Interview: Woher kommt der starke Mitgliederzuwachs bei der Partei Die Linke?

Neumitgliedertreffen im Kreisbüro | Bild: Die Linke Mannheim

Wenige Tage vor der vorgezogenen Bundestagswahl ist die Stimmung in Deutschland hochpolitisch und kaum jemand kann sich den Diskussionen entziehen. Viele Parteien verzeichnen einen Mitgliederzuwachs, aber bei der Linken ist er besonders deutlich ausgeprägt.

Mehr noch: Die von manchen schon totgesagte Partei hat in den Umfragen stark zugelegt und ist gerade bei jungen Leuten sehr beliebt. Die U18 Wahl, eine Umfrage unter Jugendlichen, hat Die Linke klar gewonnen.

Wir sprachen mit Sven Metzmaier, Sprecher des Kreisverband Mannheim der Partei Die Linke, über die Gründe für den starken Mitgliederzuwachs und welche Ideen die meist jungen Leute mitbringen. (cki)

Kommunalinfo Mannheim: Wie viele Neumitglieder konntet ihr in den letzten Wochen aufnehmen?

Sven Metzmaier, Kreissprecher Die Linke Mannheim | Archivbild

Sven Metzmaier: Jede Menge. Und das ist äußerst erfreulich, ja schon überwältigend. Seit Anfang November bis heute haben wir ca.189 Neueintritte und es reißt derzeit auch nicht ab. Austritte hatten wir seitdem nur einen. Die Neueintritte fügen sich somit in den bundes- und landesweiten Trend ein. Im Land verzeichnen wir (Stand: 21.1.2025) seit Sept. 2024 einen Mitgliederzuwachs von 779. Was hierbei auch sehr erfreulich ist, es gibt auch Zuwächse in eher ländlichen Gegenden und in kleineren Kreisverbänden. Die Neueingetretenen sind vor allem in der Altersgruppe zw. 20 und 35 Jahren zu finden, Durchschnittsalter: 27 Jahre. Die Bewegung in dieser Altersgruppe lässt sich auch an der Erstarkung unserer Jugendgruppe “Linksjugend. solid” festmachen, wobei deren Mitglieder nicht zwangsläufig auch Mitglied der Partei sein müssen.

KIM: Wie ist jetzt der aktuelle Stand insgesamt bei euch im Kreisverband?

SM: Der aktuelle Stand im Kreisverband Mannheim liegt derzeit wohl bei etwas über 400 Mitglieder. Aber das ändert sich derzeit ja schon fast täglich. Gestern sind z.B. schon wieder vier neue Menschen bei uns eingetreten. An Spitzentagen sind zwischen 11 und 13 neue Genoss*innen eingetreten.

KIM: Welche Erklärungen hast du dafür? Was sagen die Neuen, warum sie eingetreten sind?

SM: Man könnte meinen, dass es vielleicht am Bruch der Ampel lag. Doch das geben die Zahlen als Hauptgrund nicht wirklich her. Wie sich herausstellt, ist es vielmehr die Sorge und Befürchtungen, in welche Richtung es nach den Neuwahlen aller Voraussicht nach gehen wird. Also an den derzeitigen demokratiebedrohenden Verhältnissen. Stichwort AfD! Stichwort: Rechtsruck in Europa und nahezu weltweit. Trump & Musk! Das und das Abbrennen der CDU’schen Papierbrandmauer nach rechts bestätigt viele dabei, in Die Linke einzutreten.

Begrüßungstütchen für Neumitglieder | Bild: Die Linke Mannheim

Aber auch die Tatsache, dass der Klimawandel mehr und mehr geleugnet wird und in den Auseinandersetzungen die Herausforderungen für eine echte Klimapolitik eine sehr untergeordnete Rolle spielen. Und eben, ganz klassisch, das Thema soziale Gerechtigkeit, steigende Belastungen und Entsolidarisierung der Gesellschaft sind ebenso die Gründe. Diese sind ausschlaggebender für den Mitgliederzuwachs als der reine Ampelbruch. Daher rührt auch der engagierte Einsatz vieler Neumitglieder im laufenden Wahlkampf. Ich kann mich an so etwas wie aktuell, seit meinem Eintritt in Die Linke 2009, nicht erinnern. Die gute Stimmung, die Einsatzbereitschaft so vieler Menschen. Das ist einfach unglaublich schön! Man merkt an all diesem kämpferischen Engagement: es geht um sehr viel, nämlich unsere Zukunft!

