Gedenkveranstaltung in Mannheim zum gewaltsamen Tode zweier kurdischer Journalisten
Am 22. Dezember fand eine beeindruckende Saalveranstaltung des Kurdischen Vereins in Mannheim statt. Ca. 350 Menschen aus Mannheim und der Region beteiligten sich an der Gedenkveranstaltung. Es sprachen u.a. eine Vertreterin des Kurdischen Frauenrats, des kurdischen Journalistenverbandes und ein Bruder der getöteten Journalistin Cihan Bilgin.
Mit einer Videopräsentation wurde der persönliche und der berufliche Lebensweg der beiden getöteten Journalisten nachgezeichnet. Nazım Daştan arbeitete seit 10 Jahren, Cihan Bilgin seit 7 Jahren für verschiedenen kurdische Medienagenturen.
Zuletzt berichteten sie über militärische Auseinandersetzungen um den Tişrîn-Staudamm zwischen der türkischen Armee und islamistischen Milizen auf der einen Seite und den kurdischen Volksbefreiungskräften YPG auf der anderen Seite. Der Tişrîn-Staudamm ist wichtig für die Trinkwasserversorgung und für die Versorgung mit elektrischem Strom, der durch ein angeschlossenes Kraftwerk erzeugt wird. Zerstörungen am Kraftwerk durch die türkische Armee und islamistische Milizen haben inzwischen dazu geführt, dass Kobane seit drei Wochen ohne jeglichen Strom ist. Der Staudamm und das Kraftwerk stehen weiter im Fokus militärischer Angriffe.
Die Journalisten Bilgin und Daştan hatten ihre Reportage am Vorabend ihres gewaltsamen Todes abgeschlossen und waren mit dem PKW auf dem Weg nach Hause. Der Bericht konnte zumindest zum Teil an Presseagenturen geschickt werden.
Es war auf der Veranstaltung ein sehr beeindruckendes Erlebnis, Fotos und Videos der Journalisten, die zum Teil erst einen Tag vor ihrem Tode entstanden sind, anzusehen.
Am Rande der Veranstaltung konnte das Kommunalinfo ein Interview mit Durmaz Yahisi, einen Onkel der getöteten Journalistin Cihan Bilgin, führen. (scr)
Interview mit Durmaz Yahisi, Onkel der getöteten Journalistin Cihan Bilgin
Frage: Sie sind nach Mannheim gekommen, um ihrer getöteten Nichte zu gedenken?
Antwort: Ja, ich bin eigens aus der Schweiz angereist, um an Cihan Bilgin und Nazım Daştan zu gedenken. Ich bin aber nicht der einzige Verwandte von Cihan. In Mannheim leben sogar zwei Brüder von Cihan, die heute auch hier sind.
Frage: Sie kennen Cihan Bilgin schon lange?
Antwort: Ja, ich kenne sie schon seit ihrer Kindheit. Sie entstammt einer sehr politischen Familie von der Region Mardin im kurdischen Teil der Türkei. Ihr Vater und ihr Bruder waren schon früh im Fadenkreuz der staatlichen Institutionen. Sie erlebten Gefängnis und Folter. Cihan interessierte sich schon im jugendlichen Alter für Politik. Sie studierte zunächst Jura in Diyarbakır. Mit der Möglichkeit des Studiums wollte sie den Menschen etwas zurückgeben. Sie entschied dann für Journalismus. Nach der Revolution in Rojava ging sie dorthin, um über den Aufbau der Selbstverwaltung zu berichten.
Frage: War der tödliche Anschlag von großer Hand geplant?
Antwort: Davon ist auszugehen. In den sozialen Netzwerken und in türkischen Medien wird der Anschlag gefeiert. Allerdings wird vom türkischen Staat behauptet, dass zwei PKK-Funktionäre unschädlich gemacht worden seien. Das ist allerdings eine Lüge. Sowohl Cihan als auch Nazim Dastan handelten ausschließlich im journalistischen Auftrag. Das Auto, in dem sie fuhren, war mit der Aufschrift „Presse“ eindeutig als Pressefahrzeug gezeichnet. Der Anschlag galt also Zivilisten. Das Fahrzeug wurde von Drohnen beschossen, die eindeutig von der türkischen Armee abgeschossen und gesteuert worden sind.
Frage: Warum erfolgte der Anschlag gerade jetzt?
Antwort: Als engagierter Journalist muss man eigentlich tagtäglich mit einem solchem Anschlag rechnen. Leider. Dass der Anschlag jetzt passiert ist, hängt vermutlich mit der Bedeutung der Reportage über die Auseinandersetzungen um den Tişrîn-Staudamm zusammen. Ein entscheidender Punkt im Kampf um die Selbstverwaltung in Rojava.
Frage: Wie ist der Anschlag politisch einzuordnen?
Antwort: Der Anschlag ist ein Angriff auf ein fundamentales universales Grundrecht, nämlich auf die Presse- und Meinungsfreiheit. Eine Diskussion darüber will die Türkei aber verhindern. In diesen Tagen wurden sieben Journalisten festgenommen und inhaftiert, weil sie auf einer Kundgebung die Bilder der zwei getöteten Journalisten gezeigt haben. Vorwurf: Terrorpropaganda.
Zum Schluss will ich noch auf einen persönlichen Wunsch hinweisen. Die Familie will eine Überführung des Leichnams von Cihan Bilgin in ihre Heimat., damit sie dort beerdigt werden kann. Bisher scheitert dies an den türkischen Behörden.