Totalversagen der Ausländerbehörde Ludwigshafen: Sind die Ausländer selbst schuld?
“Die Ausländerbehörde Ludwigshafen ist ein Sinnbild der Ablehnung durch konsequentes Ignorieren der Bürger, die keine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis in Deutschland haben.”
Mit diesen Worten hatte ‘Die Rheinpfalz’ Anfang des Monats eine Betroffene zitiert. In einem großen Artikel schilderte sie Anfang Dezember mehrere Beispiele ausländischer Mitbürger, die durch den weitgehenden Ausfall der Ausländerbehörde in Hilflosigkeit und Verzweiflung gestürzt wurden.
In Ludwigshafen hat fast jeder schon mal gehört, was den über 51.000 bei uns lebenden Menschen ohne deutschen Pass immer wieder droht :
Sie haben Arbeit gefunden, aber die Behörde schickt ihnen monatelang keine Arbeitserlaubnis.
- Sie geraten unverschuldet in die Illegalität und in Haft, weil sie keine Termine bekommen, um ihre Papiere verlängern zu lassen.
- Im Sommer geriet der Fall eines jungen Mannes in die Öffentlichkeit, der sogar abgeschoben werden sollte, obwohl er schon einen Arbeitsvertrag für die Bäckerei Görtz in der Tasche hatte. Erst nach einem großen Artikel im ‘Mannheimer Morgen’ bekam er einen Termin bei der Ludwigshafener Ausländerbehörde.
- Menschen ohne deutschen Pass, die bereits Arbeit haben, wollen nicht nach Ludwigshafen ziehen, weil Landsleute sie auf ihre schlimmen Erfahrungen mit der Ausländerbehörde aufmerksam machen.
- Kontakte mit der Familie oder mit Freunden sind über lange Zeit nicht möglich, weil die dafür nötigen Papiere nicht zu erhalten sind.
Der Ludwigshafener Stadtverwaltung mag man zugute halten, dass es systemische Ungerechtigkeit gegenüber Ausländern und gegenüber armen und marginalisierten Menschen auch anderswo gibt. Das letzte ZDF Magazin Royale fand in den deutschen Ausländerbehörden ein ergiebiges Thema (ZDF Magazin Royale – Late-Night-Satire mit Jan Böhmermann – ZDFmediathek).
Die beschriebenen haarsträubenden Ludwigshafener Zustände sind jedoch umso beschämender und empörender, als sie schon seit Jahren bekannt und immer wieder in aller Munde sind. Der Rheinpfalz-Artikel wurde zum heißen Gesprächsthema in Ludwigshafen, von der Stadtverwaltung aber war über eineinhalb Wochen kein Pieps dazu zu hören. Die Taktik war offensichtlich: Erstmal abkühlen lassen, Gras drüber wachsen lassen. Dies mag eine bewährte Taktik sein, angesichts der vielen menschlichen Schicksale aber, die hier auf dem Spiel stehen, muss eine solche Taktik das letzte Vertrauen in Politik und Behörden auch noch beschädigen.
Erst am 12.12. konnte ‘Die Rheinpfalz’ von einer Stellungnahme der Stadt berichten, die dann aber so geriet, dass sie zusätzlich Öl ins Feuer der Empörung schüttete. Die Verwaltung betonte darin, “dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ausländerbehörde alles in ihrer Macht Stehende tun, um den Dienstbetrieb trotz personeller Unterbesetzung (derzeit zehn unbesetzte Stellen) und großer Arbeitsbelastung aufrecht zu erhalten.”
Die Verwaltung tut hier so, als ob sich die Kritik der Betroffenen, die von der ‘Rheinpfalz’ aufgegriffen wurde, gegen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter richten würde. Dies ist aber gar nicht der Fall und kann auch aus keiner der Äußerungen herausgelesen werden. Die Kritik richtet sich selbstverständlich gegen die Verantwortlichen, gegen die übergeordneten Stellen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Behörde auszuspielen gegen ausländische Mitbürger oder gegen die Presse, ist eine unschöne und ebenfalls das Vertrauen zersetzende Taktik.
