Ein Rückblick: Wohnpolitisches Hearing von Li.PAR.Tie und LINKE am 28. September
Interessante Berichte und Diskussion
Die dreistündige Fachtagung mit einschlägig bekannten und renommierten Referenten war von ca. 40 Teilnehmern besucht. Die von Roland Schuster als Sprecher der AG Wohnen der LINKEN eröffnete und von Charlotte Müller moderierte Veranstaltung kann wegen der sehr interessanten Beiträge als gelungen angesehen werden. Die Besucher der Veranstaltung kamen überwiegend aus dem Umfeld der LINKEN. Man hätte sich mehr Menschen aus anderen Bereichen wie andere Parteien, Initiativen und Verwaltung als Teilnehmer und Mitdiskutanten gewünscht. Schließlich war die Tagung als diskursive Veranstaltung mit Raum zum Diskutieren angelegt. Ein Kritikpunkt ist aus meiner Sicht, dass mit fünf Referenten, nehmen wir das Grußwort von Baubürgermeister Ralf Eisenhauer dazu sogar sechs Referenten, fast ein Übermaß an Informationen dargeboten wurde. Eine Verschlankung in dieser Hinsicht hätte eine stärkere Vertiefung und Diskussion bei einzelnen Punkten ermöglicht. Schade war es außerdem, dass die zwei letzten Referenten, Gerd Kuhn und Ullrich Soldner, nur kurz reden konnten, damit die Veranstaltung rechtzeitig beendet werden konnte.
Nun zu den einzelnen Punkten.
Ralf Eisenhauer: Bedarf an Wohnungen insbesondere bezahlbaren Wohnraum ist groß
Am Anfang stand das Grußwort des Mannheimer Baubürgermeister Ralf Eisenhauer, das per Video dargeboten wurde. Da er schon länger geplant beruflich in Berlin unterwegs war, konnte er persönlich nicht an dieser Veranstaltung teilnehmen. Er unterstrich, dass der Bedarf nach Wohnungen und insbesondere preiswertem Wohnraum sehr hoch ist. Und er unterstrich, dass es hierbei Anstrengungen der Stadt Mannheim gebe. Aber es gebe auch juristische Grenzen, wie z.B. bei dem kommunalen Vorkaufsrecht und verwies auf das Beispiel Neuhermsheim, wo eine Klage eines Investors gegen die Inanspruchnahme des Vorkaufsrechts durch die Stadt anhängig ist. Er hob den städtischen Bodenfonds hervor, der in Zukunft stärker genutzt werden könne. Aus Klima-Gründen stehen neue Flächen zur Bebauung kaum zur Verfügung. Hier müsse man über Nachverdichtung und Höhenentwicklung sprechen. Über eine Nachjustierung der Sozialquote könne gesprochen werden.
Dennis Ulas: Mehr bezahlbare Wohnungen in Mannheim!
Der Beitrag vom Fraktionsvorsitzenden von LI.PAR.Tie im Mannheimer Gemeinderat, Dennis Ulas, trug die Überschrift: „Anforderungen an eine soziale Wohnungspolitik in Mannheim aus linker Sicht“. Er stellte die stark steigenden Wohnungs- und Bodenpreise der letzten Jahre hervor, die Einkommensentwicklung bleibe klar zurück. Er forderte Maßnahmen auf Bundesebene:
Andere Mietspiegelberechnung, Mietendeckel, Neue Gemeinnützigkeit, Verbesserung des kommunalen Vorkaufsrechts, Vorkaufsrecht zum Bodenrichtwert statt zu Marktpreisen oder gar nach dem Höchstgebot, Einführung einer Bodenwertzuwachssteuer. Auf Landesebene forderte er stärkere Förderung des sozialen Wohnungsbaus, die Wiedergründung einer Landeswohnbaugesellschaft und die Einführung der Grundsteuer C.
Auch wenn wichtige Weichenstellungen auf Bundes- und Landesebene erfolgen, sei auch auf der kommunalen Ebene einiges möglich. Die Kommunale Wohnungspolitik sollte der GBG, den Genossenschaften und gemeinnützigen Bauträgern den Vorrang gegenüber renditeorientierten Privatinvestoren geben. Für GBG und Bodenfonds müssten mehr städtische Haushaltmittel zur Verfügung gestellt werden. Bezüglich MWSP forderte er eine Abkehr von der renditeorientierten Vermarktungsstrategie. Weitere Stichworte: Stärkere Ausnutzung des kommunalen Vorkaufsrechts, Erhöhung der Sozialquote auf 50%, möglichst lange Bindungsfristen, Vergünstigung des Erbbauzinses, stärkere Unterstützung von Genossenschaften und Wohnprojekten und last but not least die Einführung eines „Bürger*innen-Büro Wohnen“.