Zitat auf einem unserer wöchentlichen Aktiventreffen, an denen auch „Neue“ teilnehmen: Ich habe mir gesagt, jetzt muss ich endlich etwas tun!

KIM: Blicken wir ca. 1,5 Jahre zurück. Sahra Wagenknecht ist mit ihrer Anhängerschaft aus der Partei ausgetreten, die Bundestagsfraktion war zerstört. Damals war die Angst groß, dass alles den Bach runter geht. Was würdest du rückblickend sagen: Katastrophe oder Befreiungsschlag?

SM: Damals war Die Linke in einer schlimmen Situation. So richtig schlimm zu werden begann es aber bereits 2021. Sahra Wagenknecht jagte mit ihrem Verhalten, ihrem „immer dagegen“-Sein und dann mit ihrem Buch „Die Selbstgerechten“ und ihren Thesen einen endgültigen Spaltpilz in die Partei. Daraufhin gab es ja auch einen Parteiausschlussantrag gegen sie. Da ich damals noch dafür war, dass Ruhe in die Partei kommen müsse, verstand ich diesen Antrag, war aber gegen diesen und hoffte, dass man die Situation damals vielleicht noch parteiintern klären könnte. Das war rückblickend aber ein völliger Fehlschluss.

Als sie und ihr Gefolge dann endlich austraten, dem ich zu diesem Zeitpunkt schon länger entgegenfieberte, empfand ich es als absolute Befreiung und das empfinde ich auch heute noch so. Die Linke fand dadurch wieder zu sich zurück und konnte sich neu aufstellen. Dass dies anfangs eher schleppend vonstattengehen würde, war erwartbar. Wir hatten uns mit unseren andauernden Querelen, speziell durch Sahra Wagenknecht und ihren Leuten, viel zu viel mit uns selbst beschäftigt, damit uns selbst völlig blockiert und in der Konsequenz den Zuspruch vieler Menschen im Land verspielt, da sie uns nicht mehr als Partei sahen, die sich u.a. um ihre Belange, Sorgen und Probleme kümmerten oder gar kümmern könnten.

Das zu ändern war ein dickes Brett, das wir erstmal bohren mussten und da konnte man auf Janine Wissler und Martin Schirdewan nicht neidisch sein. Mit unseren neuen Vorsitzenden Ines Schwerdtner und Jan van Aken kam dann der Schwung und damit auch der Abschluss des Befreiungsprozesses. Auch die Wahl von Heidi Reichinnek und Jan van Aken als Spitzenkandidaten waren eine sehr gute Wahl, wie ich finde. Es war also eine lange Phase eines Befreiungsschlags, der für uns nun in einem Momentum zu münden scheint, wie ich finde. Der Austritt Wagenknechts und ihrer Leute hat uns übrigens weniger als eine Handvoll Mitglieder gekostet, während mit diesem Austritt Wagenknechts deutlich mehr eingetreten sind. Ja, es war definitiv ein Befreiungsschlag. Eindeutig!

KIM: Vom BSW hört man gerade eher nicht viel in Richtung positiver Mitgliederentwicklung. Eher das Gegenteil: In Bayern sind einige wegen dem migrationsfeindlichen Kurs ausgetreten. Was sagst du dazu?

SM: Das wundert mich nicht im Geringsten. Ähnliches passierte auch mit ihrer damaligen Sammlungsbewegung „aufstehen“. Anfangs entwickelte sich alles ganz gut und es gab auch guten Zuwachs an Leuten, die was bewegen wollten, für die aber eine Parteimitgliedschaft oft eher ein Hindernis war. Nachdem sie aber bemerkte, dass sie nicht mehr so sehr gebraucht wurde, hat sie das Ganze von „oben herab“ einfach mal abgewürgt. Ich kann mich daran gut erinnern, da ich da anfangs auch dabei war. Nur hatte ich irgendwann einfach keine Lust mehr auf die Gnade von Wagenknecht hoffen zu müssen. Und genau so, bzw. so ähnlich, macht sie das auch mit ihrem BSW. In dieser Partei gibt es nicht nur ein Gesicht, das haben wir ja auch bei der FDP, nein, beim BSW gibt es auch nur eine Meinung. Nämlich die von Sahra Wagenknecht, die mit ihren engsten Vertrauten die neuen Mitglieder handverliest. Sowas kann man eine Kaderpartei nennen. Und da kann es eben auch zu Situationen kommen, dass sich für Positionen ausgesprochen wird, z.B. die Zustimmung zu Merz‘ „Zustrombegrenzungsgesetz“, die man mit seinem Gewissen nicht mittragen kann.