Es sind etliche Fragen, denen sich die Stadtverwaltung endlich stellen sollte:
- Warum ist denn die Hälfte der Stellen nicht besetzt? Dass da keine/r mehr hin will, ist bei der Stadt ein offenes Geheimnis. Was muss unternommen werden, um die Arbeitsbedingungen attraktiver oder wenigstens aushaltbar werden zu lassen?
- Warum ist denn von den paar Behörden-Beschäftigten, die noch da sind, häufig auch nur die Hälfte anwesend, die andere Hälfte krank oder in Urlaub? Könnte dies auch etwas damit zu tun haben, dass die Arbeitsbedingungen verbesserungsbedürftig sind?
- Der letzte Amtsleiter (*) musste wegen der haarsträubenden und chronischen Missstände gehen. Eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger wurde noch nicht gefunden. Könnte es sein, dass der Posten als Himmelfahrtskommando betrachtet wird? Weil die Verwaltungsspitze andere Prioritäten hat und von ihr keine effektive Unterstützung zu erwarten ist?
- Könnte dies wiederum etwas damit zu tun haben, dass die 51.000 Ludwigshafener MitbürgerInnen ohne deutschen Pass nicht an Wahlen teilnehmen dürfen und auch sonst keine Lobby haben?
Leider stellt sich die Verwaltung keiner dieser auf der Hand liegenden Fragen, stattdessen geht sie zum Gegenangriff über: Die Abläufe im Amt würden auch erschwert durch nicht wahrgenommene und nicht abgesagte Termine seitens der Kunden. Zudem würden bei Vorsprachen überwiegend unvollständige Unterlagen vorgelegt, was sehr oft weitere Termine erforderlich mache. Wäre es da nicht einfacher, wie Bert Brecht es 1953 der DDR-Regierung vorschlug, die Verwaltung würde das Ludwigshafener Volk auflösen und sich ein anderes wählen?
In einem Leserbrief macht der Ludwigshafener Pfarrer und ehemalige AWO-Vorsitzende Dietrich Bardens mit entschiedenen Worten seinen Gefühlen Luft: “Die Ausländerbehörde hat schon sehr lange einen schlechten Ruf. Aber so schlimm wie heute war es noch nie … Nicht nur Betroffene bekommen fast keinen Kontakt, sondern auch freie Organisationen und Behörden wie Polizei, Schulen und andere Bereiche der Verwaltung. Was da (nicht) geschieht, ist menschenverachtend, verstößt gegen unsere Grundwerte und zeigt eine politische Kultur, die nicht die unsere sein darf … Ich schäme mich für diese Art von ‘Willkommenskultur’ und entschuldige mich bei unseren Nachbarn mit einem anderen Pass.” Dietrich Bardens macht auch einen Lösungsvorschlag und begründet ihn: “Politisch gibt es nur einen Weg. Unsere OB muss dies umgehend zur Chefsache machen und dafür sorgen, dass ihre Verwaltung funktioniert und entsprechend personell ausgestattet ist. Sie trägt letztlich die politische Verantwortung dafür und kann sie nicht nach unten abdrücken.”
Aus diesen Worten scheint nicht mehr und nicht weniger als gesunder Menschenverstand zu sprechen. Werden sie die Verwaltungsspitze erreichen? Der Untertitel des letzten Rheinpfalz-Artikels ist diesbezüglich skeptisch: “Veränderungswille kaum erkennbar”
Es scheinen in Ludwigshafen nicht nur die Autobrücken zu erodieren. Auch gesellschaftliche Brücken zerbröseln bei solchen Zuständen, die einen andauernden Angriff darstellen auf alle, die wirtschaftlich oder politisch nicht zu den Stärksten gehören.
(Michael Kohler)