Dennis Ewert: Baukultur, Umwelt und die Bodenfrage – Zusammenhänge, Positionen und Modelle
Dennis Ewert, Mannheimer Architekt und der CO-Vorsitzende der innovativen Architektur-Vereinigung MOFA Mannheims Ort für Architektur, hob hervor, was wichtig ist für eine gute Quartiersbildung: Stadt der kurzen Wege und Minderung des (Auto-) Verkehrs. Arbeiten/Wohnen/Erholen müssten zusammengebracht werden. Die nachbarschaftliche Vernetzung sollte gefördert werden. Im Wohnungsbau brauche es ein breiteres Angebot für Vielfalt, Flexibilität und neue Positionen. Das sollte auch bei einer Konzeptvergabe berücksichtigt werden. Er nannte hierfür in Mannheim zwei gelungene Beispiele: Wohnwerk auf Spinelli und die geplante Bebauung in der Schafweide.
Auch Ewert ist ein Anhänger einer gemeinwohlorientierten Bodenpolitik. Die Trennung von Grundeigentum und dessen Nutzung würde Spekulation verhindern. Er bevorzugt Wohnungsbaugenossenschaften.
Er zitierte Hans-Jochen Vogel, er war u.a. Oberbürgermeister von München und Bundesbauminister. Wichtige Positionen sind in seinem 2019 erschienen Buch („Mehr Gerechtigkeit- wir brauchen eine neue Bodenordnung – nur dann wird Wohnen auch wieder bezahlbar“) dargestellt. Er spricht sich für Abschöpfen leistungsloser Gewinne, Planungswertausgleich, Bodenwertzuwachsteuer, und Ausweitung der Erbbaurechte aus.
Stephan Reißner-Schmidt: Bezahlbares Wohnen – Boden ist der Schlüssel!
Reißner-Schmidt war jahrelang Stadtdirektor in München und ist an vielerlei Initiativen für ein soziales Bodenrecht beteiligt.
Er stellte drei Thesen auf, die er im weiteren Verlauf ausführte und mit Beispielen hinterlegte.
- Boden als Gemeingut ist der Schlüssel für bezahlbares Wohnen und lebendige Quartiere. Ein ausreichendes Angebot bezahlbarer und bedürfnisgerechter Wohnungen ist die Voraussetzung für eine vielfältige, lebenswerte Stadt und sichert den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
- Trotz unzureichender rechtlicher Rahmenbedingungen haben die Städte Spielräume für eine aktive, gemeinwohlorientierte Bodenpolitik. In Kooperation mit innovativen, nicht gewinnorientierten Akteuren können sie damit mehr bezahlbare und bedarfsgerechte Wohnungen ermöglichen.
- Die Sozialpflichtigkeit des Bodeneigentums (Art. 14 (2) GG) ist nur unvollständig umgesetzt. Deshalb ist eine bodenpolitische Wende überfällig, um den Kommunen eine wirksamere Bodenpolitik zu ermöglichen.
Stichworte seiner Ausführungen: Mehr bezahlbares Bauland ▪ Entwicklung und finanzielle Aufstockung des Bodenfonds als Sondervermögen. ▪ Systematische Anwendung des allgemeinen und besonderen Vorkaufsrechts, mögl. mit Limitierung auf den Verkehrswert. ▪ Liegenschaftliche Komponente in städtebaulichen Verträgen, Bsp. Münster: Ankauf von mind. 50 % der Flächen zum Eingangswert als Voraussetzung für die Schaffung von Baurecht. ▪ Prüfung des Instrumentes der Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme, §§ 165 ff. BauGB. Mehr dauerhaft bezahlbare Wohnungen ▪ Erhöhung der Quote geförderter/preisgedämpfter Mietwohnungen für städtische Grundstücke auf 50 % und für private Neubauflächen (städtebauliche Verträge) auf 40 %. ▪ Anwendung des sektoralen B-Plans zur Wohnraumversorgung gem. § 9 Abs. 2d um eine Quote auch im unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) durchzusetzen. ▪ Langfristige Bindung geförderter Mietwohnungen durch Erbbaurecht (bis 99 Jahre).
In Mannheim „Luft nach oben“
Mannheim hat nach Schmidt-Reißner mit dem „12 Punkte-Programm“ und dem Bodenfonds gute Strategien und Instrumente für eine gemeinwohlorientierte und aktive kommunale Bodenpolitik geschaffen. Aber es gibt möglicherweise „Luft nach oben“: Der nach wie vor große Mangel an bezahlbaren Mietwohnungen und der prognostizierte Bedarf von 17.000 neuen Wohnungen bis 2040 legt es nahe, diese Instrumente weiter zu entwickeln, z.B.: Aktive Bestandspolitik ▪ Sicherung bezahlbarer Mietwohnungen im Bestand durch Erhaltungssatzungen gem. § 172 (1) Nr. 2 BauGB (Milieuschutzsatzungen) mit der Möglichkeit der Untersagung einer Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. ▪ Konsequente Anwendung des Vorkaufsrechts in Erhaltungssatzungsgebieten, sobald die z. Zt. dazu laufende BauGB-Änderung in Kraft tritt.
