Blaualgen im Willersinnweiher – wo kommen sie her?
Landesamt für Umwelt vernachlässigt Untersuchungen, verharmlost die Problematik, verschweigt Gesundheitsgefahren und verschleppt die Ursachensuche
Unzureichende Untersuchungen
Der Willersinnweiher ist ein beliebtes Badegewässer im Ludwigshafener Norden, in der Nähe der BASF, umgeben von den Stadtteilen Friesenheim, Notwende und Oppau. Am Dienstag, den 6. September berichtet die Tageszeitung ‚Die Rheinpfalz‘ von einer kritischen Situation mit Cyanobakterien (umgangssprachlich ‚Blaualgen‘) in dem Badesee.
Der Vorspann des Artikels beginnt mit dem Satz: „Innerhalb weniger Tage haben sich Cyanobakterien so massiv im Willersinnweiher vermehrt, dass dort jetzt ein Badeverbot gilt.“ Bereits dieser allererste Satz ist – vorsichtig ausgedrückt – irreführend. Die Vermehrung der gefährlichen Bakterien fand nämlich – wie sich aus öffentlichen Daten der Behörde ersehen lässt – nicht innerhalb weniger Tage statt, sondern innerhalb mehrerer Monate. (siehe https://badeseen.rlp-umwelt.de/servlet/is/36/ unter chemisch-physikalisch-biologische Untersuchungen, für Baden-Württemberg siehe www.badegewaesserkarte.landbw.de ).
Die Badesaison ist in Rheinland-Pfalz festgelegt auf die Zeit vom 1. Juni bis zum 31. August. Vor Beginn der Saison und einmal monatlich während der Saison ist eine Überwachung der Gewässerqualität vorgeschrieben. Sie erfolgt durch Besichtigung, mindestens vier Probenahmen und Analysen der Proben. Durch die sogenannte Besichtigung wird festgestellt, ob das Wasser verdächtige Färbungen aufweist und wie groß die Sichttiefe ist. Kritisch ist eine Sichttiefe unter einem Meter, in diesem Fall wird untersucht, ob die potentiell giftigen Cyanobakterien dominieren. Farbloses Wasser und eine große Sichttiefe weisen auf geringe Verschmutzungen hin.
Die erste Untersuchung findet dieses Jahr ordnungsgemäß im Mai statt: Am 4.Mai wird festgestellt, dass das Wasser 16,1º Celsius hat, farblos ist, die Sichttiefe über 2 Meter beträgt und die Wasserqualität nicht beanstandet werden muss.
Am 25. Mai findet eine weitere Untersuchung statt: Das Wasser hat bereits 21,8º Celsius, die Sichttiefe beträgt über 3 Meter, das Wasser ist jedoch schwach grün gefärbt. Eine Beanstandung wird noch nicht ausgesprochen.
Am 15.6. findet die erste Untersuchung in der laufenden Badesaison statt: Die Sichttiefe ist über 6 Meter, das Wasser hat aber bereits 23,6º Celsius und ist nach wie vor schwach grün gefärbt. Es wird aber immer noch keine Beanstandung erteilt.
Die nächste Untersuchung wird nun nicht nach einem Monat, sondern erst nach über 10 Wochen am Freitag, dem 26.8. durchgeführt. Im halben Juni, dem gesamten Juli und im größten Teil des August, also fast während der gesamten Badesaison, bleibt die Wasserqualität ohne Untersuchung, zumindest sind auf der Webseite (s.o.) keine Werte aufgeführt.
Angesichts der bereits im Mai beobachteten Einfärbung und der dann im Juni festgestellten extrem hohen Wassertemperatur erscheint dies völlig unbegreiflich. Das Wasser hat jetzt am 26. August 25,3º Celsius (!), ist gelbgrün gefärbt, und die Sichttiefe beträgt nur noch 90 cm. Es wird festgestellt, dass eine Massenvermehrung von potentiell toxinbildenden Cyanobakterien stattgefunden hat, dass dies ein Gesundheitsrisiko darstellt und damit die Kriterien für eine Warnstufe erfüllt sind. Die nächste Untersuchung findet am Donnerstag, dem 1.9. statt. Die Werte für die Wassertemperatur, die Färbung und die Sichttiefe werden – auch dies unbegreiflich – nicht angegeben, es wird aber wiederum mitgeteilt, dass ein Gesundheitsrisiko besteht und nun sogar die Kriterien einer Alarmstufe erfüllt sind. Zwei weitere Untersuchungen am 5.9. und am 7.9. führen zu ähnlichen Ergebnissen und den gleichen Schlussfolgerungen.
