Wohnungspolitischer Diskurs (4) – Fontagnier und Baier: Ökologisches Bauen ist soziales Bauen
Stellungnahme von Gerhard Fontagnier und Gabriele Baier von der GRÜNEN-Gemeinderatsfraktion
In hochverdichteten Stadtteilen wird den Bewohner*innen einiges zugemutet: Verkehrschaos, kaum Belüftung und meist zu wenig Grünflächen. Die durch den Klimawandel verursachten immer heißeren Sonnentage sind in der Stadt nur noch schwer zu ertragen und schaden massiv der Gesundheit.
Die Fehler der vergangenen Jahrzehnte rächen sich jetzt. Es gab allerdings auch Zeiten, in denen Planer*innen den Blick darauf hatten, etwa im autofreien Stadtteil Herzogenried oder auf der durchfahrtsblockierten Vogelstang. Auch in den Blockbauten der GBG wurden große grüne Zwischenräume eingeplant, wie zum Beispiel in der Innenstadt in den F-Quadraten. Dort spenden große Bäume in den breiten begrünten Zwischenräumen zumindest etwas Kühlung, auch wenn die Belüftung der Innenstadt mittlerweile ringsum blockiert ist und weiter blockiert wird. Ein Ort, an dem ein heißer Sommertag erträglich ist, ist z.B. der Schillerplatz. Als kühlster Ort der Innenstadt ist er zur kleinen, grünen Oase geworden. Nicht jede Baulücke sollte geschlossen werden und die Lebensqualität darf in der Stadtplanung nicht zur Nebensache werden. Schon jetzt wohnen Menschen mit geringen Einkommen meist an vielbefahrenen Straßen und in hochverdichteten Quartieren.
Bezahlbarer Wohnraum wird zunehmend zur Rarität. Zu lange wurde darauf spekuliert, Besserverdienende in die Stadt zu holen, um zu einer gesicherten Finanzierung der Stadt zu kommen. Dafür wurde gebaut, allerdings nicht bezahlbar für die meisten Menschen in Mannheim. Aus der damaligen Situation heraus vielleicht nachvollziehbar, aber zu kurz gedacht. Die Situation heute sieht anders aus: Immer mehr Menschen finden im Zentrum keinen bezahlbaren Wohnraum mehr. Wer es sich leisten kann, zieht aus der Stadt und wohnt ruhig und begrünt.
In Mannheim haben wir 2017 mit einem Bündnis, unterstützt von Mieterverein und weiteren Organisationen, erreicht, das 12-Punkte-Wohnbauprogramm im Gemeinderat zu beschließen. Der damalige zuständige Baubürgermeister legte als einen Teil des Programms eine Wohnbausozialquote über 20% vor. Eine Mehrheit aus SPD, Linke und Grüne konnte die Quote auf 30% erhöhen. Für viele Bauprojekte, beispielsweise auf den Konversionsflächen, war dies aber bereits zu spät.
Konservative Kräfte entgegneten uns damals, „der Markt würde es schon richten“, man müsse nur bauen, bauen, bauen. Der Markt hat es aber nach Ende der Wohnbaugemeinnützigkeit eher zugrunde gerichtet und den Wohnmarkt zum Renditemarkt gemacht. Bis heute wird noch immer beim Kauf von Altimmobilien nach dieser Methode investiert, selten oder fast nie im Interesse derer, die bis zu 40% und mehr ihres kleinen Einkommens für das Wohnen und die Wohnnebenkosten ausgeben müssen. Das „überhitzte Investitionsgeschehen ins Betongold“ muss in erster Linie dort gezähmt werden, wo es seine Wurzeln hat – nämlich vor Ort.
Mit der einfachen Formel: bauen, bauen, bauen ist die erneute Sackgasse unvermeidlich, es gibt unzählige Probleme zu berücksichtigen, die mit „Nur-Bauen“ unberücksichtigt bleiben. Der Klimawandel schlägt mehr und mehr in den verdichteten Städten zu, macht das Leben dort zunehmend unerträglich und zieht gesundheitliche Folgen nach sich. Familien mit Kindern suchen das Weite, die Stadt ist gerade für Kinder und Jugendliche kein guter Ort. Wer es sich leisten kann, wohnt im Pfälzer Wald oder im Odenwald und pendelt in die Stadt, meistens mit dem Auto – womit sich das Problem im Kreis dreht. Ja, auch bauen, aber mit Weitsicht und Verstand.
Wer glaubt, das alte Motto „Innen vor Außen“ beim Bauen habe noch immer Gültigkeit, blickt zu eng auf das Wohnungsproblem. Wer denkt, dass in den Stadtteilen, die oft über mehr Grün als das Zentrum verfügen, nun weiter verdichtet werden soll, um mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, wiederholt den Fehler der vergangenen Jahrzehnte. Wir müssen nach den besten und zukunftsträchtigsten Möglichkeiten und nach hohen ökologischen Standards bauen, auch um die „zweite Miete“, die Nebenkosten, zu begrenzen und um klimagerecht zu bauen. Wir brauchen aber auch ein möglichst grünes Umfeld. Der Autoverkehr muss aus neuen Wohngebieten herausgehalten werden und es muss ausreichend Platz für Rad, Fuß und ÖPNV bleiben. Wer den Autoverkehr und die Stellplätze noch immer auf der Grundlage des aktuellen PKW-Bestands berechnet, plant nicht in die Zukunft. Auch Tiefgaragen, die sich nur selten mit Bäumen überpflanzen lassen und das Bauen extrem verteuern, sind weder ökologisch, noch sozial.