Gerd Kuhn: Gemeinwohl und städtische Wohnungspolitik
Gerd Kuhn, Wohnsoziologe und Stadtforscher aus Tübingen, berät viele gemeinnützige Wohnungsbauträger und Wohnprojekte.
Seine Themenschwerpunkte: Gemeinwohlorientierte Wohnprojekte, dauerhafte Bindungen (Erbpacht etc.) und Sozialorientierung • Bau bezahlbarer Miet-Wohnungen • Konzeptvergabe mit Festpreis und mit dem zentralen Kriterium des Mehrwerts für das Quartier und die Stadtgesellschaft • Langfristige Bindungsfristen (Belegung) • Förderung und Priorisierung gemeinnütziger Akteure (Genossenschaften, gemeinwohlorientierte Bauträger (Miethäusersyndikat etc., städtische WBG) • Sicherung des bezahlbaren Wohnens / Bestandsicherung und „Zweite Miete“
Ulrich Soldner: Boden in städtischer Hand!
Ullrich Soldner war jahrzehntelang Leiter des Liegenschaftsamts in Ulm und Beauftragter des Oberbürgermeisters für Wohnungspolitik. Er gilt als „Vater der Ulmer Wohnungs- und Bodenpolitik“.
Seit langer Zeit kauft die Stadt Ulm systematisch Boden/Grundstücke auf, um Einfluss auf die Stadtentwicklung zu nehmen. 38% der Gesamtfläche sind in städtischer Hand. Insbesondere die städtische Tochter (100%) Ulmer Wohn- und Siedlungsgesellschaft (UWS) profitiert von der Stadtpolitik. 1/3 aller Mietwohnungen auf der Gemarkung Ulm (~11.000) sind im Bestand der UWS/Stadt oder einer Wohnungsgenossenschaft und haben eine sichtbare Auswirkung auf die Mietpreise = Mieten liegen deutlich unter der ortsüblichen Vergleichsmiete.
Weitere wichtige Stichworte zur Beschreibung der Ulmer Wohnungspolitik:
- über 80% sozial geförderte Wohnungen (⌀-Miete 5,75€/m²)
- knapp 20% freifinanzierte Wohnungen (⌀-Miete 6,36 €/m²)
- Ulmer Vergabe im Geschosswohnungsbereich, Verfahren angelehnt an Konzeptvergabe
- Mindeststandards werden allgemein, aber auch spezifisch für das Gebiet definiert und in der Ausschreibung berücksichtigt
- Grundlage für eine vielfältige Quartiersentwicklung – was brauchen/wollen wir?
- soziale Vergabekriterien
junge Familien, 30% sozial geförderter Wohnraum im Geschosswohnungsbau, 15% der Wohnfläche 4- oder mehr Zimmer-Wohnungen
- wirtschaftspolitische Vergabekriterien: gerechte Vermögensverteilung (Selbstbezug), Umweltschutz
- umweltpolitische Vergabekriterien: Photovoltaik, Fernwärme, Dachbegrünung, …
Auf Grund mangelnder Zeit kam die Darstellung und Diskussion über die erfolgreiche Ulmer Wohnungspolitik zu kurz.
Ausblick:
Ein kurzes Fazit aus all diesen interessanten Ausführungen zu ziehen, dürfte schwierig sein. Wichtigste Punkte und Handlungsmöglichkeiten gilt es insbesondere für die wohnungspolitische Debatte im Gemeinderat herauszukristallisieren. Dazu gehört die Frage der Verlängerung der Bindungsfristen, Milieuschutzsatzungen, Schärfung und Erweiterung der Konzeptvergabe, Erhöhung der Sozialquote, Stärkung des Bodenfonds, Unterstützung und Stärkung von gemeinwohlorientierten Bauträgern/Akteuren, Engagement im Bestandswohnungsbau, Ausrichtung der MWSP.
Es sei an dieser Stelle an die nächste wohnungspolitische Veranstaltung der LINKEN in Mannheim erinnert:
Veranstaltung
Wohnen in Mannheim muss bezahlbar sein!
Die Forderungen der LINKEN an die Stadt Mannheim
Dienstag, 22. November 2022 -19.00 Uhr
Bürgerhaus Neckarstadt Lutherstr. 15, 68169 Mannheim
mit
- Dennis Ulas – Stadtrat DIE LINKE, Vorsitzender der Gemeinderatsfraktion LI.PAR.Tie
- Hanna Böhm – Stadträtin
- Roland Schuster – Bezirksbeirat Neckarstadt-West
Roland Schuster