Verharmlosung der Problematik
Die Rheinpfalz-Redakteurin fragt als erstes, wie die Cyanobakterien überhaupt in den Weiher kommen. Die Antwort: „In den Sommermonaten kommt es in Seen und staugeregelten Fließgewässern wie der Mosel seit einigen Jahren zur sogenannten Blaualgenblüte.“ Namen und Funktion der antwortenden Person sind leider nicht ersichtlich, beim aufmerksamen Lesen fällt zudem auf, dass die gestellte Frage überhaupt nicht beantwortet wird. Die ‚Antwort‘ erweckt den Eindruck, als ob das halt seit einiger Zeit so sei, und zwar nicht nur im Willersinnweiher, sondern allgemein in Seen und „staugeregelten Fließgewässern“ wie der Mosel. Das trifft aber, wie Daten des Umweltbundesamtes (www.bundesumweltamt.de) zeigen, nicht zu.
Dort ist zu lesen, dass in der Badesaison 2021 insgesamt 2.291 Badegewässer untersucht wurden, wobei 98 Prozent von ihnen die Qualitätsanforderungen erfüllten und über 90 Prozent sogar die beste Note „ausgezeichnet“ erhielten. 144 Mal wurden Badegewässer wegen schlechter Wasserqualität zeitweise oder die ganze Saison über geschlossen, 65 Mal davon aufgrund von Cyanobakterien („Blaualgen“). Damit mussten nur in 0,5 Prozent der untersuchten Gewässer aus der Konzentration der „Blaualgen“ gezogen werden, in 99,5 Prozent der Fälle war das nicht nötig. 2020 waren ähnliche Ergebnisse gemeldet worden.
Es bleibt also die Frage: Warum im Willersinnweiher?
Wie kamen denn nun die Cyanobakterien in den Weiher?
Die Antwort heißt: Sie waren schon immer da. Cyanobakterien zählen zu den ersten Lebewesen auf der Erde und sind heute in allen Gewässern der Welt vorhanden, auch im Meereswasser und in feuchten Böden, sogar auf Baumrinde und auf Gesteinsoberflächen. Cyanobakterien haben vor etwa 3,5 Milliarden Jahren dafür gesorgt, dass überhaupt Sauerstoff in die Atmosphäre gelangte und damit die Voraussetzung für höhere Lebensformen geschaffen. Ihr ubiquitäres Vorkommen ist in aller Regel für Mensch und Tier völlig unproblematisch. Zum Problem werden sie erst dann, wenn es zu einer sogenannten Massenvermehrung kommt.
In der Nahrungspyramide des Ökosystems See stehen sie als sogenannte Primärproduzenten zusammen mit den Algen auf der untersten Stufe. Von ihnen ernähren sich die Planktonkrebse, die wiederum die Nahrungsgrundlage der Friedfische bilden, diese wiederum sind Nahrung der Raubfische.
Cyanobakterien besitzen keinen Zellkern, betreiben aber Photosynthese und können Luftbläschen einschließen. Sie treiben deshalb an der Wasseroberfläche, bei einer Massenvermehrung können sie vom Wind und von Strömungen zusammengetrieben werden und sind dann als grüner Teppich unter der Wasseroberfläche sichtbar. Dies wird als Algenblüte bezeichnet.
