ZI Mannheim wieder wegen grausamer Tierversuche in der Kritik
Wie der Verein “Ärzte gegen Tierversuche” Ende Juli der Presse mitteilte, wird im Rahmen der Depressionsforschung des ZI Mannheim ein besonders grausamer Tierversuch eingesetzt. Es handelt sich um den sogenannten forcierten Schwimmtest. Mäuse oder Ratten werden in einen Wasserbehälter gesetzt, in dem sie nicht stehen und aus dem sie auch nicht herausklettern können. Dann wird beobachtet, wie lange die Tiere dem Ertrinken zu entkommen versuchen, bis sie aufgeben. Es sollte u.a. herausgefunden werden, ob die Tiere später aufgeben, nachdem man ihnen ein Antidepressivum in die Bauchhöhle gespritzt hat. Der seit langem scharf kritisierte forcierte Schwimmtest wurde im März im australischen Bundesstaat New South Wales verboten, in Großbritannien ist ein Verbot geplant. Mehrere große Pharmaunternehmen wie Roche, AbbVie und Pfizer führen den auch als “Verzweiflungstest” bezeichneten Versuch nicht mehr durch, sowohl aus ethischen als auch aus ökonomischen Gründen als auch wegen seiner zweifelhaften Aussagekraft. In Deutschland und anderen EU-Ländern ist er jedoch noch erlaubt, in Deutschland wird er sogar noch von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit Steuergeldern unterstützt. Der 1979 in Hamburg gegründete und seitdem auch in unserer Region sehr aktive Verein “Ärzte gegen Tierversuche” gibt an, dass die Behörden sowohl über die Zahl der Tierversuche als auch über die Zahl der Tierlabore in Mannheim keine Auskunft erteilen. Gleichwohl gilt Mannheim als deutsches Zentrum von Tierversuchen, die zur Zeit aufgrund von Skandalen und Recherchen und im Zusammenhang mit der Reform des Tierschutzgesetzes wieder verstärkt diskutiert werden.
Der Hund Krümel lebte fünf Jahre als Versuchstier in einem Labor. Als er nicht mehr brauchbar war, wurde der Beagle in private Hände abgegeben. Ende 2023 veröffentlichte der NDR seine Geschichte, auf die er im Rahmen einer Recherche gestoßen war, die “gravierende Gesetzesverstöße in deutschen Tierversuchs-Laboren” enthüllt hatte. Zuerst konnte Krümel in seinem neuen Zuhause überhaupt keine Treppen gehen, die Halterin musste ihn die Stufen hochtragen. Der Tierarzt fand viele alte Knochenbrüche, auch an den Pfoten, die nie behandelt worden waren. In seiner Recherche kam der NDR zu dem Ergebnis, dass deutschlandweit in Tierversuchslaboren gravierende Verstöße gegen das Tierschutzgesetz und regelrechte Tierquälerei existieren “und dies kaum Konsequenzen hat”.
