Fakt ist …

Fakten-Checks werden seit Jahren als Gegenmittel zu “alternativen Fakten” angepriesen – dabei können sie sogar kontraproduktiv sein.

Nach dem TV-Duell zwischen Friedrich Merz (CDU) und Olaf Scholz (SPD), konnte man in vielen Medien Faktenchecks finden, die sich mit den Aussagen der beiden Kandidaten für die Bundestagswahl beschäftigen. In ansehnlichen Grafiken wurde dargestellt, wer von beiden häufiger gelogen hat. Polit-Talkshows nutzen Faktenchecks um ihren Zuschauern in Echtzeit oder am Folgetag Informationen zu Verfügung zu stellen, die helfen sollen das Gesagte einzuordnen. Aber haben Fakten einen Effekt auf Wahlentscheidungen oder können sie politische Entwicklungen beeinflussen?

Die CDU Spitzenkandidatin aus Mannheim, Melis Sekmen, hat bei einer Podiumsdiskussion vergangene Woche berichtet, dass Bürger sie darauf ansprechen, wie ungerecht es sei, wenn Menschen, die nicht arbeiten und Bürgergeld beziehen, mehr Einkommen hätten, als Menschen die arbeiten. Diese Erzählung wird auch von Vertreter:innenn anderer Parteien regelmäßig vorgetragen, um gegen Sozialleistungen und für ein Leistungsprinzip zu argumentieren. Es ist durchaus glaubhaft, dass Bürger*innen dieses Empfinden gegenüber Abgeordneten äußern. Daraus lässt sich aber lediglich ableiten, dass es dieses Empfinden gibt und nicht, dass es der Realität entspricht, dass Bürgergeldempfänger*innen mehr Geld zu Verfügung hätten als arbeitende Menschen.

Dass Arbeitende wesentlich mehr Einkommen als Bürgergeld-Empfänger*innen haben wurde in diversen Beispielrechnungen und Faktenchecks belegt. Trotzdem wird diese Mär auf sämtlichen Bühnen verbreitet und der Umstand, dass sich Bürger*innen darüber beklagen, als fälschlicherweise als Beleg herangezogen. In diesem Fall liefert ein Faktencheck eine sinnvolle Information, die geeignet sein könnte, den Bürger*innen ihre Sorge vor ungerechter Behandlung zu nehmen. Doch häufig wird die Aussage stehengelassen, statt sie als Lüge zu kennzeichnen. Vielleicht kennen Moderator*innen und Journalist*innen den Fakt nicht? Dann stellt sich die Frage, ob sie die eigenen Faktenchecks nicht zur Kenntnis nehmen? Oder sie kennen die Fakten, sehen die Aufklärung aber nicht in ihrer Verantwortung, da es ja einen Fakten-Check gibt. Es besteht das Risiko, dass Faktenchecks kritischen Journalismus untergraben.

Im Zuge der Bürgergeld-Debatte ist auch von sogenannten “Totalverweigerern” die Rede und Vertreter*innen über Parteigrenzen hinweg sind sich einig, dass es notwendig sei, diese durch Entzug von Finanzmitteln zu bestrafen. Faktchecker haben sich sofort daran gemacht, einmal auszurechnen, um wie viele Menschen es sich dabei eigentlich handeln könnte. Meistens wurden Angaben der Agentur für Arbeit über erfolgte Sanktionen herangezogen, die auf etwa 14.000 Menschen hinweisen, die als “Totalverweigerer” gemeint sind. Nun zeigt das auf der einen Seite, dass sich diese Debatte an einer Minderheit unter der Gesamtzahl von Menschen ohne Lohnarbeit aufhängt. Auf der anderen Seite erkennt der Faktencheck aber damit an, dass es sich um ein Problem handelt- eben nur ein sehr kleines. Hier tappen Faktenchecker in eine Falle.

Das Grundgesetz sowie die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes verpflichten den Staat Menschen in Deutschland ein Existenzminimum zu gewährleisten. Das bedeutet nicht nur, dass das Bürgergeld überhaupt nicht komplett gestrichen werden dürfte, sondern dass es auch völlig egal ist, ob sich nun vier, 14.000 oder 1,4 Millionen Menschen “total verweigern”. Statt der Berechnung in einem Faktencheck, muss die Antwort also immer lauten, dass diese Forderung Unfug ist und einen Rückschritt darstellt, was die Rechte aller lohnabhängigen Menschen angeht. Der Fakt zwar korrekt, verdeckt aber, was das eigentlich problematische in diesem Diskurs ist.

Sind FaktenChecks nicht wenigstens hilfreich gegen die Lügen der Rechten? Schließlich bewegen sich Rechtspopulisten, von Trump bis zur AfD, oft jenseits dessen, was als Fakt gelten kann. Das Problem liegt darin, dass Rechte es nicht nur geschafft haben “alternative Fakten” zu etablieren, sondern auch die Bedeutung von Fakten grundsätzlich in Zweifel zu ziehen. Ob das nur schlecht ist, kann man durchaus kontrovers diskutieren, schließlich steckt darin auch eine Herrschaftskritik, die oft auch Bestandteil linker Kritik war. Man wird rechte Stimmungsmache allerdings kaum damit bekämpfen können, dass man “falschen” Fakten, die “richtigen” entgegen hält. Zudem werden Fakten häufig mit Wahrheit gleichgesetzt, was zu moralischen Überlegenheitsgefühlen führen kann, die Diskurse hin und wieder vernebeln. Berechtigte Interessen und emotionalisierte Erfahrungen lassen sich auf diese Weise nicht widerlegen. Doch gerade diese spielen bei politischen Entscheidungen seit je her eine größere Rolle, als Fakten.

Sollte man es also lassen? Nein. Aber die obigen Beispiele sollten verdeutlichen, dass Faktenchecks alleine nicht ausreichen. Sie können helfen politische Akteure mit ihren Aussagen zu konfrontieren, aber sie dürfen Kritik nicht ersetzen.

Text: DeBe