Es kann also nicht sein, dass wir in den Außenbereichen der Stadtteile nun auch noch die Grünflächen zubauen. Warum sollte man Quartiere mit guter Wohnqualität durch zusätzliche Bebauung und Versiegelung verschlechtern? Weil sie auch ihren Beitrag leisten sollen? Oder weil uns sonst nichts Besseres einfällt? Hier und da ein Kompromiss ist sicherlich denkbar, allerdings unter der Voraussetzung einer deutlich höheren Sozialbauquote (etwa 50% Prozent) und hohen ökologischen Standards. Wer glaubt, dass die Begrünung ausschließlich durch Einfamilien- und Reihenhäuser realisiert werden kann, hat nicht durchgerechnet. Die Gärten von Einfamilienhäusern sind meist sehr klein und oft passt nur ein Handtuch auf die Grundstücke.
Obwohl der Wunsch nach dem eigenen Häuschen durchaus verständlich ist, kann er derzeit kaum Aufgabe von Städten sein. Damit ist natürlich nicht der Bestand solcher Häuser gemeint.
Die Aussage „Menschen Wohnraum in der Stadt anzubieten sei per se immer ökologisch“, ist das Gegenteil von weitsichtig. Sie ist gleichbedeutend mit einer weiteren Innenverdichtung und einer immer anstrengenderen und engen Stadt. Warum denken wir nicht darüber nach, was vor weiteren Verdichtungen getan werden kann? Warum haben wir in Mannheim trotz zahlreicher Anträge noch immer keine Zweckentfremdungssatzung, die verhindert, dass mit bezahlbarem Wohnraum Kurzzeitvermietungsgeschäfte wie Airbnb gemacht werden, mit bis zu 40 Euro und mehr pro Tag? Wo haben wir Leerstände, die belegt werden können? Warum gibt es noch keine Erhaltungs- und Milieuschutzsatzungen, die dafür sorgen, dass Menschen nicht aus ihren Quartieren verdrängt werden und ihre Wohnungen bezahlbar bleiben? Zumindest hätte man diese Werkzeuge längst ausprobieren müssen. Warum lässt man Investoren einen so großen Spielraum und schließt bestenfalls freiwillige Vereinbarungen ab und das, obwohl wir eine städtische Wohngesellschaft mit sozialer Aufgabe haben?
Wer in dieser Situation den Blick auf eine klimaneutrale Stadt mit den notwendigen und teils sehr harten Veränderungen, wie der unabdingbaren Mobilitätswende, den extremen Hitzetagen, der nötigen Begrünung, dem Platz für Bäume und dem Bauen mit hohen ökologischen Standards übersieht und dann auf Mehrheitsverhältnisse jenseits der linken Mehrheit im Mannheimer Gemeinderat schielt, macht Bundestagswahlkampf statt verantwortlicher Kommunalpolitik. Eine Stadt umzubauen, ist ein gigantischer Aufwand. Dabei auf Kräfte zu setzen, die den Blick in erster Linie auf gute Geschäfte und den freien Markt richten, ist unverantwortlich und ganz sicher nicht links.
Die letzte Kommunalwahl hat eine starke Mehrheit von Grünen, SPD und Linken (LI.PAR.Tie.) ermöglicht (28 von 48). Die SPD (10) müsste, so sie das wollte, eine andere Mehrheit bilden mit CDU (8), FDP/ML (5) und Freien Wählern/ML (4), die Blaubraunen mit vier Sitzen lassen wir außen vor. Was sollte dabei Gutes für die Stadt herauskommen?
Bund und Land sind herausgefordert, die Notwendigkeit für den Bau bezahlbaren Wohnraums mit allen Mitteln zu unterstützen. Wer im Bund beklagt, dass man mit der CDU nicht weiterkäme, kann den Grünen in Baden-Württemberg kaum vorwerfen, sie würden nicht das tun, was aktuell notwendig wäre – trotz der Koalition mit der CDU.
Wir erwarten im Bund von der SPD und im Land von uns Grünen, dass sie eine soziale Wohnungsbaupolitik der Kommunen unterstützen und damit die CDU herausfordern. Ja, neue Gemeinnützigkeit und ein Wohnungsmarkt, der auf Gemeinwohl ausgerichtet ist, dabei hohen ökologischen Standards entspricht, viel Platz für Grün und wenig für Autos lässt, kann nur mit einer progressiven linken Mehrheit verwirklicht werden. An diesem dünnen Ast sollte man nicht sägen, sondern ihn stärken. Bauen muss sozial und ökologisch sein und damit können und müssen die drei Gemeinderatsfraktionen zusammenkommen.
Gerhard Fontagnier, wohnungspolitischer Sprecher und stellv. Vorsitzender der Grünen Gemeinderatsfraktion Mannheim
Gabriele Baier, umweltpolitische Sprecherin der Grünen Gemeinderatsfraktion
(Anmerkung der Redaktion: Die Zeichnung durch Gabriele Baier wurde nach der Veröffentlichung des Artikels am 09.07. um 14.30 Uhr hinzugefügt)