„Dämmerung. Notizen in Deutschland“ ist der Titel eines Büchleins von Max Horkheimer, das 1934 in Zürich erschien und 1974 in Frankfurt neu aufgelegt wurde. Unter der Überschrift „Der Wolkenkratzer“ beschreibt er die Gesellschaftsstruktur mit dem Bild eines aus vielen Stockwerken bestehenden Hochhauses. Hierin befinden sich „obenauf die leitenden, aber sich untereinander bekämpfenden Trustmagnaten der verschiedenen kapitalistischen Mächtegruppen“, nach etlichen Zwischenschichten bzw. weiteren Stockwerken „dann das Proletariat, von den höchst bezahlten Arbeiterschichten über die ungelernten bis zu den dauernd Erwerbslosen, Armen, Alten und Kranken.“ Unterhalb des Proletariats mitsamt seiner ärmsten Schichten aber sieht Horkheimer noch zwei weitere, für das Gesamtsystem wesentliche Stockwerke: „Darunter beginnt erst das eigentliche Fundament des Elends, auf dem sich dieser Bau erhebt.” Zunächst ist da der „furchtbare Ausbeutungsapparat, der in den halb und ganz kolonialen Territorien, also in dem weitaus größten Teil der Erde funktioniert.“ Und schließlich das allerunterste Stockwerk: „Unterhalb der Räume, in denen millionenweise die Kulis der Erde krepieren, wäre dann das unbeschreibliche Leiden der Tiere, die Tierhölle in der menschlichen Gesellschaft darzustellen, der Schweiß, das Blut, die Verzweiflung der Tiere.“
Die Betrachtungen dieses vor 90 Jahren geschriebenen und vor 50 Jahren neu aufgelegten Textes erscheinen erstaunlich zeitgemäß. Sie sehen zum einen die Unterdrückten und Ausgebeuteten „in den halb und ganz kolonialen Territorien“ als Bestandteil und Grundlage unserer Gesellschaft. Es ist deshalb nicht nur eine Frage der Ethik und des Anstandes, sondern es liegt in unserem eigenen objektiven Interesse, mit den Menschen dort in allen ihren emanzipatorischen Anliegen den engen Schulterschluss anzustreben und zu praktizieren. Auch die Tierhölle im untersten Kellergeschoss wird von Horkheimer explizit als Bestandteil und Fundament der Gesellschaft angesehen. In diesem Stockwerk leben derzeit etwa 85 Milliarden Säugetiere, die Zahl der ebenfalls empfindungsfähigen Fische und anderer Wassertiere ist ein Vielfaches hiervon und gilt als nicht mehr schätzbar. 90 Prozent dieser Wirbeltiere leben in Massenhaltungen, in denen durch kapitalintensive High-Tech-Haltungssysteme und verwertungsorientierte Zucht das Tierwohl immer irrelevanter wird. Nach Theodor Adorno gehört es „zum Mechanismus der Herrschaft, die Erkenntnis des Leidens, das sie produziert, zu verbieten“ und deshalb sei „das Bedürfnis, Leiden beredt werden zu lassen … Bedingung aller Wahrheit.“ Einer der düstersten Räume des untersten Stockwerkes ist derjenige, in dem Tierversuche gemacht werden. Das Leiden in diesem Raum „beredt werden zu lassen“ sollte damit beginnen, das Licht auf die Zahlen und damit auf das weitgehend unbekannte Ausmaß dieser Tierqual zu richten. In einer in zwölf EU-Ländern 2020 durchgeführten repräsentativen Umfrage ergab sich: Fast drei von vier Befragten (72 Prozent) wollen Tierversuche beenden. Genau zwei Drittel waren der Meinung, dass in der EU sofort alle Tierversuche beendet werden sollten. In Deutschland sprachen sich 89 Prozent der Teilnehmenden dafür aus, alle Tierversuche zu verbieten, die mit schweren Schmerzen oder Leiden für die Versuchstiere einhergehen. Es besteht also für Profiteure der Tierversuche ein beträchtlicher Druck, deren Ausmaß zu verschleiern.