Die Vermehrung der Bakterien wird begünstigt durch Licht (auch künstliches), hohe Temperaturen und ein großes Nahrungsangebot, vor allem an Stickstoff und Phosphor. Ein Überangebot an Nährstoffen kann zur Eutrophierung (Anreicherung von Nährstoffen) führen. In seltenen Fällen ist eine Eutrophierung Folge natürlicher Prozesse, wenn z.B. sehr viele Blätter auf ein Gewässer fallen. Meistens ist sie die Folge menschlichen Handelns, entweder durch die Einleitung von Abwässern oder durch Überdüngung in der umliegenden Landwirtschaft.
Auch in der Ostsee (und nicht nur in Badeseen und staugeregelten Fließgewässern) kommt es seit einigen Jahren zu massiven Problemen durch periodische explosionsartige Vermehrungen der Cyanobakterien. Es ist wissenschaftlich noch nicht geklärt, welchen Anteil hieran die Erderwärmung durch stärkere Sonneneinstrahlung und höhere Wassertemperaturen hat und was auf die Eutrophierung zurückgeht. Wenn aber wie jetzt in bestimmten Regionen unter gleichen klimatischen Verhältnissen und bei ähnlichen Wassertemperaturen einige wenige Badeseen eine Algenblüte erleben und andere nicht, erscheint die Eutrophierung und nicht allein die Erwärmung als ausschlaggebende Ursache.
Wie gefährlich sind Blaualgen?
Das Landesamt für Umwelt teilt hierzu mit, dass „Blaualgen Giftstoffe abgeben können, die beim Kontakt mit den Schleimhäuten zu Reizungen, Bindehautentzündungen der Augen oder Quaddeln auf der Haut führen können. … Beim Verschlucken kann es zu Magen-Darm-Beschwerden kommen. Das gleiche gilt auch für Haustiere.“
Also Schleimhautreizungen und Magen-Darm-Beschwerden. Das hört sich unangenehm an, aber nicht wirklich gefährlich. Die Wahrheit ist jedoch: Erstens sind die genannten relativ banalen Beschwerden nicht vollständig aufgeführt: Es können auch Übelkeit, Erbrechen, Kopf- und Ohrenschmerzen, allergische Reaktionen und Atemwegsbeschwerden auftreten. Und zweitens können Cyanobakterien bei Mensch und Tier auch bleibende Schäden, vor allem der Leber und des Nervensystems, und sogar tödliche Vergiftungen verursachen. Einige der von Cyanobakterien abgegebenen Toxine gehören zu den stärksten in der Natur vorkommenden Giften.
Das Umweltbundesamt (www.toxische-cyanobakterien.de/hintergrundinformation/cyanotoxine) unterscheidet anhand ihrer Wirkungsweise bei den Cyanotoxinen fünf Gruppen von Giftstoffen, „die das Trinkwasser belasten und eine Gesundheitsgefährdung bei der Freizeitnutzung von Gewässern darstellen können.“: 1. Lebergifte, 2. Zellgifte, 3. Nervengifte, 4. Hautgifte und 5. entzündlich wirkende Substanzen.
Die Lebergifte (Hepatoxine) können die Wirkung des bekannten Strychnin übersteigen und bei hoher Dosierung tödlich sein. Auch bei geringen Dosen können sie verheerende Wirkungen aufweisen, da sich bei einer Einnahme über längere Zeit das Risiko von Leberkrebs stark erhöht. Diese Gefahr besteht vor allem in Ländern, in denen ein großer Teil des Trinkwassers aus Oberflächenwasser gewonnen wird wie in Skandinavien, Polen und südlichen, teilweise armen Ländern (eines von vielen Beispielen dafür, wie reiche Länder Gesundheitsgefahren in ärmere Länder exportieren).
