingerichtet wurde ein Entschädigungsfonds mit dem schönen Namen „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“. Beteiligt haben sich letztlich nur drei Prozent der deutschen Firmen, die gerade mal ein Promille ihres Jahresumsatzes in den Fonds einbrachten. Der Wirtschaftswissenschaftler Thomas Kuczinsky hat um die Jahrtausendwende errechnet: Den Zwangsarbeiter*innen bzw. ihren Hinterbliebenen stehen nach Preisen des Jahres 2000 allein an vorenthaltenem Lohn mindestens 180 Milliarden DM (92 Milliarden Euro) zu, die in die Profite des deutschen Kapitals eingeflossen sind. Tatsächlich gezahlt hat die deutsche Wirtschaft für den Millionen-fachen Raub von Arbeitskraft nach eigenen Angaben der Stiftung nur 2,3 Milliarden Euro, 2,5 Prozent der zustehenden Entschädigungen. Kriegsgefangene gingen ohnehin leer aus. Und nur 1,7 Millionen „zivile“ Zwangsarbeiter*innen oder ihre Angehörigen erhielten im Schnitt minimale 2.700 Euro.
Auch Belegschaft, Betriebsrat und IG Metall-Vertrauensleute von Haldex / Graubremse haben 1999/2000 deswegen lange kämpfen müssen. Zum Glück sind wir bei der Suche in staubigen, verschlossenen Schränken in unterirdischen Kellern der alten Graubremse in der Eppelheimer Straße fündig geworden. Nachdem wir der Geschäftsführung und dem Konzernvorstand in Schweden Namenslisten von Zwangsarbeiter*innen vorlegen konnten, wurde schließlich nach einem Jahr die Rechtsnachfolge der Graubremse anerkannt und der Beitritt in den Entschädigungsfonds vollzogen.
2012 haben wir durch Recherchen von Hildegard Lutz, VVN-BdA und Stolperstein-Initiative, mit Unterstützung des Heidelberger Rechtsanwalts Wolfgang Stather, erfahren: Zwei sowjetische Zwangsarbeiter der Graubremse, aus der Ukraine, sind zusammen mit drei russischen Zwangsarbeitern der Fuchs-Waggonfabrik im August 1944 auf dem dortigen Betriebsgelände von den Nazis barbarisch erhängt worden. Anatolij Bachatschow aus Kiew und Pawel Chrebor aus Trostjanz wurden nur 21 Jahre alt.
Betriebsrat und IG Metall-Vertrauensleute haben daraufhin die Patenschaft für die Verlegung von Stolpersteinen zur Erinnerung an die ermordeten Kollegen übernommen. In Zusammenarbeit mit Vertretungen der Schüler*innen, der Lehrer*innen der Internationalen Gesamtschule Heidelberg (IGH) wurden die Stolpersteine 2013 im Rahmen einer Gedenkveranstaltung in der Schule im Anschluss vor dem Fuchs-Waggon-Gebäude verlegt.
Der japanische Konzern Furukawa hat 1993 beschlossen, die ehemalige Fuchs-Waggon-Fabrik zu verlagern und zu schließen. Betriebsrat und IG Metall konnten später bei den Verhandlungen um den Sozialplan in der Einigungsstelle eine „inoffizielle“ Regelung durchsetzen. Darin hat Furukawa als Rechtsnachfolger der Fuchs-Waggonfabrik einen fünfstelligen Euro-Betrag zur Errichtung einer Gedenkstätte für die fünf Ermordeten zur Verfügung gestellt.
Im Mai 2015 wurde auf dem ehemaligen Fabrikgelände, heute „Quartier am Turm“, auf Initiative der IG Metall mit Unterstützung der Stadt Heidelberg das Mahnmal zur Erinnerung an die 1944 ermordeten fünf russischen und ukrainischen Zwangsarbeiter eingeweiht.
- wenn Deutschland, auch die Stadt Heidelberg, heute zum 80. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion keine offiziellen Gedenkveranstaltungen durchführt
- wenn Politiker – statt sich für Frieden und Verständigung einzusetzen – sich wieder in der Hetze gegen die äußeren „Feinde“ Russland und China überschlagen, allen voran auch Vertreter*innen der Grünen
- wenn die NATO aufrüstet bis zum Anschlag, für den Aufmarsch gegen Russland
dann müssen wir an die Verbrechen vor 80 Jahren erinnern, damit sie nicht in der Erinnerung verblassen, und den erneuten Kriegsvorbereitungen mit aller Kraft entgegentreten.
Zu ihrer nachträglich 2011 vorgenommenen Strafanzeige wegen der barbarischen Ermordungen bei Fuchs-Waggon bzw. der 2012 erfolgten Einstellungs-Verfügung der Staatsanwaltschaft wird Hildegard Lutz noch einige persönliche Eindrücke schildern, nach dem nächsten Kulturbeitrag.