Nach den Statistiken werden weltweit pro Jahr mehr als 115 Millionen Tiere für Tierversuche getötet. Obwohl diese Zahl schon erschrecken kann, ist sie aus mehreren Gründen nur die Spitze des Eisberges. Viele Länder führen gar keine Statistiken, auch in Deutschland wird die Anzahl der Versuchstiere erst seit 1989 erfasst. Auch wo Statistiken geführt werden, melden viele Forschende ihre Versuche nicht oder nicht vollständig an die Behörden und vermeiden so das Risiko, dass die Versuche aus ethischen Gründen nicht genehmigt werden. Dies kommt auch in Deutschland immer noch und immer wieder vor. Vor kurzem wurde eine Wissenschaftlerin des Max-Planck-Institutes entlassen, weil sie in gleich drei Fällen nicht genehmigte Tierversuche durchgeführt hatte. Es ging um die Frage, wie sich Mäuse bei Sauerstoffmangel verhalten. Die Forscherin war vom Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit angezeigt worden, das Verfahren der Staatsanwaltschaft wurde jedoch gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt. Nun gab das Max-Planck-Institut bekannt, dass 22 weitere Verdachtsfälle aus den Jahren 2016 bis 2023 geprüft werden. Einige Länder schließen einfach bestimmte Tierarten aus der Statistik aus, z.B. die USA, die gleichzeitig das Land mit den meisten Tierversuchen sind. Schätzungen beginnen bei 20 Millionen und gehen bis zu 70 Millionen Tieren pro Jahr. Ratten, Mäuse und Vögel sind hier willkürlich aus der Statistik ausgeschlossen, obwohl sie mit vermutlich über 80 Prozent den größten Teil der benutzten Tiere ausmachen. Eine weitere Möglichkeit, das wahre Ausmaß zu verbergen, bietet in Deutschland das Tierschutzgesetz selbst: Tierversuche im Sinne des deutschen Tierschutzgesetzes sind nämlich nur Versuche an lebenden Tieren. Die Tötung eines Tieres, um zum Beispiel an seinen Organen Versuche durchzuführen, ist also kein Tierversuch und erscheint deshalb nicht in der Statistik. 2022 waren es in Deutschland 700.000 Tiere, die zu den angegebenen 1,7 Millionen Versuchstieren dazugezählt werden müssten. Die meisten verheimlichten Tiertötungen finden jedoch bei der “Entsorgung” sogenannter Überschusstiere statt. Das sind Tiere, die für Tierversuche gezüchtet wurden, dann aber nicht benötigt und deshalb aus rein ökonomischen Gründen getötet werden. 2017 bezifferte ein EU-Bericht deren Anzahl in Deutschland auf 3,9 Millionen. Statt der offiziellen und in den Medien stets verwendeten Zahl von 1,7 Millionen Versuchstieren pro Jahr in Deutschland liegt also deren tatsächliche Anzahl grob geschätzt zwischen sechs und sieben Millionen.
Das neue, am 1.August in Kraft getretene Tierschutzgesetz folgt den Wünschen der Tierversuchslobby, die eine milliardenschwere Branche vertritt, und enthält trotz gegenteiliger Wahlkampfversprechen keine Änderung der Bestimmungen zu Tierversuchen. In den USA aber sind durch ein Gesetz der Biden-Administration seit 2023 Tierversuche für die Zulassung von Medikamenten zwar nicht verboten, aber auch nicht mehr erforderlich. Dies ist einerseits ein Erfolg der in den USA sehr präsenten Tierrechtsbewegung, andererseits eine längst überfällige Anerkennung dessen, dass Tierversuche seit Jahrzehnten wissenschaftlich obsolet sind und auch ökonomisch fragwürdiger werden. Im Mai gab die Vorsitzende der Merck-Geschäftsleitung Belén Garijo Lopez bekannt: “Wir wollen keine Tierversuche mehr machen.” Im vergangenen Jahr hat der DAX-Konzern nach eigenen Angaben 150.000 Tiere für Versuche benutzt und plant nun, daraus ganz auszusteigen. Alternative Methoden wie z.B. Versuche an Zellkulturen könnten ähnlich verlässliche Daten zur Produktsicherheit liefern. Es gelte nun, die Aufsichtsbehörden zu überzeugen (!), was in Kanada und den USA zum Teil schon gelungen sei. Zur Wirksamkeit von Medikamenten würden alternative Methoden bald sogar genauere Vorhersagen ermöglichen als Tierversuche. In Mannheim kommt es nun darauf an, dem ZI klarzumachen, dass es durch sein Festhalten an unethischen und wissenschaftlich fragwürdigen Tierversuchen der Versorgung der Bevölkerung eher schadet als ihr zu nützen.
(mk)