Auch wenn das rheinland-pfälzische Landesamt für Umwelt die Gesundheitsgefahr durch ‚Blaualgen‘ sträflich verharmlost, soll nicht in das andere Extrem einer Dramatisierung der Gefahren gefallen werden. Gefährdet sind, worauf das Umweltbundesamt anders als das Landesamt für Umwelt vor allem Kinder, immungeschwächte Erwachsene sowie Haus- und Nutztiere. Das Umweltbundesamt schreibt richtig, dass gesunde Erwachsene kaum gefährdet sind, wenn sie das Wasserschlucken und den Schleimhautkontakt weitgehend vermeiden. Beim Schwimmen ist aber ein Wasserschlucken nicht völlig zu vermeiden, und im Wasser planschende Kinder nehmen noch größere Wassermengen auf. Die vor Ort verbreiteten behördlichen Informationen tragen auch nicht dazu bei, ein gesundheitsbewusstes Verhalten zu unterstützen, und gerade für den Willersinnweiher ist bekannt, dass die behördlichen Warnungen und Verbote häufig ignoriert werden.
Sterben Tiere nach einem Bad an Blaualgen-Toxinen, wird die Todesursache in den meisten Fällen nicht erkannt. Nur bei spektakulären Vorkommnissen werden die entsprechenden Untersuchungen vorgenommen. So starben im Sommer 2020 innerhalb von 24 Stunden sechs Hunde nach einem Bad im Neuenburgersee, in dem dann Blaualgen gefunden und ein Badeverbot erlassen wurde. Im Juni diesen Jahres starb in dem selben See wieder an Hund durch Blaualgen. Ebenfalls 2020 starben in Afrika mehrere hundert Elefanten an Cyanobakterien. Im Südosten der USA erkranken seit den 1990er Jahren gehäuft Vögel wie der Weißkopfseeadler und das amerikanische Blasshuhn, aber auch Fische und Reptilien an einer sich seitdem ausbreitenden tödlichen neurologischen Erkrankung (aviäre vakuoläre Myelinopathie), die durch ein von Cyanobakterien produziertes Toxin verursacht wird. Durch den Verzehr von Fischen oder Muscheln können die Toxine in den menschlichen Organismus gelangen und gelegentlich zu tödlichen Vergiftungen führen. Noch am 26.8. verkündet die Stadt Ludwigshafen, darin vermutlich dem Landesamt für Umwelt folgend, der Verzehr von Fischen aus dem Weiher sei unbedenklich. Nachdem am 1.9. jedoch von der Warnstufe zur Alarmstufe übergegangen wird (ohne die diesem Schritt zugrunde liegenden Messdaten zu veröffentlichen, s.o.), verstärkt das Landesamt seine Warnungen: „Die Behörde rät vorsorglich auch davon ab, das Wasser während der Blaualgenblüte zur Bewässerung oder Beregnung von Gemüse zu verwenden, da die Cyanotoxine von Pflanzen aufgenommen werden können. Ebenso wird von einem Verzehr von Fischen aus diesen Gewässern während der Blaualgenblüte abgeraten, da Fische die Cyanotoxine aufnehmen und ansammeln können. Cyanotoxine sind hitzestabil und werden bei der Garung nicht sicher zerstört.“ Hier wäre zu fragen: Wenn Fische Cyanotoxine ansammeln können, warum ist dann nur während der Blaualgenblüte vom Verzehr abzuraten?
Ursachensuche erst im nächsten Jahr
Auf die Frage „Was ist die Ursache für den Bakterien-Alarm?“ wird folgende Antwort angegeben: „Das Landesamt kündigt dazu Untersuchungen im kommenden Frühjahr an. ‚Oftmals sind geänderte Nährstoffverhältnisse ein Grund für starkes Cyanobakterienwachstum – diese Analysen werden in der Regel im Frühjahr durchgeführt, wenn sich der Wasserkörpergut durchgemischt hat.‘ sagt der Behördensprecher.“ Auch auf die Frage, warum sich die Cyanobakterien im Willersinnweiher so stark vermehrten, nicht aber in den benachbarten Baggerweihern Begütenweiher und Großpartweiher, antwortet der Behördensprecher lakonisch: „Das werden wir versuchen, mit den oben beschriebenen Untersuchungen im nächsten Frühjahr herauszufinden.“ Der Behördensprecher sagt also mit anderen Worten: „Ob es dieses Jahr schädliche Einleitungen gab, werden wir nächstes Jahr untersuchen.“
Diese Antwort wäre zum Lachen, wenn sie nicht zum Weinen wäre.
Michael Kohler