Ergebnisse der U18 Jugendwahl – Die Linke scheint vor allem bei jungen Menschen gut anzukommen | Grafik: U18 / Deutscher Bundesjugendring

KIM: Welche Ideen haben eure Neumitglieder und könnt ihr sie alle umsetzen?

SM: Sie sprühen vor Ideen. Das kann ich gar nicht alles aufführen. Die Ideen erstrecken sich über Aktionenplanung, Memes, Sharepics und Videos auf Social Media und vieles mehr. Sie bringen sich und ihre Ideen bereits aktiv in den Wahlkampf ein, worüber wir sehr glücklich sind. Wir bemühen uns, sie bei ihren Ideen zu unterstützen und bis jetzt läuft es auch sehr gut. Wir wollen „Mitmachpartei“ schließlich auch leben und Kreativität so wenig wie möglich ausbremsen. Wir hatten ein phantastisches Neumitgliedertreffen, das uns und all die Neuen noch ein Stück mehr zusammenschweißte, Ideen schwirrten durch den Raum … Am Ende des Nachmittags wurden untereinander Verabredungen zu Aktionen getroffen und die Rucksäcke einfach so vollgepackt mit unseren Wahlprogrammen, die in die Briefkästen wandern sollten, noch ein paar Plakate mitgenommen zum Aufhängen …

Junge Parteimitglieder auf dem Weg zu Haustürgesprächen in der Neckarstadt | Bild: Die Linke Mannheim

KIM: Welche Strategien habt ihr, um die Neuen einzubinden?

SM: Durch den plötzlichen Eintritt in den Wahlkampf bleibt gerade wenig Zeit, um da parallel noch für neue Strategien zu sorgen. Aber natürlich tun wir, was wir spontan leisten können. Sie werden besonders über unsere Aktionsgruppen für den Wahlkampf erreicht und über Social media. Ansprachen erfolgen über Begrüßungsanschreiben und persönliche Kontakte. Es ist ganz deutlich festzustellen, dass viele ganz bewusst jetzt eintreten und auch gleich aktiv werden wollen – und das passiert auch! Oder sie sind es bereits in anderen überparteilichen Gruppierungen. Es gab und gibt auch gezielte Schulungen, z.B. für die Durchführung von Haustürgesprächen, an denen sich auch viele Neue beteiligen und das seit Wochen mit einer bewundernswerten Ausdauer. Sie beteiligen sich an Infoständen, z.T. ohne damit Erfahrung zu haben, sie trauen sich, sie tun’s! Die endgültige Anpassung der Strukturen und Ausarbeitung der Strategien, damit sie einem in so kurzer Zeit so stark gewachsenen Kreisverband gerecht werden können, wird nach der Bundestagwahl beginnen. Für unsere vielen jungen Genoss*innen haben wir zudem noch die Solid, die von der starken Eintrittswelle natürlich auch massiv profitiert hat. Und diese ist mächtig am Werkeln, worüber wir „Alten“ und „Jungen“ uns sehr freuen. Sie ziehen los mit Bollerwagen – Selbstorganisation! Toll!

Stichwort: unsere im Moment wöchentlichen Aktiventreffen – wie immer das Kind dann heißen wird – in der einen oder anderen Form werden sie weiterleben.

KIM: Wie ist die Stimmung eine Woche vor der Bundestagswahl?

SM: Die Stimmung, eine Woche vor der Bundestagswahl, ist absolut gigantisch. Wir sehen, u.a. durch die vielen Eintritte, den Umfragen, in denen wir derzeit sogar schon bei 7% liegen und vor allem dem vielen Zuspruch durch die Menschen auf den Demos und Ständen hier in Mannheim und auch bundesweit, dass wir wohl ein Momentum haben und somit bei der Wahl richtig was reißen können. Wir sind absolut zuversichtlich, dass wir die 5%-Hürde nicht nur überspringen, sondern dass wir auch noch ein gutes Plus obendrauf erzielen können. Wie sich herausstellt sprechen wir die richtigen Themen an, ob es nun bezahlbare Mieten, armutsfeste Renten, Klimaschutz, bezahlbare Lebensmittel, z.B. durch Streichung der MwSt. auf Grundnahrungsmittel, bezahlbare Energie und Mobilität, gute Arbeitsbedingungen und Steuererleichterungen für geringe bis gute Einkommen (bis 7.000,-€/Monat brutto) und vieles, vieles mehr. Es zeigt auch, Die Linke wird gebraucht! Deshalb, am 23.02.2025 Die Linke wählen!